Die Linke und das Militär

Von Dr. H.

 

Stichpunkte: Aussetzung der Wehrpflicht, Abschaffung der Bundeswehr.

 

[Einschränkender Hinweis: Hier geht es zunächst nur um den gewissermaßen „innenpolitischen“ Aspekt des Themenkomplexes „Krieg und Frieden“. Der an sich noch wichtigere und in vieler Hinsicht sicher auch maßgebende „außenpolitische“ Aspekt, das Problem der internationalen Konkurrenz nationalstaatlich organisierter Gesamtkapitale, des so genannten „Imperialismus“ im Allgemeinen und des deutschen im Besonderen sowie unserer Stellung dazu, ist hier zunächst ausgespart. Interessante Überlegungen dazu finden sich in einem Beitrag im INFO DIE LINKE S-H vom Aug. 2010: „Imperialismus anderer Qualität?“ Frühere Überlegungen zum selben Themenkomplex finden sich außerdem in einigen Flugschriften der übergänge.

Ein Datum dazu allerdings, das mir jüngst über den Weg gelaufen ist, möchte ich doch an dieser Stelle schon los werden: In einem Gespräch im LinksLetter der NRW-Linken über die Frage „Was wird aus dem Parteiprogramm?“ geht Ralf Krämer, einer der Autoren des ersten Programmentwurfs, am Ende auf das Thema „Kampfeinsätze der Bundeswehr“ folgendermaßen ein: „Im Programmentwurf heißt es bisher gegen ‚Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland‘, was andere Einsätze etwa zur Absicherung eines von allen beteiligten vereinbarten Waffenstillstands nicht grundsätzlich ausschlösse. Das macht für die Frage der Regierungsbeteiligung keinen großen Unterschied, weil die anderen Parteien die Bundeswehr auch in Kampfeinsätzen, sei es der NATO oder der UN, einsetzen wollen. Es ist notwendig, dass wir hier eine klare Gegenposition einnehmen und uns als einzige konsequente Friedenspartei profilieren. Der Politikwechsel, der der Inhalt einer Regierungsbeteiligung der LINKEN sein müsste, schließt auch ein Ende dieser Bundeswehreinsätze, vor allem natürlich in Afghanistan, ein.“ Ein hübsches Geständnis, das u.a. besagt, dass die Linke die Stationierung von Bundeswehrsoldaten beispielsweise im Kosovo durchaus mittragen kann, und damit auch erklärt, warum dies für sie schon lange überhaupt kein Thema ist. Man sieht daran sehr schön, wohin der geistlose Pazifismus einer Linken führt, die über ihrer rechtschaffenen Empörung und Abscheu gegen jedwedes Blutvergießen nicht darauf kommt zu fragen, wer denn da wofür jeweils – blutig oder unblutig – militärische Mittel einsetzt.]

 

Wie auch ansonsten ihre Position ist die der LINKEN zum Militär von vornherein dadurch unglücklich präpariert, dass sie generell Politik im Namen eines illusorischen höheren, jedes bestimmte gesellschaftliche Interesse hinter sich lassenden Allgemeininteresses artikuliert. Politik gilt ihr, wie namentlich in Deutschland allgemein üblich, überhaupt als der Ort, wo der Egoismus der bürgerlichen Partikularinteressen zum Wohle Aller ausgeglichen werden kann, wenn man es nur richtig anfasst. Der Gedanke, dass die Interessensgegensätze dieser (im Hegelschen Sinne) „bürgerlichen Gesellschaft“ an sich selber unversöhnlich sein könnten, liegt ihr in allen ihren Verlautbarungen so fern, wie es die Etikette des offiziellen Politikbetriebs verlangt – hinter dessen Kulissen indes zweifellos ganz andere Rechnungen aufgemacht werden. Und so kommt diese Linke auch nicht auf die Idee, dass der nun bis auf weiteres vollzogene Verzicht der herrschaftlichen Politik auf die Wehrpflicht damit zu tun haben könnte, dass man sich auf eine mögliche härtere Gangart in der Austragung jener Gegensätze nun auch im Landesinnern einzustellen beginnt. (Übrigens schläft diesen sanften Schlaf des linksdeutschen Michels keineswegs nur die Partei-LINKE, wie die nun schon jahrzehntelang links ganz allgemein – von brav staatstragend bis radikal umstürzlerisch – verbreitete und nirgends politisch ernsthaft infragegestellte Kriegsdienstverweigerung zeigt.)

 

Exemplarisch für diese Haltung sei hier Christine Buchholz (a.a.O.) zitiert:

„Für die neue Interventionspolitik der deutschen Herrschenden ist die Frage Wehrpflicht ja oder nein völlig irrelevant. Die ‚Armee im Einsatz‘ setzt bisher ausschließlich auf Zeit- und Berufssoldaten, ebenso wie die britische und die US-Armee. Die Forderung nach der Abschaffung der Wehpflicht ist trotzdem richtig, weil es sich um einen Zwangsdienst handelt. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist aber kein Mittel gegen die Militarisierung der Außenpolitik und der Gesellschaft. Unser Ziel muss die Auflösung der Bundeswehr sein, dies sollte als Ziel auch programmatisch festgehalten werden. Schritte dahin sind die Reduzierung der Bundeswehr und der Umbau in Richtung strukturelle Nichtangriffsfähigkeit.“

 

Zweifellos ein hehres Ziel: die Auflösung der Bundeswehr. Die Frage ist nur, wer der deutschen Bourgeoisie eine solche Entblößung von allen militärischen Instrumenten, also ihre regelrechte Entwaffnung mit welchen Mitteln bzw. worauf gestützt denn aufnötigen soll. Oder andersherum gefragt: Was stellt dieses linke Traumtänzertum sich eigentlich vor, wozu man hierzulande einen solchen hochgerüsteten Apparat, der ja weißgott nicht billig kommt, sich überhaupt leistet, dass es sich offenbar einbildet, ihn den Herrschaften mit ein paar prima Argumenten ausreden zu können? Und glaubt es vielleicht, mit ein paar ordentlichen Demos, einer gehörigen Zahl Wählerstimmen oder auch einem kompletten Generalstreik unbewaffneter Zivilisten dieses waffenstarrende Monstrum eines schönen Tages beiseite zu fegen, ohne dass es sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wenigstens ein ganz kleines bisschen dagegen wehrt?

 

Eine einzige Stimme von einigem Gewicht im linken Chor der Bundeswehrabschaffer hat immerhin gewarnt vor der Umwandlung der Bundeswehr in eine reine Berufarmee und auf die damit verbundenen Risiken aufmerksam gemacht. Oskar Lafontaine (a.a.O.) wies bei einer Parteiveranstaltung am 14. August in Saarbrücken darauf hin, dass eine solche Armee „immer die große Gefahr in sich berge, zum ‚Staat im Staate zu werden‘“.

 

Auch Lafontaine ist allerdings weit davon entfernt, diesen Anflug eines Gedankens zu Ende zu denken, schwärmt von einer Bundeswehr, die ihre Mordgeräte gegen Hacke und Spaten eintauscht und in aller Welt nur noch selbstlos Gutes tut. Und man weiß nicht recht, an wen seine Warnung vor der Berufarmee sich eigentlich richtet. Denn die jetzt den Umbau der Bundeswehr in Angriff nehmen, wissen sicher recht genau, was sie tun. Seine Sorge vor einem „Staat im Staate“ geht am Thema vorbei, denn die heutige Republik ist nicht die von Weimar. Nicht gegen, sondern für die Demokratie steht eine zum Instrument für die Herstellung und Sicherung von äußerer wie innerer Ruhe und Ordnung modernisierte Bundeswehr. Was nämlich der Bourgeoisie in der Weimarer Zeit die Demokratie so suspekt erscheinen ließ: ein mit allerhand Bewegungsspielraum ausgestattetes revolutionäres Proletariat, das haben die Nazis ihr unter die Erde gebracht – für alle Zeit, wie es bis heute scheint. Und übrigens selbst am Beginn der Weimarer Zeit stand die Reichswehr entschieden auf Seiten der Demokratie, solange dies die Losung der sozialdemokratischen Konterrevolution gegen Chaos, Anarchie und rote Diktatur war.[1]

 

In einem Sinne, der Lafontaine wahrscheinlich fernliegt, trifft die Rede vom „Staat im Staate“ allerdings durchaus zu: Das Militär erweist sich (wie derzeit wieder schön studiert werden kann an den Umsturzbewegungen in diversen arabischen Ländern) am Ende als der harte Kern jedwedes Staatswesens, dasjenige gewissermaßen, was zuletzt übrig bleibt, wenn alles übrige Brimborium von ihm abgefallen ist. Und wer „nach der Staatsmacht“ (was immer das des Näheren bedeuten mag) strebt, der sollte „das Militär“ (in welcher bestimmten Form auch immer) zuverlässig an seiner Seite wissen.

 

Eine Partei, die gegen eine Agenda angetreten ist, hinter der sich alles versammelt hat, was in diesem Gemeinwesen Eigentum und Einfluss hat und also etwas gilt; eine Partei, die sich zum Anwalt der Ansprüche und Lebensinteressen derjenigen macht, die in diesem Gemeinwesen gar nichts gelten, weil sie gar nichts haben; eine Partei, die deshalb (und jedenfalls, was auch immer sie an staatstragenden Beteuerungen abgeben mag, ganz sicher nicht ohne jeden einleuchtenden Grund) von den zuständigen Staatsorganen ganz oder zu wesentlichen Teilen unter Umsturzverdacht und entsprechende Beobachtung gestellt ist – eine solche Partei verhält sich nahezu kriminell fahrlässig, wenn sie nicht der Militärfrage genau in diesem, ihre eigene politische Handlungsfähigkeit betreffenden Sinne die allergrößte Aufmerksamkeit schenkt.

 

Wie diese Aufmerksamkeit im Einzelnen auszusehen hätte, wäre noch ausführlich zu erörtern. Als erste nur ganz grobe Orientierung mag die folgende Passage aus dem unten angeführten Text von Lenin (aus dem Jahre 1916) dienen, dessen Lektüre ich wärmstens empfehlen möchte:

„Was die Miliz betrifft, so würden wir sagen: Wir sind nicht für eine bürgerliche, sondern nur für eine proletarische Miliz. Deshalb keinen Mann und keinen Groschen nicht nur für das stehende Heer, sondern auch für die bürgerliche Miliz auch in solchen Ländern wie die Vereinigten Staaten, die Schweiz, Norwegen usw., um so mehr, als wir selbst in den freiesten republikanischen Staaten (z.B. in der Schweiz) die fortschreitende Verpreußung der Miliz, besonders seit 1907 und 1911, und deren Prostituierung zu Militäraufgeboten gegen die Streiks sehen. Wir können fordern: Wahl der Offiziere durch die Mannschaften, Abschaffung jeder Militärjustiz, Gleichstellung der ausländischen Arbeiter mit den einheimischen (besonders wichtig für imperialistische Länder, die fremde Arbeiter in steigender Zahl, wie z.B. die Schweiz, schamlos ausbeuten und rechtlos machen), weiter das Recht jeder, sagen wir, hundert Einwohner des Staates, freie Vereinigungen zur Erlernung des Kriegshandwerks zu bilden, freie Wahl der Instruktoren, Entschädigung derselben auf Staatskosten usw. Nur so könnte das Proletariat alles Militärische wirklich für sich und nicht für seine Sklavenhalter erlernen, was absolut in seinem Interesse liegt. Und jeder Erfolg, sei es auch nur ein Teilerfolg der revolutionären Bewegung – z.B. Eroberung einer Stadt, eines Industrieortes, eines Teiles der Armee – wird naturnotwendig, das hat auch die russische Revolution bewiesen, dazu führen, daß das siegreiche Proletariat eben dieses Programm zu verwirklichen gezwungen sein wird.“

 

Material:

 

Lafontaine will Bundeswehr zu „Grünhelmen“ umgestalten. Meldung des deutschen

 

Depeschendienstes (ddp) vom 14.8.2010.

 

Christine Buchholz: Gegen die Militarisierung der deutschen Politik. ND, 23.8.2010

 

Tobias Pflüger, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz: Bundeswehr abschaffen. jW, 18.9.2010

 

Rainer Beuthel: Bundeswehr abschaffen – je schneller, desto besser! scharf links, 3.10.2010

 

Carsten Schnober: Der Soldat, dein Freund und Helfer. jungle world Nr. 31, 2.8.2007

 

W.I. Lenin: Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In Werke, Bd. 23, S. 72 ff



[1] Anders als die Reichswehr der Weimarer Republik ist die Bundeswehr nicht das Sammelbecken einer Konterrevolution, die den offiziellen Staat als das Produkt der bekämpften Revolution hasst und verachtet, sondern das selbstbewusste Geschöpf der zweiten deutschen Republik. Und diese wiederum ist nicht wie die erste das ungeliebte Resultat einer bloß halbwegs gebändigten Arbeiterrevolution, sondern das Erbe jener nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, die noch in der totalen Niederlage bis zum letzten Schuss gehalten hatte. Ein Erbe, das man als Errungenschaft zu schätzen weiß und hegt und pflegt.

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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