Verkürzung der Normalarbeitszeit

Über den politischen Charakter des Kampfes darum

Von Emil Neubauer

  • Der Kampf um die Verkürzung der Normalarbeitszeit ist politischer Natur. Er zielt auf die politische Durchsetzung einer gesetzlichen Festsetzung der maximalen Wochenarbeitszeit als allgemeines Interesse der gesamten lohnabhängigen Klasse. In der BRD zielt dies konkret auf die Änderung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zugunsten der lohnabhängigen Klasse.

  • Im Unterschied und Gegensatz hierzu hat die von starken Branchengewerkschaften erkämpfte, tariflich vereinbarte Verkürzung der Wochenarbeitszeit als Durchsetzung von Partikularinteressen ökonomischen Charakter. Aktuelle gewerkschaftsnahe Initiativen zur Verkürzung der Arbeitszeit gehen ebenfalls in diese Richtung.

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  • Die gesetzliche Festlegung der maximalen Tages- bzw. Wochenarbeitszeit ist jedesmal ein (heutzutage unterschätzter) Etappensieg der lohnabhängigen Klasse im Kampf mit der nationalen Klasse der Kapitalisten um die Durchsetzung ihrer jeweilig gerechtfertigten Sichtweise als Verkäufer bzw. Käufer der Ware Arbeitskraft über die Länge des Arbeitstags. Letztere versuchen den Arbeitstag zwecks Ausdehnung der Ausbeutung möglichst zu verlängern mit dem Argument, die Arbeitskraft schließlich für den ganzen Arbeitstag eingekauft zu haben. Erstere versuchen ihn zwecks Aneignung ausbeutungsfreier eigener Lebenszeit möglichst kurz zu halten mit dem Argument drohender Überarbeitung. Also steht hier nach den Gesetzen des Warenaustausches Recht gegen Recht und zwar in einem unüberbrückbaren Widerspruch, und es setzt sich folglich die stärkere Seite im Klassenkampf durch. Beimnormalen, bürgerlichen Gang der Verhältnisse, wo lauter Freie und Gleiche, jeder für sich allein, nur ihres je eigenen Glückes Schmied sein dürfen, ist die Klasse der Kapitalisten das agierende Subjekt, die Lohnabhängigen sind als lebendiges Anhängsel der Maschinerie das lebende Objekt. Die Bourgeoisie versucht, möglichst wenig staatlich reglementierende Gesetze zur Arbeitszeit zuzulassen. Das Proletariat ist gezwungen, über den ökonomischen Kampf hinausgehend in der politischen Arena einen gesetzlichen Pflock gegen die Gier der Kapitalisten nach Mehrarbeit einzuschlagen. Geht die lohnabhängige Klasse mit der Forderung der Verkürzung der Normalarbeitszeit erfolgreich in die politische Offensive, macht sie sich selbst für einen Moment zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte, diktiert ihrem Feind ein Stückweit ihre eigenen emanzipatorischen Bedingungen der Produktion. Sie beschreitet ein Zeitfenster lang den Weg von der subalternen Klasse-an-sich zur selbstbewussten Klasse-für-sich. Dieser Weg ist nur als langwieriger schroffer Klassenkampf zu begreifen, Marx spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg“. Beispielweise war die Einführung des 8-Stundentags wie auch der Mitbestimmung (Einrichtung der Betriebsräte) in Deutschland 1918/19 unmittelbares Resultat der revolutionären Welle. Dies belegt übrigens das Wechselverhältnis von Revolution als Bedingung substanzieller Sozialreform verbürgerlichter Arbeiterregierungen. Kaum hatte sich die Bourgeoisie berappelt, setzte sie 1923 den wahlweisen 10-Stundentag wieder durch. Der Klassenkampf der 20er Jahre drehte sich zentral um die Länge des Normalarbeitstags. Der Kampf um die Verkürzung des Normalarbeitstags dynamisiert das Klassenbewusstsein, weil sich die Bourgeoisie entschieden dagegen wehrt und dabei die deutsche Volksgemeinschaft sprengen würde. Dieser Kampf ist grundlegend für den Parteibildungsprozess des Proletariats.

  • Die gesetzlich geregelte Verkürzung des Normalarbeitstages ist nicht irgendeine Reform unter anderen. Sie trifft die Kapitalistenklasse an der empfindlichsten Stelle ihrer Existenz: jede Stunde Verkürzung des Normalarbeitstages verkürzt ausschließlich die unbezahlte Mehrarbeitszeit, denn die notwendige Arbeitszeit zur Produktion des Wertäquivalents des Lohns bleibt hiervon unberührt. Dass die Bourgeoisie gerade bei der politischen Beschneidung des Mehrwerts keinerlei Spaß versteht, ist selbstverständlich, da die Erzielung von Profit als verwandelter Mehrwert ihr einziges Ziel ist. Umgekehrt ist die politisch erkämpfte Herabsetzung der Ausbeutung für das Proletariat überlebenswichtig und zeigt ihm im Diktat an die Bourgeoisie seine eigene Macht als politisches Subjekt auf. Marx führt nicht von ungefähr an: „Der allgemeine Arbeiterkongreß zu Baltimore (Aug. 1866) erklärt: ‚Das erste und große Erheischnis der Gegenwart, um die Arbeit dieses Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu befreien, ist der Erlaß eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den Normalarbeitstag in allen Staaten der amerikanischen Union bilden sollen. Wir sind entschlossen, alle unsre Macht aufzubieten, bis dies glorreiche Resultat erreicht ist.‘ Gleichzeitig (Anfang September 1866) beschloß der ‚Internationale Arbeiterkongreß‘ zu Genf auf Vorschlag des Londoner Generalrats: ‚Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstags für eine vorläufige Bedingung, ohne welche alle andren Bestrebungen nach Emanzipation scheitern müssen ... Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als legale Schranke des Arbeitstags vor.‘“[1] Soweit zu allgemeinen Überlegungen.

  • Die Frage, ob die Verkürzung der Normalarbeitszeit auf der politischen Tagesordnung der BRD steht, beantwortet sich gerade nach den vorstehenden Marxzitaten implizit von selbst. Der erfolgreiche Kampf um den 10-Stundentag wurde vor 170 Jahren aufgenommen, jener um den 8-Stundentag begann vor 150 Jahren. Seither ist die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, d.h. die produzierte Stückzahl beliebiger Waren pro Arbeitstag und Arbeiter, unvergleichlich gestiegen. Dies bedeutet, dass die notwendige Arbeitszeit zur Produktion des Werts der Ware Arbeitskraft in dieser Zeitepoche eklatant verkürzt wurde, da mit dem gesunkenen Wert des proletarischen Warenkorbs der Wert der Ware Arbeitskraft sank und somit die unbezahlte Mehrarbeitszeit entsprechend ausgedehnt wurde. Der Kampf um die Verkürzung der Normalarbeitszeit ist also von der Seite der Produktivkraftentwicklung der gesellschaftlichen Arbeit überfällig. Die Intensität der gesellschaftlichen Arbeit, d.h. die Verdichtung der Arbeit, ist in dieser Epoche ebenso eklatant gestiegen. Dies zusammen beschert der Klasse der Kapitalisten ein erhöhtes Wertprodukt pro Arbeitstag und Arbeiter. Dem Arbeiter beschert es krankheitserzeugende Überarbeitung, Burn-out-Syndrome, Sekundentod – als moderne Varianten der Überausbeutung der ersten Jahrzehnte des Fabriksystems nach 1800. Der bürgerliche Staat als die politische Form des gesellschaftlichen Gesamtkapitals registriert die Entwicklung aufmerksam, da er für die Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit der lohnabhängigen Klasse zu sorgen hat. Diese Front des politischen Feldes bietet gegenwärtig zwar keine offene Flanke, ist aber verwundbar.

  • Der innerhalb der ppf diskutierte Vorschlag ist, den Kampf um die gesetzliche Verkürzung des Normalarbeitstags auf die Veränderung des ArbZG zu fokussieren. Und dies aktuell und konkret in die politische Debatte einzubringen. Der Vorschlag geht von der im 2011 beschlossenen Grundsatzprogramm der Partei DIE.LINKE stehenden Positionierung aus, die maximale Wochenarbeitszeit per Änderung des Arbeitszeitgesetzes im ersten Schritt auf 40 Stunden zu begrenzen. Im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl 2013 ist es nach vorstehenden Einlassungen konsequent, von der Partei die Umsetzung ihres eigenen Programmpunktes einzufordern. Alles kommt jetzt darauf an, diese Forderung gekonnt zu formulieren sowie zu begründen und sie zunächst in der AKL so in die Debatte zu bringen, dass sie dort Anklang findet und günstigstenfalls mehrheitsfähig wird. Und günstigstenfalls noch rechtzeitig von der AKL in die Diskussion um die Wahlkampfstrategie der Partei hineingetragen wird. Realistisch betrachtet wäre schon sehr viel gewonnen, wenn um die gesetzliche Verkürzung der maximalen Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden überhaupt eine hörbare Debatte in Gang käme, die nach und nach auf eine breitere parteiliche und gewerkschaftliche Ebene gehoben werden könnte und deren Unterschied gegenüber den bestehenden Vorschlägen zur Verkürzung der Arbeitszeit auf tariflicher, rein ökonomischer Ebene im politischen Raum diskutiert würde.

  • Das Gegenargument, dass 40-Stunden maximale Wochenarbeitszeit für viele Segmente der lohnabhängigen Klasse eine unattraktive Parole sei, zieht nur scheinbar. Jene Segmente von Lohnabhängigen mit tariflichen Wochenarbeitszeiten zwischen 35 und 40 Stunden sind marginal und Teil der Arbeiteraristokratie. Sie sind im Schwinden begriffen. Die Haupttendenz neuer Beschäftigungsverhältnisse geht in Richtung Prekarisierung – eine deutsche moralinsaure Wortschöpfung für etwas, das in anderen Ländern fast die Regel ist: für Hungerlöhne zu arbeiten unter unsicheren Arbeitsbedingungen und überlangen Arbeitszeiten, Tendenz 45 Wochenstunden. Vielleicht muss das heutige Proletariat ja als Prekariat buchstabiert werden. Falls sich dieses neue BRD-Schwergewicht von ca. 10 Millionen Habenichtsen, die gezwungen sind, von der Hand in den Mund zu leben, politisch bewegen würde, gingen beträchtliche Teile der Arbeiteraristokratie mit, weil viele von ihnen als ältere Semester selbst für die Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft haben und wissen, dass die Klasse der Kapitalisten in der Krise an der Arbeitszeiten-Front Druck machen wird – so drängt sie aktuell z.B. so nebenbei auf die Verkürzung der Elternzeit samt Bezügen. Die aktuelle Rückkehr der Krise der industriellen Überproduktion wird gerade ab dem Wahljahr 2013 ansehnliche Löcher in die Phalanx der Arbeiteraristokratie schlagen, weil der längst überfällige Abbau von Überkapazitäten durch Werksschließungen „bereinigt“ werden muss (in Westeuropa sind z.B. 15 Autofabriken „überflüssig“ und andere Industriebranchen stehen vergleichbar da). Ihnen droht in der BRD die Hartz-IV-Karriere und damit, wie dem allergrößten Teil der den Arbeitsagenturen und Jobcentern unterworfenen Malocher, für den Rest des Lohnarbeitslebens eine Karriere der Prekarisierung mit überlangen Arbeitszeiten. Da geht nur resignieren oder marschieren; sich wegducken wie bisher geht kaum noch. Hieraus ergibt sich die These, dass eine gesetzlich verankerte Schranke maximaler Wochenarbeitszeit von 40 Stunden für sehr große Teile der lohnabhängigen Klasse attraktiv ist.

  • Das Argument, dass, wenn schon, dann die Forderung nach Verkürzung der maximalen Wochenarbeitszeit auf 35 oder 30 Stunden gestellt werden sollte, weil sich dann viel größere Teile der lohnabhängig Beschäftigten angesprochen fühlen würden, müsste konsequenterweise gleich von 20 Stunden und weniger ausgehen, da  Millionen MalocherInnen Halbtagsstellen und Minijobs haben. Hier liegt eine Identifikation von Radikalität mit Quantität vor. Tatsächlich ist die Forderung und erst Recht eine Durchsetzung der gesetzlichen Veränderung des Arbeitszeitgesetzes auf 40 Stunden maximaler Wochenarbeitszeit in der BRD qualitativer politischer Natur, weil sie als Form der Verkürzung der Normalarbeitszeit die vorne aufgeworfenen politischen Charakteristiken aufweist. Sie geht an die Wurzel des Kampfes um die Ausdehnung unbezahlter Mehrarbeit als Grundlage der Mehrwertproduktion. Mag der rechnerische Durchschnitt wöchentlicher Arbeitszeit mit ca. 43 Stunden „nur“ unwesentlich über 40 Stunden liegen, so arbeiten bedeutsame Teile der Klasse mit zunehmender Tendenz ca. 45 Stunden. Dies macht pro Nase im Jahr bei 50 Arbeitswochen 250 zusätzliche Stunden oder 5 ganze Wochen unbezahlte Mehrarbeitsstunden aus gegenüber einer auf maximal 40-Stunden begrenzten Arbeitswoche. Insgesamt geht es hiermit für die Klasse der Kapitalisten um ein ziemlich großes Stück erzeugter Mehrwertmasse, umgekehrt für die lohnabhängige Klasse um einen netten Batzen selbstgenehmigten Zusatzurlaubs. Wer glaubt, die Klasse der Kapitalisten würde dies ohne den entschiedenen gewerkschaftlichen und politischen Kampf der lohnabhängigen Klasse über den parlamentarischen Weg der Stimmzettelabgabe gesetzlich regeln lassen, verkennt die ökonomisch und politisch zentrale Stellung der Normalarbeitszeit und die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse.

  • Die Forderung nach 35 oder gar 30-Stunden maximaler Wochenarbeitszeit ist vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte zweifelsohne gerechtfertigt. Damit ist sie noch nicht per se politisch einsetzbar. Dagegen sprechen für die Aktualität der Forderung nach 40-Stunden maximaler Wochenarbeitszeit einige politische Tatsachen. Die proletarische Taktik gebietet es, das politische Feld sorgfältiger auszuleuchten.

    • Erstens gibt es ein ArbZG[2], auf das sich die Klasse bezieht und das den 8-Stundentag als Rahmen einzieht und nur den Sonntag als Ruhetag gewährt. Somit lässt das geltende ArbZG maximal 48-Stunden Wochenarbeitszeit zu, und das Kapital drängt die Lohnsklaven in der „atmenden“ Fabrik tendenziell in Richtung dieser gesetzlichen Schranke und darüber hinaus. 

    • Zweitens gibt es eine linksbürgerliche Partei, die sich auf die Änderung des ArbZGs auf maximal 40 Wochenstunden programmatisch verständigt hat. Sie verfügt zudem über einen nicht einflusslosen gewerkschaftlichen Flügel, der sich als Strömung für die Durchsetzung der Interessen der lohnabhängigen Klasse versteht. Wenn die Partei DIE.LINKE an dieser Stelle Flagge zeigen würde, geriete die Berliner Republik garantiert in helle Aufregung. Viel Feind, viel Ehr – radikales Anbiedern hilft nicht mehr!

    • Drittens wird die 40 Stundenwoche im Bewusstsein der lohnabhängigen Masse als die normale Wochenarbeitszeit einer Ganztagsstelle angesehen. Ein „Volksvorurteil“[3], das gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Es ist das Einfallstor für eine Popularisierung der Forderung nach Veränderung des ArbZG hin zu maximal 40 Stunden pro Woche. 

    • Viertens wird die wiederkehrende allgemeine Überproduktionskrise 2013 den Sockel der industriellen Reservearmee nicht nur um entlassene Zeitarbeiter massiv erhöhen, sondern ihr jene Bataillone der Arbeiteraristokratie zuführen, deren Fabriken und Büros als überflüssig geschlossen werden. Kurzarbeit gibt es dann nach der Bundestagswahl 2013 nur noch für das Gerippe der ehemaligen Kernbelegschaften. Der kluge und angemessene Ruf nach Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auf mehr Hände und Köpfe ist dann der Sache und den Interessen nach gut zu vermitteln. Vermieden werden muss hierbei, Illusionen der „Vollbeschäftigung“ zu bedienen, vielmehr muss angestrebt werden, die entlastende Wirkung einer solchen Gesetzesänderung auf die Konkurrenz des unbeschäftigten Anteils der lohnabhängigen Klasse mit dem beschäftigten Anteil der Klasse heraus zu heben. 

    • Fünftens lassen sich nur auf dieser moralischen Folie eventuell die jetzigen ungeordneten einzelbetrieblichen Rückzugsgefechte der Malocher vor den ständigen Angriffen von Bourgeoisie und deren politischem Personal zu einer geordneten Defensive als Klasse genau an jenem Frontabschnitt zusammenziehen, an dem die Kapitalisten in der Krise neben Lohnkürzungen ihren Hauptangriff führen werden.

  • Die ppf bewegt sich ausdrücklich schwergewichtig in der Partei DIE.LINKE und würde mit einem bedächtig formulierten Aktionspunkt „Verkürzung der Normalarbeitszeit auf maximal 40 Stunden die Woche“ sicherlich in manchem proletarischen Herzen innerhalb und außerhalb der Partei die Kampfeslust erwecken. 

  • Damit hier keine Illusionen aufkommen. Es handelt sich bei der skizzierten Änderung des ArbZGs weder um einen parlamentarischen Spaziergang, noch um einen kurzen Kampf. Nach historischen Erfahrungen ist dieser Kampf langatmig, die antagonistischen Klassenkräfte werden erst im Kampf selbst entfaltet. Der Kampf um die Änderung des ArbZGs kann nur in Gang kommen, wenn eine politische Organisation die Forderung öffentlichkeitswirksam in den politischen Raum einzubringen vermag, die Gewerkschaften sie zu ihrer eigenen machen, die ihnen hilft, die Angriffe des Kapitals auf der Betriebsebene einzudämmen oder gar abzuwehren, dabei das politische Ziel der Verkürzung der Normalarbeitszeit auch dort (in Betriebsversammlungen etc.) zum Thema machen und so die politische Initiative von der gewerkschaftlichen Basis her unterfüttern. Das ist etwas ganz anderes, als z.B. ein punktueller Abwehrkampf. Kohls Versuch 1996, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall an den Karenztagen um ein Fünftel zu kürzen, zeigte schlaglichtartig die Kampfstärke des deutschen Industrieproletariats. Es zog in den großen kapitalintensiven Automobilbetrieben einen tagelangen Streik an den Gewerkschaften vorbei so entschieden durch, dass Kohl vom Kapital zurückgepfiffen werden musste. Vergleichbare Entschlossenheit mit langem Atem durchzuhalten, kann sich erst in der Praxis entwickeln. 

  • Gesetzt, die Änderung des ArbZG würde gelingen. Damit sie überhaupt das Papier wert wäre, auf dem sie stehen würde, wäre eine effektive, unnachgiebige, flächendeckende Kontrolle seiner Umsetzung und dauerhaften Anwendung samt spürbarer Sanktionen ihrer Nichteinhaltung unabdingbar. Alle geschichtliche Erfahrung zeigt, dass die Klasse der Kapitalisten höchst einfallsreich war und ist, bestehende Arbeitszeitregelungen erfolgreich zu umgehen. Diese Kontrollaufgaben kann keine der hierfür zuständigen zahlreichen staatlichen Arbeitsschutzbehörden übernehmen, da sie sich schon jetzt bei dieser Kontrolle selbst diskreditieren. Die lohnabhängige Klasse braucht ein eigenes Organ für die Kontrolle der Einhaltung des ArbZG. Dieses Organ, z.B. nach früheren proletarischen Erfahrungen Arbeiterkammer genannt (wovon im Bundesland Bremen ein Rudiment noch besteht), verweist auf den Zusammenhang mit dem anderen wichtigen Forderungsbündel eines proletarischen Aktionsprogramms. Die Forderung lautet: Die Sozialversicherungen in die Hände und unter die Kontrolle der Versicherten.[4] Arbeiterkammern sind dann jene Selbstverwaltungsorgane, deren Vertreter ausschließlich von der lohnabhängigen Klasse benannt und gewählt werden. Die proletarisch selbstverwaltete Arbeitslosenversicherung, welche den unbeschäftigten Anteil der Klasse dann nicht als Hartz-IVler drangsaliert, sondern taktisch dem Arbeitsmarkt vorenthält, wäre ein proletarisches Instrument, Lohndruck und überlangen Arbeitszeiten entgegenzuwirken. Wie wär’s, eine Art regelmäßiger „Reichensteuer“ hierzu einzufordern anstatt bisheriger Beitragszahlungen der Malocher. Das würde das sozialdarwinistisch geschürte Konkurrenzverhältnis zwischen dem beschäftigten und unbeschäftigten Anteil der Klasse entschieden entschärfen. Es wird ersichtlich, dass eigenständige Arbeiterkammern, entstanden im Kampf um ArbZG und Sozialversicherungen, die einzige Gewähr zur Umsetzung der Gesetzesvorgaben im proletarischen Interesse sein können.

 


[1] Vgl. die Ausführungen zum Arbeitstag, MEW 23, Seite 318f

[4] Die „Bürgerversicherung“, in der die Malocher dann die freelanzer und andere armselige Selbständige finanzieren soll, wäre damit ebenfalls vom Tisch.

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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