Nichts übers Knie brechen!

Der neue Aufruf hat Zeit, dringlich ist eine Plattform der AKL für den Wahlkampf

Von D.D. & R.O., AKL Schleswig-Holstein

Der Entwurf für einen neuen Aufruf der AKL soll nach der bisherigen Planung „in AKL-Lan­des­struk­tu­ren und anderen Zusammenhängen“ bis Februar 2013 diskutiert werden, um auf einer für den 17. Februar terminierten bundesweiten AKL-Mitgliederversammlung abschließend beraten und mit entsprechenden Änderungen verabschiedet zu werden.

Diese Planung halten wir zum einen, was den Aufruf betrifft, für übereilt, zum andern scheint sie uns den Erfordernissen der politischen Praxis im nächsten dreiviertel Jahr nicht angemessen.

Richtig finden wir: Der alte AKL-Aufruf eignet sich nicht mehr als politische Grundlage der jetzigen AKL. Es muss da in der Tat etwas Neues her. Damit es aber wirklich etwas Neues wird, brauchen wir u. E. mehr Zeit. Zeit sowohl für die programmatische Debatte im Rahmen der gesamten neu formierten AKL (auch um dem streckenweise sehr grundsätzlich-programma­tisch angelegten Entwurf, der jetzt vorliegt, gerecht zu werden), Zeit aber auch und insbesondere für die Sammlung politischer Erfahrung, die in erster Linie aus einer gemeinsamen politischen Praxis erwächst. Eine neuerliche programmatische Debatte (nachdem wir die der Partei, für die wir über ein Jahr Zeit hatten, gerade hinter uns haben) innerhalb weniger Monate zu erledigen, während deren wir uns noch organisatorisch und politisch-praktisch zusammenfinden müssen – daraus kann nach unserer Ansicht nichts wirklich Gutes werden.

Vor allem aber hätten wir, d. h. alle jene in der LINKEN, denen an einer entschiedenen Opposition gegen alle Varianten bürgerlicher Politik, an einer unmissverständlichen Absage an jede Form von Sozialpartnerschaft und nationaler Konsenspolitik gelegen ist, an sich bis in den Herbst des kommenden Jahres hinein Dringlicheres zu tun.

Nicht zu Unrecht sprechen manche vom kommenden Jahr als einem „Schicksalsjahr für DIE LINKE“. Die Partei hat einige existentiell wichtige Wahlkämpfe zu bestehen, insbesondere die Bundestagswahl Ende September, und seitens der Parteiführung zeichnet sich zurzeit keinerlei halbwegs konsistente Wahlplattform ab, auf welcher die LINKE ihre Opposition nicht nur gegen die augenblickliche Regierungskoalition, sondern auch gegen die möglichen kommenden Regierungsparteien SPD und Grüne überzeugend vertreten könnte. Selbst die CDU hat sich inzwischen daran gemacht, der LINKEN ihre Themen zu klauen. Vom Mindestlohn bis zur Reichensteuer bleibt da kaum etwas verschont. Unserer Parteiführung fällt dagegen anscheinend nichts anderes ein, als den Spieß umzudrehen und sich als die bessere Partei für eine Politik im nationalen Konsens zu präsentieren.

Jüngstes, schon etwas alarmierendes Beispiel dafür: Eine so genannte „Elgersburger Runde“, in welcher der geschäftsführende Parteivorstand mit den Landesvorsitzenden und Lan­de­spre­cher­In­nen sowie den Mitgliedern der Fraktionsvorsitzendenkonferenz gemeinsam Ratschlag hält, hat am vergangenen Wochenende „Bausteine für ein sozial-ökologisches Konjunkturprogramm“ beschlossen. Die Bausteine, zehn an der Zahl, reichen vom „gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von zehn Euro pro Stunde“ bis zur „Begrenzung der Dispo-Zinsen“ per Gesetz. Darunter solche Highlights wie „Solarzellen auf Behördendächer“ oder eine neue „Abwrackprämie“, diesmal „für Stromfresser im Haushalt“. Geradezu skandalös: der dritte „Baustein“, genannt „Kurzarbeit Plus“, der „die in der vergangen Krise eingeführten Sonderregelungen zur erleichterten Kurzarbeit … wieder in Kraft“ gesetzt sehen möchte, ausdrücklich unter Einschluss jener Regelung, nach der den Unternehmen, die sich seinerzeit ihr „qualifiziertes Personal“ (O-Ton der „Bau­steine“), für das sie gerade keine Verwendung hatten, auf Gemeinkosten finanzieren ließen, obendrein die Sozialbeiträge durch die Bundesagentur für Arbeit in voller Höhe erstattet wurden. Ein solcher Programmpunkt macht alle Solidaritätsbekundungen gegenüber den um ihre Existenz ringenden Kolleginnen und Kollegen in Griechenland, Portugal, Spanien etc., welche die übermächtige Konkurrenz des deutschen Kapitals massenhaft aufs Pflaster wirft, mit einem Federstrich zur Makulatur.

Bezeichnend zudem der Tonfall, in dem dieses Ansinnen (gleich den neun anderen) vorgetragen wird: „wir“, heißt es da, „wollen“ besagte Regelungen „wieder in Kraft setzen.“ Man gibt sich als Partei in guter Hoffnung, demnächst auf der Regierungsbank zu sitzen, und eben darin steckt die Krux des Ganzen. Um nämlich diesen Gestus nicht von vornherein als bloßen Reklameschwindel auffliegen zu lassen, muss man nicht nur in der äußeren Form, sondern auch in der Sache jeglichen Eindruck einer möglichen Kollision mit dem deutschen Gemeinwohl vermeiden und es vielmehr zu seinem eigenen Hauptanliegen erklären. Das deutsche Gemeinwohl hängt aber am Ende immer („Arbeitsplätze! Arbeitsplätze!“) auf Gedeih und Verderb am Erfolg des deutschen Kapitals.

Dabei böte der Hintergrund, vor dem man die „Bausteine“ präsentiert und den man einigermaßen zutreffend beschreibt, durchaus Anlass zu völlig anderen programmatischen Schlüssen. Ganz richtig wird da unter anderem festgestellt:

„Aus einer Krise der europäischen Finanzbeziehungen ist eine tiefe Rezession geworden,[1] die mit wachsender Geschwindigkeit von der Peripherie ins Zentrum des Kontinents wächst. Auch in Deutschland verdichten sich die Anzeichen eines wirtschaftlichen Einbruchs. Nachfragerückgänge, Auftragseinbrüche und zurückgehende Nachfrage nach Arbeitskräften sind Indikatoren, die niemand ignorieren kann.“

Es braucht an sich wenig Phantasie, die fatalen Folgen eines solchen neuerlichen Kriseneinbruchs in Deutschland für dessen lohnabhängige Bevölkerung sich vorzustellen. Ohne eine gründliche Umkehr der Machtverhältnisse, einen regelrechten Umsturz wird da für Freundlichkeiten wie etwa zehn Euro gesetzlichen Mindestlohn, die man jetzt in Form der „Bausteine“ von links in eine künftige Regierungspolitik schmuggeln möchte, jedenfalls keinerlei Spielraum sein. „Die Opposition“ – damit ist nicht DIE LINKE gemeint, sondern jene Parteien im Bundestag, die das deutsche Bürgertum eventuell sich auch in der nächsten Bundesregierung vorstellen kann – die „Opposition“ also, verlautete im Rahmen der Berichterstattung über die im Bundestag soeben stattgehabte Beratung des Bundeshaushalts, bemängele einen ungenügenden „Sparwillen“ der Regierung. Solche Signale zeigen an, womit zu rechnen ist, wenn nach den Wahlen ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland oder noch größere Schrecklichkeiten sich als unvermeidlich herausstellen.

Wir werden uns also sehr warm anziehen müssen, denn Schröders Agenda könnte sich als harmloses Vorspiel ausnehmen gegen die Rosskur, die uns von Seiten der vereinten Agendaparteien ins Haus steht, wenn das deutsche Kapital neuerlich und wahrscheinlich viel nachhaltiger als das letzte Mal in die Krise schliddert. Und wir müssen auf vielfältige Versuche der gemein­sten Sorte gefasst sein, die verschiedenen Segmente der Lohnabhängigen gegeneinander in Stellung zu bringen und womöglich aufeinander zu hetzen, was ja bereits ein Erfolgsrezept bei der Durchsetzung der Hartz-Gesetze gewesen ist.

Gebraucht wird dagegen ein Programm, das abhebt auf die gemeinsamen Interessen aller Lohnabhängigen, ob normal, prekär oder momentan gar nicht beschäftigt und diese vor allem scharf abgrenzt gegen sämtliche Interessen des vom Zwang zur Lohnarbeit befreiten, weil besitzenden Teils Deutschlands. Gebraucht werden praktische Vorschläge für die Errichtung einer Verteidigungslinie gegen die vom Kapital und seiner nächsten Regierung zu erwartenden massiven Angriffe auf alles, was der Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital noch Schranken setzt. Es wäre übrigens ein sowohl auf aktuelle Umsetzbarkeit abzielendes wie zugleich dezidiert sozialistisches Programm; ein Programm, das hier und jetzt gangbare Schritte angibt, die letzt­lich hinführen auf das Ziel, die Lohnabhängigkeit selbst aufzuheben, denn dies ist das wesentliche gemeinsame Interesse aller Lohnabhängigen. Solche Schritte würden sich dadurch auszeichnen, dass sie den Zugriff des Kapitals auf die einzelne Arbeitskraft gesellschaftlich reglementieren, dass sie deren Beschlagnahme durch den Arbeitsplatz und ihre Abhängigkeit von ihm reduzieren.

In eben diesem Sinne konzentrierten sich seit jeher alle Anstrengungen der Arbeiterbewegung auf Zweierlei: auf eine allgemeingültige, also gesetzliche Begrenzung der Arbeitszeit sowie auf die Bildung von Solidarfonds zur Absicherung lohnabhängiger Existenz im Falle von Streiks, Krankheit und anderen Lebenslagen ohne Arbeitsplatz. Beides prägt bis heute nachhaltig die soziale Wirklichkeit der Bundesrepublik. Es gibt bei uns ein Arbeitszeitgesetz und es gibt Streikkassen der Gewerkschaften sowie zumindest die große Mehrzahl der Lohnabhängigen erfassende Krankenkassen bzw. Arbeitslosen- und Rentenversicherungen. Nichts davon ist der Arbeiterbewegung geschenkt worden. Die bis heute gültige Reglementierung der Arbeitszeit beispielsweise war eines der wichtigsten Ergebnisse der Novemberrevolution, die 1918 das Kaiserreich gestürzt hat. Und auch die aus der Bismarck-Zeit abstammenden Sozialversicherungen verdankten sich seinerzeit der Sorge vor einer ungestüm sich entwickelnden und ziemlich revolutionär gestimmten Arbeiterbewegung, die ungeachtet aller Verbote in der Sozialdemokratie zu einer machtvollen politischen Partei heranwuchs.

Für alle diese Einrichtungen, die in ihrer Summe das ausmachen, was man heutzutage den „Sozialstaat“ nennt, gilt aber zugleich, dass sie ihre befreiende, vom Druck der Lohnabhängigkeit entlastende Wirkung nur solange und in dem Maße entfalten, wie die Gesamtheit der Lohnabhängigen sie als ihnen und nur ihnen gehörige begreifen und handhaben. Davon kann bei uns jedoch kaum noch die Rede sein, und zwar umso weniger, als sie längst zu Angelegenheiten des Staates bzw. einer so genannten Solidargemeinschaft geworden sind, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammengefasst sind; einer Gemeinschaft also, in der das Interesse der Minderung und schließlichen Aufhebung der Lohnabhängigkeit zusammenstößt mit dem Interesse ihrer Befestigung und Intensivierung und diesem dabei regelmäßig zum Opfer fällt.

Das geltende Arbeitszeitgesetz zum Beispiel legt ein Maximum von acht Stunden an sechs Tagen, zusammengenommen also 48 Stunden in der Woche fest, weil es als arbeitsfreie Tage nur Sonn- und Feiertage kennt. Im gesellschaftlich vorherrschenden Bewusstsein dagegen dürfte sich längst die 40-Stunden-Woche als der an sich vernünftige Normalfall befestigt haben. Arbeitszeiten, die darüber hinausgehen, was allerdings ebenfalls längst keine Seltenheit mehr darstellt, werden als Überschreitung des Normalen und als Überarbeit empfunden. Als eine Einrichtung zum Schutz lohnabhängiger Arbeit vor Strapazierung über das normale Maß hinaus, also zur Gewährleistung „guter Arbeit“, kann das Arbeitszeitgesetz unter diesen Umständen nicht mehr funktionieren. Es ist denn auch selbst in der gewerkschaftlich engagierten Linken fast in Vergessenheit geraten. Die diskutiert zwar wieder ausgiebiger über Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung, hat dabei aber fast ausschließlich tarifliche Vereinbarungen im Auge – in einer Zeit, da ein nach wie vor wachsender Bereich lohnabhängiger Beschäftigung von Tarifverträgen gar nicht mehr erfasst wird und in den bestehenden und neu abgeschlossenen Tarifverträgen die jeweiligen Bestimmungen zur Begrenzung der Arbeitszeit immer weiter auseinander driften und zudem immer größere Löcher bekommen.

Was die Sozialversicherungen angeht, namentlich Arbeitslosen- und Rentenversicherung, bräuchte eigentlich kein Wort mehr darüber verloren zu werden, dass sie ihre Funktion als Solidarfonds der Gesamtheit der Lohnabhängigen kaum mehr erfüllen – wenn nicht sogar unter den Linken in der LINKEN das Bewusstsein fast ausgestorben wäre, dass dies einmal ihre Bestimmung gewesen ist und sie als solche zurückzuerobern wären. Mit welcher Selbstherrlichkeit die Staatsmaschinerie diese Kassen verwaltet, dafür hat schon der Vorgang der Hartz-Reformen für sich genommen das schönste Beispiel geliefert, seither aber kennt sie fast keine Grenzen mehr. „Weg mit Hartz IV“ hatte als agitatorische Losung, die die Empörung darüber zusammenfasste, einmal durchaus Sinn gemacht. Einen Weg des politischen Widerstands dagegen, der nicht im Appell an eben jene in ihrer Selbstherrlichkeit gerade enorm bestätigte Staatsgewalt sich festrennen würde, konnte sie schon nicht mehr eröffnen. Vage war und ist vielen klar, dass der Zustand vor Hartz IV weder wirklich erstrebenswert ist, noch also als positives Ziel einer politischen Massenbewegung taugt. So bleiben bis heute nur einerseits die eher theoretische Maxime des „Weg mit“ und andererseits als handfest-praktische Ziele die Anhebungen der Regelsätze und vielleicht noch die Verlängerung der Anspruchszeiten für ALG I. Alles Weitere bleibt im Flusse und verliert sich regelmäßig zwischen bedingungslosem Grundeinkommen und sanktionsfreier Grundsicherung in einem Ungefähren, das vor dem realexistierenden Klassengegensatz beide Augen zudrückt.

Für eine auf politische Wirkung ausgerichtete AKL ergäbe sich aus dem Vorstehenden folgende Agenda:

Ab sofort sollten wir unsere Bemühungen auf die Formulierung eines eigenen Vorschlags der AKL für die politische Ausrichtung und thematischen Schwerpunkte des Bundestagswahlkampf der LINKEN fokussieren, an dem sich die Wahlkampfaktivitäten der AKL auch für den sehr wahrscheinlichen Fall orientieren, dass ihr Vorschlag in der Partei keine Mehrheit findet.

Unseres Erachtens gehörten hauptsächlich zwei Dinge in einen solchen Vorschlag:

1. Angesichts einer deutlich schwächelnden Konjunktur und jetzt bereits absinkenden Beschäftigungszahlen, die einen rapiden Anstieg der Arbeitslosenzahlen erwarten lassen, wenn die Konjunktur weiter auf Talfahrt geht; des weiteren die Erfahrung in Rechnung stellend, dass das Kapital solche Reduzierungen der Beschäftigung regelmäßig zugleich dazu nutzt, für die verbliebenen Beschäftigten die Arbeitszeit über das zuvor geltende Maß hinaus zu verlängern, rückt DIE LINKE ins Zentrum ihres Wahlkampfs die in ihrem Parteiprogramm formulierte Absicht, das Arbeitszeitgesetz dahingehenden zu ändern, dass die Arbeitswoche auf maximal 40 Stunden begrenzt wird. Die Partei DIE LINKE nimmt den Wahlkampf vor allem als Gelegenheit für eine Kampagne wahr, die eine solche gesetzliche Maximalarbeitszeit verlangt; eine Kampagne, zu der sie vor allem die Gewerkschaften einlädt und für die sie innerhalb der Gewerkschaften wirbt.

2. Für die so genannte Reichensteuer, die mittlerweile in der einen oder andern Form alle Parteien des Bundestags in ihr politisches Repertoire übernommen haben, verlangt DIE LINKE eine klar bestimmte Zweckbindung dahingehend, dass sie zur Auffüllung der Sozialkassen zu verwenden ist. Im Zusammenhang damit weist sie darauf hin, dass in der Verwaltung dieser Kassen das Interesse der Versicherten, das anderen Interessen, namentlich denen der Arbeitgeber, entgegengerichtet ist, als eigenständiges Interesse künftig stärker zur Geltung kommen muss. Mittelfristig strebt sie die Einrichtung von Arbeitnehmervertretungen an (in der Art etwa der im Bundesland Bremen bestehenden Arbeitnehmerkammer), die ohne Einmischung von Seiten der Arbeitgeber oder staatlicher Behörden auf die Verwaltung der Kassen Einfluss nehmen.

Da mit der Vorlage der „Bausteine für ein sozial-ökologisches Konjunkturprogramm“ durch die Parteispitze inzwischen auch die Entlastung niedrigerer Einkommen bei der Einkommenssteuer (s. dort Punkt 2) thematisiert wird, wäre zu überlegen, ob wir nicht außerdem vorschlagen sollten, eine deutliche Absenkung der Mehrwertsteuer sowie perspektivisch deren Abschaffung zu verlangen. Dies insbesondere mit Blick auf jenen Teil der linken Anhängerschaft, der zu arm ist, um direkt Steuern zu zahlen, aber über diese indirekte Steuer dennoch fleißig mitzahlt.

Wir denken, gute Gründe angeführt zu haben, warum sich die AKL mit der Verabschiedung eines neuen Aufrufs (ca. bis zum Herbst nächsten Jahres) Zeit lassen sollte. Abgesehen von dem schon Angeführten spricht dafür übrigens auch der nähere Inhalt des vorliegenden Entwurfs, insofern er nämlich an manchen Stellen beispielsweise Fragen nach den Basics der Kritik der politischen Ökonomie aufwirft oder zum Teil zumindest strittige Interpretationen der jüngsten Weltwirtschaftskrise liefert, die gründlicher zu diskutieren und zu klären, statt per Abstimmung zu entscheiden wären. Hinsichtlich der allgemeinen politischen Stoßrichtung dürfte in der Erarbeitung einer Wahlkampfplattform Vieles, was der Aufrufentwurf anspricht, in politisch schärfer zugespitzter Form ebenfalls zur Debatte stehen. Nach einer gemeinsam ausgearbeiteten und durchgestandenen Intervention im Rahmen des Bundestagswahlkampfs der Partei dürften wir alle, was die Formulierung eines neuen Aufrufs angeht, um einiges klüger sein als es uns jetzt überhaupt möglich ist.

Nichtsdestotrotz sind wir darauf gefasst, dass die Mehrheit in der AKL das anders sieht, und werden nicht den Spielverderber machen, sondern uns ggf. an der Diskussion des vorliegenden Entwurfs beteiligen, werden Fragen aufwerfen, wo wir Diskussionsbedarf sehen, und Änderungsvorschläge machen, wo wir welche haben – wenn wir auch nicht sehen, dass in der kommenden Mitgliederversammlung im Februar nächsten Jahres am Ende einer solchen Diskussion auf der Grundlage des vorliegenden Entwurfs ein Text stehen wird, dem wir im Ganzen zustimmen können.

Wie aber auch immer unsere Mitgliederversammlung in Sachen ihrer Agenda entscheidet – wir würden uns in jedem Fall wünschen, dass unsere Vorschläge zur politischen Ausrichtung der LINKEN im kommenden Wahljahr in der dortigen Debatte kritische Beachtung finden.



[1] Wir lassen einmal beiseite, dass die gängige Verkehrung von Ursache und Wirkung bezüglich Finanz- und Wirtschaftskrise auch hier ihr Unwesen treibt. Zur Richtigstellung dieses allerdings ebenso gravierenden wie politisch folgenreichen Irrtums empfehlen wir die Lektüre des Buches von Guenther Sandleben: Finanzmarktkrise – Mythos und Wirklichkeit. Wie die ganz reale Wirtschaft die Krise kriegt (Norderstedt 2011).

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise