Buchenwald verschwört

Das eigenartige Schicksal eines Änderungantrags an den Programmparteitag der LINKEN

Von Daniel Dockerill

Der Text erschien zuerst im Dezemberheft 2011 der Zeitschrift konkret

Im gut 260 Seiten starken „Antragsheft 3“[1] zum Parteitag, den die Partei Die Linke im Oktober in Erfurt zur Beschlussfassung über ihr Programm abgehalten hat, findet sich unter der Antragsnummer „PR.72.“ ein Antrag mit dem Titel „‚Schwur von Buchenwald‘ korrekt zitieren!“. Der Antrag begehrte, die folgende Passage aus dem vom Parteivorstand als Leitantrag vorgelegten Programmentwurf zu korrigieren:

„Der Schwur von Buchenwald ‚Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus‘ hatte in den 50er Jahren nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Westdeutschland eine große Ausstrahlung.“

Korrektur war da in der Tat nötig, denn die zwar landauf und -ab in der Antifa-Szene immer wieder gerne als Buchenwaldschwur zitierte Formel „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ kommt im wirklichen Schwur der überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald nicht vor – weder wörtlich, noch auch nur sinngemäß. „Der wirkliche Schwur von Buchenwald wurde“, wie die Antragsbegründung richtigstellte, „am 19. April 1945 bei einer Trauerfeier der etwa 21.000 Überlebenden des befreiten KZs geleistet. In ihrer Trauerfeier gedachten die Überlebenden zunächst der 51.000 gemordeten Gefangenen sowie insbesondere des am 12. April 1945 gestorbenen ‚großen Freundes der Antifaschisten aller Länder‘ und ‚Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt‘, Franklin D. Roosevelt, und dankten ‚den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen.‘“ Und in dem die Feier beschließenden Schwur heißt es:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“

Der Antrag schlug vor, die drei letzten dieser Sätze aus dem wirklichen Schwur gegen die kolportierte „Nie-wieder“-Formel auszutauschen.

Jene Formel ebnet alle Unterschiede und Gegensätze der in jedem wirklichen Krieg gegeneinander stehenden Parteien völlig gedankenlos ein und bringt die Beendigung des Faschismus herunter auf einen frommen Wunsch. Sie passt damit allerdings wie der Deckel auf den Topf zu einer deutschen Bevölkerung, deren widerständige Elemente seinerzeit nahezu vollständig entweder ins Exil vertrieben worden oder in den KZs verschwunden waren; einer Bevölkerung, deren Loyalität gegenüber dem verbrecherischen Naziregime daher bis zum letzten Schuss gehalten, die dessen Krieg mit ihm zusammen verloren und das Ende der faschistischen Herrschaft gewissermaßen als Vorsehung erlebt hat.

Der Anpassung des dereinst aus Lagern und Exil unter die gewöhnlichen Deutschen zurückgekehrten Antifaschismus an deren so geprägte Psychologie mag die seltsame Verzerrung geschuldet sein, die der wirkliche Schwur der Überlebenden von Buchenwald im kollektiven Gedächtnis der Antifa bis heute erfahren hat. Waren sich die Schwörenden noch völlig im Klaren darüber, dass jene „Welt des Friedens und der Freiheit“ ein zu erkämpfendes „Ziel“ ist, kommt diese in der bis heute kolportierten Beschwörungsformel als vom Himmel gefallener Zustand daher, den es mit einem fleißigen „Nie wieder“ nur mehr festzuhalten gälte.

Auf dem Parteitag wurde der Änderungsantrag nicht behandelt, obwohl er rechtzeitig eingegangen und der Antragssteller ein Gremium des Landesverbands Schleswig-Holstein war, er demnach hätte behandelt werden müssen. Der Grund: Der Parteivorstand hatte seine Behandlung dadurch scheinbar erledigt, dass er ihn seinem Leitantrag einverleibt hatte – ohne allerdings die Verfälschung zu entfernen. Diese und ihre Korrektur stehen jetzt einträchtig nebeneinander. Die Linke, wie sie leibt und lebt.

 

 

 

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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