Die Linke und Israel

Vorschlag einer Änderung im Programmentwurf

Von Daniel Dockerill

Um das Verhältnis der Linken zum Antisemitismus im allgemeinen und im besonderen zu Israel hat es in der jüngsten Zeit wieder einmal allerhand Aufregung gegeben, sowohl außerhalb wie innerhalb unserer Partei. Im Zusammenhang damit ist sicher auch die Einfügung einer neuen Passage in den Programmentwurf zu sehen, den der Parteivorstand als Leitantrag für den kommenden Programmparteitag verabschiedet hat.

Im ersten Abschnitt („Woher wir kommen, wer wir sind“) wird in den Zeilen 240 bis 247 Folgendes dazu ausgeführt:

„Deutschland hat wegen der beispiellosen Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden während des deutschen Faschismus eine besondere Verantwortung und muss jeder Art von Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg entgegentreten. Insbesondere diese Verantwortung verpflichtet auch uns, für das Existenzrecht Israels einzutreten. Zugleich stehen wir für eine friedliche Beilegung des Nahostkonfliktes im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung und damit die völkerrechtliche Anerkennung eines eigenständigen und lebensfähigen palästinensischen Staates auf der Basis der Resolutionen der Vereinten Nationen.“

Ich schlage vor, diese Formulierung (deren näheren Zusammenhang ich hier aus Platzgründen weglasse und im vielfach öffentlich zugänglichen Programmentwurf nachzulesen bitte) durch die folgende zu ersetzen:

Für die Juden Europas kam die Zerschlagung des deutschen Faschismus jedoch zu spät. Von den knapp Zehnmillionen, die zuvor in Europa gelebt hatten, waren Sechsmillionen dem bespiellosen Verbrechen der Deutschen zum Opfer gefallen. Israel, der Staat der Juden, ist die seither unbezweifelbare Konsequenz aus der trostlosen Erfahrung, dass die Menschheit aller Aufklärung, allen bürgerlichen und sozialistischen Emanzipationsversprechen zum Trotz dies hat geschehen lassen. Für die Linke in Deutschland folgt daraus, dass sie allen Bestrebungen entgegentritt, Israels Souveränität infrage zu stellen oder gar mit irgendeiner jener zahlreichen Kräfte in der Welt zu paktieren, die seine Existenz auslöschen wollen.

Begründung

Eine „besondere Verantwortung“ Deutschlands geltend zu machen, ist der denkbar schlechteste Weg, das Verhältnis der Linken in Deutschland zu Israel zu begründen. Und dieses wäre mit der Bejahung des Existenzrechts Israels nur ganz unzulänglich bestimmt.

Das Recht zu existieren hatten die Sechsmillionen Gemordeten der Shoa genau solange, wie die Gewalten, die dort herrschten, wo sie lebten, ihre Existenz beschützten. Mit dem Wechsel des Charakters dieser Gewalten endete ihr Existenzrecht und sie wurden Opfer eines von Staats wegen durchgeführten Mordprogramms. Von den knapp Viermillionen, die überlebten, verdankten allein Zweimillionen ihre Rettung dem Umstand, dass zwischen ihnen und der deutschen Mörderbande immer die Rote Armee gestanden hatte.

Ohne eine Gewalt, die es garantiert, ist jedes Recht eine Fata Morgana. Denn Recht gibt es nur dort, wo das darin geschützte Interesse durch andere Interessen bedroht ist. Gäbe es nicht Mord, Totschlag und dergleichen, käme niemand auf die Idee ein Recht auf Leben zu geltend zu machen. Gegenüber einer tödlichen Krankheit jedenfalls verlöre es jeden Sinn.

Bis zur Gründung des Staates Israel lag das Schicksal der Juden nirgendwo auf der Welt in ihren eigenen Händen. Ihre Rechte hingen überall ganz und gar davon ab, dass die am Ort ihrer Existenz ausschlaggebende Gewalt sie mit allen anderen Menschen dort gleichstellte. Nicht die Juden selbst stellten sich gleich mit allen anderen, sondern sie wurden von anderen gleichgestellt – oder auch immer wieder einmal, wenn es opportun schien, einer Sonderbehandlung unterzogen.

Zur Kenntnis zu nehmen, dass genau das, seit es Israel gibt, sich geändert hat, fällt in Deutschland offenbar besonders schwer. Dass der Staat der Juden über seine Sicherheit und die seiner Bürger aus eigener Souveränität disponiert, darf einfach nicht sein. Eine deutsche Kanzlerin vor der Knesset machte es darum im Jahre 2008 nicht darunter, die „Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels“ zur deutschen Staatsräson auszurufen. Und das deutsche Parlament war im vergangenen Jahr so frei, einstimmig, also mit den Stimmen der LINKEN, der israelischen Regierung darzulegen, was „den politischen und Sicherheitsinteressen Israels letztlich“ diene, und die Aufhebung der Seeblockade des von den Antisemiten der Hamas regierten Gazastreifens zu verlangen.

Vielleicht erinnert sich ja noch jemand. Es ist gut zwölf Jahre her, dass wir live mitansehen durften, welche Ungeheuerlichkeiten sich motivieren lassen mit einer „besonderen Verantwortung“, die ausgerechnet Deutschland ausgerechnet aus seinem Menschheitsverbrechen zugewachsen sein soll. Im Frühjahr 1999 erklärte eine rot-grüne deutsche Regierung explizit wegen Auschwitz Jugoslawien den Krieg und ließ deutsche Tornados den Natobomben auf Belgrad ihren Weg ins Ziel weisen.

Die aus dem deutschen Verbrechen entspringende „besondere Verantwortung“ ist bei jenem Deutschland, dessen durch schwer bewaffnete Mächte bewachte Spaltung Europa gut 40 halbwegs friedliche Jahre beschert hatte und dessen Wiederherstellung nach 45 Jahren kaum zufällig mit der Rückkehr des Krieges nach Europa einherging, zweifellos am allerschlechtesten aufgehoben. Eine Linke, die sich auf ihre ganz eigene Verantwortung besänne, die ihr aus den „beispiellosen Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden“ allerdings erwächst, hätte sich nicht ausgerechnet auf dieses mit sich selbst in so furchtbarem Einvernehmen sich befindende Deutschland zu berufen. Sie hätte sich zu erinnern, dass die Besitzlosen und Ausgebeuteten nirgendwo auf der Welt und am wenigsten hierzulande ein Vaterland haben; sie hätte sich zu erinnern, dass die beste Zeit jener Sozialdemokratie, deren Tradition sie für sich reklamiert, diejenige war, da ihre Anhänger als „vaterlandslose Gesellen“ geächtet waren, und dass die finsterste Nacht über Europa und insbesondere über den europäischen Juden hereinbrach, als man in Deutschland mit allen Parteien und Organisationen, in denen auch nur irgendein Rest dieser Vaterlandslosigkeit noch vermutet werden konnte, vollends Schluss gemacht hatte.

Was die mögliche Existenz, Lebensfähigkeit sowie Anerkennung eines „palästinensischen Staates“ angeht, so scheinen mir dergleichen Fragen kein größeres programmatisches Gewicht zu besitzen als etwa die nach der Unabhängigkeit des Südsudan oder Kurdistans, zu denen aus gutem Grund im Programmentwurf nichts steht. Mit den Fragen eines palästinensischen Staates sollten wir es in unserem Programm daher ganz ebenso halten.

[Red. Anm. v. Okt. 2023: Nachträglich hier dokumentierter Beitrag aus der Mitgliederzeitschrift „Info DIE LINKE. Schleswig-Holstein“ vom August 2011]

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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