von Daniel Dockerill
Na schön, an solchen Tagen, da in Deutschland links die Sorge um den Weltfrieden regelmäßig ganz oben auf der Tagesordnung steht, ist von dieser Seite kaum Gutes zu erwarten. Gerade steht so ein Datum wieder vor der Tür: der dem Gedenken an den, nun ja, „Ausbruch“ des Zweiten Weltkriegs gewidmete 1. September – alljährlich begangen als „Antikriegstag“.
Nur exemplarisch für das, was jedes Jahr an allen Ecken und Enden in Deutschland bei solcher Gelegenheit passiert, sei hier berichtet vom „Antikriegstag“ 2006 im schönen Land zwischen den Meeren. Dort erinnerten an diesem Tag die Vorsitzenden[1] der Linkspartei Schleswig-Holstein (damals noch nicht mit der WASG zur Partei die Linke fusioniert) an den 67 Jahre zuvor „mit dem Überfall“ (immerhin!) „des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen“ begonnenen „verbrecherischen“ Krieg, gedachten seiner Opfer und mahnten, wie es Sitte ist, „für die Zukunft Frieden an.“ Denn, so die Überschrift ihres Gedenkens, die zum Gegenstand wahrhaftig passt wie die Faust aufs Auge: „Krieg löst keine Konflikte“. Und in einem Tonfall, der keinen Einwand duldet, wiederholten sie’s im Text: „Krieg löst keine Konflikte, er schafft nur neue und verschärft bestehende.“
Wie gesagt: Das fromme Sprüchlein pries man an als die Quintessenz seines Innehaltens „zu diesem Datum“, dem 1. September des Jahres 1939.
Eine Woche vor „diesem Datum“, am 23. August 1939, hatten seinerzeit Stalin und Hitlers Außenminister Ribbentrop jenen Friedenspakt unterzeichnet, der Hitler den Weg nach Polen freigemacht gemacht hatte.
„Krieg löst keine Konflikte“? In dem Zusammenhang? Das klingt, als tönten Stalin, Molotow, Dimitroff et altera aus ihren Gruften:
„Für einen … Krieg kann in keiner Weise eine Rechtfertigung gefunden werden. Man kann die Ideologie des Hitlerismus, wie auch jedes andere ideologische System, anerkennen oder ablehnen, das ist eine Sache der politischen Anschauungen. Doch wird jedermann begreifen, dass man eine Ideologie nicht mit Gewalt vernichten, dass man ihr nicht durch den Krieg ein Ende machen kann. Daher ist es nicht nur sinnlos, sondern auch verbrecherisch, einen Krieg wie den Krieg für die ‚Vernichtung des Hitlerismus‘ zu führen, …“[2]
So im O-Ton Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, Außenminister der Sowjetunion, am 31. Oktober 1939. Und die durch Dimitroff zum willigen Werkzeug der stalinschen Außenpolitik zugerichtete Kommunistische Internationale proklamierte England, das wegen des Überfalls auf Polen Deutschland den Krieg erklärt hatte, „zum gefährlichen Kriegsbrandstifter und … Hauptfeind der internationalen Arbeiterklasse“.
Bekanntermaßen hat die Wirklichkeit diese schändliche Politik sehr bald auf die denkbar grausamste Weise wieder einkassiert. Am Ende des Krieges, der sich dann doch als der einzige Weg erwies, der „Ideologie“ des Hitlerismus ein Ende zu setzen, waren ihr mehr als 26 Millionen Sowjetbürger zum Opfer gefallen. Was offenbar nicht hindert, dass 67 Jahre danach und alle Jahre wieder manche derer, die nolens volens mit dem Erbe dieser Politik bepackt sind, deren verlogene, jeglicher Moral hohnsprechende Parole – wenn auch vermutlich ganz ahnungslos – als ewig gültige Einsicht und lauterste Maxime für alle Zukunft auf ihre Fahnen schreiben.
Tröstlich nur, dass es politisch bis auf weiteres auf sie kaum ankommt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Zum Beispiel der in diesem Frühjahr wie ebenfalls jedes Jahr über die Bühne gegangene „Ostermarsch“. In der Landeshauptstadt Kiel so unvermeidlich wie überall. Bietet er doch hier wie andernorts der lernresistenten linken Friedensrhetorik einen kurzen Moment lang die Gelegenheit, für Grundsätzliches auch über die eigene Gemeinde hinaus Gehör zu finden.
Wie jedes Jahr? Na ja, nicht ganz. Zwar galt die Sorge wie immer dem Frieden in der Welt. Und wie auch fast jedes Jahr sind als dessen Störenfriede ausgemacht: die USA, der Westen (hierin Deutschland inklusive), die Nato und last but not least – Israel. So weit, so altbekannt.
Diesmal jedoch schaute die ganze friedensbewegte Welt auf die Stadt an der Förde. Es ging – na klar! – um Israel. Ein greiser Nobelliterat, beheimatet nicht weit von hier, bei Lübeck, hatte sein Schweigen gebrochen und die Welt wachgerüttelt. „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, schallte es aus ihm; und dass es „schon morgen zu spät sein“ und ein israelischer „Erstschlag … das … iranische Volk auslöschen könnte“. Der ganze in Gedichtform gekippte bösartige Blödsinn gedruckt in einer Reihe großer Nachrichtenblätter[3] und am Tag der Publikation Headline unter anderem beim Flagschiff der deutschen Fernsehnachrichten.[4]
Anlass zu dem Brimborium sei, dichtete der Dichter: dass „ein weiteres U-Boot nach Israel / geliefert werden soll, dessen Spezialität / darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe / dorthin lenken zu können, wo die Existenz / einer einzigen Atombombe unbewiesen ist“ (die, darf hier vielleicht ergänzt werden, ja auch von niemand behauptet wird. Dass die iranische Bombe eines Tages existieren könnte, möchte Israel, wenn auch keineswegs, wie der Dichter lügt, mit Nuklearsprengköpfen, ja gerade verhindern).
Das U-Boot, das jetzt also drohe, den Weltfrieden vollends zugrunde zu richten, wird gebaut auf der Kieler Werft HDW, Tochter der ThyssenKrupp Marine Systems. Logisch, dass der diesjährige Kieler Ostermarsch die Sache zu seiner Herzensangelegenheit gemacht hatte. Die „Sofortige Stilllegung der Kieler U-Boot-Produktion“ forderte daher das als Veranstalter von Auftakt- und Abschlusskundgebung firmierende „Kieler Friedensforum“ – leider nicht. Ein Hauch politischer Realismus möchte schon sein. Stillgelegt wünschte man sich allein und zielgenau – es geht schließlich um den Weltfrieden – die Produktion „für Israel“. Geschäftsleitung samt Arbeitsplatzbesitzern der Werft konnten also aufatmen: Ansonsten durfte das Geschäft mit der Rüstung zur See weitergehen wie bisher.
HDW, lesen wir auf der offiziellen Firmenseite im Internet, sei „Partner der Deutschen Marine“ und habe „bislang Unterwasserboote für den Küsten- und Hochseeeinsatz auch an die Marinen von 16 weiteren Ländern weltweit geliefert“. Darunter findet sich beispielsweise die Türkei, die in letzter Zeit unverkennbare Anstrengungen unternimmt, in eben jenem „hochbrisante[n] Spannungsgebiet“, als welches die Erklärung den Nahen und Mittleren Osten ausgemacht hatte, sich als eine Hegemonialmacht ins Spiel zu bringen, die unabhängig vom so genannten Westen ihre eigenen Ziele verfolgt. Zu diesem Zweck hat sie unter anderem sich dem Iran immerhin soweit angenähert, dass deutsche Zeitungen nach dem Besuch des türkischen Regierungschefs Erdoğan Ende März in Teheran vermelden konnten, er gehe zum Iran „auf Distanz“.
Vor diesem Hintergrund müssen wir wohl dankbar dafür sein, dass im Unterschied zum „Friedensforum“ solo das „Antikriegsbündnis Kiel“, dem auch etwas weiter links sich verortende Gruppen angehören, jedenfalls von ungefähr immer noch weiß, was sich gehört. Unter der gleich lautenden, also ebenfalls exklusiv Israel gewidmeten Überschrift verlangten die Kieler Antikrieger wenigstens im Kleingedruckten „die sofortige Stilllegung der Kriegswaffenproduktion bei HDW“ und „bedauern … sehr“ den „Verlust von Arbeitsplätzen“, der damit zwangsläufig einherginge, da etwas anderes als Kriegswaffen auf HDW schon länger nicht mehr produziert wird. Im Übrigen aber leitet den Text dasselbe Ressentiment, nur dass es etwas geschwätziger daherkommt als in der Erklärung des Friedensforums.
In aller Unschuld fordert man: „Aufnahme von Verhandlungen zur Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen/Mittleren Osten“, im Klartext also die einseitige atomare Abrüstung Israels, da andere Mächte in der Region bislang über keine Atomwaffen verfügen. Vom Iran den überprüfbaren Verzicht auf eigene Atomwaffen zu verlangen (genau darum geht es ja im Konflikt wegen der iranischen Atomtechnologie), findet man jedoch unerhört. Israel und den USA unterstellt man ohne weiteres bösartige Motive: Gelüste, mutwillig andere Länder mit Krieg zu überziehen, wobei unsere Antikrieger es nicht einmal für nötig halten, deren Zwecke und Triebfedern einigermaßen präzise zu benennen. „Für die Rüstungsanstrengungen des Irans“ dagegen, die man gleich darauf, soweit es die Atomrüstung betrifft, für gar nicht vorhanden und auch ansonsten eine bloß „angebliche Bedrohung“ erklärt, sieht man gleichwohl „wichtige Ursachen“: nämlich „Israels Atomarsenal und die militärische Einkreisung des Irans durch die USA“.
„Die USA, die EU und Deutschland“, heißt es sodann geradezu treuherzig, „messen aus geopolitischen, wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen mit zweierlei Maß.“ Als gäbe es irgendeine real existierende Macht auf dieser Erde, die, sofern halbwegs bei Trost, das nicht täte. Als wenn, wer sich welches Maß gefallen lassen muss, nicht immer eine Frage der gegebenen Kräfteverhältnisse wäre. Und als wenn schließlich insbesondere Israel nicht jeden Grund hätte, darauf zu bestehen und dafür zu sorgen, dass seine Maxime respektiert wird, von niemand sich vorschreiben zu lassen, auf welche Weise und mit welchen Mitteln es seine Sicherheit zu gewährleisten versucht.
Dem Iran attestiert man wie selbstverständlich – und zwar (auch wenn „das uns als Friedensbewegung nicht gefallen“ muss) „grundsätzlich“ – das „garantierte Recht“ auf „den kompletten Kreislauf der Atomenergieproduktion“. Und will auf einmal nichts mehr davon wissen (wovon man bei anderer Gelegenheit schwerstens überzeugt ist, worüber aber, was das je eigene Haus betrifft, natürlich keine Staatsmacht gerne spricht): dass für seinen jeweiligen staatlichen Betreiber dieser Kreislauf immer schon erst wirklich komplett gewesen ist durch dessen Nutzbarkeit insbesondere für die nukleare Waffenproduktion. Den USA, der Nato und der EU sowie (wofern darin eingeschlossen) Deutschland, Israel sowieso, trauen unsere Friedensfreunde ganz pauschal nicht über den Weg, dem Iran aber, der ja gar keinen Hehl aus seinen bösen Absichten macht, sprechen sie – bis zu einem womöglich auch sie überzeugenden Beweis – blanko ihr Vertrauen aus.
Was dessen innere Verhältnisse betrifft, fänden auch sie „demokratische und soziale Fortschritte gegen das herrschende System“ dort wohl an sich ganz prima, wenn nur nicht das Land, also die Verhältnisse, worin jenes „System“ besteht, – Ogottogott! – „destabilisiert werden“. Denn das beraubte eine dort anscheinend beheimatete ominöse „Zivilgesellschaft“ angeblich „jeglicher Möglichkeit“, dergleichen „durchzusetzen“.
Nun ja: Wie stünde es wohl mit diesem unserem Land heute, hätten seinerzeit um dessen Stabilität die alliierten Mächte gegen den Hitlerismus sich ähnliche Sorgen gemacht?
[1] Antje Jansen und Heinz-Werner Jezewski, bis vor kurzem Abgeordnete für die Partei die Linke im schleswig-holsteinischen Landtag.
[2] Hier zitiert nach Pierre Frank: Geschichte der Kommunistischen Internationale (1919-1943). Band 2, Frankfurt 1981, S. 712.
[3] Zum Beispiel in der FAZ vom 4.4.2012 (Günter Grass: Was gesagt werden muss)
[4] Tagesschau vom 4.4.20212: „Was gesagt werden muss“ – das Gedicht im Wortlaut.