Protokoll einer unerledigten Debatte
Von Daniel Dockerill
in drei Teilen („Hinweise“, Teil I, Teil II) und mit einem Nachtrag.
„ … das ist wohl der Unterschied zwischen der Linken und dem Kommunismus: Jene inszeniert immer wieder von neuem das erbärmliche Theater einer über allen Parteien thronenden Gerechtigkeit, vor der dann auch die Mächtigen dieser Welt sich zu verantworten hätten. Dieser dagegen (soweit er es fertigbringt, sich von der Linken zu trennen) begreift sich selber als die eine, auf nichts als sich selbst gestellte Partei, die die bestehenden Machtverhältnisse vollständig umzustürzen, ihrerseits also eine Macht zu werden und zu diesem Zweck natürlich das Tun und Lassen aller zu stürzenden Mächte in Rechnung zu stellen hat.“[1]
Die „proletarische Plattform“ war einmal, und der Versuch ihrer Wiederbelebung scheint nach menschlichem Ermessen spätestens, nachdem drei seit der Gründung zum Teil maßgeblich an ihr Beteiligte Ende Oktober vergangenen Jahres für „[b]is auf weiteres“ ihre „Nichtteilnahme“ an gemeinsamen Debatten verkündet haben, ganz zwecklos.
Vordergründig hat unseren Zusammenhang – wie manchen anderen auch – „Corona“ auseinandergetrieben. Einige mehr oder weniger dezente Spuren dieses Auseinander sind auf den Corona-Seiten der Plattform in lesbarer Form festgehalten. Man braucht jedoch nur auf den anderen Diskussionsseiten unserer website die Datierungen der dort erschienenen Beiträge sich anzuschauen,[2] um festzustellen, dass schon einige Zeit vor 2020 aus unserem Unternehmen die Luft ein gutes Stück raus gewesen war. Dies jedenfalls, soweit es sich als eines verstanden hatte, das es auf, wenn auch noch so bescheidene, politische Wirkung abgesehen hatte.
Dass ein mit viel Elan begonnenes, politischen oder noch viel höheren Zwecken geweihtes Unternehmen sich schließlich in Wohlgefallen auflöst, an eine unverrückbare Grenze stößt oder gar als Irrweg sich erweist, erlebe ich weiß Gott nicht zum ersten Mal. Mir war es in diesen Momenten immer ein elementares Bedürfnis, Klarheit vor allem über die neuralgischen Punkte zu erlangen, an denen das jeweilige Scheitern oder Abirren sich hat festmachen lassen; nicht so sehr, um es irgendein nächstes Mal besser zu machen – das wäre bei der Unwägbarkeit alles Künftigen wohl ein allzu vermessener, kaum einlösbarer Anspruch –, als vielmehr, um das wirkliche „nächste Mal“ überhaupt näher bestimmen zu können, seine Konturen zu ertasten; um innezuhalten, statt entweder in Lethargie zu verfallen oder irgendwie weiterzurödeln; um Anhaltspunkte zu gewinnen für das, was ansteht, was notwendig, möglich und also wünschenswert ist.
Ein solcher Dollpunkt lässt sich für unsere „Plattform“, wie mir scheint, auf das Frühjahr und den Sommer 2017 datieren. Er markiert eine Zeit, als sie einerseits als politischer Zusammenschluss nach außen so gut wie gar nicht mehr in Erscheinung tritt, zugleich aber im Innern die Debatte über Voraussetzungen und Aussichten ihrer poltischen Ambitionen sich etwas belebt. Die Tiefen und Untiefen dieser Debatte sollen im Folgenden ein wenig ausgelotet werden.
[1] Petition the Lord with prayer. Amerika führt Krieg und die deutsche Linke sucht weiter ihren Frieden. Flugschrift der übergänge zum Kommunismus vom Dezember 2002.
[2] Hier eine tabellarische Übersicht über die Anzahl der auf unserer website erschienen Beiträge:
Jahr |
Beiträge |
verteilt auf Rubriken |
Jahr |
Beiträge |
verteilt auf Rubriken |
2011: |
10 |
(News: 0; Linke 6; Israel: 4) |
2016: |
1 |
(News) |
2012: |
29 |
(News: 18; Linke: 10; Ökon: 1) |
2017: |
1 |
(Außen) |
2013: |
75 |
(News: 34; Rest: hässl. Dtsch.) |
2018: |
0 |
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2014: |
34 |
(News: 24; Rest: hässl. Dtsch.) |
2019: |
4 |
(News: 3; Linke: 1) |
2015: |
10 |
(News: 9; Linke: 1) |
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„Hinweise“ zum Entwurf eines „Aktionsprogramms“Einblenden |
Im Juni stand damals bei einem Treffen in Kassel der Entwurf eines sogenannten „Aktionsprogramms“ zur Debatte, dessen Erarbeitung unsere „Plattform“ bereits bei ihrer Gründung im Mai 2011 sich vorgenommen hatte. Sein näherer Zweck hätte eine solche Konkretisierung unserer Programmatik sein sollen, die uns in die Lage versetzte, nicht zuletzt im Streit um den politischen Kurs der Partei die Linke alsbald mit einer auf die Wiedererringung politischer Selbständigkeit der lohnabhängigen Klasse orientierten Stimme vernehmbar zu werden. Aber schon, dass unser Kreis im siebenten Jahr seines Bestehens immer noch erst an einer Skizze der Motivierung dieses Vorhabens saß, zeigt wohl zur Genüge, wie schwer er mit dessen Bewältigung sich getan hat. Das politische Geschehen, mit dem wir uns detaillierter zu vermitteln trachteten, hatte uns natürlich nicht den Gefallen getan, eigens dazu unterdessen innezuhalten oder auch nur sich gehörig zu verlangsamen. Die Partei die Linke, entstanden in der Fusion einer PDS, die der SPD die Hand zum Regieren gereicht hatte, mit einer von derselben SPD sich absetzenden WASG, war 2017 – es standen Bundestagswahlen ins Haus – bereits eine ziemlich andere Partei als noch bei ihrer Gründung. Es ging ihr schon länger nicht mehr darum, der SPD das Feld der Vertretung lohnabhängiger Interessen streitig zu machen, als vielmehr darum, es sich mit ihr zu teilen. Das aber setzte die Geschäftsgrundlage unserer Bemühungen zusehends außer Kraft. „Politikfähigkeit“„Kommunisten haben, wollen sie ihrer historischen Aufgabe gerecht werden, zuallererst einmal ihre Politikfähigkeit wiederzuerlangen“, hatten wir, neben „programmatischen Eckpunkten“, bei Gründung unserer Plattform in ein paar „Thesen“ über „Klasse & Politik heute“ uns und aller Welt unter anderem ins Stammbuch geschrieben. Da waren seit Gründung der Linken jedoch bereits vier Jahre ins Land gegangen, während deren Einige von uns verschiedentlich mit wechselndem Erfolg innerhalb der Partei und um sie herum sich in Politik versucht hatten. Nicht zu reden vom höchst differenten Beteiligtsein unseres schmalen Häufleins an dem naheliegender Weise politisch schwer umkämpften Fusionsprozess, der zuvor schon nicht nur gleichfalls vier Jahre in Anspruch genommen, sondern auch richtungsweisende Weichen gestellt hatte. Wie weit her es mit unserer eigenen „Politikfähigkeit“ sei, war also auch deshalb bei nüchternem Blick von Beginn an einigermaßen zweifelhaft. Von derjenigen aller anderen „Kommunisten“, die wir da in der Pflicht gesehen hatten, einmal ganz abgesehen. Sowieso verweist die „Aufgabe“, eine Fähigkeit „wiederzuerlangen“, ja zuallererst auf die Tatsache des Verlustes dieser Fähigkeit, mithin auf eine vorgängige und offenbar in ihren Wirkungen noch nicht bewältigte Geschichte. Ohne Reflexion auf diese Geschichte dürfte, vorsichtig gesprochen, der Appell, sich nun gefälligst an die „Aufgabe“ zu machen, wohl aber eher ins Leere laufen. In der Präambel unserer Eckpunkte wurde denn auch auf das Jahrzehnt der 1930er Jahre mit seinem Triumph des Faschismus in Europa als das Datum verwiesen, das besagten Verlust dramatisch in die Wege geleitet und schließlich besiegelt hatte. Ein Verweis freilich, dessen Gewicht und Implikationen bereits bei der Gründung der „Plattform“ unter den Beteiligten durchaus umstritten waren – ohne dass diese Strittigkeit hinreichend artikulierte Form angenommen hätte. Zugleich fallen in die Zeit, da wir uns anschickten, unsern kleinen Zusammenschluss aus der Taufe zu heben, plus der zwei bis drei folgenden Jahre die Wegmarken des Prozesses, worin die Zweideutigkeiten des Charakters der Partei die Linke mitsamt ihrem weitverzweigten Umfeld sich weitgehend geklärt haben.[1] Jene Zweideutigkeiten, die, bei aller unverkennbaren Befangenheit der Partei im Sozialdemokratismus, sie eine Zeitlang für eine mögliche Brücke uns hat halten lassen zur Befreiung der „Arbeiterbewegung … aus der Gefangenschaft der Sozialdemokratie“.[2] Und wie weit auch immer unsere eigene „Politikfähigkeit“ zuvor jemals gediehen sein mag – unumstritten war unter uns weder das, noch was es denn des Näheren zu bedeuten hätte, zu keinem Zeitpunkt unseres Bestehens –, im Frühjahr 2017 schien davon jedenfalls kaum mehr etwas präsent. Die gemeinsame Erarbeitung unseres Aktionsprogramms hatte immer weniger mit dem zu tun, was die Linke in der Partei und um sie herum politisch umtrieb und worum sie stritt, sondern lief schließlich fast nur danebenher, statt Impulse davon zu erhalten oder gar dort hinein zu geben. Was übrigens keineswegs in erster Linie einem Mangel unseres subjektiven Vermögens oder Bemühens angelastet werden muss, war doch damals bereits das ganze politische Feld der Republik, worauf ein so kleiner Haufen wie der unsere nun einmal nicht den mindesten Einfluss hat, in einem gravierenden Wandel begriffen, für den der ebenso rasche wie anhaltende Aufstieg der AfD das sichtbarste Zeichen war. Im Zuge dessen hatte auch das Alltagsgeschäft der linken Partei samt ihrem Umfeld deutlich sich davon zu entfernen begonnen, politische Opposition zu betreiben gegen das zunehmend sich kartellierende politische Establishment; war vielmehr durch das Bemühen gekennzeichnet, Anschluss daran zu finden. Wie sich dann später zeigte, leider durchaus mit einigem Erfolg.[3] Zwei FragenkomplexeVor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, wenn die Diskussion des Entwurfs eines „Aktionsprogramms“, das gedacht gewesen war als eine Übersetzung unserer einmal beschlossenen programmatischen Basics in unseren politischen Alltag in und um die Partei die Linke herum, stattdessen diese Basics selbst erneut thematisiert und zumindest teilweise auch wieder infrage gestellt hat. Aus Hamburg lag ein solcher Entwurf, bestehend hauptsächlich aus einer „Einleitung“, seit Mitte April 2017 vor. Er stand beim Treffen im Juni zur Debatte. Da G. S. daran nicht persönlich teilnehmen konnte, hatte er seine recht ausführliche Kritik dazu, betitelt „Hinweise zur Einleitung“, kurz davor schriftlich eingereicht. Seine mehr grundsätzlichen Einwände gegen den Entwurf zerfallen in zwei Fragenkomplexe. Den Ersten davon bezeichnet G. S. selbst als die „Frage der Fernwirkungen des Faschismus“ auf unsere politische Gegenwart. Eine Frage, die wie gesagt bereits bei Gründung der Plattform strittig gewesen, seinerzeit aber als eher zweitrangig lieber zurückgestellt statt geklärt worden war – mit welcher Berechtigung auch immer im Angesicht jenes Postulats, das man sich selbst und allen anderweitigen „Kommunisten“ bei der Gründung des Zusammenschlusses auferlegt hatte: „ihre Politikfähigkeit wiederzuerlangen“.[4] Eines Postulats, dessen Dringlichkeit heute, in der Gegenwart schärfster sich miteinander verschlingender Krisen ökonomischer, politischer und geistig-kultureller Natur, als Defizit in einer seinerzeit sicher ungeahnten Dimension besonders schmerzlich sich bemerkbar macht. Erwies sich einst der Kommunismus im Angesicht des Faschismus als eine durchaus sehr beträchtliche, aber letztlich und damit ausschlaggebend ohnmächtige Kraft, so bleibt von ihm jetzt kaum mehr als eine Reminiszenz einiger nostalgischer Naturen – hin und wieder mit Gefolge einer kleinen oder auch etwas größeren Jüngerschaar –, nach welcher ansonsten kein Hahn mehr zu krähen geruht. Der zweite Komplex der von G. S. vorgebrachten Einwände dreht sich um die Frage, wie „progressiv“ bzw. „innovativ“ oder nicht vielmehr „barbarisch“, gar „dekadent“ der Kapitalismus denn an sich sei. Eine Frage, die provoziert worden war durch den Anfang des Hamburger „Entwurfs“, worin einem kruden, den Kapitalismus bloß verteufelnden Antikapitalismus die Behauptung entgegengehalten wird, dieser sei vielmehr „die innovativste Gesellschaftsformation, die die Menschheit bisher hervorgebracht“ habe. An der Unzulänglichkeit schon dieser Stellung der Frage nach dem Charakter des Kapitalismus hatte seinerzeit auch meine im Stillen entwickelte und dann als Fragment vorerst liegengebliebene Kritik des Entwurfs aus Hamburg sich entzündet. Indes hat nun der monströse, nicht enden wollende Feldzug gegen „Corona“ die teuflische Dialektik, der in unseren antagonistischen Verhältnissen aller Fortschritt der produktiven Kräfte des Menschenpacks, all seine innovative Potenz (nachwievor, wenn wir Glück haben) unterworfen ist, ziemlich schlagartig in ein noch einmal fürchterlich grelles Licht gerückt. Ein Licht, das offenbar selbst bislang sehr kritische Geister, als welche auch unser Häuflein selbstredend sich versteht, dermaßen geblendet hat, dass noch der elementarste Unterschied von wahr und falsch, von gut und böse vor ihrem Blick ineinander verschwamm und sie den Gehorsam noch gegen die autoritärsten Ansagen und absurdesten Vorgaben zu Einsichten in die Notwendigkeit sich zurecht räsonierten. Im Lichte dieser Erfahrung wiederum scheint mir jene seinerzeitige Unzulänglichkeit der Stellung der Frage nach Fortschritt oder Barbarei des Kapitalismus, die deren Dialektik als ein harmloses Einerseits und Andererseits verkennt, woran nur über deren jeweiliges Gewicht zu streiten wäre, das Schisma prädestiniert zu haben, das dann auch unsere „Plattform“ schließlich in „Leugner“ und „Zeugen Coronas“ auseinandergetrieben hat. Mit „Corona“ ist eine Dimension der Enteignung des menschlichen Individuums von seinen Daseinsbedingungen zur Kenntlichkeit gereift, die bis dahin nur in eher abseitigen Diskursen ausdrücklicher thematisiert worden ist.[5] Eine Dimension, deren ganze Bedeutung wir nach meiner Überzeugung nur werden ermessen können, wenn wir ihren Zusammenhang mit jener großen Enteignung ausleuchten, die zuerst Marx als das „Geheimnis der ursprünglichen Akkumulation“ enthüllt und deren fortschreitende Vervollkommnung er als das Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Produktionsweise gezeigt hat. * Um diese zwei Fragenkomplexe soll es im Folgenden gehen. Und zwar, beginnend mit dem ersten Komplex, zunächst sich entlanghangelnd am ersten Abschnitt von G. S.’ kritischen „Hinweisen zur Einleitung“, dabei den Hamburger „Entwurf für ein Aktionsprogramm der PP“ einbeziehend, dem diese „Hinweise“ gegolten hatten. Der Gang der Argumente, die G. S. dabei aufbietet, bringt es in glücklicher Weise mit sich, dass wir an seinem Ende immanent gleichsam darauf gestoßen werden, zum zweiten Fragenkomplex überzugehen, so dass das bloß äußerliche Nach- bzw. Nebeneinander der beiden Komplexe sich auflöst in ein wechselseitiges ineinander Übergehen und einander Durchdringen. [1] Einzelheiten kann ich mir hier wohl sparen, nachdem ich in etlichen anderen Texten einiges dazu ausgeführt habe. Siehe z. B.: Corona-Zeiten-Wende (bes. in Abschnitt I den Unterabs. „Die Linke und die Koalitionsfreiheit. Ein Lehrstück“); Corona und das Arbeitszeitgesetz (vor allem ab dem Abschn. „Schutzcharakter“); Die Linke und Corona (bes. den Abschn. „DIE LINKE: um jeden Preis dabei“); s. dazu auch Fn. 3 [2] Klasse & Politik heute. Thesen. In unseren programmatischen Eckpunkten hatten wir zudem festgehalten: „Selbst der erneute Aufbruch eines Teils der Arbeiterbewegung weg von der Sozialdemokratie nach links findet größten Gefallen an der Idee, mittels Reformen zum Wohle der Gemeinschaft von Ausbeutern und Ausgebeuteten Letzteren darin ein gutes Leben zu garantieren und so auf leisen Sohlen den ‚demokratischen Sozialismus‘ einzuführen“, damit auch in Rechnung stellend, dass ein Ausbruch aus dem sozialdemokratischen Gefängnis, der nicht dessen Bornierungen in größeren oder geringeren Maßen eine geraume Zeit mit sich schleppte, kaum denkbar wäre. [3] Vgl. dazu meine spätere Diagnose vom Beginn der Corona-Hysterie: „Bei jedem propagandistischen Blödsinn der vergangenen Jahre, ob refugees welcome, MeToo oder Klimarettung, war sie begeistert dabei und konnte sich hin und wieder sogar einbilden, die anderen Parteien des demokratischen Idiotismus auf Trab gebracht zu haben. Mit dem, was an politischen Absichten und Hoffnungen am Anfang des Parteiprojekts einer neuen Partei links der SPD gestanden und es getragen hatte, haben diese Kampagnen des letzten halben Jahrzehnts allesamt kaum mehr etwas zu tun. Gelegenheiten hingegen, bei dem mitzutun, was dereinst ihr erster Anspruch gewesen war, nämlich die Abwehr der Demontage alles dessen, was hierzulande noch die Interessen des lohnabhängigen weil besitzlosen Teils der Bevölkerung schützt, zu organisieren, hat sie regelmäßig, zum Teil ihre eigenen Wahlprogramme missachtend, vorbeiziehen lassen. Sei es etwa die Verteidigung der Koalitionsfreiheit oder die der Arbeitszeitbeschränkung. Den jüngsten Anschlag, der dem Arbeitsministerium die Möglichkeit gesetzlich verbrieft, auf die Arbeitszeit bezogene tarifliche Regelungen und sogar das nicht sehr restriktive Arbeitszeitgesetz per Verordnung befristet auszuhebeln, hat die Linksfraktion im Bundestag unter verhaltenem Murren am Ende durchgewunken. Man will offenbar um beinahe jeden Preis dabei sein.“ (Die Linke und Corona. Die BAG Antifaschismus als Stoßtrupp gegen Aufklärung, 20.4.2020) [4] Im Protokoll des Meetings unserer „Plattform“ vom Juni 2017 findet sich zu einem an dieses sieben Jahre zuvor formulierte Postulat erinnernden Satz des Hamburger Entwurfs, wonach „es der Politikfähigkeit des Kommunismus“ bedürfe, der lapidare Kommentar: „Muss erklärt werden, bisher hohle Phrase“. [5] Als ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel genannt sei hier einmal Carl Wiemer: Krankheit und Kriminalität, Freiburg Wien (ςa ira) 2001; beachtenswert darin auch die Literaturliste. Was „Corona“ angeht, verweise ich insbesondere auf den Abschnitt „Im Prinzip krank“ und den ihm folgenden aus meinem Text von Ende März 2022 Plattform am Ende. |
I „Fernwirkungen des Faschismus“Einblenden |
Seine „Hinweise“ beginnt G. S. mit einer Reihe von Einwänden gegen die Behauptung bis in die Gegenwart anhaltender, von ihm so genannter „Fernwirkungen des Faschismus“. Sie findet hier Verwendung als Leitfaden für eine – zugegebenermaßen sehr sparsame – Skizzierung der Geschichte jenes oben (im Abschnitt „Hinweise ...“) angesprochenen Verlustes, auf den die – unseren Gründungsthesen zufolge – den „Kommunisten“ auferlegte „Aufgabe“ verweist, „ihre Politikfähigkeit wiederzuerlangen“. Ehe wir aber der Reihe nach auf die Argumente im Einzelnen eingehen – in zunächst ganz kleinen Portionen mit zum Teil weit ausholenden Anmerkungen meinerseits dazu –, sei die Argumentation – den Preis der Wiederholung in Kauf nehmend – vorweg einmal im Ganzen zitiert: Unterschiedliche Meinungen bestehen m. E. in der Frage der Fernwirkungen des Faschismus. Das sozialpartnerschaftliche Verhalten von heute würde ich nicht mehr auf die Niederlage der deutschen Kommunisten in den 1930er Jahren zurückführen. Zuviel Zeit ist inzwischen verflossen. Neue Entwicklungen, wie der Aufschwung und das Herausbilden kommunistischer Parteien in den 1960er und 1970er Jahren haben stattgefunden. Der Aufschwung der Kritik hat während dieser Zeit das sozialpartnerschaftliche Verhalten zurückgedrängt. Allerdings hat der Kapitalismus den kalten Krieg gewonnen und danach eine Phase der Euphorie entfacht. Unter diesen Bedingungen sind Elemente proletarischen Klassenbewusstseins verloren gegangen, die sich zuvor entwickelt hatten. Man sollte auch nicht vergessen, dass das sozialpartnerschaftliche Verhalten in beinahe allen kapitalistischen Ländern, darunter in den USA und Großbritannien (hier wurde die Arbeiterbewegung nicht durch den Faschismus atomisiert) anzutreffen ist, es hat sich seit Mitte der 1980er Jahre tendenziell verstärkt. Die Ursachen dafür liegen im Kapitalismus selbst, im wirklichen Lebensprozess, in den Mystifikationen, die er hervorbringt: Die Arbeit erscheint als bezahlt, die Produktivkraft erscheint als Produktivkraft des Kapitals, der Mehrwert ist zugedeckt, die Reichtumsproduktion erscheint als eine Konsequenz des (sozialpartnerschaftlichen) Zusammenwirkens der „Produktionsfaktoren“ Arbeit, Boden, Kapital. Dass im Mitbestimmungsgesetz Arbeit und Kapital vertrauensvoll zusammenwirken sollen, ist nur der rechtliche Ausdruck jener aus den Verhältnissen selbst hervorgehenden Form. Arbeiterkontrolle versteht sich dazu als Alternative. Die Mystifikationen, die schon aus dem kapitalistischen Produktionsprozess hervorgehen (verstärkt noch durch jene Mystifikationen der Zirkulation) sind Voraussetzungen und bilden die Grundlage für das sozialpartnerschaftliche Verhalten, das besonders dann hervortritt, wenn die Reproduktion einigermaßen glatt verläuft (seit Mitte der 1980er Jahre erlebte der Weltmarkt einen kleinen Aufschwung, der durch die Krise 2007/08 beendet wurde). Solche Entwicklungen des tatsächlichen, also unmittelbar erfahrbaren Lebensprozesses stehen m. E. im Vordergrund, wenn es um die Konstitution von Bewusstsein geht. Der Faschismus von 1933ff ist längst Geschichte, die Niederlagen von damals sind es ebenso und auch die (Teil)Siege, die es immer wieder gab, gehören zur Geschichte, die im Massenbewusstsein längst nicht mehr präsent sind. Vergessen wir auch nicht, dass nach 1945 in vielen europäischen Ländern starker kommunistischer Widerstand existierte und auch in Deutschland die KPD beachtlichen Einfluss besaß, nicht nur in Ostdeutschland, wo sie aufgrund besonderer Umstände Regierungspartei wurde, sondern auch in Westdeutschland. Die Mitteilung der Einleitung, „In Deutschland wurde mit der Linkspartei erstmals seit 1916(!) ein relevanter Teil des Proletariats links von der SPD organisiert“, ist zumindest was das Datum anbelangt recht fragwürdig. Eine „Niederlage“, die keine warNun aber medias in res oder vielmehr, der Reihe der Argumente unseres Leitfadens nach, zurück zu deren Beginn, der da lautet: Unterschiedliche Meinungen bestehen m. E. in der Frage der Fernwirkungen des Faschismus. Das sozialpartnerschaftliche Verhalten von heute würde ich nicht mehr auf die Niederlage der deutschen Kommunisten in den 1930er Jahren zurückführen. Zuviel Zeit ist inzwischen verflossen. Ich hatte zu dem Thema an anderer Stelle[1] schon einiges ausgeführt, woraus sich ergibt, dass die „Frage“, zu der „unterschiedliche Meinungen“ in unserer Plattform in der Tat „bestehen“, mit dem Ausdruck „Fernwirkungen des Faschismus“ ganz unzulänglich bezeichnet ist. Eine Unzulänglichkeit, die freilich durch die entsprechende Formulierung aus dem „Entwurf“, auf die G. S.’ Bemerkung sich bezieht, bereits vorgeprägt ist. Dort heißt es: „Der politische Weg der proletarischen Emanzipation scheint allerdings weniger denn je in Sicht. Ihn überhaupt erneut einzuschlagen, wäre ein entscheidender Schritt. … Dazu bedarf es der Politikfähigkeit des Kommunismus. Von der Niederlage im Kampf gegen den europäischen Faschismus hat er sich bis heute nicht erholt. Es folgt die postfaschistische Harmonie von Sozialpartnerschaft und Volksfront.“ In der Präambel unserer „Eckpunkte“ ist hingegen nicht von einer „Niederlage“ des Kommunismus die Rede und schon gar nicht von einer solchen „im Kampf gegen den europäischen Faschismus“, sondern vielmehr von „der Auslieferung aller Hoffnungen auf das Gelingen der Menschwerdung des Menschentieres durch Sozialdemokratie und Stalinismus an den Faschismus“. Danach wären jene „Fernwirkungen“, die da unter uns offenbar (nun wieder) strittig sind (oder auch nie hinreichend diskutiert wurden) und die G. S. als in der Gegenwart eher nicht mehr wirksam einstuft, weder solche „des Faschismus“, noch auch nur die Folge einer nicht näher qualifizierten „Niederlage“ des Kommunismus gegen ihn. Sie speisen sich vielmehr aus dem bestimmten Charakter dieser „Niederlage“, die auch nur mit Vorbehalt als solche zu bezeichnen wäre. Denn sie war gerade keine von der Art etwa der Pariser Arbeiter im Juni 1848. Es war nicht mehr eine letztlich weitgehend objektive Ohnmacht der Klasse – geschuldet ihrer intellektuell wie organisatorisch, vor allem aber ihrem sozialen Gewicht nach noch unzureichenden Entwickeltheit –, die ihr die Niederlage in einem durchaus heroisch zu nennenden Kampf einbrachte. Die „Niederlage“ von 1933 ff und daher der Sieg des Faschismus wurzelten dagegen hauptsächlich auf der subjektiven Seite der zu enormem sozialen Gewicht entwickelten Klasse wie ihres – sei’s sozialdemokratisch, sei’s kommunistisch, sei’s sonstwie organisierten – avantgardistischen Teils. Sie glich daher eher einer Kapitulation; einer Auflösung der von ihren Kommandeuren verlassenen, der Desorganisation preisgegebenen Truppen als einer „Niederlage im Kampf“. Und genau dies macht die Nachhaltigkeit jener Zertrümmerung der europäischen Arbeiterbewegung aus, als welche unsere „Eckpunkte“ den „Siegeszug des Faschismus in Europa“ bezeichnen. Ein schlecht verheilter BruchNun hat G. S. freilich Recht, darauf zu bestehen, dass diese Zertrümmerung bei weitem nicht das letzte Wort der Geschichte der Arbeiterbewegung auch nur in Europa gewesen sei. Der Faschismus wurde schließlich besiegt. Damit war jedoch zum einen das Menschheitsverbrechen der Shoa nicht getilgt. Dieses aber markiert einen Bruch in der Klassenbewegung des Proletariats, der weit schwerer noch wiegt als der, den das Jahr 1914 bezeichnet, denn allein von der Emanzipationsbewegung des Proletariats – nicht zuletzt ihrem immanenten Selbstverständnis nach, aber ablesbar auch an der dezidierten Feindbestimmung seitens der nazi-faschistischen Täter –, von ihrer Entschlossenheit, zumindest ihre errungenen Positionen energisch zu verteidigen, hatte die Möglichkeit abgehangen, das monströse Verbrechen an der Menschheit abzuwenden. Zum andern hat mit und nach dem Sieg über den Nationalsozialismus auch keine wirkliche Heilung des Bruchs stattgefunden, denn Sieger über das Monster war eben nicht (wie von Trotzki noch hoffnungsvoll erwartet) ein zu neuer revolutionärer Energie erwachtes Proletariat, das mit jenem „Opportunismus und Paktierertum“ in seinen eigenen Reihen, von dem in unseren „Eckpunkten“ die Rede ist, oder gar mit den kaum weniger monströsen Verbrechen des Stalinismus (die nach dem Sieg teilweise sogar noch andauerten oder auf erweitertem Terrain wieder auflebten) abgerechnet hätte. Die Sieger über den Faschismus waren auf allen Seiten nämlich dieselben, die zuvor, statt ihn entschieden zu bekämpfen, ihn vielmehr, proletarische Interessen paternalistisch in ihre Obhut nehmend, überhaupt erst hatten stark werden lassen – manchmal bis hin zur Paktiererei. Denn Sieger war auf der einen Seite die stalinistische und später von den stalinistischen Exzessen halbherzig abgerückte poststalinistische Sowjetunion, die dann in ihrem erweiterten Machtbereich die Spaltung der Arbeiterbewegung in einen zur Klassenzusammenarbeit tendierenden sozialdemokratischen und einen diese entschieden ablehnenden kommunistischen Part zwangsweise rückabwickeln ließ. Auf der anderen Seite waren es das Amerika des Rooseveltschen „New Deal“ und dessen Erben, eine Allparteienregierung unter Churchill in Großbritannien, die noch knapp vor dem Ende des Krieges abgelöst wurde von einer bald darauf u. a. das Gesundheitswesen verstaatlichenden Labour-Regierung sowie die in Gestalt der Resistance auferstandene französische Volksfront, erweitert um de Gaulles „freies Frankreich“, die dort – nur zum Beispiel – gleich nach Kriegsende erstmals ein dem deutschen ähnliches Sozialversicherungssystem einführte. Die dank ihres schlecht geheilten Bruchs gleichsam zum Krüppel verwachsene Klassenbewegung der Proleten geriet so zur bösen Karikatur dessen, was Marx dereinst als „das rationelle Zwischenstadium“, ins Auge gefasst hatte, in welchem der Kampf des Proletariats zur „Abschaffung aller Klassen … seine verschiednen Phasen auf rationellste und humanste Weise durchlaufen kann“[2]: eine im Osten mit allen erdenklichen Hässlichkeiten und auch Brutalitäten versehene Diktatur von Arbeiterbürokraten über die Proleten, die zum Segen für ihre Klassenbrüder und -schwestern im Westen ausfiel, Und da oben drüber – zur Moderation der nach wie vor die Gesellschaften global unter permanenten Stress setzenden inneren Gegensätze – in Ost wie West gleichermaßen immer weiterwuchernde, die ganze Gesellschaft jeweils überwölbende und parasitär von ihr sich nährende staatliche Apparaturen – wenn auch dort eher despotisch, hier eher liberal-demokratisch verfasst. Kommunistischer „Aufschwung“ gegen Sozialpartnerschaft?Jene Zeit näher ins Auge fassend, von welcher für eventuell vom Faschismus herrührende, heute noch relevante Nachwirkungen ein „Zuviel“ seither in G. S.’ Sicht „inzwischen verflossen“ sei, schreibt er nun weiter: Neue Entwicklungen, wie der Aufschwung und das Herausbilden kommunistischer Parteien in den 1960er und 1970er Jahren haben stattgefunden. Der Aufschwung der Kritik hat während dieser Zeit das sozialpartnerschaftliche Verhalten zurückgedrängt. Als „Sozialpartner“ der „Arbeitgeber“ dürften sich jedoch die bürgerlichen Arbeiterpolitiker und Gewerkschaftsbürokraten der Weimarer Zeit und ihr Anhang wahrscheinlich eher noch nicht verstanden haben – jedenfalls nicht in aller Öffentlichkeit. Ihnen schwebte immerhin noch ein „sozialistisches Ziel“ vor. Den Abschied davon besiegelte im hiesigen Westen – das sogenannte „Wirtschaftswunder“ hatte da bereits etwas Fahrt aufgenommen – erst das Godesberger Programm der SPD von 1959. Deren Mitgliedern und Wählern stand als Verwirklichung jenes Ziels damals ein (später auch so genannter) „realer Sozialismus“ im deutschen wie im europäischen Osten vor Augen, der in seiner – auch programmatisch – maßlosen Armseligkeit wenig bis nichts von dem zu halten schien, was man dereinst sich davon versprochen hatte. Aber auch die andere Seite der sozialen Partnerschaft hatte erst des Resultats des großen Krieges bedurft, das Europa in zwei ungleiche Teile zerbrochen und diese einander entgegengesetzt hatte, um Partnerschaftlichkeit im Umgang mit ihrer „Arbeitnehmerschaft“ schätzen zu lernen. Und das Arbeitgeberlager fand schließlich sogar seinen Gefallen an der ebenso missratenen wie für seine verbliebene Domäne – vorausgesetzt, man hielt deren Arbeitsvolk leidlich bei Laune – letztlich doch ganz ungefährlichen Gestalt jenes „sozialistischen Ziels“. Wollte doch jetzt, was früher einmal auf die Umwälzung seines Regimes abgezielt hatte, nur noch eine Alternative dazu sein. Kurz und gut: Das „sozialpartnerschaftliche Verhalten“, weit davon entfernt, in der Nachkriegszeit „zurückgedrängt“ worden zu sein, war vielmehr deren originäres Produkt – wenn auch vielleicht nicht erst das der 60er und 70er Jahre. Und wenn es auch zudem im vormals von der Feindschaft der Klassen in besonders drastischer Weise zerrissenen Deutschland der spezifischen Vorprodukte der Nazizeit bedurft hatte: der Arbeitsfront und der Volksgemeinschaft, d. h. des im gemeinsamen Menschheitsverbrechen schließlich nicht mehr bloß illusorisch vergemeinschafteten deutschen Volks. „Aufschwung“ in den AbschwungWas jedoch hat es mit dem „Aufschwung und … Herausbilden kommunistischer Parteien“ auf sich, die „in den 1960er und 1970er Jahren … stattgefunden“ haben sollen? Den „Aufschwung“ betreffend, fallen mir da auf Anhieb zunächst die Parteien in Frankreich und Italien ein, die aber ihren in der Tat beträchtlichen „Aufschwung“ erkauften mit einer spätestens ab dem letzten Kongress der Kommunistischen Internationale von 1935 einsetzenden Umwandlung ihres revolutionären Kommunismus der Anfangszeit in einen langfristig auf Klassenkompromiss getrimmten Sozialdemokratismus, der in Italien schließlich auch offiziell als ein „historischer“ einherstolzierte. Eine etwas andere Variante dieses „Aufschwungs“ hatte die dritte im Bunde jener größeren Parteien durchlebt, die dann in den 1970er Jahren – auf den von den Panzern des Warschauer Pakts niedergewalzten „Prager Frühling“ sich berufend – vom sogenannten „sowjetischen Modell“ sich absetzten und unter dem Label des Eurokommunismus firmierten: nämlich die kommunistische Partei Spaniens. Bis zur letzten großen Arbeiterrevolution im Vorkriegseuropa der Jahre 1936 ff kaum jemals über eine Marginalie der vom Anarchismus dominierten spanischen Arbeiterbewegung hinausgelangt, war diese mit Beginn der Volksfront „innerhalb eines Jahres von 5.000 auf 100.000 bis 300.000“[3] Mitglieder angewachsen. Dies freilich nicht als Partei der sozialen Revolution, sondern – ganz analog der Rolle der Mehrheits-SPD in der deutschen Novemberrevolution 1918 ff – als die Partei der Konterrevolution im Lager der Revolution. Von Anfang an dezidierter Befürworter einer ausdrücklich nichtsozialistischen, bürgerlichen Regierung, der bald auch mit Ministern darin vertreten war, erhielt der Partido Comunista de España (PCE) Zulauf vor allem vonseiten all jener, die eine allzu heftige Störung der hergebrachten Ordnung durch die nicht mehr nur rebellisch, sondern unterdessen auch ziemlich mächtig gewordenen Arbeiter und armen Bauern befürchten mussten. Und ebenfalls analog zur MSPD von 1918 ff übernahm die Partei bzw. hinter ihrer Deckung der Apparat der stalinistischen Komintern schließlich auch die Rolle des Henkers all derjenigen, die auf mehr oder weniger exponierten Posten festhielten an einer Arbeiterrevolution in Spanien. Eine der grauen Eminenzen im Hintergrund dieses blutigen Geschäfts vermutlich im direkten Auftrag Stalins war übrigens derselbe Palmiro Togliatti,[4]der dann nach dem großen Krieg dem italienischen Kommunismus den Weg in den compromesso storico gebahnt hat. Kalter Krieg: wer gegen wen?Den „Aufschwung“ des Kommunismus und „der Kritik“ in der postfaschistischen Zeit wieder etwas einschränkend, fährt G. S. nun fort: Allerdings hat der Kapitalismus den kalten Krieg gewonnen und danach eine Phase der Euphorie entfacht. Unter diesen Bedingungen sind Elemente proletarischen Klassenbewusstseins verloren gegangen, die sich zuvor entwickelt hatten. Eine Behauptung, die bei aller Schlichtheit einige Fragen aufwirft und der wir uns daher etwas ausführlicher widmen sollten. Allen voran stellt sich die Frage, mit wem denn da „der Kapitalismus“ in einem „kalten Krieg“ gewesen wäre, den „er“ am Ende obendrein hätte „gewonnen“ haben können. Zwar hat es einen wirklichen, nicht zuletzt hochgerüsteten Machtblock gegeben, der sich „realer Sozialismus“ nannte, nicht jedoch einen diesem gegenüberstehenden Machtblock, der sich etwa „realer Kapitalismus“ genannt hätte oder gar als solcher zu bestimmen gewesen wäre. Der ganz reale Kapitalismus war und ist vielmehr weitaus (wenn dieser Komparativ hier einmal erlaubt ist:) universellerer Natur. Der ganz reale, der wirkliche Kapitalismus umfasst nämlich das Ganze aller Akteure des Weltmarkts und deren Interaktionen, wozu in der Zeit des Kalten Krieges natürlich auch die Länder des Realsozialismus mit ihren Staatsapparaten sowie ihr Agieren (nicht zuletzt auch Handel-Treiben) in der internationalen Arena dazugehört haben. Dem (ir)realen Sozialismus hatte daher genauer besehen nicht „der Kapitalismus“ gegenübergestanden, sondern ein Verbund meist mehr oder weniger bürgerlich-demokratischer Staaten, die zugleich die teilweise maßgeblichen und insgesamt vor allem erfolgreicheren Akteure des kapitalistischen Weltmarkts waren (und sind). In einem Kalten Krieg gewesen sein und schließlich darin gesiegt haben könnte deshalb allenfalls so etwas wie eine global alliierte bürgerliche Demokratie, deren Gegner dann vielleicht zu bestimmen wäre als ein von den Segnungen der Demokratie ausgeschlossener, stattdessen anderthalb Kontinente übergreifend bürokratisch verwalteter und despotisch gegängelter Großteil des übrigen Weltproletariats. Aber die beiden Hauptklassen der bürgerlichen Moderne standen auf beiden Seiten dieses „Krieges“ in je verschiedener Weise einander gegenüber. Aufseiten der bürgerlichen Demokratie ist jene Klasse, der sie das Attribut ihres Namens verdankt, die Bourgeoisie, selbstredend ohne ein von ihr ausgebeutetes Proletariat als ihr Pendant gar nicht denkbar. Aber auch die Idee eines Proletariats – und sei es im Stande seiner Diktatur –, das nicht mehr, wie’s doch schon sein Name sagt, von den gegenständlichen Bedingungen seiner Arbeit enteignet und dieser entfremdet, das also nicht mehr einer seinen Status der Enteignung und Entfremdung sicherstellenden Bourgeoisie in irgendeiner Weise unterworfen wäre, ist ein begriffliches Unding. Eine Gewerkschaft an der MachtZum Instrument einer solchen Unterwerfung aber wurde in der Sphäre des Realsozialismus die zu einer „despotische[n] Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution“ (MEW 42, S. 89) gesteigerte Herrschaft der arbeiterbürokratischen Nomenklatura in Partei und Sowjets. Eine Herrschaft, die den ihr unmittelbar unterworfenen Proleten, deren Zahl sich unter ihr vervielfacht hatte, zwar so etwas wie ein „Recht auf Arbeit“ garantierte, aber keinerlei Aussicht bot, ihrer – je länger, je mehr an sich bereits obsoleten – „knechtenden Unterordnung“ (MEW 19, S. 21) unter die geteilte alltägliche Plackerei anders zu entkommen als allenfalls durch den ebenso mühsamen wie demoralisierenden und schließlich auch gefährlichen Aufstieg in die und innerhalb der Nomenklatura. Während der Debatte in der IV. Internationale über den Charakter der Sowjetunion und daraus zu ziehende politische Konsequenzen verglich Trotzki die stalinistische Herrschaft einige Male mit jener Herrschaft der bürgerlichen Arbeiterpolitik, von der ja auch die meisten Gewerkschaften der bürgerlich-demokratisch regierten Länder befallen sind. Und zumindest einmal bezeichnet er den Arbeiterstaat kurzerhand als „eine Gewerkschaft, die an die Macht gekommen ist.“[5] Was nicht hindere, dass dieser Arbeiterstaat, in die Hände einer von Angst vor den Unwägbarkeiten des Fortgangs des revolutionären Prozesses gepackten Proletbürokratie geraten, eine konterrevolutionäre, das Interesse proletarischer Emanzipation unterpflügende Rolle spiele – so, wie das auch die Gewerkschaften in den Ländern der bürgerlichen Demokratie bekanntlich nicht nur gelegentlich tun. Indes ist eine mit Regierungsmitteln, mit staatsförmiger Gewalt ausgestattete Gewerkschaft natürlich ein ganz anderes Kaliber, als es die gewöhnlichen Gewerkschaften in Anschlag bringen, denen dieses Instrumentarium abgeht. Und wenn jene Gewerkschaft nicht nur den Bürgerkrieg in einem Riesenreich wie dem vom Zarismus gezimmerten Russland übersteht, sondern 20 Jahre später obendrein der über sie hergefallenen Militärmaschine von einer Gewalt und Größe, wie sie die Weltgeschichte bis dahin noch nicht gesehen hatte, sich gewachsen zeigt,[6] dann hinterlässt das einen nachhaltigen Eindruck aufseiten nahezu aller Bourgeoisien in allen Ländern, die es ansonsten mit den gewöhnlichen Gewerkschaften von kleinerem Kaliber zu tun haben. Ein Eindruck, der sie vielfach geneigter denn je gemacht hat, zu jenem im kommunistischen Manifest bereits abgehandelten „Bourgeoissozialismus“[7] ihre Zuflucht zu nehmen, der, wie es in der Präambel unserer Eckpunkte heißt, „auf die fade Pointe hinausläuft, dass das Unternehmertum dazu da sei, gute Arbeitsplätze zu schaffen.“ Exkurs: Lenin, Trotzki über Gewerkschaft im ArbeiterstaatIn diesem Zusammenhang lohnt es vielleicht, einen zu einiger Berühmtheit gelangten frühen Streit über den Charakter und die Rolle der Gewerkschaften im vom Bürgerkrieg zerrütteten Sowjetrussland in Erinnerung zu rufen, der an dessen Ende in der Kommunistischen Partei Russlands verhandelt wurde. Im Februar 1920 war Trotzki im Zentralkomitee mit einem Vorstoß gescheitert, das Regime des vom Bürgerkrieg mehr oder weniger aufgezwungenen sogenannten „Kriegskommunismus“ gewissermaßen auszuschleichen (ein Vorschlag, der bekanntlich ein Jahr später in Gestalt der NEP dann doch noch zum offiziellen Kurs der Partei wurde). Stattdessen hatte er den Auftrag erhalten, sich um das vor dem Zusammenbruch stehende Verkehrswesen und insbesondere die Eisenbahn zu kümmern. Er machte daraufhin sich daran, für deren Funktionieren vor allem die Gewerkschaft der Eisenbahner in die Verantwortung zu nehmen und zu diesem Zweck deren Apparat einer ähnlichen Disziplin zu unterwerfen, wie sie in der Roten Armee des Bürgerkriegs geherrscht hatte und bei welcher Wahlen zur Besetzung von Kommandos zum Teil durch Ernennungen ersetzt worden waren. Das stieß nicht nur in der Gewerkschaft auf heftigen Widerstand, sondern auch in der Parteispitze vor allem bei deren Spezialisten fürs Gewerkschaftliche. Lenin wandte sich in der Debatte besonders gegen eine dazu von Trotzki in einer Reihe von Thesen vorgenommene Verallgemeinerung (die sich indes durchaus auf bestimmte Formulierungen im anderthalb Jahre zuvor verabschiedeten Programm der Partei stützen konnte), dass „die Gewerkschaften … zu Organisationen zu werden“ hätten, „die die Arbeiter … für die Produktion erfassen und sich ihre führende Rolle in der Produktion sichern.“[8] Den Gedanken, die Arbeiter hätten es schließlich mit einem „Arbeiterstaat“, also ihrem eigenen Staat zu tun, gegen den sie sich ja nicht zu schützen bräuchten, nannte Lenin eine „Abstraktion“ und setzte dagegen: „Unser heutiger Staat ist derart beschaffen, daß das in seiner Gesamtheit organisierte Proletariat sich schützen muss, wir aber müssen diese Arbeiterorganisationen zum Schutz der Arbeiter gegenüber ihrem Staat und zum Schutz unseres Staates durch die Arbeiter ausnutzen.“[9] Eine ausgesprochen vorsichtige, ja fast etwas heikle Formulierung, die „den Arbeiterstaat“ auseinanderlegt in einerseits „unseren Staat“ bzw. „ihren“, nämlich hier den Staat der Arbeiter und dort diese Arbeiter selbst, die sowohl „gegenüber“ ihrem Staat „sich“ als auch diesen selbst (wogegen auch immer) „schützen“ müssten, sowie zum Dritten ein „wir aber“, das wiederum seinerseits die Organisationen der Arbeiter zu all diesem mehrfachen Schutz „ausnutzen“ müsse. Fast scheint es, als hätte Lenin damals bereits eine dunkle Ahnung jener Möglichkeit beschlichen, als deren Verwirklichung dann Trotzki 15 Jahre später den Stalinschen „vollendeten Sozialismus“ in der UdSSR zum Beispiel folgendermaßen zu beschreiben sich genötigt sehen wird: „Die Hoffnungen, welche der Arbeiter früher auf Partei und Gewerkschaften setzte, hat er nach der Revolution auf den von ihm geschaffenen Staat übertragen. Aber die nützliche Arbeit dieses Werkzeugs war durch das Niveau der Technik und Kultur begrenzt. Um dieses Niveau zu erhöhen, begann der Staat, auf die alten Methoden des Drucks auf Muskeln und Nerven der Werktätigen zurückzugreifen. Es entstand ein Korps von Antreibern. Die Verwaltung der Industrie wurde erzbürokratisch. Die Arbeiter verloren jeglichen Einfluss auf die Leitung der Betriebe. Bei Akkordlohn, schweren materiellen Daseinsbedingungen, Fehlen der Freizügigkeit, einem fürchterlichen Polizeiapparat, der in das Leben jedes Betriebes eindringt, fühlt sich der Arbeiter schwerlich als ‚freier Werktätiger‘. Im Beamten sieht er den Vorgesetzten, im Staat den Herrn.“[10] „Recht auf Arbeit“: Eine zweifelhafte KarriereNoch ein weiterer Blick zurück auf eine alte, die Arbeiterbewegung von Anbeginn umtreibende Debatte, kann vielleicht zur Erhellung der Frage beitragen, was es mit jenem Gebilde des sogenannten „Realsozialismus“ auf sich gehabt hat, der die Physiognomie des vergangenen Jahrhundert so nachhaltig geprägt hat, dass es noch dreißig und mehr Jahre nach seinem Ende als ein schier unlösbares Rätsel sich darbieten kann. Ihr Stichwort ist oben schon einmal kurz gefallen: Es geht um das noch heute zum Beispiel von der Linken verfochtene „Recht auf Arbeit“.[11] Nach Marxens frühem Urteil war es im revolutionären Frankreich von 1848 eine „erste unbeholfene Formel, worin sich die revolutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfassen“.[12] Dessen bürgerliche Praxis jedoch – das hält ein Dritteljahrhundert später, als Bismarck im vergeblichen Kampf gegen das Wachstum der Sozialdemokratie die Formel sich zueigen gemacht hatte, Engels einmal fest – läuft hinaus auf „Hunger- und Prügel-Arbeiterkolonien, für die der Philister jetzt schwärmt“[13]. Ein Versuch zu deren Neubelebung auf post-Hartz-modern ist hierzulande mittlerweile übrigens in solchen Schönheiten live zu besichtigen wie z. B. den berüchtigten 1-Euro-Jobs. Deren Einführung war ja so etwas wie das Tüpfelchen auf dem „i“ jener Reformen, mit denen die erste rot-grüne Regierung unserer Republik das Ende des sogenannten rheinischen Kapitalismus besiegelte: dessen, was ein inzwischen verblichener Chefvolkswirt der Deutschen Bank einmal den „westdeutschen Sozialismus“ genannt hat, der nach der Überwindung des „Sozialismus der DDR“ endlich auch zu „überwinden“ sei.[14] Womit dieser einstige Lautsprecher dezidierter Gesamtinteressen des bundesdeutschen Kapitals unversehens einen Zusammenhang angesprochen hat, der vielleicht erklärt, warum – mit G. S. zu sprechen – „der Kapitalismus den kalten Krieg gewonnen“ hat. Gemessen nämlich an der Zuverlässigkeit eines Auskommens bei nicht weniger zuverlässiger alltäglicher Plackerei für bescheidenen Lohn, welche der östliche Realsozialismus der Masse seiner Insassen zu bieten hatte, war der Alltag ihrer Schicksalsgenossen im Westen in der Regel um einiges attraktiver. Dies freilich nicht, weil „der Kapitalismus“ halt doch an sich auch für die hiesigen Proleten das bessere „System“ gewesen wäre. Vielmehr hatte schon die vage Drohung, dass es umgekehrt sein könnte, dass die Gewerkschaften des großen Kalibers im Osten womöglich denen des kleineren im Westen bei der Erleichterung des proletarischen Alltags den Rang ablaufen könnten, letzteren bei ihren Auseinandersetzungen mit dem inneren klassenmäßigen Counterpart virtuell zur Seite gestanden und ihnen manchen Erfolg verbürgt.[15] Und dieser Erfolg wiederum treibt bekanntlich das Kapital an zur Erhöhung des relativen Mehrwerts im Wege fortwährender Steigerung der Produktivität der Arbeit, aus der er geschöpft wird. Dem aber hatte das große Kaliber staatlicher Macht der regierenden Arbeiterbürokratien des Ostens on the long run nichts entgegenzusetzen außer eben jenes „Recht auf Arbeit“, das sich sehr früh schon als genau jenes despotische Kommando über die Arbeit entpuppt hatte, von dem (s. oben) Engels und auch Marx schon schrieben, und das bei allen späteren Besserungsversuchen dessen Hässlichkeit bis zum Schluss auch niemals loswurde. Dies ungeachtet der dezidierten Kritik, mit welcher der arbeiterbewegte Sozialismus – beileibe nicht nur vonseiten der beiden Alten (bereits als sie noch jung waren) – der Losung von allem Anfang an auch begegnete. Als herausragendes Beispiel sei hier die altehrwürdige, „Das Recht auf Faulheit“ reklamierende Polemik des französischen Sozialisten Paul Lafargue genannt, die sich im Untertitel als „Widerlegung des Rechts auf Arbeit“ ausdrücklich „von 1848“ ausweist.[16] Diese Schrift, im französischen Original zuerst 1880 als Artikelserie erschienen, wird seit einiger Zeit wieder gerne herumgereicht als Dokument eines ganz anderen, von einer angeblichen Fixierung auf „die Arbeit“ befreiten, von Marx und seiner Gefolgschaft sich absetzenden Sozialismus’.[17] Nicht mehr bekannt scheint zu sein, dass z. B. der erst 30-jährige Karl Kautsky („als er noch Marxist war“, hätte Lenin hier ergänzt), späterer Doyen des deutschen Sozialismus, zum selben Anlass, der auch Engels zu seiner oben zitierten Bemerkung motiviert hatte, und auch in Abstimmung mit diesem, just jenem „Recht auf Faulheit“ einen „sehr gesunde[n] Kern“ attestiert hat, der „nichts anderes“ besage „als das Recht des Arbeiters, sich als Mensch zu fühlen, und nicht bloß als Lasttier“, und „dessen Keime in den meisten Staaten der modernen Produktionsweise bereits durchgeführt“ sei in der Festsetzung eines Normalarbeitstags. „Das Recht auf Arbeit führt den Arbeiter ins Arbeitshaus“, schrieb Kautsky damals, „die Abkürzung der Arbeitszeit macht ihn zum freieren Manne.“[18] Im Osten aber ist der Sozialismus, wie gesagt, über die von Marx einst ihm attestierte Unbeholfenheit seines Anfangs im Westen niemals hinausgelangt, hat vielmehr bereits sehr früh aus dieser Not seine Tugend gemacht: Mit der Vollzugsmeldung seines „Sozialismus“ im Sowjetreich, bei dem das Gulag-System der Zwangsarbeitslager zur Blüte gekommen war, ließ im Jahre 1936 Stalin das „Recht auf Arbeit“ in die dazugehörige neue Verfassung schreiben. Und nach dem ebenso sieg- wie verlustreich überstandenen großen Krieg fand es dann Eingang nicht nur in die Verfassungen sämtlicher auf dem Weg dahin eroberten Satelliten der Sowjetunion, sondern, auf deren Betreiben hin, auch in die Ende 1948 verabschiedete Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Dass indes dann im Wettkampf des Kalten Krieges, namentlich an dessen zugespitztester, mitten durch Deutschland verlaufender Frontlinie, die praktische Ausgestaltung dieses Rechts sehr bald im Westen alles in allem um einiges menschenfreundlicher sich ausnahm, dürfte das Meiste zu dessen schließlichem „Sieg“ beigetragen haben, der freilich eher das Debakel des Ostens war. Das Proletariat: Klasse ohne Geschichte?Inwiefern dagegen aufgrund dieses „Sieges“ und seiner Folgen, wie G. S. (oben) befindet, „Elemente proletarischen Klassenbewusstseins verloren gegangen“ sein sollen, „die sich zuvor entwickelt hatten“, und welche das denn des Näheren gewesen wären, scheint mir – vorsichtig gesprochen – erläuterungsbedürftig. Denn das meiste solcher „Elemente“ war doch weit eher bereits der Konstellation des Kalten Krieges selber sowie der Katastrophe, aus der sie hervorgegangen war, zum Opfer gefallen. Meine Überlegungen waren seinerzeit (jedenfalls anfangs und eine geraume Zeitlang) daher auch eher in die entgegengesetzte Richtung gegangen: Das Ende der fatalen optischen Täuschung, als handelte es sich nur noch um den Kampf zweier (hier kapitalistisch, dort sozialistisch) so genannter „Systeme“, die darum wetteifern, welches davon seinen subalternen Insassen das schönere Leben zu bieten hätte, und also nicht mehr um den Emanzipationskampf der Proleten, hat für deren Bewusstsein lange scheinbar unverrückbar verrammelte Chancen allererst wieder eröffnet. Für ein Bewusstsein nämlich, dass am Ende doch sie, die Proleten, selber es richten, ihre Abschaffung vollbringen müssen und es nicht dabei belassen dürfen, die Ketten ihrer Subalternität von irgendwelchen Herren (und Damen) ihres Geschicks, seien es auch ihre von ihnen selbst erkorenen Interessenverwalter, sich vergolden zu lassen. Denn wirklich „verloren“, und dies z. T. sehr schmerzlich, gingen im Ende des Systemkonflikts – wie oben bereits erörtert – doch vor allem solche „Elemente“, die das ganz materielle Sein der Proleten hier wie dort betrafen und also zur Gegenwehr herausforderten.[19] Chancen freilich, die sich eröffnen,[20] sind noch lange keine verwirklichten und schlimmer noch: Verwirklichen sie sich nicht, werden also vertan, verkehren sie sich schnell in ihr Gegenteil. Und so ist es dann auch geschehen. Nachdem fast die gesamten 90er Jahre hindurch die eher ordinär bürgerlich formatierte Politik von CDU und FDP sich ohne nachhaltigen Erfolg daran versucht hatte, jenen „westdeutschen Sozialismus“ abzuräumen, den die den Blick verzerrende Nachkriegskonstellation des geteilten Deutschland hinterlassen hatte, war es an Rotgrün, diesen Job zu erledigen. Und es erledigte ihn nach eigentlich kaum überhörbarer Ansage sowie unter Nutzung zudem der in seinem Schlepptau befindlichen bundesdeutschen Arbeiterbürokratie als Ideenschmiede. Dies wiederum – abgesichert durch tatkräftige Rückendeckung aus den Reihen derselben Arbeiterbürokratie – nicht nur mit einer in der Nachkriegszeit noch nicht erlebten Durchschlagskraft, sondern auch schon im Vorfeld zum Teil begeisterter Befeuerung seitens der einbalsamierten Restelemente einstmals stolzen Klassenbewusstseins, aus denen heraus reichlich und eifrig „für eine andere Politik“ getrommelt und dazu „Kohl demütigen, Schröder misstrauen!“ skandiert worden war. Eine Erfahrung, die in der Summe eher den Schluss nahelegte, dass das in der Formel von den „Fernwirkungen des Faschismus“ etwas unglücklich, weil (s. oben) unzureichend Bezeichnete wohl weit eher unter- als überschätzt sein dürfte. In diesem Sinne findet es sich denn auch in der Präambel unserer Eckpunkte abgehandelt, die ja nicht zuletzt auf dieser Erfahrung beruht.[21] Nicht nur heißt es darin nämlich, dass mit dem faschistischen Triumph in Europa „die Zeit des Proletariats als ein für sich handelndes Subjekt der Geschichte vorerst“ abgebrochen sei. Vielmehr reiche dieses „Vorerst“ bis hinein in die Jetztzeit, denn: „Selbst der erneute Aufbruch eines Teils der Arbeiterbewegung weg von der Sozialdemokratie nach links findet größten Gefallen an der Idee, mittels Reformen zum Wohle der Gemeinschaft von Ausbeutern und Ausgebeuteten Letzteren darin ein gutes Leben zu garantieren …“ Der Ungewissheit der „Zukunft des Kommunismus, d.h. des Klassenkampfes des Proletariats um seine Selbstaufhebung“ wird daher auch keinerlei hoffnungsfroher Blick nach vorn auf irgendwelche glänzenden Kampfaussichten entgegengehalten, sondern einzig der Blick zurück auf „eine nur allzu wirkliche, höchst dramatische Geschichte“, welche dieser Kommunismus „bereits hinter sich und dennoch nicht abgeschlossen hat.“ Und adressiert an seine „trotzigen Anhänger“, also nicht zuletzt uns selbst, ist eine Warnung davor hinzugefügt, so zu tun, „als könne man heute“, den Ballast dieser Geschichte ignorierend, daher ohne deren kritische, d. h. aber vor allem selbstkritische Reflexion „in aller Unschuld noch einmal ganz von vorne anfangen.“[22] Eine „seltene Ausnahme“, die zur Regel wurdeNachdem nun G. S. die infrage stehenden „Fernwirkungen des Faschismus“ durch die Wirkungen des etwas weniger fern liegenden Endes des Kalten Krieges ergänzt oder vielleicht auch ersetzt hat, fährt er fort: Man sollte auch nicht vergessen, dass das sozialpartnerschaftliche Verhalten in beinahe allen kapitalistischen Ländern, darunter in den USA und Großbritannien (hier wurde die Arbeiterbewegung nicht durch den Faschismus atomisiert) anzutreffen ist, es hat sich seit Mitte der 1980er Jahre tendenziell verstärkt. Lassen wir einmal beiseite, dass – wie vorstehend begründet – in der Rede von „kapitalistischen Ländern“, als einem bestimmten Länder-Typus, der sie von anderen Ländern darin unterscheide, dass nur sie „kapitalistisch“ seien, alle andern aber offenbar nicht, ein wesentlicher Zusammenhang kapitalistischer Verhältnisse verschwindet. Denn auch davon abgesehen wird hier das An-und-für-sich kapitalistischer Klassenverhältnisse im allgemeinen und der ihnen entsprungenen Arbeiterbewegung im Besonderen mitsamt ihrer bereits stattgehabten, wahrlich turbulenten Geschichte in ihrer summarischen Qualifikation als ein „sozialpartnerschaftliche[s] Verhalten“, das „anzutreffen“ sei, allzu losgelöst von Zeit und Raum auf einen Nenner gebracht. Es geht zudem bei der Frage des vorläufigen Resultats dieser Geschichte, ihrer uns Heutige traktierenden Wirkungen, gar nicht um für sich zu betrachtende „Länder“, nicht um, wie G. S. schreibt, „die Niederlage der deutschen Kommunisten in den 1930er Jahren“. Im Hamburger Entwurf ist an der beanstandeten Stelle (s. oben) vielmehr, vielleicht nicht sehr glücklich, vom „europäischen Faschismus“ die Rede, und in der Präambel unserer „Eckpunkte“, sicher etwas präziser, vom „Siegeszug des Faschismus in Europa“, der „die europäische Arbeiterbewegung zertrümmert“ habe. Die europäische Arbeiterbewegung aber war der Ursprung jeglicher Selbstbewegung der Proleten anderswo auf dem Globus und, der Rolle ihres Widerparts entsprechend, der nämlich der europäischen Kapitale auf dem Weltmarkt, bis zu ihrer Zertrümmerung auch die Maß und Orientierung gebende. Sie war es somit übrigens auch nach ihrer opportunistischen, auf verschiedene Weisen schließlich in ihrer Subalternität sich einrichtenden Seite. Das älteste und daher auch am frühesten in eigene Interessen verfechtende Bewegung versetzte Proletariat wiederum war das englische, von dem Engels später einmal befunden hatte, dass es – seinerzeit noch durchaus im Gegensatz zur Entwicklung auf dem Kontinent – „faktisch mehr und mehr verbürgert, so dass diese bürgerlichste aller Nationen es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen“, was bei „einer Nation, die die ganze Welt exploitiert, … allerdings gewissermaßen gerechtfertigt“ sei.[23] Dass „hier“, wie G. S. zutreffend festhält, „die Arbeiterbewegung nicht durch den Faschismus atomisiert“ wurde; dass überhaupt der Faschismus im Mutterland des Kapitalismus über eine politische Randerscheinung kaum jemals hinausgekommen ist, dürfte in dessen einst von Engels konstatierter derart restlos vollendeter Bürgerlichkeit eine solide Grundlage besessen haben. Denn wenn auch die Weltstellung des britischen Empires zwei Generationen danach, im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bereits schwer gelitten hatte und deren Früchte schon etwas in die Ferne gerückt waren, so halt nicht unbedingt ihre Wirkungen namentlich auf das „Verhalten“ der britischen Proleten. Zu einer „Sozialpartnerschaft“, wie sie in der deutschen Nachkriegszeit sich entwickelt hat, haben es die Verhältnisse auf der Insel dennoch nicht gebracht, wie sich der Brachialgewalt ablesen lässt, mit welcher dann in unserer Zeit – in der Tat etwa in der „Mitte der 1980er Jahre“ – die „eiserne Lady“ besonders kämpferische Teile der Trade Unions regelrecht zerschlagen musste, damit den britischen Proleten die Lust am Klassenkampf ein wenig verging. Denn zur deutschen Sozialpartnerschaft hatte, wie oben bereits einmal vermerkt, ihre nazistische Vorgeschichte, die einem 15-jährigen teils offenen, teils latenten Bürgerkrieg ein ebenso grausames, wie gründliches Ende gemacht hatte, als unabdingbare Voraussetzung dazugehört. Der zweite der beiden zitierten Fälle „sozialpartnerschaftlichen Verhaltens“ auch dort, wo der Faschismus niemals irgendeine Wirkung habe entfalten können, die USA, brachte es zwar zu keiner „bürgerliche[n] Aristokratie“, weil es da nichts gab, keinen landbesitzenden Feudaladel, der sich hätte verbürgerlichen können und müssen. Aber auch der Entwicklung eines dezidierten Klassenbewusstseins des Großteils der durchaus sehr bald in beträchtlichem Maß vorhandenen Lohnabhängigen stand lange Zeit der Umstand entgegen, dass diese Lohnabhängigkeit für die meisten unter ihnen sich als nur ein Provisorium entweder wirklich erwies oder als solches zumindest angesehen wurde. In der Regel befand man sich oder wähnte sich zumindest auf dem Sprung, demnächst auf eigenem Grund und Boden für sich und die Seinen sorgen zu können. Die Herausbildung eines proletarischen Klassenbewusstseins litt mithin – jedenfalls eine beträchtliche Zeitlang – am Mangel der Herausbildung einer dazugehörigen Klasse.[24] Soweit dennoch auch in den USA ein solches Klassenbewusstseins sich artikulierte, war es dann eher das Echo der entsprechenden Entwicklungen in Europa, aus dessen Bevölkerungen der Nachschub fürs amerikanische Lohnarbeitsvolk ja beständig weiterfloss. Und übrigens sind die USA das einzige Land mit einer seit langem entwickelten kapitalistischen Industrie, deren Bevölkerung durch Einwanderung – mittlerweile allerdings wohl kaum mehr aus Europa – noch bis in die jüngste Zeit signifikant wächst. Diese beiden Fälle kapitalistischer Klassenbeziehungen schienen daher lange Zeit nicht deren Normalfall zu bezeichnen, als welcher sie uns Heutigen erscheinen mögen und als den G. S. sie hier nimmt, sondern eine „seltene Ausnahme“[25] von der Regel. Ihr Aufstieg von der Ausnahme zur Regel war das ebenso späte wie vorläufige, weil seinerseits durchaus prekäre Resultat eines wendungsreichen historischen Prozesses, nicht dessen Ausgangspunkt oder auch nur der ihn von Anfang an charakterisierende oder gar ihm vorherbestimmte Gang der Dinge. Zur mittlerweile mehr denn je ihrerseits wiederum infrage stehenden Regel für die Beziehungen von Kapital und Lohnarbeit wurde „das sozialpartnerschaftliche Verhalten in beinahe allen kapitalistischen Ländern“ vielmehr im Ergebnis einer wahrhaften historischen Katastrophe. „im Kapitalismus selbst“G. S. indes steigt aus seiner recht sparsamen historischen Betrachtung der verhandelten Frage an dieser Stelle bereits wieder aus und verortet das Problem des von ihm so genannten „sozialpartnerschaftlichen Verhaltens“ nun vielmehr „im Kapitalismus selbst“, zu welchem dessen geschichtliche Entwicklung, sein Werden und Vergehen, nur mehr ganz äußerlich als bloße Konjunkturen seines Daseins hinzutritt: Die Ursachen dafür liegen im Kapitalismus selbst, im wirklichen Lebensprozess, in den Mystifikationen, die er hervorbringt: Die Arbeit erscheint als bezahlt, die Produktivkraft erscheint als Produktivkraft des Kapitals, der Mehrwert ist zugedeckt, die Reichtumsproduktion erscheint als eine Konsequenz des (sozialpartnerschaftlichen) Zusammenwirkens der „Produktionsfaktoren“ Arbeit, Boden, Kapital. … Die Mystifikationen, die schon aus dem kapitalistischen Produktionsprozess hervorgehen (verstärkt noch durch jene Mystifikationen der Zirkulation) sind Voraussetzungen und bilden die Grundlage für das sozialpartnerschaftliche Verhalten, das besonders dann hervortritt, wenn die Reproduktion einigermaßen glatt verläuft (seit Mitte der 1980er Jahre erlebte der Weltmarkt einen kleinen Aufschwung, der durch die Krise 2007/08 beendet wurde). Wie ersichtlich und oben (am Schluss des Abschnitts „Hinweise ...“) ja schon angekündigt, sind wir nun durch den Gang der von G. S. vorgetragenen Argumente selbst weggelangt von der Fahndung nach Spuren der „Elemente proletarischen Klassenbewusstseins“ in der seit dem Faschismus verflossenen Zeit sowie der Frage nach deren Verbleib und sind angelangt bei der Frage wieviel Klassenbewusstsein bzw. entsprechendes „Verhalten“ der „Kapitalismus selbst“ denn überhaupt, gewissermaßen jenseits von Zeit und Raum, zulässt resp. gewährleistet. Und die deprimierende, aber durchaus wohlbegründete Antwort scheint zu lauten: So gut wie keines, jedenfalls dann, wenn seine „Reproduktion einigermaßen glatt verläuft“. Woher es aber kommen soll, wenn nicht, das weiß der liebe Gott. G. S. fährt nämlich fort: Solche Entwicklungen des tatsächlichen, also unmittelbar erfahrbaren Lebensprozesses stehen m. E. im Vordergrund, wenn es um die Konstitution von Bewusstsein geht. Dass aber ein nicht mehr so glatter, ein holpriger, gar disruptiver, tiefe gesellschaftliche Risse und Brüche zeitigender Verlauf der Reproduktion, eine ausgewachsene kapitalistische Krise also, die Mystifikationen auflöste; dass diese etwa die unbezahlte Arbeit als das Geheimnis der Profitmacherei, also den Mehrwert „unmittelbar erfahrbar“ machte, lässt sich weder theoretisch begründen, noch empirisch belegen. Ganz im Gegenteil haben wir doch erlebt, wie schon die von G. S. zitierte „Krise 2007/08“ den Mystifikationen neue Nahrung gegeben hat,[26] und erleben wir aktuell, wie der Boden der Krise neue Blüten der Mystifikation hervortreibt und alte, fast verwelkte erneut erblühen lässt. Früher einmal massenhaft gemachte Erfahrungen und erstrittene Einsichten sowie ihre Tradierung jedoch, die solchen Einnebelungen des Bewusstseins Paroli bieten könnten, lässt G. S. recht prinzipiell nicht gelten, zumindest soweit es ein von ihm so genanntes „Massenbewusstsein“ betrifft: Der Faschismus von 1933ff ist längst Geschichte, die Niederlagen von damals sind es ebenso und auch die (Teil)Siege, die es immer wieder gab, gehören zur Geschichte, die im Massenbewusstsein längst nicht mehr präsent sind. Nun ist aber das „Massenbewusstsein“ sicher eine ziemlich komplexe Angelegenheit, wie es auch die „Massen“ sind, um deren durchaus nicht einfach gemeinsames Bewusstsein es sich dabei handelt. Es lebt auch nicht nur je separat in den Köpfen der Individuen, die sich zu diesen „Massen“ agglomerieren, sondern nicht minder in ihrem Verkehr untereinander, in allerhand Institutionen, mehr oder weniger ritualisierten, oft auch institutionalisierten Gepflogenheiten etc. pp., die wiederum besagte „Massen“ zu mehr oder weniger strukturierten Interessengruppen, Milieus und Parteiungen etc. formen. In alldem dürfte – schon aus Mangel an Unmittelbarkeit – weitaus mehr „präsent“ sein als bloß das unmittelbar Erfahrbare und Erfahrene, ja, nicht selten sogar ganz anderes, diesem manchmal – wofür just „Corona“ ein soeben erlebtes erschreckendes Beispiel liefert – direkt Widersprechendes. Zudem hat der Kapitalismus, zumindest dort, wo er sich zuerst entwickelt hat – in Amerika zum Beispiel mögen die Dinge später etwas anders gelegen haben – keine tabula rasa zur Voraussetzung gehabt, war in keine ungeschichtliche Welt getreten. Namentlich ausgeprägte Klassenverhältnisse gab es schon vorher, und auch die Klassenbewegung des Proletariats hat an Vorgängiges angeknüpft. Sie war niemals die einer gestaltlosen bloßen Masse, war vielmehr in ihrer Gestalt wie ihrem Bewusstsein von vornherein geprägt von der Geschichte, sowohl der ihr unmittelbar vorausgegangenen, als dann auch vor allem ihrer eigenen,[27] und blieb es – jedenfalls bis zu jenem Datum, dessen „Fernwirkung“ hier zur Debatte steht. Sofern daher G. S.’ Kennzeichnung eines geschichtslosen heutigen „Massenbewusstseins“ zuträfe – und so manches spricht insbesondere hierzulande durchaus sehr dafür – wäre das nicht das zeitlose Produkt des „Kapitalismus selbst“ und auch nicht das noch jungfräuliche Bewusstsein von „Massen“, die eben erst in Bewegung für ihre Interessen geraten oder es im Begriffe sind. Dieses verwaiste „Massenbewusstsein“ wäre abermals vielmehr das einigermaßen verheerende Resultat eines geschichtlichen Dramas. Und unsere fragliche „Fernwirkung“ wäre demnach – soweit behielte dann G. S. in gewisser Weise Recht, ihre positive Geltung zurückzuweisen – eine wesentlich negative: Sie wiese auf jenes Datum zurück, mit dem, wie es in der Präambel unserer Eckpunkte heißt, „die Zeit des Proletariats als ein für sich handelndes Subjekt der Geschichte vorerst“ abbrach. *Von welcher Seite wir jenes „Zuviel“ an Zeit auch näher betrachteten, das seit dem verheerenden Triumph des Faschismus, wie G. S. meint, „inzwischen verflossen“ sei: Was die europäischen Arbeiterbewegung betrifft, hat es offenbar keine wirkliche Heilung der Verheerungen gezeitigt, die er angerichtet hat. Und statt auf ein dessen ungeachtet dem Kapitalismus gesetzmäßig entsteigendes Klassenbewusstsein seiner Proleten stießen wir auf „Mystifikationen, die schon aus dem kapitalistischen Produktionsprozess hervorgehen“ und den Klassencharakter der sozialen Beziehungen allen Beteiligten unkenntlich machen. Was die Aussichten für eine neue Blüte des Kommunismus betrifft, stehen wir also mit leeren Händen da. Schlimmer noch: Auch von seiner unzweifelhaft konstatierbaren Geschichtsmächtigkeit in der Vergangenheit haben wir keinen Begriff – keinen jedenfalls, der ohne Weiteres aus dem „Kapitalismus selbst“ zu gewinnen wäre. Dass der Kapitalismus aller „unmenschlichen Ungeheuer“, die er gebiert, zum Trotz „den Durchgang hin zur staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft“ eröffne, wie auch der Hamburger „Entwurf für ein Aktionsprogramm der PP“ gleich anfangs immer noch unverdrossen verspricht, bleibt so ein frommer Glaube, den selbst die Kommunisten heute kaum mehr glauben – weshalb sie längst zu jenem Utopismus zurückgekehrt sind, der dem Kapitalismus Alternativen, irgendeine zu ertüftelnde andere Gesellschaft, entgegensetzen möchte, statt – im Wissen um „die revolutionäre umstürzende Seite“ in seinem Elend[28] – sein immanentes Anderssein aus ihm hervorzutreiben. Womit wir ganz zwanglos auf dem Feld unseres zweiten Fragenkomplexes angekommen wären. Bevor wir aber dessen Fragen danach näherrücken, was alles Böses und Gutes im Kapitalismus an sich so drinsteckt, bleibt noch ein letzter Absatz zumindest kurz zu streifen, mit dem G. S. seine Einwände gegen eine bis in die Gegenwart reichende „Fernwirkung des Faschismus“ abschließt: Vergessen wir auch nicht, dass nach 1945 in vielen europäischen Ländern starker kommunistischer Widerstand existierte und auch in Deutschland die KPD beachtlichen Einfluss besaß, nicht nur in Ostdeutschland, wo sie aufgrund besonderer Umstände Regierungspartei wurde, sondern auch in Westdeutschland. Die Mitteilung der Einleitung, „In Deutschland wurde mit der Linkspartei erstmals seit 1916(!) ein relevanter Teil des Proletariats links von der SPD organisiert“, ist zumindest was das Datum anbelangt recht fragwürdig. Zu der Behauptung, „dass nach 1945 in vielen europäischen Ländern starker kommunistischer Widerstand“ existiert habe, verweise ich indes zunächst nur auf den obigen „‚Aufschwung‘ in den Abschwung“ betitelten Abschnitt. Was dort auf den behaupteten „Aufschwung … kommunistischer Parteien“, der „in den 1960er und 1970er Jahren … stattgefunden“ habe, bezogen ist, gilt selbstredend auch für die Zeit „nach 1945“. Lag doch der siebte und letzte Weltkongress der Komintern, der die ihr angeschlossenen Parteien auf die Klassenzusammenarbeit der Volksfrontpolitik einschwor und damit die Rückkehr des Kommunismus in das breite Bett des Sozialdemokratismus einleitete, auch damals bereits zehn oder mehr Jahre zurück. Und diese Rückkehr gilt nicht zuletzt für die KPD, die im sowjetisch besetzten Osten sogar ganz offiziell sehr bald mit der SPD sich vereinigte, aber auch im Westen für eine nachholende antimonopolistisch-bürgerliche Umgestaltung Deutschlands warb und jeglicher Agitation für eine Klassendiktatur der Arbeiter sich enthielt. Eine eigene Anmerkung verdient allerdings der letzte Satz, der den Befund des Hamburger „Entwurfs“ für „fragwürdig“ hält, in Deutschland sei „mit der Linkspartei erstmals seit 1916 ein relevanter Teil des Proletariats links von der SPD organisiert“ worden. Für zumindest sehr unglücklich formuliert halte auch ich diese Aussage. Dies jedoch nicht so sehr deshalb, weil sie ignoriert, dass da „links von der SPD“ auch nach 1916 selbstverständlich bisweilen allerhand Proletariat organisiert gewesen wäre (man denke nur an die KPD der Weimarer Zeit). Das Problem ist vielmehr der statische Charakter der Formulierung, das bloß topologische Links-Rechts-Schema, womit sie operiert. Programmatisch standen sowohl die WASG als auch die PDS und steht also auch die Linkspartei von heute in mancher Hinsicht eher zur Rechten selbst der Mehrheits-SPD von 1916. Im einen der beiden Gründungsdokumente unserer Plattform, den Thesen zu Klasse und Politik heute, liegt daher auch der Akzent ganz auf der politischen Dynamik der Angelegenheit. Was das Datum von 1916 angeht, ist von einer „Trennung der USPD von der SPD“ die Rede und für hier und heute (genauer die Zeit 2004 ff), wie oben (im Abschnitt „Hinweise ...“) schon einmal zitiert, von einer „Möglichkeit“ der Arbeiterbewegung, „sich aus der Gefangenschaft der Sozialdemokratie zu befreien.“ Die entsprechende Dynamik „nach 1945“ aber hatte die entgegengesetzte Richtung: Es handelte sich, wie bereits gesagt, um die mehr oder weniger verbrämte Rückkehr des Kommunismus in den Schoß der Sozialdemokratie. [1] In Plattform am Ende (28.3.2022) im Unterabschnitt „Voraussetzungen der Naziherrschaft“. [2] Karl Marx: [Erster Entwurf zum „Bürgerkrieg in Frankreich“], MEW 17, S. 545 f [3] Wikipedia: Partido Comunista de España. Zeit des Bürgerkriegs. In einer anderen Quelle, die das Zentralorgan der Partei zitiert, wird die Zahl von 20.000 Mitgliedern zur Zeit des Wahlsiegs der Volksfront im Februar 1936 genannt, die im Juni auf 100.000 gestiegen war. (Max Schäfer [Hrg.]: Spanien 1936 bis 1939. Erinnerungen von Interbrigadisten aus der BRD, Essen 2016, S. 70). [4] Vgl. Pierre Broué, Emile Témime: Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt a. M. 1968, S. 284 (siehe dort noch weitere Verweise im Personenregister). Unter seinem Kampfnamen Ercoli hatte dieser Togliatti ziemlich genau ein Jahr vor dem Bürgerkrieg in Moskau als Referent auf dem letzten Weltkongress der Komintern unter einem Schwall abgedroschener Formeln deren Militärpolitik mit so famosen Ideen auf den Hund gebracht wie der, „die reaktionären Generalstäbe“ der bürgerlichen Armeen einer „demokratischen, unter Beteiligung der Arbeiterorganisationen auszuübenden Kontrolle“ zu unterstellen (VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. Referate. Aus der Diskussion. Schlusswort. Resolutionen, Frankfurt a. M. 1971, S. 191). Eine Idee, die mit fatalen Konsequenzen dann ein Jahr später in Spanien praktisch durchexerziert worden ist. Zum ersten, aber keineswegs zum letzten Mal – man denke nur an Chile Anfang der 1970er Jahre. [5] Noch einmal zum Charakter der UdSSR. In: Leo Trotzki Schriften 1. Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur. Band 1.2 (1936–1940) Hamburg 1988, S. 1298. [6] Dies freilich nicht ohne massive Unterstützung seitens der bürgerlich-demokratischen Alliierten, in erster Linie der USA, durch großangelegte Lieferungen von Kriegsmaterial, vor allem für die sowjetische Logistik, aber auch darüber hinaus. [7] MEW 4, S. 488 f. [8] Pierre Broué: Trotzki. Eine politische Biographie. Band I, Köln o. Dat., S. 314. [9] Lenin: Werke Bd. 32, S. 7 [10] Leo Trotzki: Verratene Revolution. In: Ders.: Schriften 1, a. a. O., S. 944, zu finden auch hier: www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1936/verrev/kap09.htm [11] Man durchforste beispielsweise einmal das Erfurter Programm der Linken danach. [12] Karl Marx: Klassenkämpfe in Frankreich. In MEW 7, S. 41 f. [13] In einem Brief vom 23.5.1884 an Eduard Bernstein (MEW 36, S. 151 f.). Aber auch Marxens „frühes Urteil“ verkannte diese geheime Pointe jenes Rechts auf Arbeit keineswegs, wenn er über die sogenannten „Nationalateliers“ von 1848, in denen die Pariser Arbeiter eine erste Verwirklichung des famosen Rechts erblickt und um deren Erhaltung sie im Juni 1848 sich in eine furchtbar aussichtslose Schlacht hatten treiben lassen, im selben Text ein paar Seiten vorher schrieb: „Unter diesem prunkenden Namen versteckte sich nichts anderes als die Verwendung der Arbeiter zu langweiligen, eintönigen, unproduktiven Erdarbeiten für einen Arbeitslohn von 23 Sous. Englische workhouses im Freien – weiter waren diese Nationalateliers nichts.“ (MEW 7, S. 26) [14] Norbert Walter am 7.2.2005, also etwa einen Monat, nachdem die Hartz-Gesetze in Kraft getreten waren, im Radio Sachsen-Anhalt. Das Statement schien immerhin wichtig genug, dass es einen Tag später auch noch auf tagesschau.de gepostet wurde (vgl. z. B. „Banker gegen ‚westdeutschen Sozialismus‘“ in junge Welt 9.2.2005). [15] „Wenn heute sowjetische Linke mit Lech Walesa darin einig sind, daß in einem Land wie Japan mehr Sozialismus verwirklicht sei als im ganzen RGW [Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe] zusammengenommen, dann sind offenbar die in 70 Jahren Realsozialismus herangebildeten Ansprüche und Interessen (von linken und anderen Ideologen heute gerne ‚Werte‘ genannt) dieselben wie im Westen, und es ist nur logisch, wenn die Massen sie nun endlich in dessen ideologisch und politisch weniger zudringlicher Form realisiert sehen wollen.“ Das schrieb ich im April 1990 in einem Kommentar zum „Nie wieder Deutschland“ betitelten „Aufruf der Radikalen Linken gegen Nationalismus und Wiedervereinigung“ vom 21.1.1990, der dann im Mai desselben Jahres als Beitrag einer Broschüre mit dem Titel „Die ‚Radikale Linke‘ – ein Schlesiertreffen? Beiträge zur Kritik des hilflosen Antikapitalismus“ im Verlag Marxistische Kritik (Erlangen 1990) erschienen ist. [16] Französisch: Le droit à la paresse, zuerst 1880 in mehreren Folgen in der Zeitschrift L'Égalité erschienen. Eine neue deutsche Übersetzung wurde 1988 von der sich auf den Operaismus berufende Gruppe Wildcat als Sondernummer ihrer „Schriften gegen die Arbeit“ herausgegeben und ist inzwischen dort auch online verfügbar. [17] Charakteristisch hierfür vielleicht der Schnodder, der auf Wikipedia zur „Einordnung“ der Schrift „nach Marxscher Theorie und Praxis“ abgelassen wird. [18] Karl Kautsky: Das Recht auf Arbeit. In Die Neue Zeit, 2. Jg. (1884), online verfügbar unter www.marxists.org/ deutsch/archiv/kautsky/1884/xx/arbeit.htm. [19] „Verkannt werden die keineswegs bloß ideellen, vielmehr ganz materiell-historischen Voraussetzungen jenes keynesianisch getrimmten sogenannten ‚Sozialstaats‘ von einst, den man da beschwört. Nicht ökonomische Ideen, sondern materielle Kräfteverhältnisse, sozialökonomische und auch ein paar militärische Tatsachen lagen ihm zugrunde. Namentlich in Deutschland war die Existenz der von der Roten Armee bewachten DDR eine seiner wesentlichen Bedingungen.“ (Programmatische Eckpunkte der proletarischen Plattform) Vgl. dazu auch die elfte (XI.) meiner zwölf Thesen zu „150 Jahre Kommunistische Partei“ vom August 1998. [20] Noch vor den Wahlen, die die erste rot-grüne Regierung ins Amt brachte, war z. B. in einer Broschüre der übergänge zu lesen, dass „[j]egliche Verteidigung selbst der bescheidensten Lebensinteressen der proletarisierten Individuen, die sich nicht mit frommen Wünschen abspeisen läßt, … heute – ob sie will oder nicht – in den schärfsten Gegensatz nicht allein zu diesem oder jenem Bourgeois, dieser oder jener politischen Option der Bourgeoisie, sondern zur bourgeoisen Daseinsweise selbst“ geriete. (These XII zu „150 Jahre Kommunistische Partei“ in Zurück in die Zukunft vom August 1998) [21] Man vergleiche unter diesem Gesichtspunkt unsere programmatischen Eckpunkte vom Mai 2011 mit jener Plattform der übergänge aus dem Sommer 1999, die ihnen Pate gestanden hatte. [22] Eine Warnung, die auch der Hamburger „Entwurf“, wie mir scheint, nicht ganz ernst genommen hat, wenn er den „Weg der proletarischen Emanzipation“ für „weniger denn je in Sicht“ befindet und damit einen bereits zurückgelegten solchen „Weg“ zwar durchaus impliziert, aber sodann, ohne dessen kritische Bilanzierung auch nur anzumahnen, unverzagt dafür plädiert, jenen unsichtbaren künftigen „Weg … überhaupt erneut einzuschlagen“. [24] „Es gab zwei Umstände, die viele Jahre verhinderten, daß die unvermeidlichen Konsequenzen des kapitalistischen Systems in Amerika voll ans Tageslicht kamen. Diese bestanden in dem leichten Erwerb von billigem Land und in der starken Einwanderung. Sie erlaubten es lange Zeit der großen Masse der einheimischen amerikanischen Bevölkerung, sich in jüngeren Jahren von der Lohnarbeit ‚zurückzuziehen‘ und Farmer, Händler oder Arbeitgeber zu werden, während die harte Lohnarbeit, die Stellung eines lebenslänglichen Proletariers, hauptsächlich den Einwanderern verblieb. Doch Amerika ist diesem Jugendstand entwachsen. Die unendlichen Urwälder sind verschwunden und die noch unendlicheren Prärien gehen rascher und rascher aus den Händen des Staates und der Staaten in die von Privateigentümern. Das große Sicherheitsventil gegen die Bildung einer permanenten proletarischen Klasse hat – praktisch genommen – zu wirken aufgehört.“ (Friedrich Engels: Anhang [zur amerikanischen Ausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse in England“]. In MEW 21, S. 253 f]) Vgl. ausführlicher dazu Marx im letzten Kapitel des ersten Bandes seines „Kapital“ über „Die moderne Kolonisationstheorie“ (MEW 23, S. 792 ff). [25] In „Staat und Revolution“ nennt Lenin das von Engels angeführte „Beispiel hier und dort in Nordamerika“, wo die staatliche Gewalt schwach entwickelt war, „eine für die kapitalistische Gesellschaft seltene Ausnahme“ derjenigen „Teile Nordamerikas in seiner vorimperialistischen Periode, wo der freie Kolonist vorherrschte“. (In Lenin Werke, Bd. 25, S. 402, online auch hier zu finden: www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/staatrev/kapitel1.htm) [26] Mystifikationen, die ihrer Mystik zu entkleiden, G. S. ein Motiv zu seiner Broschüre über „Mythos und Wirklichkeit“ der sogenannten Finanzmarktkrise geliefert haben. [27] Zuletzt in der gemeinsamen Lektüre zur Pariser Kommune konnten einige von uns sich davon reichlich überzeugen. [28] Karl Marx: Elend der Philosophie. In MEW 4, S. 143. |
II „ … im Elend nur das Elend …“Einblenden |
„ … der Versuch einer Neubegründung des Kommunismus als der Selbstbefreiung der eigentumslosen Klasse … wird – jedenfalls hier im Herzen Europas – sich seiner unabdingbaren Prämisse, der Wirklichkeit des revolutionären Subjekts, vor allem andern radikal negativ zu versichern haben: in der Anstrengung, Auschwitz als das Datum seines definitiven Versagens festzuhalten. Jeden positiven Verweis auf heutige ‚revolutionäre Möglichkeiten‘, der dies nicht zu seiner Grundlage hat, trifft dagegen vollkommen zu Recht das Verdikt unserer kritischen Genossen auf den Bahamas, ‚vorab Müll‘, weil ‚nichts als Affirmation und ausgebuffter Seelentrost‘ zu sein.“[1] Zur Frage, was denn der „Kapitalismus selbst“, der Kapitalismus an und für sich sei, und spezieller, wo ggf. seine revolutionäre, aufhebende Seite an oder in ihm zu suchen wäre, zitieren wir vorweg den Stein des Anstoßes: „Der Kapitalismus ist entgegen der antikapitalistischen Legende vom lediglich unmenschlichen Ungeheuer die innovativste Gesellschaftsformation, die die Menschheit bisher hervorgebracht hat. Sie ermöglichte die schlimmsten Menschheitsverbrechen und eröffnet gleichwohl den Durchgang hin zur staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft. Wohingegen der Antikapitalist ‚in dem Elend nur das Elend‘ (Marx) und nicht die revolutionäre aufhebenden Seite sieht. Denn Produktiventwicklung und globale Arbeitsteilung sprengen nach wie vor alle Grenzen, indem sie traditionelle Bindungen an Volk, Scholle und Familie aushöhlen.“ So nämlich beginnt der Hamburger „Entwurf für ein Aktionsprogramm der PP“, der im Juni 2017 zur Diskussion stand, an welcher ich gar nicht und G. S. „nur“ durch seine knapp vorher eingereichten kritischen „Hinweise“ teilgenommen hatten. Deren erster, mit möglichen „Fernwirkungen des Faschismus“ befasster Teil wurde vorstehend ausführlicher erörtert. Außer G. S.’ kritischen „Hinweisen“ gibt es an (intern) dokumentierten Spuren der Diskussion des Hamburger „Entwurfs“ noch das Protokoll des Treffens[2] der „Plattform“ im Juni 2017 sowie einige sich anschließende weitere Entwürfe und als gewissermaßen deren – zumindest was die zitierte Passage angeht – knappes Fazit schließlich die (für eine zunächst zum Herbst 2019 anvisierte kleine Veranstaltung entwickelte) einleitende Präsentation zu Sinn und Zweck eines Aktionsprogramms. Meine Kritik hingegen blieb, wie oben (im Abschnitt „Hinweise ...“) bereits kurz vermerkt, ein bis jetzt zurückgehaltenes Fragment. Kapitalismus: innovativstes UngeheurerSowohl G. S.’ „Hinweise“ als auch die meisten Anmerkungen in besagtem Protokoll plädieren zwar für eine andere Gewichtung der beiden Momente, Aspekte, Seiten des Kapitalismus: des „unmenschlichen Ungeheuers“ einerseits und der „innovativsten Gesellschaftsformation“ andererseits. Sie thematisieren aber nicht deren inneren Zusammenhang. G. S. möchte „die These des ersten Satzes der Einleitung, wonach der Kapitalismus ‚die innovativste Gesellschaftsformation‘ sei“, „relativiert“ sehen und verweist auf das Kommunistische Manifest, das „da viel genauer“ sei, „wenn es die aufsteigende Phase der kapitalistischen Produktionsweise von der Phase der wachsenden Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse (Eigentumsverhältnisse) (MEW 4, S. 467 f) unterscheidet. Marx nennt die Handelskrisen – eine ziemlich schwere haben wir gerade hinter uns – und wir können die ungeheuren Zerstörungen durch Kriege / Nationalismus hinzunehmen.“ Im Protokoll der Diskussion des Hamburger Entwurfs vom Juni 2017 wird die Relevanz seiner Kritik des Antikapitalismus infrage gestellt, und diese ist dann auch aus den nachfolgenden Entwürfen ebenso verschwunden,[3] wie sie in der aus alldem schließlich destillierten einleitenden Präsentation des prospektierten „Aktionsprogramms“ nicht mehr vorkommt. Im selben Zuge aber, worin die ausdrückliche Kritik des Antikapitalismus beiseite gelassen wurde, geriet die Formulierung eines ursprünglich als Stütze dieser Kritik verwendeten, ein Marx-Zitat in Anspruch nehmenden Arguments in eine bedenkliche, das Zitat am Ende verfälschende Schieflage. Hatte der Hamburger („zweite“) Entwurf noch ganz richtig just „in dem Elend“, das der Kapitalismus produziert, „die revolutionäre aufhebenden Seite“ desselben verortet und dem Antikapitalismus durchaus mit einem gewissen Recht angekreidet, dies nicht zu sehen, attestiert man besagte „Seite“ in allen folgenden Fassungen ganz unspezifisch dem „Kapitalismus“ überhaupt und präsentiert ein nur sehr von ungefähr Marx entlehntes „Elend im Elend“ als seine dagegenstehende andere Seite. Damit aber wurde eine ursprünglich nur der Möglichkeit nach angelegte falsche Akzentuierung der Kritik des Antikapitalismus zu einer wirklich ganz und gar falschen Bestimmung dessen, was das Progressive des Kapitalismus ausmacht bzw. es rechtfertigt, ihn als – in den Worten des Hamburger „Entwurfs“ – „die innovativste Gesellschaftsformation, die die Menschheit bisher hervorgebracht hat“, zu bezeichnen. Es handelt sich hier nämlich weder um ein Problem des Abwägens der vom Kapitalismus induzierten „Produktivkraftentwicklung“ gegen das seinen ihr auferlegten Schranken geschuldete Elend, das sie bloß „relativiert“, noch um die Abgrenzung einer progressiven „aufsteigende[n] Phase der kapitalistischen Produktionsweise“ von einer Phase des Zusammenstoßes der Produktivkräfte mit den Produktionsverhältnissen, in welcher dann der Progress (jedenfalls „zeitweise“, wie G. S. schreibt) in Barbarei und Dekadenz umschlüge. Was das massenhafte Elend betrifft, war dies besonders krass und breitete sich nahezu ungehemmt gerade in der von G. S. noch der Aufstiegsphase zugerechneten Zeit aus. Und noch heute wütet das Elend dort, wo die kapitalistische Produktionsweise sich neues Terrain erobert, besonders rabiat. Der Antagonismus eines einerseits dem Kapitalismus innenwohnenden Triebes, alle Schranken der Produktivität zu zerbrechen, und des andererseits immer zu engen sozialen Korsetts, worin er diese Produktivität einzusperren genötigt ist; die rasant beschleunigte Entwicklung der Potenzen der menschlichen Gattung „auf Kosten der Mehrzahl der Menschenindividuen und ganzer Menschenklassen“[4], aus denen sie jeweils besteht, bezeichnet das Gesetz seiner Daseinsweise von Anfang an. Wollte man in allem Ernst eine Zäsur zwischen dem Aufstieg und dem Abstieg des Kapitalismus, der bürgerlichen Epoche oder der Moderne bestimmen; eine, in welcher der Fortschritt der Gattung umkippt in ihren Niedergang, dann böte sich hierfür weit eher genau jene Zeit an, als, wie G. S. schreibt, „z. B. Lenin und die III. Internationale mit einer gewissen Berechtigung von der allgemeinen Krise des Kapitalismus sprachen.“ Dies jedoch nicht, weil in dieser Zeit dem kapitalistischen Fortschritt an sich selber aus irgendeinem Grund sein Schwung abhanden gekommen wäre und er der Regression Platz gemacht hätte; nicht, weil erst zu dieser Zeit die Bourgeoisie von einer dem menschlichen Fortschritt verpflichteten Klasse sich gewandelt hätte in eine nur noch ihren eigenen Genuss pflegende, der Dekadenz verfallene Klasse. Solche Diagnosen der bürgerlichen Dekadenz ließen sich in der Tat auch lange vorher bereits stellen. Vielmehr handelt es sich in Sachen des menschlichen Fortschritts, eines wirklichen Fortschritts der Gattung Mensch schon lange (allerspätestens seit Marx) überhaupt nicht mehr um die Bourgeoisie, sondern um das ebenso von ihr produzierte wie ihre Existenz als Klasse allein bedingende, sie tragende Proletariat. Es handelt sich um dessen Aufstieg und möglichen Niedergang als eines geschichtsmächtigen Subjekts.[5] Dies aber ist nicht nur eine Frage, der – wie im vorstehenden Teil I, wenn auch nur sehr ansatzweise, geschehen – historisch-empirisch nachgespürt werden muss, sondern, in bestimmter Weise damit verknüpft, ist es auch die – wie mir scheint, allzu selten gestellte – Frage nach dem kategorialen Status eines revolutionären Proletariats im Kontext der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. „technologisch versierte Termiten“Als einen möglichen Einstieg in diese Frage, setze ich hier im Anschluss das Fragment meiner Kritik des Hamburger Entwurfs hinzu, das zwar ganz allgemein das Elend und den Schrecken aller Innovationslust der „innovativsten“ aller bisherigen Gesellschaftsformationen sehr wohl bereits in den Blick nimmt, aber natürlich – drei Jahre vor „Corona“ – noch nichts davon ahnt, wie bald wir alle miteinander erleben sollten, dass erstmals im buchstäblich globalen Maßstab fürchterlich konkret jene Dystopie Gestalt anzunehmen beginnt, die Wolfgang Pohrt in der Einleitung seiner „Theorie des Gebrauchswerts“ betitelten Dissertation schon 1976 u. a. folgendermaßen skizziert hat: „[E]ntweder die Menschen schaffen das Kapital ab oder das Kapital die Gattung Mensch. Entweder die Menschen befreien sich, oder sie konstituieren in absehbarer Zeit die ganz neue Spezies technologisch versierter Termiten, die in den Science-fiction-Romanen euphemistisch als Wesen von fernen Welten beschrieben werden.“[6] Es lässt sich wahrhaftig kaum treffender charakterisieren denn als das Werk „technologisch versierter Termiten“, was das Regime der Priester Coronas und seiner Zeugen den ihm anvertrauten und sich anvertrauenden Schafen beschert hat. Man sehe sich nur die zwei großen Innovationen an, die das Regime auf den Weg gebracht hat, und durchdenke sie: Zunächst trieb es, zur Generierung sogenannter Inzidenzen, seine Herde fast drei Jahre lang Woche für Woche millionenfach zu medizinisch völlig sinnlosen Labortests. Die so erzeugte Massenhypnose ermöglichte ihm sodann den gigantischen Feldversuch einer als „Impfung“ verkauften Behandlung seiner Herde, bei der das jeweils behandelte Individuum mithilfe gen-modifizierter Stoffe dazu verwendet wird, das eigentliche Medikament in seinem Innern selber überhaupt erst zu produzieren. Namentlich diese Verlagerung der Fabrikation des anvisierten und als Verkaufsschlager angepriesenen Produkts in das Innere des Individuums, des Menschen, der einst nach Erwerb des Produkts zu dessen Gebrauchswert sich verhalten hatte als dem Mittel seiner selbst gesetzten Zwecke, lässt an ihm wie dem Produkt Zweck und Mittel ununterscheidbar jetzt vollends ineinander fallen und kassiert so sein Menschsein, behandelt es resp. ihn als bloßes Naturwesen, als lebendige Sache (weshalb man auch die Wirksamkeits- und Risikoprüfungen am Tiermodell vor der klinischen Erprobung sich weitgehend gespart hat). Was aber die Hirten ihrer Herde antun, das tun sie – gewissermaßen naturgemäß, sind sie doch (noch) Fleisch vom Fleische, Angehörige derselben Gattung – wechselseitig auch einander an. Es bleibt ihnen daher am Ende vom einstigen Menschsein nur ihre technologische Versiertheit, die sie dann bis zum Exzess ausagieren. Marx hat gezeigt, wie die Entwicklung der kapitalistischen Produktion von der nur erst formellen Subsumption der Arbeit als Lohnarbeit unter ihre Arbeitsbedingungen als Kapital in der Manufaktur fortgeschritten ist zur reellen, die mit der Etablierung der Maschinerie und dem auf ihr ruhenden Fabrikwesen sich vollendet hat. Dies resümierend schreibt er im Kapitel über „Die Fabrik“: „Aller kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsprozeß, sondern zugleich Verwertungsprozeß des Kapitals, ist es gemeinsam, daß nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhält diese Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt.“ (MEW 23, S. 446) Ein Befund, der auffällig kontrastiert mit jenen Bestimmungen der „einfachen Momente des Arbeitsprozesses“, die Marx einige Abschnitte zuvor für dessen Abgrenzung vom Verwertungsprozesses festgehalten und von denen er dort behauptet hatte, dass sie „ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam“ seien. Dort nämlich (MEW 23, S. 192 ff) war der Arbeiter noch das Subjekt des Arbeitsprozesses, das ihn übergreifende Moment, welches das Arbeitsmittel anwendet, um damit im Arbeitsgegenstand seine Zwecke zu realisieren. Die Subsumption der Arbeit unters Kapital aber dementiert dieses Verhältnis schließlich gründlich, stellt es auf den Kopf. Es scheint daher, dass Marx in deren schonungsloser Darstellung – ohne das freilich zur Sprache zu bringen, also gewissermaßen unter der Hand – zum Kronzeugen gegen seine eigene zuvor dargebrachte, von Stefan Breuer pejorativ so genannte „Arbeitsmetaphysik“[7] geworden wäre. Zwischen Ressentiment und ErkenntnisAllerdings qualifiziert Marx dieses in der Maschinerie der Fabrik handgreiflich gewordene Verhältnis, worin der Arbeiter vollends zu deren lebendigem Zubehör geworden ist, ja ausdrücklich als eine „Verkehrung“, von der ganz unerfindlich wäre, worauf eine solche denn bezogen, woran sie zu messen sein sollte, wenn nicht an jenen das Kapitalverhältnis übersteigenden, gewissermaßen das Gattungswesen Mensch überhaupt charakterisierenden Bestimmungen des Arbeitsprozesses „in seinen einfachen und abstrakten Momenten“ (MEW 23, S. 198). Ohne diese zuvor gegebenen Bestimmungen, bliebe völlig im Dunkeln, um was es sich denn handelte, das da eine „Verkehrung“ erfahren haben soll. Und dass Marx in dieser „Verkehrung“ durchaus noch etwas anderes im Auge hat als im Fall etwa des Fetischcharakters der Ware, der Darstellung ihrer Werteigenschaft im Gebrauchswert einer anderen;[8] dass er hier vielmehr das menschliche Wesen, das Menschsein des Arbeiters in seinem Kern ganz unmittelbar angegriffen sieht, erhellt vielleicht besonders klar aus der Bemerkung, die der zitierten Stelle direkt vorausgeht: „Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt.“ (MEW 23, S. 445 f) Diese in der kapitalistischen Maschinerie manifestierte „Verkehrung“ nun jedoch in der Manier etwa eines Stefan Breuer abzuhaken als Perfektionierung eines „Verblendungszusammenhangs“ der vom Kapital gestifteten Vergesellschaftung, als ginge es um die Beschreibung eines Ameisenstaats; ihr zu bescheiden, „dass es unter kapitalistischen Bedingungen keinen wie immer gearteten Fortschritt zu größerer Humanität geben“[9] könne – dazu fehlte Marx naturgemäß die abgeklärte Bescheidwisserei der Postmoderne über das schließliche Scheitern aller Anstrengungen der jener „Verkehrung“ unterworfenen Arbeiter, ausgehend von den nun einmal gegebenen „kapitalistischen Bedingungen“ ihr Menschsein ein für allemal zu erstreiten. War er doch nicht nur unbestechlicher Zeitzeuge ebendieser Anstrengungen, sondern verstand sich nicht zuletzt als selber eines ihrer Organe. Nun birgt besagte Bescheidwisserei partiell aber sehr wohl echtes Wissen, verweist auf eine ebensowohl geschichtliche wie die Gegenwart erfassende gewichtige Tatsache oder besser gesagt auf eine ganze Reihe davon und lässt sich keinesfalls als blankes Ressentiment abtun. Dass „der Untergang in der Barbarei“, also etwas, das besser vielleicht als das Scheitern der Menschwerdung des Menschen bezeichnet wäre, nur erst „droht“, wie es in der Präambel unserer Eckpunkte noch etwas blauäugig heißt, war an sich bereits mit der weltgeschichtlichen Zäsur, die der Holocaust markiert, eine verharmlosende Beschreibung des Weltzustands des Menschenpacks. Und manches spricht dafür, dass dieses derzeit dabei ist, den Preis zu zahlen, der mit seinem zumindest partiellen Scheitern seinerzeit, nämlich viel zu lange zugelassen zu haben, was sein einer Teil einem andern an Ungeheuerlichem anzutun sich erlaubte, irgendwann fällig werden musste. Die folgenden von mir, wie gesagt, bereits vor gut fünf Jahren notierten Anmerkungen zum Hamburger „Entwurf“ versuchen, diesem Amalgam aus Ressentiment und Erkenntnis, aus von hoffnungsfrohen Wünschen gespeistem Optimismus und zum Pessimismus tendierender nüchterner Bilanzierung unserer bis in die Gegenwart reichenden Geschichte, der nämlich des Kommunismus, historisch wie kategorisch näherzutreten; einer disparaten Mischung, von der auch der Hamburger Entwurf unverkennbar gezeichnet war. Wenn auch meine Anmerkungen – zumal nur Fragment – weit davon entfernt sind, das vertrackte Gemisch auch nur teilweise aufzulösen, so können sie vielleicht immerhin helfen, das eine oder andere seiner Elemente von dessen Unkenntlichkeit ein Stückweit frei zu räumen. In den Vordergrund rücken sie namentlich die Frage nach jenem Subjekt, dem wir mit unserer „Plattform“ und ihrem angestrebten „Aktionsprogramm“ eine realitätstaugliche Stimme zu geben und so ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen trachteten. In unserer darauf gerichteten Reflexion ihm ein Stück seiner Realität – seiner fraglosen Vergangenheit wie seiner fragwürdigen Gegenwart – zurückzugeben, ist nicht ihr geringstes Anliegen. Denn kommunistische Politikfähigkeit hätte damit zu beginnen, noch bestehende proletarische, den prekär gewordenen Zusammenhang der Klasse in der Tat statt in wohlfeilen Gesten, Deklamationen und Glaubensbekenntnissen ins Auge fassende Subjektivität im Hier und Jetzt ausfindig und sich mit ihr gemein zu machen, sie aus ihrer historisch lange gewachsenen und gewucherten Verwicklung in die (post)bürgerliche Politik freizuschlagen und sie so mit dieser wieder auf Augenhöhe zu bringen. Sie ist nämlich – so könnte ein Fazit meiner Anmerkungen lauten – nichts, das aus irgendeiner „Ökonomie“, wenn man ihr nur hinreichend kritisch zuleibe rückte, deduktiv sich ergäbe, sondern besitzt eine Eigengesetzlichkeit, die genau umgekehrt aller Kritik der Ökonomie immer schon zugrundelag.
Vom Elend des Fortschritts
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Nachtrag: Wer verantwortet die Shoa?Einblenden |
Bei einem Treffen, das den vorstehenden Text diskutiert hat, war gleich anfangs die aus seinem Abschnitt I offenbar herausgelesene und womöglich herauszulesende Behauptung einer unmittelbaren Verantwortung des Proletariats für die Shoa auf entschiedenen Protest gestoßen. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass es mir in der Diskussion gelungen war, das Argument meines Textes, gegen das dieser Protest sich richtete, zurechtzurücken. Daher versuche ich es hier noch einmal in etwas objektivierterer, weil schriftlicher Form. Dazu sei zunächst das Argument selbst noch einmal zitiert. Es beginnt (s. oben im Abschnitt I „Ein schlecht verheilter Bruch“, im PDF S. 8 unten) damit, G. S. darin Recht zu geben, dass die Zertrümmerung der europäischen Arbeiterbewegung durch den Faschismus „nicht das letzte Wort“ ihrer „Geschichte … auch nur in Europa gewesen sei“. Denn: „Der Faschismus wurde schließlich besiegt.“ Worauf dann der Satz folgt, der, wie mir scheint, den Stein des Anstoßes zumindest maßgeblich konturiert und so den Protest getriggert hat: „Damit war jedoch … das Menschheitsverbrechen der Shoa nicht getilgt.“ Die mit einer Ellipse („…“) gekennzeichnete kleine Auslassung im Zitat dieses Satzes lässt indes erahnen, dass in ihm allenfalls die Hälfte meines Arguments zu finden ist. Sie vertritt nämlich ein „zum einen“, dem einige Zeilen darunter ein „Zum andern“ folgt. Und auch dieses „zum einen“ erfährt im nächsten Satz erst seine gehörige Erläuterung (die ich übrigens, wenn ich recht erinnere, in der Diskussion, mich selbst zitierend, noch einmal, wenn wohl auch einigermaßen vergeblich, zu Gehör gebracht hatte): „Dieses“, d. h. das Menschheitsverbrechen der Shoa, heißt es nämlich unmittelbar anschließend, „markiert einen Bruch in der Klassenbewegung des Proletariats, der weit schwerer noch wiegt als der, den das Jahr 1914 bezeichnet, denn allein von der Emanzipationsbewegung des Proletariats … , von ihrer Entschlossenheit, zumindest ihre errungenen Positionen energisch zu verteidigen, hatte die Möglichkeit abgehangen, das monströse Verbrechen an der Menschheit abzuwenden.“ Der Protest hat dagegen, soweit ich verstand, insistiert, dass für die Shoa nicht das Proletariat, sondern allein die Bourgeoisie die Verantwortung trage bzw. (auch davon war, glaube ich, die Rede:) „Schuld“ an ihr habe. Aber in welchem Sinne kann es hier denn überhaupt sich um „Verantwortung“ oder gar „Schuld“ handeln? * Das monströse Mordprogramm war ganz sicher keines, das im Proletariat, soweit irgend mit – wie auch immer getrübtem, aber seinerzeit durchaus sehr verbreitetem – Selbstbewusstsein versehen, auch nur die leisesten Sympathien genoss. Und ich habe, das ist hoffentlich klar ersichtlich, in meiner Argumentation es solcher Sympathien auch nicht im entferntesten verdächtigt, nichts dergleichen auch nur angedeutet. War es aber „folglich“ das Programm der deutschen Bourgeoisie? Lag der Wahnsinn des industriellen Massenmords an sechs Millionen Juden, dem am Ende alles andere, selbst kriegswichtige Ressourcen, untergeordnet oder gar geopfert wurde, tatsächlich im dezidierten Interesse auch nur maßgeblicher Teile der deutschen Bourgeoise? War es nicht vielmehr so, dass angesichts der Paralyse der sozialen Kräfteverhältnisse auch diese Bourgeoisie sich schließlich keinen andern Rat mehr wusste, als das aus dem „menschlichen Staub“[1] der im Verfall begriffenen Gesellschaft rekrutierte Mordgesindel ein Weilchen loszulassen und sich dann außerstande zeigte, es rechtzeitig wieder einzufangen? Selbst jedoch angenommen, die deutsche Bourgeoisie – jedenfalls in ihren maßgeblichen Teilen – wäre dem massenmörderischen Wahn tatsächlich aus eigenem Antrieb anheimgefallen gewesen, hätte ihn gar ausgebrütet: Muss dann nicht erstrecht das Proletariat es als sein historisches Versagen sich anrechnen, dass die Shoa geschehen konnte? Denn wer anders als das Proletariat hatte denn die Fähigkeit oder auch nur den Ehrgeiz besessen, dieser Bourgeoisie das Handwerk zu legen? Der Verweis auf dieses sehr bestimmte Versagen der Arbeiterbewegung „in der sogenannten Judenfrage“ ist im Übrigen überhaupt nichts Neues sogar in durchaus richtungsweisenden Texten auf den Seiten unserer „Plattform“.[2] Er findet sich zum Beispiel in einem als „auch programmatischer“ gekennzeichneten „Beitrag aus den Reihen der proletarischen Plattform zur Antisemitismusdebatte des Sommers 2011 in der Partei DIE LINKE.“ Der Beitrag wurde drei Monate nach Gründung unserer „Plattform“ auf der hauptsächlich von ihr getragenen SALZ-Sommerwoche in Kassel im Juli 2011 diskutiert und ist anschließend im September-Heft der konkret erschienen. Wenn auch eher implizit, setzte er nicht zuletzt sich von solchen Linken ab, die deren historische „Schuld“ hinsichtlich der Shoa vor allem in einem seinerzeit vermeintlich auch auf der Linken virulenten Antisemitismus suchen (und damit ihre wirkliche Verantwortung aus der Welt schaffen), indem sie etwa, wie ein Olaf Kistenmacher, mit Bienenfleiß nach antisemitischen Stereotypen in den Ausgaben der „Roten Fahne“, des Zentralorgans der KPD der 1920er und frühen 30er Jahre, fahnden. Dagegen hieß es in unserem (Alf, RO und DD) Debattenbeitrag u. a.: „Dass die Linke in Deutschland, namentlich die sozialdemokratisch oder kommunistisch organisierte Arbeiterbewegung … – obendrein ohne ernsthafte Gegenwehr – sich hat zertrümmern lassen, bezeichnet ihr entscheidendes Versagen in der sogenannten Judenfrage, die in Wahrheit natürlich die Antisemitenfrage ist. Mit ihrer eigenen Niederlage hat sie das Schicksal der europäischen Juden besiegelt.“ * Meine Argumentation bezüglich des von mir so apostrophierten „Bruch[s] in der Klassenbewegung des Proletariats“, den die Shoa markiere, nimmt darüberhinaus mit einigem Bedacht Bezug auf das in ganz ähnlicher Weise markante Datum, welches „das Jahr 1914 bezeichnet.“ Dessen Bedeutung für die weltgeschichtliche Rolle des Proletariats dürfte unter uns sicher weit weniger umstritten sein als die der Shoa, nimmt doch derjenige Kommunismus, auf den unsere „Plattform“ rekurriert hat, von diesem Datum, wenn auch nicht seinen Anfang, so jedenfalls seinen Neuanfang. Strittig ist anscheinend nur der in der Präambel unserer „Eckpunkte“ festgehaltene Befund dessen allzu frühzeitigen Endes, von dem „die Shoa … niederschmetterndes Zeugnis“ ablege. Auf diesen Neuanfang indes spielt in gewisser, etwas verklausulierter, vielleicht auch gar nicht gewusster Weise der Beginn besagter Präambel an, der immerhin (darauf habe ich auch in unserer Diskussion aufmerksam zu machen versucht) da lautet: „Der Kommunismus, der erneute Kampf um den revolutionären Übergang zur klassen- und daher staatenlosen, zur menschlichen Gesellschaft, steht auf der Tagesordnung. Das Proletariat muss sich seiner geschichtlichen Aufgabe stellen, sonst droht der Untergang in der Barbarei.“ Das Diktum nämlich, dass die Menschheit im gegebenen Moment vor der Alternative stehe: „Sozialismus oder Barbarei“, stammt aus Rosa Luxemburgs 1915 verfasster Broschüre „Die Krise der Sozialdemokratie“ (wegen ihres damals verwendeten Pseudonyms auch bekannt als „Junius-Broschüre“). Es liefert in einigen Ausgaben der Schrift sogar die Überschrift für deren Teil I. Die Aussage, „die bürgerliche Gesellschaft“ stehe vor dem „Dilemma: entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei“, schreibt Rosa Luxemburg darin (im Gefängnis wahrscheinlich eine Stelle aus dem Anti-Dühring[3] aus dem Gedächtnis heraus wiedergebend) Friedrich Engels zu (der den Begriff der „Barbarei“ in solchem Zusammenhang wahrscheinlich nie gebraucht hat, was hier aber nichts zur Sache tut) und fährt dann fort: „Dieser Weltkrieg – das ist ein Rückfall in die Barbarei. Der Triumph des Imperialismus führt zur Vernichtung der Kultur – sporadisch während der Dauer eines modernen Krieges, und endgültig, wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen also heute, genau wie Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor vierzig Jahren, voraussagte, vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration, ein großer Friedhof. Oder Sieg des Sozialismus …“ (Gesammelte Werke Bd. 4, S. 62) Die Entscheidung aber darüber legt sie (mit nicht sehr geglücktem Pathos) ganz in die Hände des Proletariats: „Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte, ein Entweder – Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschluß des klassenbewußten Proletariats. Die Zukunft der Kultur und der Menschheit hängt davon ab, ob das Proletariat sein revolutionäres Kampfschwert mit männlichem Entschluß in die Waagschale wirft.“ (Ebd.) In einigermaßen befremdlichem Kontrast zu dieser Inpflichtnahme des Proletariats und also nicht zuletzt seiner organisierten und organisierenden Kräfte steht allerdings ihre Bewertung der folgenden Deklamation, die sie kurz vor dieser Stelle in derselben Schrift als einen letzten „noch“ gegen „den Krieg“ gerichteten Aufruf ihrer Partei aus dem Vorwärts vom 30. Juli 1914 zitiert. „Das sozialistische Proletariat“, heißt es darin, „lehnt jede Verantwortung für die Ereignisse ab, die eine bis zum Aberwitz verblendete herrschende Klasse heraufbeschwört. Es weiß, daß gerade ihm neues Leben aus den Ruinen blühen wird. Alle Verantwortung fällt auf die Machthaber von heute. Für sie handelt es sich um Sein oder Nichtsein! Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!“ (Ebd. S. 61) „Und dann kam“, fährt Rosa Luxemburg direkt fort, „das Unerhörte, das Beispiellose, der 4. August 1914“ (ebd.), nämlich der Tag, an dem die SPD im Reichstag der Bewilligung der Kriegskredite zugestimmt hat. Als hätte nicht bereits jener soeben von ihr zitierte Aufruf des Vorwärts den Offenbarungseid der Partei im Angesicht des heraufziehenden Krieges hinreichend klar dokumentiert. Und als hätte nicht die (im II. Teil der Broschüre zitierte) Erklärung der Reichstagsfraktion, mit der diese ihre Entscheidung für die Kriegskredite begründet, vielmehr genau die Konsequenz gezogen, welche jener Offenbarungseid zuvor schon nahegelegt hatte: „Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecken feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel ...“ (Ebd. S. 63) „Mit dieser Erklärung“, behauptet Rosa Luxemburg im Anschluss, habe „die Reichstagsfraktion … die Parole“ ausgegeben, „welche die Haltung der deutschen Arbeiterschaft im Kriege bestimmen und beherrschen sollte … Alles andere ergab sich daraus als einfache Folge: die Haltung der Parteipresse und der Gewerkschaftspresse, der patriotische Taumel der Massen, der Burgfrieden, die plötzliche Auflösung der Internationale – alles war nur unvermeidliche Konsequenz der ersten Orientierung, die im Reichstag getroffen wurde.“ (Ebd. S. 63 f) In Wahrheit jedoch hatte die Zentralkommission der Gewerkschaften schon zwei Tage vorher der deutschen Bourgeoisie für die Verteidigung ihres Vaterlandes den denkbar größten Kredit gegeben, den sie zu bieten hatte, indem sie beschloss, alle Lohnbewegungen und Streiks abzubrechen.[4] „Wenn die Reichstagsfraktion am 4. August die Kriegskredite abgelehnt hätte“, schreibt dazu Richard Müller, „wäre es zum Bruch mit den Gewerkschaften gekommen und zur Spaltung der Arbeiterbewegung.“ („Geschichte der deutschen Revolution“, Band I, Berlin [Olle & Wolter] 1974, S. 75) Mit ihrer Ablehnung „jede[r] Verantwortung für die Ereignisse“, die da wer auch immer „heraufbeschwört“, hatte die Sozialdemokratie just in einem Zeitpunkt, da alles auf sie, auf ihre wahrhaft geschichtliche Initiative angekommen wäre, sich selbst den Generaldispens erteilt. Und dies in dem mehr oder auch eher weniger reflektierten Wissen, dass jegliche ernsthafte Opposition gegen den unmittelbar bevorstehenden bzw. bereits begonnenen Krieg allzu konkret die Machtfrage gestellt und damit die Notwendig bedeutet hätte, alles in die Waagschale zu werfen, worüber sie verfügte, bis hin zur Rüstung für den Bürgerkrieg.[5] Weil die Mehrheit der Sozialdemokratie samt Gewerkschaften diese bestimmte „Verantwortung“ schon lange nicht mehr zu übernehmen bereit war, entschied sie sich fürs mehr oder auch weniger begeisterte Mitmachen beim nun einmal zur „ehernen Tatsache“ gewordenen Krieg. Alles andere, das Heulen mit den Wölfen, das Schönreden und Rechtfertigen des eigenen Mittuns, floss dann in einem gewissen Selbstlauf aus dieser einen „unerhörten“, „beispiellosen“, in Wahrheit aber lange vor dem 4. August angebahnten und vielfach sicher auch bereis getroffenen Entscheidung. * Der „Untergang in der Barbarei“ erwies sich, wie man heute weiß, dann doch zunächst als nur „sporadisch“ und noch nicht etwa „endgültig“. Sogar der „patriotische Taumel“ hatte sich, was das Proletariat anging, durchaus in Grenzen gehalten. Allzu viel hatte es vom in der langen eher friedlichen Zeit davor Erstrittenen verloren – zuerst, gleich zu Beginn in Gestalt einer verheerenden Massenarbeitslosigkeit, sehr bald gefolgt vor allem von, je länger der Krieg dauerte, desto schlimmerem Hunger. (Die Nazis zogen daraus später ihre Lehren.) Noch hatte daher das Proletariat aus dieser Erfahrung (mit Rosa Luxemburg zu sprechen) „zu lernen nicht verlernt“, hatten seine Organisationen Bestand behalten und bewiesen sogar Kraft zur Erneuerung. Keine zwanzig Jahre später sah es dann ganz fürchterlich anders aus. Denn das „Dilemma der Weltgeschichte“, jenes „Entweder – Oder“ von „Barbarei und Sozialismus“ war mit dem Ende des Krieges und der ersten Welle revolutionärer Erhebungen des Proletariats in Europa ja keineswegs entschieden. Noch weniger war diese Entscheidung danach aber von der geschichtlichen Tagesordnung abgesetzt. Das „Dilemma“ hatte in seiner ganzen Virulenz vielmehr – namentlich im Zentrum des dramatischen Geschehens – weiterhin und damit schließlich zur nach menschlichem Ermessen „endgültigen“ Entscheidung gestanden. Und die hat dann der mit Hitlers Kür zum Reichskanzler eingeläutete Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland herbeigeführt. Dessen Grundsteinlegung wiederum war nun zwar die Zertrümmerung der Arbeiterbewegung. Aber nicht diese an sich selbst, nicht das blanke Resultat, dass alle Gewerkschaften, alle politischen und sonstigen Arbeiterorganisationen schließlich in Trümmern lagen, aus welchen die Nazis sich dann reichlich bedienten, macht die Verheerung jenes Sieges aus, die bis in unsere Jetztzeit fernwirkt. Es war die Weigerung dieser Organisationen, mit allen, weiß Gott sehr beträchtlichen Mitteln, die ihnen zur Verfügung gestanden hätten, sich ihrer drohenden Vernichtung entgegenzustemmen. Der Sieg der Nazis, „der Partei der Verzweiflung“, wie Trotzki schreibt, „war nur möglich, weil der Sozialismus, die Partei der Hoffnung, sich als unfähig erwies, die Macht zu ergreifen.“[6] Oder, so möchte ich heute ergänzen, das Stück Macht, dass sie durchaus bereits besaß, jedenfalls zu behaupten. Und in diesem Sinne trägt der Sozialismus, der Kommunismus, die Partei der Hoffnung auf das Erreichen jener „menschlichen Gesellschaft“, als welche Marx (MEW 40, S. 546) den Sozialismus bezeichnet hat; trägt die Partei der Hoffnung auf „das Gelingen der Menschwerdung des Menschentieres“ die historische Verantwortung für alles, was aus diesem entsetzlichen Triumph der Partei der Verzweiflung am Menschsein, der radikalen Absage an jegliche Humanität gefolgt ist. Eine Verantwortung, die umso schwerer wiegt, die umso mehr uns hoffende Restbestände niederdrücken und unsere Hoffnung selbst fürchterlich entstellen muss, je mehr wir diese Verantwortung ignorieren oder gar von uns weisen, statt sie anzuerkennen, zu reflektieren und so uns zu eigen zu machen. [1] Leo Trotzki: Hitlers Sieg – die Schande der Arbeiterführer (Manchester Guardian“ 22. März 1933) [2] Erst nach Abfassen dieses „Nachtrags“ kam mir die Erinnerung an einen Abschnitt in Emil Neubauers von unserer „Plattform“ im Sommer 2013 herausgegebenem und auf diesen Seiten beworbenem Buch vom „hässlichen Deutschen“, überschrieben „Die Shoah und die proletarische Emanzipation“. Darin ist sehr zu Recht von einer „verpfuschten Geschichte gerade des radikalen Flügels der europäischen Arbeiterbewegung“ die Rede sowie vom „Versagen der revolutionären Arbeiterschaft, ihrer Partei KPD und der Komintern“. Dass „die aggressiven Teile der deutschen (Finanz-)Bourgeoisie … Hitler an die Macht gebracht“ hätten, sei eine „Plattitüde“, in welchem „Konstrukt faschistischer politischer Herrschaft des NS … die Shoah bis heute nur“ als „eine der scheußlichen Nebensachen“ gelte: „Von daher gibt es für den M-L keinen Zusammenhang zwischen dem Scheitern der revolutionären Arbeiterbewegung, der daraus hervorgehenden deutschen Volksgemeinschaft und der klassenübergreifenden Vollstreckung der Vernichtung des europäischen Judentums. Die Proletarier erscheinen dabei als missbrauchte, unbefleckte Verführte.“ „Was das Verhältnis von Proletariat und Judentum angeht“, hält der Autor dem „Konstrukt“ entgegen, „so räumte das Versagen und die brutale Zertrümmerung der Träger der proletarischen Weltrevolution in Deutschland das letzte Bollwerk aus dem Weg, das dem Vernichtungsfeldzug des NS im allgemeinen und insbesondere gegen das europäische Judentum im Wege stand“. [4] Im VI. Teil der Broschüre wird dieser Beschluss der Gewerkschaften zwar erwähnt (a. a. O. S. 121), aber fälschlich als Folge der Entscheidung der Reichstagsfraktion vom 4. August einsortiert. [5] „Es genügt nicht, den Sozialdemokraten zu danken, dass sie ihr Parteiprogramm in die Ecke gestellt haben und unter der nationalen Fahne mit marschieren, sondern man muss sich auch klarmachen, welches Verdienst sie sich direkt durch ihre Organisation erworben haben. Stellen wir uns vor, wir hätten diese großen Arbeitervereinigungen nicht, sondern diese Millionen ständen dem Staat nur als Individuen gegenüber, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sich sehr viele unter ihnen befinden würden, die nicht von der allgemeinen Bewegung ergriffen, der Einberufung zur Armee passiven oder auch aktiven Widerstand entgegengesetzt hätten. Vor 1870 haben die Mobilmachungen an nicht wenigen Orten oft nur mit Gewalt durchgesetzt werden können … heute ist in Deutschland sozusagen jedermann organisiert und folgt seiner Organisation. Indem diese gesellschaftlichen Kräfte mit der staatlichen Autorität zusammenwirken, bildet sich erst jene ungeheure Kraft, die wir in dieser Mobilmachung vor unseren Augen sich entfalten sehen.“ (Hans Dellbrück in seinen Preußischen Jahrbüchern vom Sept. 1914, zitiert nach Richard Müller, a. a. O., S. 67 f) Ausblenden |
Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjektive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)
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