6. Zur Kontinuität der deutschen Arbeitsideologie

Um die Überhöhung der Arbeit gerade auch als Chiffre des Antisemitismus nicht als Phrase stehen zu lassen, folgt nun eine beispielhafte Zusammenstellung, wie sich die Ideologie der Lutherzeit von deutschem Arbeitsethos versus schmutziges Geldmachen nach 1800 bis in die Gegenwart wirkmächtig modifizierte.

Zur Übersicht Teil 1

Im Zeitraum vom Jahre 1300 bis 1900 setzte sich in den westeuropäischen Ländern das industrielle Kapital über die Vorstufe des Manufakturwesens gegen das althergebrachte Handwerkswesen und Handelskapital durch. Parallel entfaltete sich von Norditalien über die Niederlande im gesamten Westeuropa das Bankenwesen. Der ungeregelte Wucherzins bei Geldverleih wurde zum größten Teil durch reguläre Bankkredite mit für die ins Zentrum rückenden industriellen Kapitalisten berechenbaren Zinssätzen abgelöst.

„Die Kreditassoziationen, die sich im 12. und 14. Jahrhundert in Venedig und Genua bildeten, entsprangen aus dem Bedürfnis des Seehandels und des auf denselben gegründeten Großhandels, sich von der Herrschaft des altmodischen Wuchers und den Monopolisierern des Geldhandels zu emanzipieren. Wenn die eigentlichen Banken, die in diesen Stadtrepubliken gestiftet wurden, zugleich als Anstalten für den öffentlichen Kredit sich darstellen, von denen der Staat Vorschüsse auf einzunehmende Steuern erhielt, so darf nicht vergessen werden, daß die Kaufleute, die jene Assoziationen bildeten, selbst die ersten Leute jener Staaten und ebenso interessiert waren, ihre Regierung wie sich selbst vom Wucher zu emanzipieren und zugleich sich den Staat dadurch mehr und sicherer zu unterwerfen.“ [1]

 

Der Merkantilismus, als der Epoche zwischen der Renaissance Ende des 14. Jh. und der aufblühenden Manufaktur bis zur Mitte des 18. Jh. bestärkte die Vorstellung, dass die Kaufmannstätigkeit mit dem Ausland den Reichtum der Nationen schafft. In Shakespare´s Kaufmann von Venedig des 16. Jahrhunderts wird das Bild vom jüdischen Wucherer a la Shylock als geschichtlich überholt gezeichnet und an seine Stelle die Rechtssicherheit der Handels-Republik Venedig gesetzt.

 

Mitte des 18. Jh. wechselt das Paradigma der ökonomie-theoretischen Vorstellung von der reichtumsschaffenden Arbeit von der Kaufmannsarbeit (Merkantilisten) zur Agrikulturarbeit (Physiokraten). Inzwischen wurde der Landbau der großen Landgüter des Adels in England und Nordfrankreich von kapitalistischen Pächtern mit riesengroßen Gesinde- und Tagelöhnerhaufen bewältigt. Der frühe politische Ökonom Quesney stellte auf Grundlage des jährlichen agrarökonomischen Kreislaufs sein Tablau économique[2] auf, in dem die Agrararbeit des Pächters als die produktive, die Arbeit des Kaufmanns als steril und die Arbeit des Geldverleihens als parasitär klassifiziert wurden.

 

Im gesamten 18. Jh. tobte der ideologische Kampf zur gesetzlichen Herabsetzung des Zinsfußes, um das zinstragende Kapital dem Kaufmanns- und Industriekapital zu unterwerfen.[3] Das zinstragende Kapital wurde wie zuvor das Wucherkapital als Geld-heckendes-Geld[4] in Europa allgemein als „unnatürlich“ angefeindet und in Gegensatz zum „schaffenden Kapital“ denunziert.

 

Sind bei den Physiokraten die kapitalistischen Pächter die Arbeiter im wahren und eigentlichen Sinne, so nach der Durchsetzung der industriellen Produktion nach 1800 die industriellen Unternehmer. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die selbst mitarbeitenden Unternehmer und ihre Lohnarbeiter sich erst 1830 in der Juli-Revolution in Frankreich erstmals überhaupt als gegensätzliche Klassen politisch formierten und zuvor als scheinbare Einheit gegen den Feudaladel agierten. Mit dem wachsenden Umfang des Bankwesens und des Kreditwesens entfalteten sich nicht nur die Verdammung des Zinsnehmens, sondern auch die Illusionen ins Kreditsystem.

 

Hierzu sei Marx ausführlich zitiert, da alle Staatssozialisten und somit auch der weltumspannende linke gegenwärtige Mainstream mit seinem Aberglauben an den Staat und dessen selbstfinanzierter Kreditschöpfung ordentlich ab gewatscht werden und sich als brave linksbürgerliche Kurpfuscher entpuppen:


„Endlich unterliegt es keinem Zweifel, daß das Kreditsystem als ein mächtiger Hebel dienen wird während des Übergangs aus der kapitalistischen Produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit; jedoch nur als ein Element im Zusammenhang mit andren großen organischen Umwälzungen der Produktionsweise selbst. Dagegen entspringen die Illusionen über die wunderwirkende Macht des Kredit- und Bankwesens, im sozialistischen Sinn, aus völliger Unkenntnis der kapitalistischen Produktionsweise und des Kreditwesens als einer ihrer Formen. Sobald die Produktionsmittel aufgehört haben, sich in Kapital zu verwandeln (worin auch die Aufhebung des Privatgrundeigentums eingeschlossen ist), hat der Kredit als solcher keinen Sinn mehr, was übrigens selbst die St.-Simonisten eingesehn haben. Solange andrerseits die kapitalistische Produktionsweise fortdauert, dauert das zinstragende Kapital als eine ihrer Formen fort und bildet in der Tat die Basis ihres Kreditsystems. Nur derselbe Sensationsschriftsteller, Proudhon, der die Warenproduktion fortbestehn lassen und das Geld aufheben wollte, war fähig, das Ungeheuer eines crédit gratuit zu erträumen, diese vorgebliche Realisation des frommen Wunsches des kleinbürgerlichen Standpunkts.


In der "Religion Saint-Simonienne, Économie et Politique", heißt es p. 45:

"Der Kredit hat zum Zweck, in einer Gesellschaft, wo die einen Werkzeuge der Industrie besitzen, ohne die Fähigkeit oder den Willen zu ihrer Anwendung zu haben, und wo andre industriöse Leute keine Arbeitsinstrumente besitzen, diese Instrumente auf die leichtest mögliche Weise aus den Händen der ersteren, ihrer Besitzer, zu übertragen in die Hände der andern, die sie zu verwenden wissen. Bemerken wir, daß nach dieser Definition der Kredit eine Folge der Art und Weise ist, in der das Eigentum konstituiert ist."

 

In dem Gedanken, daß die Banken selbst die Leitung übernehmen und sich auszeichnen sollen

"durch die Zahl und die Nützlichkeit der kommanditierten Etablissements und der in Anregung gebrachten Arbeiten" (p. 101)

liegt der crédit mobilier latent. Ebenso verlangt Constantin Pecqueur, daß die Banken (was die St.-Simonisten Système général des banques <allgemeines Banksystem> nennen) die Produktion regieren". Überhaupt ist Pecqueur wesentlich St. Simonist, obgleich viel radikaler. Er will, daß

"die Kreditanstalt ... die ganze Bewegung der nationalen Produktion regiere . - "Versucht eine nationale Kreditanstalt zu schaffen, die dem nichtbesitzenden Talent und Verdienst Mittel vorschießt, ohne jedoch diese Borger zwangsmäßig durch eine enge Solidarität in Produktion und Konsumtion unter sich zu verknüpfen, sondern im Gegenteil so, daß sie selbst ihre Austausche und ihre Produktionen bestimmen. Auf diesem Wege werdet ihr nur erreichen, was jetzt schon die Privatbanken erreichen, die Anarchie, das Mißverhältnis zwischen Produktion und Konsumtion, den plötzlichen Ruin der einen und die plötzliche Bereicherung der andren; derart, daß eure Anstalt nie weiter kommen wird, als für die einen eine Summe von Wohlergehn zu produzieren, welche gleichkommt der Summe des von den andren ertragnen Unglücks ... bloß daß ihr den von euch mit Vorschüssen unterstützten Lohnarbeitern die Mittel gegeben habt, sich untereinander dieselbe Konkurrenz zu machen, die sich jetzt ihre kapitalistischen Meister machen."(C. Pecqueur, "Théorie Nouvelle d'Économie Soc. et Pol.", Paris 1842, p. 433, 434.)” [5]

 

So weit zur wirklichen und ideologischen Stellung des zinstragenden Kapitals zu Anfang des 19. Jh. in Westeuropa. Diese Modifikationen von der Rolle des zinstragenden Kapitals betrafen Deutschland ideologisch in ihrer spezifischen Weise. Zu Anfang des 19. Jahrhundert tritt der deutsche feudale Flickenteppich im Zuge der französischen Kontinentalsperre für englische Waren selbst in die erste Phase industrieller Produktion ein.


Der bürgerliche Revolutionär Heinrich Heine war schon 1835 Lichtjahre weiter als die heutige weltweite Linke, als er in seiner Denkschrift an Ludwig Börne in Absetzung von diesem Moralapostel die Reihe der Revolutionäre Richelieu, Robespierre und Rothschild buchstabierte. Erster schleifte die Burgmauern des niedrigen Adels, die dem französischen Zentralstaat im Wege standen, der zweite trieb die bürgerliche Revolution entschieden weiter und der dritte machte die stets vermehrbaren und verkäuflichen Staatspapiere (crédit mobilier) zum entscheidenden bürgerlichen Hebel gegenüber dem trägen begrenzten, unverkäuflichen Immobilienkredit des adligen Grundeigentums (crédit immobilier).

 

Um 1800 bricht sich der deutsch-romantische Reflex auf die französische Revolution seine ideologische Bahn. Er spülte die Verklärung der spezifischen deutschen Miserabilität wieder nach oben. Beispielsweise ist es in Hauffs Märchen Das steinerne Herz der Holländer-Michel, der für Reichtum, Geiz und Unmenschlichkeit steht und den armen Schwarzwald-Köhler zum hochnäsigen Neureichen macht und die Idylle der deutschen Provinz bedroht. Das Gute in der Gestalt des Glasmännleins rät dem Köhler Peter treu-deutsch, er solle fleißig arbeiten, dann würde er auch ohne Reichtum von allen anerkannt.

Der romantisch Ökonom Adam Müller behauptete zur gleichen Zeit den „naturbedingten“ Gegensatz zwischen dem Gemeinschaftssinn der Deutschen und dem Egoismus der Angelsachsen.

 

Wohlgemerkt geht es in diesem Kapitel um die historischen Modifikationen des Gegensatzes und der Einheit deutscher Arbeitsideologie vs. Geldmachen als Chiffre des Antisemitismus. Die Chiffre umschließt zugleich sämtliche potentielle Verschiebungen der Personifikation des vermeintlichen Übels „Zins“, sei es spezifisch der Jude, seien es vorstehend bei Hauff die Holländer. In reiner Form kommt diese bedrohliche Unbestimmtheit des Antisemitismus als ideologisches Herrschaftsinstrument zum Tragen in Hermann Görings Spruch; „Wer Jude ist, bestimme ich“: Zentral ist die Selbstüberhöhung der deutschen Fähigkeiten gegenüber anderen Völkern, deren Nachhall den anderen stets das Gegenteil der eigenen selbst zu geschriebenen Potenzen unterschiebt.

 

Um 1840 waren die deutschen Kleinfürstentümer über innere Zollvereine hinaus dringend auf stärkere Integration in den dynamischen Weltmarkt angewiesen.

Ihre gestelzt auftretenden Vulgärökonomen biederten sich u. a. England als Partner an. Der damalig gerade in Blüte stehenden Weltmacht Großbritannien hatte der zerfranste Flickenteppich des begrabenen deutschen Reichs ökonomisch Nichts zu bieten. Daher musste der Nationalökonom Friedrich List um 1846 notgedrungen auf die eingebildete Kulturnation Deutschland zurückgreifen. Die vorne im Text bei List aufgelistete Selbstüberhöhung sogenannter arischer[6] Fähigkeiten hat die deutsche Auffassung von Arbeit und damit der Herabsetzung der Gewohnheiten und Mentalitäten anderer Menschengemeinschaften („Völker“, „Rassen“) unter anderen Lebensbedingungen zur Voraussetzung. Ohne solche konstruierte implizite oder explizite Entgegensetzungen hätten Selbstversicherungen dieser Art keinen Vergleichsmaßstab und wären nicht tragfähig zur Herrschaftsabsicherung.

 

1855 erschien Gustav Freytags Roman Soll und Haben. Bis zum Erlöschen des Copyrights 1925 wurde jenes Bürgertum-Highlight über 120 Mal aufgelegt. Die meisten Leser fanden sich zwischen 1900 und 1920. Bei Dietrich Schwanitz ist zu lesen:


„Der Roman ist ein Monumentalwerk der deutschen Mentalität, die man als gutbürgerlich gekennzeichnet hat. Es ist ein Hohelied auf die bürgerliche Arbeitsmoral, ein Kolossalgemälde der zeitgenössischen Gesellschaft aus nationalliberaler Sicht und ein Flügelaltar des deutschen Wesens und der mittelständischen Ehrbarkeit. Und vor allem ist er ein Denkmal jenes spezifisch deutschen Biedersinns, der eine für andere Nationen kaum nachvollziehbare Verbindung von trotzig demonstrierter Tüchtigkeit, seelenvoller Gemütlichkeit, heimatverbundener Enge und unpolitischer Gemeinschaftssehnsucht darstellt. Dieses Moment der Mentalitätsgeschichte bietet auch den Schlüssel für das Verständnis jenes Antisemitismus, der nicht aktiv verfolgte, sondern der aus jener gedämpften Abneigung bestand, die der Provinzler gegenüber dem Fremden empfindet, dem er unterstellt, daß er insgeheim die Wonnen gemütlicher Beengtheit zynisch verhöhnt; jener Antisemitismus, der die menschliche Gesellschaft auf den engeren Zirkel einer hautnah empfundenen Instinktgemeinschaft zusammenzieht und allen, die nicht dazugehören, die soziale und menschliche Solidarität kündigt. Wir finden in dem Roman die ganze Inneneinrichtung von Gemeinschaftsgefühl, Ehrbarkeit und Gemütswerten geschildert, die das deutsche Bürgertum dann als spezifisch deutsch empfinden sollte. Soll und Haben ist ein Schlüsseltext, der das enthüllt, was nach Oscar Wilde das Rätselhafteste ist: die Oberfläche der Normalität.“[7]

 

In dem Roman wird die deutsche Arbeit als moralisch höher stehende Lebensart den zuhauf verwendeten antisemitischen Klischees und hiermit identisch gesetzten antiamerikanischen Ressentiments entgegengesetzt. Gleichzeitig trampelt Freytag auf der noch unterentwickelten „polnischen Wirtschaft“ regelrecht herum. In der Gegenwart schimmern erstere Stereotypen gerade auch in der deutschen Linken durch in der Kritik des „zügellosen“ anglo-amerikanischen Kapitalismus und dem Plädoyer, ihn politisch zu „zügeln“. Sie belegen die kleinbürgerlichen Illusionen in einen vermeintlich sozialeren Kapitalismus in Kontinentaleuropa. Die Schönfärberei betet praktisch die Litanei des deutschen Aberglaubens an den Staat, um das eigene bürgerliche Dasein zu retten. Letztere Stereotype des Tretens nach unten findet sich in der jetzigen Krise massenhaft in den anonymen Kommentaren zu Artikeln zu den EU-Ländern in den Online-Ausgaben des deutschen Blätterwalds.

 

Zum Ende des 19. Jh. verschärft sich der Kampf um die Aufteilung des Weltmarkts durch den Aufstieg der USA und Deutschlands. Der Antisemitismus in moderner Form wird in den europäischen Ländern (Stichwort Dreyfuss-Affäre in Frankreich) als perfides Herrschaftsinstrument nach innen und außen entdeckt und effektiv ausgebaut. Zu jener Zeit kommt der Gegensatz von „raffendem Kapital“ und „schaffendem Kapital“ auf Grund der hervorragenden Stellung von Kreditsystem und industriellem Kapital als Kampfbegriff zu sich selbst.


Um 1916 ist die imperialistische Räuberbande im tiefsten Gemetzel und ein deutscher Pfaffe formuliert für den Hauptkriegstreiber Deutschland den deutschen imperialistischen Weg zu einer europäischen Großraumwirtschaft.


Friedrich Naumann schrieb, wie vornestehend betont, 1916 unumwunden von der deutschen Wirtschaftskonfession, die auf den Balkan getragen werden wird. Das Attribut „deutsch“ ergibt hier nur einen Sinn, weil es unausgesprochene andere Auffassungen von Wirtschaften unterstellt, die minderwertiger eingestuft werden und die Hauptkriegsgegner im Westen umschließt, da der Balkan nur Kriegsdurchgangspunkt und das von ihm erklärte Hauptkriegsziel eine von Deutschland erzwungene mitteleuropäische Zollunion entsprechend Kerneuropa-Modell III, erweitert um Frankreich, Belgien und Niederlande, war. In Naumanns deutscher Wirtschaftskonfession ist alles gebündelt, was gegenwärtig modifiziert an Hochmut vom deutschen Politik-Personal den EU-„Partnern“ entgegenschlägt.

 

Um 1920 bis 1945:

Hitler modifiziert idealtypisch die ideologische Entgegensetzung von Arbeit und egoistischem Erwerbstrieb in seiner ‘grundlegenden’ Rede zum Antisemitismus und zur ‘Arbeit’ als umfassendes rassenideologisches Weltbild im Jahr 1920:


“Wir sehen, daß hier schon in der Rasse zwei große Unterschiede liegen: Ariertum bedeutet sittliche Auffassung von Arbeit und dadurch das, was wir heute so oft im Munde führen: Sozialismus, Gemeinsinn, Gemeinnutz vor Eigennutz – Judentum bedeutet egoistische Auffassung der Arbeit und dadurch Mammonismus und Materialismus, das konträre Gegenteil des Sozialismus. (Zwischenruf: Sehr richtig.) Und in dieser Eigenschaft, über die er nicht hinaus kann, die in seinem Blute liegt, er selbst erkennt das an, in dieser Eigenschaft allein schon liegt die Notwendigkeit für den Juden, unbedingt staatenzerstörend auftreten zu müssen.”[8]


Dem Phantasma ist Nichts hinzuzufügen, außer, dass das geistige Niveau jenes Scharlatans auf die Vorliebe jenes Völk´schens für Irrationalität hinweist, das ihm hingebungsvoll als seinem Erlöser verfiel.

 

Neben Antisemitismus und Antikommunismus kamen unter den sich zuspitzenden Verhältnissen des Klassenkampfs der Weimarer Zeit Sozialdarwinismus und Eugenik zu großer ideologischer Wirkungskraft des zugespitzten Klassenkampfs zwischen deutscher Bourgeoisie und Proletariat. Hier steht die deutsche Wirtschaftskonfession im Kampf mit ihrer eigenen Negation, mit allen „unnützen Parasiten des Volkskörpers“, die nur als Komplement des „jüdischen Parasitentums“ begriffen werden können. Eine Kostprobe gefällig zur Anschauung, wie die “teutsche Arbeit und das Volkswohl” in der Weimarer Republik sozialdarwinistisch ihr Recht verlangten:

 

“Freilich bedienten sich auch Arbeitgeber der angebotenen Argumentationslinien, um die Opfer der Wirtschaftskrise als die eigentlich Schuldigen zu orten und das kapitalistische Wirtschaftssystem von jeglicher Verantwortung freizusprechen. So hatte beispielsweise im Jahre 1927 der damalige Vorsitzende der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Ernst von Borsig, in seiner Rede vor der Gesellschaft der Berliner Freunde der deutschen Akademie mit diesem Thema dem Sozialdarwinismus gehuldigt:

 

“Es kann sein, daß ohne die vom Staat ausgeübte Fürsorge vielleicht 50 000 Menschen zu Grunde gehen, die mit Hilfe dieser Fürsorge mit dem Leben fertig werden. Es kann aber auch sein, daß, wenn diese Fürsorge nicht bestände, vielleicht 4000 bis 5000 andere Menschen ihre Tatkraft und Fähigkeit in solchem Maße entwickeln würden, daß dies – rein wirtschaftlich betrachtet – jenen Ausfall ausgliche, ja für das Volksganze betrachtet vielleicht noch wichtiger wäre.”

 

Schon 1926 ließ “Der Arbeitgeber”, die Zeitschrift der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, in einem Beitrag ausführen:

 

“Die Überbevölkerungssymptome, die sich heute zeigen, könnten zum mindesten abgeschwächt werden, wenn die Wirksamkeit des Gesetzes der Auslese durch eine geeignete qualitative Leistungspolitik gesteigert werden würde. Gewiß wären Härten einer solchen Politik schwer. Die Untüchtigen würden versinken, die ´Über´- Bevölkerung verkümmern. Die qualitative Bevölkerungspolitik kann das Elend der Arbeitslosen für den Augenblick nicht lindern. Vielleicht verschärft sie es sogar. Darin liegt aber ein wichtiges, zwangsläufiges Erziehungsmittel, und das Ziel lohnt der härtesten Kämpfe und der größten Anstrengungen. Es liegt in der höheren Sphäre der geistig durchdrungenen Produktion, in der nur schaffensfreudige, schöpferische, denkende Menschen arbeiten, durchglüht von der Begeisterung für ihr Werk und sicher vor den Gefahren des grausamsten Symptoms der Überbevölkerung, der Arbeitslosigkeit” [9]  

 

Hier spitzte sich nach 1920 die ideologische Überhöhung der deutschen Arbeit zur sozialdarwinistischen Rigidität des zugespitzten Klassenkampfes zu: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Es war die Zeit der Massenarbeitslosigkeit, die gerade erst mittels Hyperinflation durchgezogene Hungerpeitsche zermürbte das Proletariats. Selbst ihre Furcht vor der revolutionären Zuspitzung der Verhältnisse durch Radikalisierung der „Arbeitsscheuen“ hielt die Bourgeoisie nicht ab, wie obenstehend gegen die dann 1927 beschlossene staatliche Arbeitslosenversicherung[10] zu agitieren.

 

Der ideologische Gegensatz zwischen deutscher Arbeit und jüdischem Gelderwerb war in jenem Zeitraum schon manifest kapitalistisch aufgehoben in das Gegensatzpaar schaffendes Kapital versus raffendes Kapital.

 

Wenn schließlich über dem Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz stand: “Arbeit macht frei”[11], dann drückt sich in dieser zynischsten Formel der Weltgeschichte der konzentrierte unermessliche Hass der Ausgebeuteten auf ihre entfremdete Arbeit aus: auf die Lohnarbeit, welche das Kapital erschafft als ihre eigene, aber ihr fremd und feindlich gegenüberstehende Macht – aber als umgedrehter, verkehrter von den Herrschenden losgetretener wahnbefallener Hass der Beherrschten des Verwertungsprozesses des Kapitals gegen alle diejenigen Menschen, die vermeintlich oder z.T. wirklich von der Lohnsklavenarbeit “befreit” waren.

 

Das ideologische Gegensatzpaar schaffendes Kapital versus raffendes Kapital als der unreflektierten Folie des modernen Antisemitismus ist spätestens seit Ende der 1970er auf der ideologischen Bühne der internationalen Protestbewegungen neu zu Ehren gekommen. Seit der Staatsschuldenkrise der südamerikanischen Staaten schwoll mit den Schüben von IWF-Austeritäts-Diktaten und mit Ausbruch der aktuellen Weltwirtschaftskrise 2008 noch schriller der weltweite Chor moralisierender Anschuldigungen gegen das sogenannte Finanzkapital an:

der Machtmissbrauch der Finanzmärkte, der Wall Street, der Banker- und Spekulantengier usw. ist das unbewusste postmoderne Echo der antisemitischen Folie von schaffendes Kapital versus raffendes Kapital. So schallt es aus den Mündern des gemeinen Mannes auf der Straße, wie auch den Resten der Arbeiterbewegung. Das wissenschaftliche und politische Personal von rechts bis links bedient sich ebenfalls in der verschärften gegenwärtigen Krise im Verein mit den Medien der ständigen „Bankenschelte“. Das müsste kritische Zeitgenossen eigentlich stutzig machen.

 

Wortreich wird durch Personifizierung der Probleme von der Aufklärung der Ursachen kapitalistischer Krisen abgelenkt. Die objektiven Bewegungsgesetze des Reproduktionszyklus des Kapitals verschwinden hinter dieser Versubjektivierung der Verhältnisse. Tatsächlich hat die zyklische Krise die Funktion, die materiellen und personellen Ressourcen der Gesellschaft entsprechend der Dynamik der Produktivkräfte optimal zu allokieren. Entscheidend für die Allokation ist die tendenzielle Entwicklung der Profitraten der einzelnen Produktionszweige.

Das ökonomische und politische Personal kann nur versuchen, die dabei entstehenden gesellschaftlichen Friktionen des Klassenkampfs zu bändigen. Das „Gute“ schaffende Kapital und somit die Produktions- und Eigentumsverhältnisse samt Auspressung des Mehrwerts bleibt bei dem irrationalen Auseinanderreißen des Gesamtprozesses der Reproduktion des Kapitals in sogenanntes Finanzkapital und sogenannte Realwirtschaft begriffslos außerhalb jeder Kritik.

 

Den bekennenden Marxisten unter solchen Kritikern ist offensichtlich fremd, dass Herr Marx gerade die Loslösung des kapitalistischen Privateigentums – das ausschließlich auf der Ausbeutung fremder Arbeitskraft beruht – vom Allgemeinwohl und die Maßlosigkeit des Profits als Treibriemen der Akkumulation des Kapitals zugleich als Hebel zur Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, der darauf beruhenden relativen Mehrwertproduktion mit einhergehender Reduktion der gesellschaftlich notwendigen Gesamtarbeit und somit der Schaffung von möglichst viel frei verfügbarer Zeit als Voraussetzung einer Gesellschaft freiwillig assoziierter Produzenten als geschichtlich fortschrittlich würdigt im Gegensatz zur althergebrachten trägen Agrargesellschaft.

 

Postmoderne Marxisten verdammen dagegen die Maßlosigkeit[12] der Profitmacherei als objektiver kapitalistischer Gesetzmäßigkeit moralisch und verlegen diese subjektivistisch in die „Gier“ der Banker und Manager, die doch nur die Charaktermasken des Kapitals sein können. Als echte bürgerliche Staatsillusionisten fordern sie dann, dass ausgerechnet die Regierung als geschäftsführender Ausschuss der Bourgeoisie dieses „Treiben“ beschneidet.

 

Alle schreien über Bankenprofite und Bänkergehälter. Da kommt der größte deutsche Autokonzern als Weltmarktkrisengewinnler mit 17 Mrd. € Profit aus dem Jahr 2011 und entgeltet seinen Chief mit 15 Millionen Ostereiern und keiner schreit auf. 2012 fährt der Konzern über 20 Mrd. € Bilanzgewinn ein und die Presse kolportiert wohlwollend, dass der Chief diesmal freiwillig auf ein paar seiner „verdienten“ Milliönchen verzichtet. Schlechtes versus Gutes Kapital modert hierbei durch. Dass die Arbeiteraristokraten der deutschen Autokonzerne fürs Krisenjahr 2011 zusätzlich zum Lohn ne Bestechungs-Zusatzprämie zwischen 5 und 10 Tsd. Ostereiern für ihre „gute“ Arbeit als „Treueprämie“ kassieren und die Zeitarbeiter leer ausgehen, passt wohl ebenso ins modrige Raster „sozialer Gerechtigkeit“ – auch der co-managernden Gewerkschaftsbosse.

 

Diese widersprüchliche propagandistische gesellschaftliche Wertung des industriellen Profits und den Profiten des zinstragenden Geldkapitals in der öffentlichen Meinung ist ideologischer Ausdrucks des Interessenkampfes der industriellen Kapitalisten gegen die Geldkapitalisten. Sie kämpfen gegeneinander um die Höhe des Unternehmergewinns contra Höhe des Kreditzinses. Der Zins ist ein Bestandteil des Mehrwerts und muss aus dem industriellen Profit bedient werden, was dem Unternehmer selbstverständlich umso weniger schmeckt, je höher der Zinssatz steht und die geforderten Kreditabsicherungen kosten. Während der Geldkapitalist als Zinsnehmer des industriellen Kredits als gemeinschaftsschädigend erscheint, wird anderseits der industrielle Profit als ehrlicher einfacher Unternehmenslohn mystifiziert.

Der Gegensatz der Interessen der personellen Träger des Kapitals in seinen drei Funktionsräumen Industrie-, Handels- und Bankenkapital[13] bildet die Grundlage für die öffentliche Hetze gegen die „Finanzwelt“ und wenn es passt gegen die Warenhändler wegen überhöhter Preise.

 

Damit entpuppt sich das gegenwärtige Geschrei gegen die „Bankenmacht“ als interessegeleitete Medienschlacht des „Industriestandorts“ Deutschland gegen das zinstragende Geldkapital und wenn es sein muss auch gegen das Handelskapital.[14] Jetzt wird erst deutlich, dass der interne Kampf der Kapitalfraktionen entlang der Funktionsräume des Kapitals jene unbewussten feudalen antisemitischen Folien modifiziert zur neuen Blüte zu treiben vermag, wenn es der stärksten Kapitalfraktion nützt. Die antisemitische Folie als solche ist kraftlos, weil überholt. Das Finanzplatz-Fürstentum Lichtenstein kann diesen Finanzmarkt moralisch verdammenden Hexensabbat beispielsweise nicht zur nationalen Propaganda ausbauen.

 

Und mit der ausgebrochenen Staatsschuldenkrise des EURO-Raums nahm die Kritik aus Deutschland an den Mittelmeeranrainer-EURO-Ländern wieder den unheilvollen Schulmeiser-Klang des deutschen Wirtschaftschauvinismus an: die Südländer können nicht wirtschaften, liegen auf der faulen Haut und wir müssen zahlen – obwohl wir in Wirklichkeit in Gestalt des deutschen Staates am ausgeliehenen Geld die ganze Zeit kassieren. Die Gestalt des Raffers ist aus der Perspektive des sich „gut“ wähnenden Schaffers jederzeit austauschbar. Der deutsche Michel fährt den Kurs der deutschen Bourgeoisie begeistert mit.

  

Folgerichtig fuhr EU-Finanzpakt-Zambano Schäuble bei der faktischen Staatspleite Zyperns ab März 2013 eine Breitseite gegen ein volkswirtschaftliches "Geschäftsmodell", das einen "aufgeblähten Bankensektor" hat. "Aufgebläht" kann ein nationaler Bankensektor nur sein, wenn diesem Nationalstaat überproportional zum BIP Geldkapital zufließt. Dies gelingt nur durch günstige Besteuerung und Deckung von Schwarzgeldkonten durch striktes Bankgeheimnis.

 

Mit der Zwangsabgabe der Geldanleger - zunächst aller Sparer, dann ab 100 Tausend € Einlage - zur zypriotischen Bankensanierung als Bedingung des Einsatzes der EU-"Rettungsschirme" und der Drohung der Abschaffung besagten "Geschäftsmodells" erzielte Schäuble die erhofften Wirkungen. Die "Steueroase" Malta erklärte, Schwarzgeldfrei zu sein. Luxembourg erklärte, gegen Schwarzgeldzufluss vorzugehen. Österreich erklärte, Teile seines strikten Bankgehemnis zu überdenken. Die Schweiz will die Verhandlungen über ein Steuerabkommen mit Deutschland wieder aufnehmen. Die Großbanken der Schweiz und Deutschlands erklärten, in Zukunft keine unversteuerten Gelder mehr anzunehmen.

 

Dabei war Deutschland doch ganz gut damit gefahren, dass die von russischen Oligarchen in Zypern angelegten Gelder - die "Früchte" des geraubten Sowjetvermögens - über Zypern nach Griechenland in die Eurozone eingeschleust wurden und deutsche Exporte dorthin eine Dekade lang beflügelten. Es handelt sich um ein Paradebeispiel dafür, wie das "schaffende" deutsche Industriekapital sich das "raffende" Geldkapital in Europa nach seinem Ebenbild politisch untertan machen will. Und heftiger Beifall der Claquere von links bis rechts war dem "letzten Europäer" gewiss. Die Bigotterie dieses schwäbischen Biedermanns hat schon lange ein Niveau, welches seinen 2013 als Steuerhinterzieher geouteten Landschaftsmann Uli H. als schlappes moralisierendes Weißwürstchen erscheinen lässt.

 

Die deutsche Arbeitsideologie verpuppte sich schon lange als das Hirngespinst „Soziale Marktwirtschaft“ contra „Zügelloser Kapitalismus“. Dass der Besserwissi dies schon seit der Bonner Republik anderen als „Modell“ anpries, wurde daheim mit Stolz vernommen und im Ausland belächelt. In der Staatsschuldenkrise, Anfang 2012, sprangen Ideologen und Politiker aller möglichen Staaten auf diesen Zug auf, redeten die deutschen Pyrrhussiege groß, um zugleich seine Finanzkraft in „Verantwortung für Europa“ anzapfen zu können.

 

Deutschlands Ordnungspolitik des völkischen Schulterschlusses wird als wundersam geschlüpfter Schmetterling der Zukunft gepriesen. 2013 "feiern" die Arbeiter in Deutschland am 1. Mai zum 80. Mal den vom Führer "geschenkten" Tag der Arbeit. Besinnungslos rufen DGB und die Partei DIE.LINKE zum Tag der deutschen "Arbeit" und fordern "gute Arbeit". Dass dies mal der Kampftag der Arbeiterklasse war und seine Verstaatlichung 1933 zum Tag der deutschen "Arbeit" nur nach der gerade zuvor erfolgten bluttriefenden Zerschlagung der wichtigsten Arbeiterorganisationen und der Eingliederung der Malocher in die deutsche Arbeitsfront als Zentrum der Volksgemeinschaft machbar wurde, ist aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt. Dabei wurde diese zentrale Niederlage der Arbeiterklasse nie untersucht, sondern als alternativlos hingestellt. Ohne eine gründliche Beschäftigung mit der proletarischen Niedertlage in Deutschland, der SU und Spanien und ihrer Kulmination in der Shoah wird es für das Proletariat keinen revolutionären Ausweg nach vorne geben können.


Den zur Zeit herrschenden nationalen Schulterschluss in Deutschland hätten die Bourgeoisien der anderen Nationen auch gerne, ebenso gerne wären sie Exportweltmeister. Dass bei diesem Gefasel hinter der Hand die Quadratur des ökonomischen Kreises einer Weltmarktteilnehmerrunde von lauter Nationen mit Exportüberschüssen herbeigeredet wird ohne entsprechend nachfragekräftige Importnationen benennen zu können, fällt den Ideologen erst gar nicht auf.

 

Hiermit sei der Aufriss der sich modifizierenden Kontinuität der deutschen Arbeitsideologie gerade auch als Chiffre des Antisemitismus abgeschlossen.



[1]   Karl Marx MEW Bd. 25, S. 615


[2]   François Quesnay: Tableau économique, et maximes générales du governement économiques. Versailles 1758. Karl Marx griff diesen von ihm als genialsten Einfall der bisherigen politischen Ökonomie gewürdigten Entwurf (MEW, Bd. 26.1,S. 319) auf und entwickelte ihn fort zur Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals (MEW, Bd. 24, Dritter Abschnitt). Diese ist in der gesamten Linken zur Phrase der „Reproduktionsschema“ verkommen, ohne je – mit Ausnahmen von Rosa Luxemburg und Roman Rosdolsky – die zentrale Stellung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals als eigengesetzlichem funktional-ökonomischem Gebilde theoretisch in Stellung zu bringen. Gerade die Konkurrenz der Nationen ist ohne diese Kategorie nicht erklärbar.


[3]   Ebenda S. 616 ff


[4]   „Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier (als Kapital, Anmerkung EN) plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen. Aber noch mehr. Statt Warenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt sozusagen in ein Privatverhältnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Person, denn nur durch den Mehrwert von 10 Pfd.St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd.St. Kapital, und sobald sie dies geworden, sobald der Sohn und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd.St.

   Der Wert wird also prozessierender Wert, prozessierendes Geld und als solches Kapital. Er kommt aus der Zirkulation her, geht wieder in sie ein, erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt vergrößert aus ihr zurück und beginnt denselben Kreislauf stets wieder von neuem.(13) G - G', geldheckendes Geld - money which begets money - lautet die Beschreibung des Kapitals im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Merkantilisten“ MEW, Bd. 23, S. 169 f.

 

[5]   MEW Bd. 25, S. 622 f 

 

[6]   In Abwendung von der Bewunderung des Römischen Reich wurde in der nachnapoleonischen Restaurationsperiode der Germanenkult zwanghaft zwecks nationaler Identitätsstiftung in Gang gesetzt. Was Karl Marx so gewichtet: „Gutmütige Enthusiasten dagegen, Deutschtümler von Blut und Freisinnige von Reflexion, suchen unsere Geschichte der Freiheit jenseits unserer Geschichte in den teutonischen Urwäldern. Wodurch unterscheidet sich aber unsere Freiheitsgeschichte von der Freiheitsgeschichte des Ebers, wenn sie nur in den Wäldern zu finden ist? Zudem ist bekannt: Wie man hinein schreit in den Wald, schallt es heraus aus dem Wald. Also Friede den teutonischen Urwäldern!“ Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung; MEW Band 1

 

[7]     Auszug aus: Dietrich Schwanitz, Das Shylock Syndrom oder Die Dramaturgie der Barbarei; Eichborn 1997; Seite 183. Gustav Freytag konfigurierte nach Schwanitz sein Werk bezüglich der Hauptpersonen wie Shakespeare im Kaufmann von Venedig. Sein Triptychon: ein deutscher Kaufmann, ein jüdischer Kaufmann, ein verarmter Aristokrat. Schwanitz ist hierbei nach der mentalitätsbedingten Seite des Antisemitismus zu folgen, dass der Bürger sich in Bewunderung des Adels als Gentleman sehen möchte. Dazu spaltet er den „schmutzigen“, profanen Geschäftssinn, den „Materialismus“; die Habgier und Gewinnsucht ab und weist es als Christenmensch seinem inneren Judas zu. Diesen setzt er aus sich heraus als Projektion in den Juden überhaupt.

Es war nur konsequent, dass Freytag nach 1860 den 6 bändigen Roman Die Ahnen herausbrachte, wo in unsäglichem Geraune mit der Pseudo-Kontinuität eines „edlen“ Thüringergeschlechts durch die Jahrhunderte anno 357, 840, 1005, 1240 … dem Arierkult Vorschub geleistet wird.

 

[8]     In: Reginald H. Phelps, Hitlers „grundlegende“ Rede über den Antisemitismus. - Dokumentation. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 16. Jahrgang. Stuttgart 1968, S. 406. Grundlegendes Werk zum Verhältnis Hitler - Luther - Deutsche Christen siehe: Friedrich Heer, Gottes erste Liebe – 2000 Jahre Judentum und Christentum. Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler, München 1967

 

[9]   Bernd Klees, Der gläserne Mensch im Betrieb, Genetische Analyse bei Arbeitnehmern und ihre Folgen, Frankfurt/Main 1988; die beiden letzten Zitate nach Klees, 1984 b, S.78f

 

[10]   Verhandlungen des Deutschen Reichstags, Sitzung vom 7. Juli 1927
http://www.reichstagsprotokolle.de/Band2_w3_bsb00000100.html

 

[11]       Diese Formel wurde im 19. Jh. als konsequenter Ausdruck der lutherischen Bestimmung der Arbeit als Gottesdienst von verschiedenen Interpreten entwickelt. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeit_macht_frei.

Wenn Marx davon spricht, dass die Arbeit in einer freien Gesellschaft zum ersten Lebensbedürfnis wird, dann ist der Gegensatz entscheidend: erst mit der Überwindung des Systems der Lohnarbeit, also Aufhebung des Privateigentums über das Stadium des Staatsmonopols hin zu gesellschaftlichem Eigentum an allen Produktions- und Reproduktionsbedingungen wird der Weg frei für Arbeit als erstem Lebensbedürfnis.

Hierbei streifen alle sachlichen Gegenstände und das Arbeitsvermögen  ihre Verwertungsformen ab: Produktionsmittel und Lebensmittel verlieren ihre Waren-, Wert-, Geld- und Kapitalformen und gehen in den Gebrauchswertfonds als gesellschaftliches Eigentum über. Das menschliche, gattungsbewusste Arbeitsvermögen wird durch die allerletzte Tat des Menschen als reduziertem proletarischem Arbeitsvieh von der Waren- Wert- und Lohnform der Arbeitskraft befreit. 

Im Übergang zur Assoziation der freien Produzenten stirbt der proletarische Staat und damit jedwede Politik als Herrschaft von Menschen über Menschen Stück für Stück ab mit der sukzessiven Zurücknahme der sachlichen Aufgaben in die Gesellschaft. Das  Proletariat hebt sich und die Bourgeoisie als Klassen in diesem Umwälzungsprozess sämtlicher gesellschaftlicher Verhältnisse auf, der Nationalstaat verliert dabei jedwede Funktion als politisches Klassseninstrument. Die Verwaltung und Weiterentwicklung der materiellen Bedingungen der Weltkommune wird beispielweise durch einen Weltrat mittels eines schlichtes Delegiertensystem gewährleistet. Die ethische Maxime der menschlichen Gattung kann nur sein, die Zukunft vernunftgemäss nach menschlichem Maßstab zu gestalten. Dies eröffnet erst den gesellschaftlichen Raum und die Eigenzeiten zur Entwicklung der gesellschaftlichen Bedingungen als Bedingungen der Entwicklung des einzelnen Individuums und umgekehrt durch die radikale Senkung der Arbeitszeit aller.


Diese Skizzierung der freien Gesellschaft ist keine "Utopie", "Idee", "Ideal", sondern jene bestimmte Negation der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie der alte Mohr und sein Compagnon Frederik in der Formanalyse des Kapitals als Möglichkeit, die schon damals in der Wirklichkeit lag und zum Überleben der Gattung notwendig ist, gewannen. Sie konnten diese bestimmte Negation nur deshalb formulieren, weil Marxens Analyse der kapitalistischen Formenbestimmtheit der menschlichen Arbeit selbst, der Arbeitsbedingungen des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses, der Produktionsmittel, der Arbeitsgegenstände und Arbeitsprodukte, der gesamten Produktions-, Verteilungs- und Verkehrsverhältnisse als historisch spezifische Produktionsweise darzustellen vermochte, die immanent über die Gesellschaftsformation des Privateigentums hinaustreibt. Der Haken ist: Nur die Arbeiterklasse selbst kann sich durch politische Selbstermächtigung auf diesen Weg begeben.

 

[12]        Im Anschluss an folgende Stelle:

„Wenn das Geld, nach Augier, "mit natürlichen Blutflecken auf einer Backe zur Welt kommt" so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend.“ fügt Marx in Fußnote 250 folgende Zitate an: „ "Kapital", sagt der Quarterly Reviewer, "flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur.“ Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel." (.J. Dunning, l.c.p. 35, 36.)“ MEW Bd. 23 S. 788 sowie dortige Fußnote 250

 

[13]       „denn das zinstragende Kapital hat als solches das fungierende Kapital zum Gegensatz“ MEW 25, 392

 

[14]       Siehe hierzu die Ausführungen bezüglich der politischen Behandlung der insolventen großen Handelskapitale vs. des angeschlagenen Autobauers in der Krise 2010 in: Guenther Sandleben, Politik des Kapitals in der Krise, VSA 2011

[→ Zur Übersicht Teil 1]

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise