Tarifeinheit, die Gewerkschaften, die SPD und die LINKE

Nach AGENDA 2010 und HARTZ IV arbeitet die SPD weiter an der Schwächung der Arbeiterklasse – Die LINKE verhilft dem Interesse der Lohnabhängigen zum Durchbruch

Von Ralph Odd und Daniel Dockeril

Am 6. Juni dieses Jahres schrieb Berthold Huber, der derzeitige Vorsitzende der IG Metall, dem „lieben Michael“, seines Zeichens Vorsitzender des DGB, einen Brief, in dem es hieß:

„Die IG Metall hält die Initiative für Tarifeinheit weiterhin für richtig und wichtig. (…) Neue Argumente, die zu bedenken wären, sind in den Debatten und Beiträgen der letzten 18 Monaten nicht vorgebracht worden.“

Gesetzliche Regelung der Tarifeinheit: ein Angriff auf das Streikrecht

Worum geht es? So ziemlich genau ein Jahr zuvor, am 4. Juni 2010 haben der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, auf einer Pressekonferenz eine gemeinsame Initiative vorgestellt, die so genannte Tarifeinheit gesetzlich zu regeln.

Sie forderten, durch eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes künftig gesetzlich vorzuschreiben, dass für gleichartige Arbeitsverhältnisse in einem Unternehmen nur ein einziger Tarifvertrag zur Anwendung kommen darf. Im Falle von mehreren Tarifverträgen soll dann derjenige Tarifvertrag, den die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Unternehmen abgeschlossen hat, alle anderen verdrängen. Darüber hinaus soll die aus dem vorrangigen Tarifvertrag sich ergebende Friedenspflicht, während der nicht gestreikt werden darf, für alle Arbeitnehmer im Betrieb gelten. Auch dann, wenn sie der Gewerkschaft, die den Vertrag abgeschlossen hat, gar nicht angehören. Dies läuft auf ein gesetzliches, also nicht aus einem freiwilligen Vertrag sich ergebendes Streikverbot für diese Arbeitnehmer hinaus und damit auf eine erhebliche Einschränkung des Streikrechts. Von namhaften und insbesondere auch gewerkschaftsnahen Juristen wird sie daher als klare Verletzung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit und folglich als verfassungswidrig eingeschätzt.

Aus den Bundestagsfraktionen der Regierungsparteien und der SPD ist die Initiative sofort begrüßt worden. Die Fraktionsspitze der CDU ebenso wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel signalisierten sogar ihre Bereitschaft, nötigenfalls das Grundgesetz entsprechend zu ändern.

Der Widerstand formiert sich

In den DGB-Gewerkschaften war die DGB-BDA-Initiative bis dahin nicht zur Diskussion gestellt worden. Ja, es darf sogar bezweifelt werden, dass sie überhaupt bekannt war. Umso heftiger setzte ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe die Diskussion ein.

Die zweifellos wichtige größtmögliche Einheit unter den Arbeitnehmern darf keine Sache staatlichen Zwanges werden, bei dem dann nicht mehr nach dem Sinn und Zweck dieser Einheit für die Arbeitnehmer gefragt wird, sondern Unternehmenswohl und Staatsräson im Vordergrund stehen. Die Einheit muss die Sache politisch-praktischer Überzeugung und freiwilliger Einsicht bleiben. Gewerkschaftliche Initiativen zur gesetzlichen Einschränkung des Streikrechts – noch dazu im Schulterschluss mit den Arbeitgebern – kommen prinzipiell nicht in Frage. So der Tenor der Kritik. Und überhaupt, so ein Beschluss des Fachbereichs 8 von ver.di Brandenburg, sei es „ein elementarer Verstoß gegen die gesamte Geschichte, Politik und Kultur der Gewerkschaftsbewegung, sich mit Arbeitgeber-Organisa­tionen über die Ausgestaltung des Streikrechts zu verständigen und hierzu gemeinsam Gesetzesinitiativen von der Politik zu fordern.“

Helmut Platow, damals noch Leiter des Bereichs Recht bei ver.di, der ver.di Mitbegründer Detlef Hensche und der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler, um nur einige namentlich zu nennen, sowie viele andere haben seitdem ausführliche politische und juristische Argumente ins Feld geführt, die die nachgeschobenen Rechtfertigungen der Gesetzesinitiative restlos widerlegen.

Auch die LINKE Schleswig-Holstein sprach sich entschieden dagegen aus. Auf dem Landesparteitag vor knapp einem Jahr verabschiedete der Landesverband nahezu einstimmig einen Antrag mit dem Titel: „Das Streikrecht schützen. Ablehnung einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit.“ Mit dem so gefassten Beschluss waren alle gewerkschaftlich organisierten Parteimitglieder aufgefordert, in ihren Gewerkschaften für entsprechende Beschlüsse gegen jede gesetzliche Einschränkung des Streikrechts einzutreten. In der Folge fanden sich in etlichen einschlägigen Beschlüssen gewerkschaftlicher Gremien ganze Passagen aus der seinerzeitigen Begründung unseres Parteitagsbeschlusses wieder, so z.B. im Beschluss der Bundeskonferenz der Fachbereiche 6, 7 und 8 von ver.di. Die Delegiertenversammlung der Kieler IG Metall beschloss auf Initiative von Mitgliedern der LINKEN nahezu einstimmig einen entsprechenden Antrag an den kommenden Gewerkschaftstag.

Der Wind in den Gewerkschaften hatte sich bald komplett gedreht, so dass Arbeitgeberpräsident Hundt sich schließlich genötigt sah, zur Eile zu mahnen. In der Stuttgarter Zeitung vom 8. April ließ er sich mit den Worten zitieren, es

„machten sich ‚linke Kräfte‘ im Gewerkschaftsbund zunehmend gegen die Tarifeinheit stark und ‚stellen die bisherige Position des DGB in Frage‘. DGB-Chef Michael Sommer habe ihm jüngst gesagt, dass er seine Position bald nicht mehr halten könne, so Hundt zur StZ. Sommer schlägt ein immer größerer Widerstand entgegen, weil etliche Gewerkschafter in der gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit einen Eingriff in das Streikrecht sehen.

Der Arbeitgeberalarm kam jedoch zu spät.

Gewerkschaftsführung lenkt ein – Basis setzt sich durch

Am 25. Mai entschied der ver.di-Gewerkschaftsrat auf Antrag des Bundesvorstandes, aus der Gesetzesinitiative auszusteigen. Die gleiche Empfehlung gab er dem DGB, der dieser wenig später folgte. Entsprechend groß war das Geschrei. BDA-Präsident Dieter Hundt gab am folgenden Tag dem Darmstädter Echo zu Protokoll, „er bedauere die Entscheidung Verdis.“ Die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften werde, so Hundt wörtlich: „vornehmlich von linksideologischen Stimmen verschärft“. Dass auch die SPD sich mit diesem Ergebnis nicht zufrieden geben würde, machte am selben Tag der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Garrelt Duin klar:

„Eine Radikalisierung von Tarifauseinandersetzungen könne sich zur Gefahr für den Standort Deutschland auswachsen. Falls die Regierung jetzt kneife, behalte sich die SPD einen eigenen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vor“,

wird er in derselben Zeitung zitiert. Erinnern wir uns. Wie schrieb Huber doch gleich?

„Die IG Metall hält die Initiative für Tarifeinheit weiterhin für richtig und wichtig. (…) Neue Argumente, die zu bedenken wären, sind in den Debatten und Beiträgen der letzten 18 Monaten nicht vorgebracht worden.“

Was will uns das sagen? Die ganze, höchst lebhafte Debatte bei ver.di bloß heiße Luft, in der Argumente für die Entscheidungsfindung keine Rolle gespielt hätten? Diese Ignoranz gegenüber der argumentativ hochklassig geführten Debatte ist eine Arroganz der Macht, deren Interessiertheit ihr aus allen Knopflöchern schaut. Wie Dieter Hundt mehrfach darauf verwiesen hat, dass die sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre im DGB wohl ihren Laden nicht im Griff hätten, so wirft Berthold Huber in seinem Brief umgekehrt dem BDA vor: „Faktisch ruht die Initiative schon seit Monaten, da der BDA in den Regierungsparteien keine Zustimmung organisieren konnte.“ Darauf reduziert sich also die Differenz zwischen Arbeitgeberverband und sozialdemokratischen Gewerkschaftern. In der Sache sind sie sich ganz einig: gesetzliche Einschränkung des Streikrechtes und damit Aufhebung der Koalitionsfreiheit; Illegalisierung der Kampfmittel der lohnabhängigen Klasse. Die Frage ist nur, wer ihr effektiver zu dienen versteht.

Der Sozialdemokrat an der Spitze der IG Metall hält sich jedenfalls für die Zukunft alle Optionen offen, wenn er weiter schreibt:

„Der DGB sollte dem Eindruck entgegenwirken, dass die Initiative aus inhaltlichen Gründen falsch war. Die Verantwortung liegt einzig und allein bei den Arbeitgebern. Dies muss, soweit erforderlich, in den Verlautbarungen des DGB deutlich werden.“

Man beachte das Kleingedruckte: „soweit erforderlich“! In der momentanen politischen Konstellation einer geschwächten rein bürgerlichen Regierung ist das Vorhaben offensichtlich nicht durchsetzbar, das sieht auch ein Huber ein. Aber das muss man nicht unbedingt an die große Glocke hängen und schon gar nicht, dass das gewohnte sozialdemokratische Kommandoregime in den Gewerkschaften in dieser Sache eine herbe Niederlage eingefahren hat. Es winken schließlich wieder bessere Tage: Rot-Grün ist im Aufwind, und man wird vielleicht bald Gelegenheit haben, dem Sozialpartner auf der Arbeitgeberseite einmal mehr zu zeigen, wie gut die bürgerliche Arbeiterpolitik ihren Laden im Griff hat, wenn man sie nur wieder machen lässt.

Gäbe es HARTZ IV, wenn es die LINKE schon gegeben hätte?

Das erinnert an die Geschichte, wie uns seinerzeit Hartz IV beschert wurde. Auch dieses extrem arbeitnehmerfeindliche Gesetz ist, wie schon sein Namensgeber Peter Hartz bezeugt, mit aktiver Beteiligung einflussreicher Gewerkschafter unter Federführung der SPD auf den Weg gebracht worden. Dem auch in den Gewerkschaften durchaus vorhandenen Unmut gegen das Vorhaben wurde durch Protestaktionen zunächst etwas Luft verschafft, die aber ziemlich lustlos organisiert waren und gleich im Anschluss von Michael Sommer offiziell ganz abgeblasen wurden. Und zwar genau für die Zeit, die Rot-Grün brauchte, um das Gesetz durchs Parlament zu bringen. Erst danach durfte sich gewerkschaftlicher Protest gegen Schröders Agenda wieder öffentlich regen.

In einem Land mit solch gesetzestreuen Bürgern wie in Deutschland war das fatal. Wir haben es alle erlebt und erleben es immer noch, wie felsenfest und schier unverrückbar Hartz IV, einmal Gesetz geworden, sich der sozialen Wirklichkeit in diesem Land aufgeprägt hat.

Als Hartz IV gemacht wurde, gab es unsere Partei noch nicht. In den Gewerkschaften konnte die SPD noch ziemlich unangefochten schalten und walten. Dass es unsere Partei jetzt gibt, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass nicht wenige aktive Gewerkschafter nach einer Alternative zur SPD gesucht haben. Die LINKE insgesamt und darin auch die LINKE. S-H. haben deshalb keinen geringen Anteil daran, dass diese gefährliche Kooperation zwischen sozialdemokratischen Spitzenfunktionären und Kapital zulasten der Kampffähigkeit der Lohnabhängigen dieses Mal zurückgewiesen wurde. Das zeigt: Die LINKE wirkt.

Und es eröffnen sich Spielräume. Auch in den Gewerkschaften. Schon zu Beginn der Debatte um die Tarifeinheit schrieb Klaus Ernst am Schluss eines Artikels im Tagesspiegel:

„Einen Punkt können wir uns nicht vorstellen: Die Einschränkung des Streikrechtes. Wir brauchen im Gegenteil die Ausweitung dieses Widerstandsrechtes, wir brauchen die definitive Klarstellung, dass auch ein politischer Streik in Deutschland legal ist.“

Welche Klarstellung eines Rechts wäre definitiver als dessen praktische Ausübung, und wofür läge ein politischer Streik näher als für die Abwehr des Versuchs einer Einschränkung des Streikrechts! Daran sollten wir denken, wenn vielleicht demnächst eine neue rot-grüne oder sonstwie sozialdemokratisch gedeckte Regierung sich einfallen lassen sollte, ein weiteres großes Geschenkpaket für die Arbeitgeber zu schnüren und eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit hineinzutun.

[Beitrag aus der Mitgliederzeitschrift „Info DIE LINKE. Schleswig-Holstein“ vom August 2011]

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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