7. Feudale Sehnsüchte in Deutschland Anno 2011/2012

Große kapitalistische Krisen lassen stets den Okkultismus in all seinen zeitgeistig säkular modifizierten regressiven Ausformungen aufkochen. Das beschränkt sich nicht auf den Zulauf zu Ablegern des unüberschaubaren, dynamisch wachsenden religiösen und esoterischen Sektenwesens, sondern durchdringt das Alltagsleben der Individuen der hoch entwickelten Länder mit aufgebrauten kruden Ideenwelten der Vergangenheit als Regressionen hinter die durch das Kapital erzeugten Fetischformen, in denen das Kapital die Gottheit und der Mensch herabgewürdigt ist zum bettelnden Lohnsklaven.

Wie es Anno Domini 2011/12 um die Emanzipation Deutschlands von vermoderten feudalen Überresten und Sehnsüchten bestellt war, lässt sich beispielsweise so ermessen:

Zu feudalen strukturellen Überresten zu zählen sind die noch immer sich landsmännisch gebärdenden Bundesländer mit eigener aufgeblasener korrupter Bürokratie, die mit ihren Partikularinteressen und ihrer starken Stellung als Bundesrat die Entwicklung der BRD zu einem modernen, handlungsfähigen nationalen Zentralstaat hemmen. Ihre Borniertheit kommt insbesondere im ideologisch hochaufgeladenen, heillos zerklüfteten Bildungssystem zum Ausdruck, das die Produktivkraft-Entwicklung des nationalen Gesamtkapitals behindert statt fördert.

Was die Stellung der Großkirchen und deren „Wohltätermafia“ als eines wichtigen ordnungspolitischen feudalen Überbleibsels betrifft, so kommt dies nachfolgend noch zur Sprache.

Das Krankenkassensystem der Pflichtversicherten und der Innungskassen ist entsprechend dem früheren feudalen territorialen deutschen Flickenteppich sinnlos in eine Flut eigenständiger teurer Einheiten zergliedert und trennt in ständischer Manier Arbeiter, Angestellte und Selbstständige. Das Kammerwesen des Handwerks (und dessen Meisterabschlüsse), der Architekten etc., der Ärzteschaft, Apotheker, Anwälte samt Industrie und Handelskammern ist noch immer rudimentär ständisch organisiert. Ihre klientelzentrierte Lobbyarbeit hat im Wirrwarr der öffentlichen Institutionen großen Einfluss zur Sicherung ihrer Monopolstellungen und lässt republikanisch oder gewerkschaftlich orientierte Vereinigungen alt aussehen.

 

Was die „weichen“ Daten deutscher Befindlichkeiten tendenziell feudaler Sehnsüchte angeht, die Bestandteil des Marketingspektakels geworden sind, so sei hier nur eklektisch an feudal-regresssive Reminiszenzen erinnert. Was den gemeinen Mann (und Frau) der verklein-bürgerlichten lohnabhängigen Klasse betrifft, so schlüpfen sie in ihrer Freizeit in deutschem Bierernst zuhauf in mittelalterliche „Vereinigungen“ und Rollenspiele, wofür ihnen kein Requisit zu teuer ist. Sie begeben sich dabei freiwillig als Alter Ego in ein hierarchisch pyramidengleich gestuftes Vasallen-Führer-Verhältnis. Der zugehörige „Werte“kanon zelebriert ein höfisch stilisiertes Unterwerfungs- und Huldigungszeremoniell phantasmagorischer Gemeinschaftlichkeit. Dass manche dabei nur noch in christlich-mittelalterlichen Wahnwelten leben, bezeugt nicht von ungefähr die Templerorden-Selbstzuordnung des Andres Breivik. Wer sich derartigen „Spielen“ freiwillig regelmäßig unterwirft, ist wohl weit über den Berg der kleinen Fluchten aus der Alltagsmühle hinaus im Tal der feudalen Regression pseudo-heiler Traumwelten jenseits bürgerlicher Gleichheits- und Selbstbestimmungsrechte gefangen.

 

Das ´Mittelalter` ist Sujet massenhaft genutzter Online-Spiele und Regalwände füllender schlechter „historischer“ Romane. Der Mittelalter-Boom überrollt im letzten Jahrzehnt die 2000 deutschen Fachwerk-Provinzstädtchen wie auch Großstädte mit regelmäßigen Jahrmarkts-Spektakeln, die inzwischen Millionen in ihren Bann ziehen. Sicherlich sind heutzutage mehr Burgfräuleins und Ritter unterwegs, als die Kemenaten, Harems und die Hofstaaten aller deutschen Zwergfürstentümer zusammen jemals fassten.

 

Was die politische „Elite“ des Jahres 2011/12 betrifft, so steht die Frage, warum sie den damaligen deutschen Papst, den „unfehlbaren“ Stellvertreter des Christengottes auf dem Erdenrund in ein demokratisch gewähltes bürgerliches Parlament einer säkularisierten Republik einluden. Das Konkordat samt staatlicher Eintreibung des Steuer-Zehnten verweist allerdings auf die nicht abgeschlossene Trennung von Staat und Kirche in Deutschland. Dass das soeben durch aufgedeckte Missbrauchsfälle aus mehreren Jahrzehnten ins Gerede gekommene Kirchenpersonal und das ausgedehnte Schulwesen der Großkirchen staatlich bezahlt werden, belegt u.a. die Zurückgebliebenheit der deutschen Zustände hinter einer säkularen, bürgerlichen Welt.

 

Ist die lutherische nicht schon wieder die deutsch-preußische Staatskirche[1] und wollte man den Transalpinisten (= diejenigen Katholiken, die nach Rom und nicht nach Berlin orientiert sind) dem Schein nach eine Plattform geben, wo der Papst doch die Lutheraner beim gleichzeitig anstehenden Besuch auf der Domplatte zu Erfurt erstmals seit dem lutherischen Schisma auf Augenhöhe empfing? Es geht dem Politikbetrieb wohl um die Anerkennung des ererbten feudalen Relikts der Pfründe der Großkirchen und den gemeinschaftlichen Schulterschluss mit der alten Ordnungsmacht auf der Kommandobrücke des gemeinsamen Volksbötchens, das in den schweren Krisengewässern des auch von Herrn Ratzinger erhofften Europas nach dem Vorbild des Römischen Reiches deutscher Nation gefährlich schwankt.

 

Dass man dem Nachfolger der einstmals weltumspannenden Terrororganisation Raum gab, eventreif über Ethik in der Politik zu sprechen, verweist nur auf die Rückwärtsgewandtheit des deutschen Politikbetriebs selbst. Denn was Benedikt XVI. zu sagen hatte: Gerechtigkeit muss in der Politik vor den Erfolg (des Gewinnstrebens) gestellt werden, ist zutiefst feudale Patronage und ist Teil seiner Antimodernistischen Wende[2]. Es ist der andere Ausdruck der im Grundgesetz (Artikel 14 (2)) gesetzten feudalen Phrase: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Denn das moderne kapitalistische Privateigentum hat sich ja gerade vom Gemeinwohl emanzipiert und schaltet und waltet nach eigenem Gusto und Willkür als dem Inhalt bürgerlicher Freiheit.[3]  Dass gerade ein Teil der Gutmenschen der Partei DIE LINKE der Papstrede fern blieben, obwohl er ihr Herzensanliegen „Gerechtigkeit“ vortrug, entbehrt nicht der Ironie.

 

Dann will wohl die grüne Kleinbürgerpartei das Ganze des fortwährenden deutschen Irrationalismus noch toppen. Sie erwägen die Bundestags-Einladung des Göttlichen Dalai Lama des tibetanischen Theokratismus zur Erbauung ihrer lebensphilosophisch durchtränkten neuen deutschen Wutbürger.

 

Gleichzeitig denken wertkonservative katholische Kreise laut über die Möglichkeit der Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland nach. Die Häuser Habsburg und - oh Wunder - Guttenberg werden ins Gespräch gebracht.[4] Hochwohlgeboren können dann in der Attrappe des Berliner Stadtschlosses[5] als katholische Diaspora in Preußisch-Lutherisch-Berlin logieren. Dann wäre die Steuermilliarde (Baukosten nach Stand heutiger Schätzungen: schon jetzt 590 Mill. Euro) nicht verschwendet.

 

Die wertkonservative katholische Strömung der CDU sucht sich bisher vergeblich innerparteilich zu formieren, um ihren galoppierenden Machtverlust zu stoppen. Unter der Hand hat die lutherische Kirche die wichtigsten Posten der neuen Berliner Republik mit einem Pastor und einer Pastorentochter samt protestantischem Ministerstab übernommen und den katholischen Überhang der Bonner Republik ins schiere Gegenteil gewendet. Hierbei geht es um die Wahrung althergebrachter konkordaler Pfründe der zwei anerkannten Großkirchen sowie um deren umfangreiche Wohlfahrtsmafia mit quasi-feudalem Arbeitsrecht und um hart umkämpften Einfluss auf allen wichtigen Entscheidungsebenen der Deutschland AG. Es geht also profan um sehr viel Knete aus dem Steueraufkommen unter dem pharisäerhaften Deckmäntelchen christlicher Nächstenliebe.

Allerdings sehen sich die wertkonservativen (nicht nur) Katholen ideologisch nicht mehr in der „linken“ Merkel-CDU aufgehoben – oh Gott oh Gott und dann jetzt noch die Homoehe! Sie sehen sich wie ihr Päpstlein im Kulturkampf, gar Überlebenskampf mit der fortschreitenden Säkularisierung Europas. Bisher gibt es in der BRD jedoch keine personelle Kraft, die eine lebensfähige wertkonservative Partei "rechts" von der CDU/CSU in Stellung bringen könnte – nicht zuletzt dank des urdeutschen Schismas zwischen katholischer und protestantischer Göttlichkeit. Ob die Ökonomie-Professorenpartei Alternative für Deutschland dieses Vakuum auszufüllen vermag, steht zu bezweifeln, da sie eine „moderne“ Gesellschaft als Grundlage „erfolgreichen Wirtschaftens“ begreifen und sich als Ansammlung bürgerlicher Besserwisser und Karrieristen selbst zu zerlegen droht.

 

Zeitgleich wird in wichtigen ideologischen Publikationsorganen die Debatte um die Einschränkung demokratischer Entscheidungsfindungen forciert.[6] In diesem Licht betrachtet, fragte sich der Leser zur Jahreswende 2011/12, ob denn der Verlag der deutschen Staatssprachrohre den evangelikal kungelnden[7] katholischen Biedermann Wulff zu höchsten Repräsentationswürden hatte tatsächlich erst hoch schreiben lassen, um dann den Bundespräsidenten Wulff wegen einer beiläufigen Kreditaffäre zum Abschuss frei zu geben, zu Weihnachten zu  rupfen und schließlich als Dreikönigsgabe zu grillen – oder ob dieser inoffizielle Staatsverlag das Bundespräsidialamt selbst grillen will.[8]

 

Wulffs Vorgänger Köhler durchbrach die Tabuisierung des Kriegseinsatzes für nationale wirtschaftliche Interessen und ging in obskur mimosenhafter Weise. Wulff wurde gegangen. Beide demontierten selbst ein Amt, das in fetten Jahren einem feierlich aufgeblasenen Papiertiger gleicht, den der BRD-Repräsentationsgockel reiten muss. Vielleicht will der Verlag den Papiertiger selbst erlegen.

 

Die deutsche Staatsraison gab in kürzester Frist zwei ihrer Hähne zum Abschuss frei, obwohl aus Mangel an Nachschub auch weiterhin nur meist schwachbrüstige medial aufgeplusterte Broiler-Kandidaten zum Hahnenkampf in den politischen Ring geführt werden können. Das macht man nicht mal so nebenbei. Braucht die BRD überhaupt so ein lächerliches Amt? Wäre nicht auch im Zuge der deutsch angestrebten politischen Union der EU in Deutschland eine starke Präsidialdemokratie angebracht? Dann wäre endlich Schluss mit zu "viel" demokratischen Gedöns und viel zu langsamen Entscheidungsprozessen – der „Stillstandsrepublik“ – und es wäre selbstverständlich vorbei mit dem sozialen Firlefanz der Parteien.

 

In der Not der eigenen Mittelmäßigkeit griff die farbenreichste Parteienkoalition der Mitte für das Bundespräsidialamt tief in die Mottenkiste deutscher Gegenaufklärung und erwischte den jederzeit Aufmerksamkeit erheischenden, eitlen Bürgerkandidatus Gauck. Sein Zauberwort ward von Ewigkeit zu Ewigkeit „Freiheit!“. Damit wird der von der Mischpoke neu ins Schlössle gehievte Bundespräsident allen noch bis zum Überdruss in den Ohren liegen – vor allem in den anbrechenden mageren Jahren der Berliner Republik. Auf seine salbungsvollen fintenreichen inhaltlichen Bestimmungen von „Freiheit“ kann Mensch gespannt sein. Der Lutheraner der inneren Freiheit bei äußerer Knechtschaft spricht aus seiner Lebensgeschichte. Vom leibhaftigen Antichrist DDR ließ er sich zum anerkannt-berufsmäßigen Gottesmann der amtlich Lutherischen Quasi-Staatskirche der Arbeiter- und Bauernrepublik unter Allein-Führung der SED bestallen samt Apanage.

 

Die Innerlichkeit seines Gottesauftrags unter äußerer Herrschaft des Antichrist hielt er durch bis zum Tag seiner Befreiung durch die DM und Bananen schwingenden westdeutschen Brüder. Die profane Kärrnerarbeit der DDR-Bürgerrechtler verschmähte der staatlich-anerkannte Kirchenmann in knechtseliger Innerlichkeit. In der Berliner Republik war er der gemachte Mann zur aktenkundigen Erschnüffelung der Schnüffler des ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienstes. Seine Amtszeit in der passenderweise Gauck-Behörde genannten Schnüffelanstalt belegte, dass er in seiner inneren Freiheit die äußere Knechtschaft der Lohnsklaverei als göttlich-natürliche Ordnung mit Zähnen und Klauen verteidigt. Mit dem amtlich bestallten Berufs-Gottesmann bestieg ein Eiferer des überkommenen deutschen Antikommunismus das Ersatzthrönchen von Bellevue. Da wurde im Franz-Josef Strauß Jargon „Freiheit statt Sozialismus“ reloaded. Das passt in die gegenwärtige krisengebeutelte Landschaft.

 

Die mageren Jahre könnten allerdings allzu bitter werden. Die ökonomische Krise, wie sie sich 2012 in Südeuropa entwickelte, wird an Deutschland nicht spurlos vorbeigehen. Sie vermag eine Schärfe anzunehmen oder in eine langandauernde Stagnation übergehen, so dass sich Teile des „deutschen Volkes“ gezwungen sehen, sich entgegen ihrer Gemeinschafts-Sehnsüchte entlang der verdrängten Klassenlinien in gegensätzlichen Freiheits-Auffassungen politisch zu organisieren. Herr Gauck steht Fuß bei Gewehr, seinen Begriff von Freiheit variantenreich auszuschmücken und alle Abtrünnigen mit dem Bannfluch seiner amtlich abgesegneten gottesfürchtigen Definitionsgewalt von bürgerlicher Freiheit zu belegen. Falls die mageren Jahre die parlamentarischen die Parteien so auszehren, dass sie sich trotz Neuwahleritis auf keinen Kanzler einigen können, schlägt die Stunde des bundespräsidialen Rechts, einen Notverordner à la Brüning vorzuschlagen, vergleichbar den in den Krisenländern jetzt schon eingesetzten „Experten“. Vielleicht gibt es hierzu noch viel Kleingedrucktes zu studieren.

 

Bürgerkandidatus Gauck referierte 2006 in der Vortragsreihe „Europa bauen, den Wandel gestalten“ unter der Fragestellung: „Welche Erinnerungen braucht Europa?“ u.a. folgendes vor dem sicherlich christlichen, bildungsbürgerlichen Publikum der Robert-Bosch-Stiftung:

 

„Nur am Rande sei die Gefahr der Trivialisierung des Holocaustgedenkens erwähnt. Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocausts. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das den Betrachter erschauern lässt. Das ist paradoxerweise ein psychischer Gewinn, der zudem noch einen weiteren Vorteil hat: Wer das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren hat und unter einer gewissen Orientierungslosigkeit der Moderne litt, der gewann mit der Orientierung auf den Holocaust so etwas wie einen negativen Tiefpunkt, auf dem – so die unbewusste Hoffnung – so etwas wie ein Koordinatensystem errichtet werden kann. Das aber wirkt »tröstlich« angesichts einer verstörend ungeordneten Moderne.  

 

Würde der Holocaust aber in einer unheiligen Sakralität auf eine quasireligiöse Ebene entschwinden, wäre er vom Betrachter nur noch zu verdammen und zu verfluchen, nicht aber zu analysieren, zu erkennen und zu beschreiben. Wir würden nicht begreifen. »Aber der Holocaust wurde inmitten der modernen, rationalen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt, in einer hochentwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen; er muss daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden.« Das nicht zu sehen, es aus dem historischen Gedächtnis zu verdrängen oder aber entlastende Erklärungsmuster zu akzeptieren, bedeutet die Gefahr einer »potentiell suizidalen Blindheit«. So sagt es der jüdisch­ polnische Soziologe Zygmunt Baumann, dem ich meine gewandelte Sicht auf den Holocaust verdanke.“[9]

 

Dieses geistige Schmankerl lässt ahnen, dass Herr Gauck in der Lage ist, mehrere gröbste Flankenschläge gleichzeitig auszuführen. Die Pfeife ist mit einer netten Mischung von Opium des Volkes und für das deutsche Volk gestopft. Ihr Qualm riecht nach revisionistischen Beimischungen einer gaucklerischen Walseriade[10].

 

Im ersten Zug an der Pfeife wird „am Rande“ diejenige Sicht auf die Shoah als quasireligiöser Ersatz denunziert, die die Besonderheit des deutschen Antisemitismus ernsthaft herauszuarbeiten versucht. Im zweiten Zug ordnet er die Shoah ein ins Allgemeine der inneren Widersprüchlichkeit der Moderne, unter denen dann die Besonderheit des deutschen eliminatorischen Antisemitismus nicht nur der Nazi-Periode – fraglos subsumiert ist. Singularität der Shoah – eine geistige Auschwitzkeule gottloser Nestbeschmutzer?

 

Die kaum abschließbare Analyse der Shoah als potentielle historische Singularität – des europäischen Zivilisationsbruches von Aufklärung und bürgerlichem nationalem Selbstverständnis, worauf später noch an gegebener Stelle einzugehen ist – und den theologischen Wahn der kosmologischen Singularität eines unbewegten Bewegers trennen zwei Welten: das wirkliche, analysierbare Erden- und das Kopf-Bauch erzeugte, geglaubte Himmelreich als Ausdruck der individuellen Furcht der Unterworfenen in der Klassengesellschaft und als seitdem gerittenes Herrschaftsinstrument von oben.

 

Das Zitat von Herrn Gauck 2006, das später nochmals bei der Frage der historischen Stellung der Shoah sowie bei der Frage der Erinnerungskultur im Zusammenhang der Aufstände der deutschen Anständigen herangezogen wird, wurde hier in diesem Kapitel eingefügt, um die Kunst des doppelten verbalen Flankenhiebs des neuen Bundespräsidenten zu illustrieren: Die Frage nach der Singularität der Shoah wird durch die gleichzeitige antimodernistische Denunziation derjenigen, die sie stellen und bejahen, selbst denunziert.

 

Hierzu belegte der Bürgerkandidatus Gauck 2006 die historische Reflexion und Analyse der Shoah mit ureigenen theologischen Schlagworten „Entweltlichung“, „Einzigartigkeit“, um diesen selbstgestrickten theologischen Murks von Verjenseitigung dann „trivialerweise“ als nicht analysierbar zu konstatieren. Diese jenseitigen Nebelprodukte unterschiebt er dann den Postreligiösen und deren von ihm diagnostiziertem quasi-religiösen Bedürfnis nach „Absolutheit“ + „Erschauern“.

 

Bei der späteren Reflexion zur geschichtlichen Stellung der Shoah und deren staatliche Instrumentalisierung wird sich zeigen, dass Gaucks „am Rande“ eingefügter Flankenhieb gegen die Singularität der Shoah 1994 in fast gleichen Worten vom Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte ins Kampfgepäck der neuen deutschen Identitätsfindung durch Relativierung der Shoah eingeführt wurde. War die 90er Dekade noch das ideologische Kampffeld zur Relativierung von Auschwitz, so wurde Gaucks Position 2012 als ehrenhaft verteidigt (siehe beispielsweise nächste Fußnote).

 

Vielleicht ist der Pastor ja tatsächlich davon überzeugt, dass das religiöse Bedürfnis beim Menschen genetisch verankert ist und es dem Menschen daher von Gott vorgegebener „Natur“ aus unmöglich ist, gottlos ohne jede Ersatzreligion ethisch orientiert existieren zu können.

 

Ob der Herr im fernen Rostock nicht mitbekommen hatte, dass schon zu frühen Zeiten der BRD gerade wertkonservative Christenmenschen den Hitler-Mythos pflegten mit Ausdrücken wie beispielsweise „Faszinosum“? Und dabei übergreifend über die Shoah irrationale Elemente „des Erschauerns vor dem Unsagbaren“ in den BRD-Sprachkanon einführten?

 

Die paar Gottlosen in Deutschland, die die Frage nach dem historisch singulären Charakter – anders ausgedrückt der Frage nach der Historisierbarkeit – der Shoah ernst nehmen, sind nun doch wirklich nicht der Rede wert für Leute wie Herrn Gauck. Und diejenigen, die im Zeitgeist „quasireligiös“ auf dieser Welle reiten, sind es ebenfalls nicht, wenngleich jeder Pfaffe ein Gespür dafür entwickelt, wenn andere „Sinnsucher“ unterwegs sind. Immerhin bereiteten Teile der hier ungenannten „Antideutschen“[11] den Boden für die monopolförmige Verstaatlichung des Kampfes gegen den Antisemitismus – worauf später ebenfalls noch einzugehen ist.

 

Oder will der Herr uns in obigem Raunen mitteilen, dass die thesenhafte Einordnung der Shoah als historische Singularität ausschließlich dem psychischen Gewinn der wert-orientierungslosen Gottlosen wegen als deren Kopfgeburt in die Welt gesetzt wurde und diese sich um keine immanente Beweisführung bemühen?

 

Bürgerliche Kritik auf dem Niveau eines Berufs-Gottesmann kann und will gar nicht über den Glauben – als bis heute wirksame feudale Herrschafts- und Regressionsform – hinauskommen, sondern sichert ihn stets gegen alle menschliche Vernunft, wie sehr die Theologie auch die Vereinbarkeit von Gottesglaube und Vernunft für sich reklamiert. Dass ein staatlich-lutherisch bestallter professioneller Gottesmann mit historischer Rationalität daher kommen will, der die Irrationalität einer göttlichen Einheit der skurrilen christlichen Dreifaltigkeit als Wahrheit vor sich hertragen muss, zeugt von unverfrorener Frivolität postmoderner Gegenaufklärung. Wenn dieser wie vorstehend sein gezimmertes Summum Bonum Gott als Orientierung in ausschließenden Gegensatz zum „orientierungslosen“ Gottlosen setzen will, dann liegt die Diffamierung der Säkularisierung mit feudal-durchtränktem religiösen Raunen offen auf der Hand. Denn auch Herrn Gauck dürfte bekannt sein, dass die Aufklärung ein Resultat der langwierigen Loslösung und des Kampfes der Philosophie und Wissenschaft von und gegen die Knute der Religion war.

 

Der Gaucklertrick ist heute zu abgeschmackt für viele Zeitgenossen: man erschaffe im Köpfchen Gut und Böse als moralisches Beuteschema von zehn Geboten des Privateigentums, Patriarchats und der Bluts-Gemeinschaft, nenne das Schema Gott und Teufel und behaupte dessen Ewigkeits- und Allmächtigkeitscharakter fürs Menschengeschlecht. Die bürgerliche Moral wird dann zur überhistorischen Ethik der Gattung verklärt und nicht als mit der Überwindung des Privateigentums verschwindende Ordnung des kleinkarierten, bornierten Egoismus des isoliert auf eigene Rechnung wirtschaftenden Privateigentümers.

 

Herr Gauck bemerkte wohl nicht, dass sein Zitat von Zygmunt Baumann gerade nicht auszusprechen vermag, dass die „rationale Gesellschaft“ der Moderne zugleich alle Momente der Irrationalität in sich birgt – und die Religion und deren Vorgauckler eine gewichtige Grundlage dieser Irrationalität bilden. Dass die Irrationalität erst mit der Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft und der mit dem Kapital verbundenen Fetischformen als zweiter kapitalistisch-gesellschaftlicher Natur tendenziell nach dem menschlichem Maß der Vernunft überwunden werden kann, ist für solche Ideologen ein Anathema.

 

Die Religion ist nach Marxens Akzentsetzung zwar mit Ludwig Feuerbachs Wesen des Christentums spätestens seit 1843 theoretisch erledigt. Offensichtlich kocht sie jedoch entsprechend der Schärfe gesellschaftlicher Krisen jedesmal praktisch hoch im Waffenarsenal der Reaktion zur Verteidigung der abgewirtschafteten alten Ordnung. Und wenn´s auch nur der Aberglaube an den Staat ist, dem die lieben Untertanen frönen. Seit Luthers Zeiten wusste sich der deutsche Pfahlbürger lutherisch oder transalpin gestützt seinen jeweils neuen Heiland im irdischen Führer[12] zu suchen.

 

Solange der bürgerliche Philister seine Karriere privat als Gnadenwahl Gottes abfeiert, sei ihm dieser Rückfall hinter das Selbstbewusstsein als Gattungswesen in selbst gesuchte Unmündigkeit gerne zu gebilligt. Sobald die Herrschaften im öffentlichen Raum feudal keilen, sollte zurückgekeilt[13] werden.

 

Wer so galant wie oben Herr Gauck ideologisch keilt, ist für so manchen vielleicht demnächst anstehenden deutschen revisionistischen Hieb geeignet.[14]

 

Ausgerechnet während der Demontierung ihres höchsten Amtes ließ sich die bürgerliche Bundesrepublik Deutschland vom verbürgerlichten Adelsstand mit seinem großen Fritz als deutschem Führerideal beglücken. 2012 war das Jubiläumsjahr Friedrich zu seinem 300. Geburtstag. Stolz wurde das Abenteurertum des Annexions-Helden hervor gehoben. In deutscher kulturbesoffener Manier wurde der Soldateska-Hasardeur und Menschenschinder nebenbei zum deutschen[15] Kulturheroen erhoben:


„Die Lust am Risiko war ein prägnanter Charakterzug dieses Monarchen: FRIEDERISIKO lautet daher das Leitmotiv der großen Schau an seinem authentischen Handlungsort. Zu entdecken sind ein Preußenkönig, den man so noch nicht kannte - und unbekannte Räume in dem von ihm selbst bis ins Detail geplanten Schlossbau.“[16]

 

Spätestens nach 1989 hat das neue Deutschland als mittelmäßiger Player des Weltmarkts, der sich zu einer höheren politischen Weltmachtrolle berufen sieht, den abenteuerlichen Charakter der preußischen Außenpolitik mit „Lust am Risiko“ wieder aufgenommen.

 

Wenn die vorgenannten Ereignisse nicht angesichts des Schreis nach deutscher EU-Führung gutes Timing, sondern purer Zufall waren, dann gießt Fortuna jedenfalls ein Füllhorn feudaler Regressionssehnsüchte in die mediale Gerüchteküche. Es wäre doch gelacht, wenn diese preußisch-hohenzollernsche Kulturnation heute nicht ebenbürtige charismatische Hasardeure[17] a lá Fritz für die Fortsetzung der deutschen Misere auszubrüten in der Lage wäre!

 

Soviel Beispielhaftes zu feudalen Überresten und zur regressiven Sehnsucht im postmodernen Gewande[18] in Deutschland 2011/12. Je tiefer man hierbei gräbt, umso mehr postmodernistisch gewendete feudale Überbleibsel werden ans Licht gezerrt.

 

Zur Absicherung der Flanke des Wechselverhältnisses von ökonomischem und ideologischem Moment der Geschichte sei nochmals akzentuiert: In vorliegendem Text wird die Wirklichkeit nicht als Kulturgeschichte gefasst, sondern als übergreifend durch die Produktionsverhältnisse bestimmt.

 

Feudale ideologische Elemente werden im Vorstehenden wie im Nachfolgenden als modifizierte überkommene Denk- und Bewusstseinsformen, nicht als eigenständige treibende Kraft begriffen und die Durchschnittsindividuen sind eben gerade nicht mehr in faktisch überwundenen feudalen Ideologien befangen. Vielmehr versteht es gerade die deutsche nationale Propaganda schon seit langem, vermoderte feudale Relikte in zeitgemäß-modern gewandeten Formen als treibende Kraft zur Herrschaftsabsicherung zu nutzen, indem sie auf tradierte Vorurteile zurückgreift, um die Sehnsucht der Zeitgenossen nach Existenzsicherheit zu bedienen.

 

Georg Lukács akzentuierte das Verhältnis von menschlicher Substanz zu ihrer Formierung so: Das Mentale, die Mentalität einer Nation ist das Beharrende im Wandel des Gesellschaftsprozesses. Bildlich: Das Mentale ist der Fels in der Brandung des gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses. Er wird erst nach und nach abgeschliffen und nach Herrschaftsbedürfnissen zeitgeistig neu moduliert, nicht vergleichbar mit den dynamischen Umwälzungen aller anderen Gesellschaftssphären.

 

Der Grund, sich im Zusammenhang mit dem dritten Anlauf Deutschlands zu einer Weltmachtrolle überhaupt mit der Kontinuität alter Ideologeme und momentanen deutschen Befindlichkeiten zu beschäftigen und diese wie ein Lumpensammler der Geschichte am Wegesrand aufzuheben, liegt darin, dass der bourgeoise Propagandaapparat auch dieses Mal bei Deutschlands Vabanquespiel um die EU-Vorherrschaft alles daran setzen muss, die klassenübergreifende deutsche Volksgemeinschaft durch Rückgriffe auf alte Ressentiments tagtäglich zu reproduzieren und zu befestigen. Wenn vorstehendes eklektisches 2011/12er Sammelsurium deutscher feudal-regressiver Zustände und Anwandlungen sowie die zuvor skizzierte Kontinuität der deutschen Ideologie ernst zu nehmen sind, dann ist in Abwandlung des Alptraums eines Heinrich Heines zu notieren: Europa ist wieder um den Schlaf gebracht, seit Deutschland völkisch neu erwacht.

 



[1]    Jedenfalls ist der lutherische Aberglauben an den Staat ungebrochen. Folgender Witz: Es stehen ein Katholik, ein Protestant und ein Jude zusammen. Sagt der Kathole, das Leben fängt mit der Zeugung an, der Protestant sagt, nein, das staatliche Gesetz setzt das Leben mit zwei Wochen nach der Empfängnis an, der Jude sagt, das Leben fängt erst an, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Hierin kommen die (nicht nur) deutschen Zustände der Gleichzeitigkeit von Naturalisierung des Gesellschaftlichen, Staatsfetischismus und Humanismus beispielhaft zum Ausdruck.


[2]     Newsletter vom 01.03.2013 - Die benediktinische Wende - VATIKANSTADT (Eigener Bericht) - Das gestern zu Ende gegangene Pontifikat des deutschen Papstes Benedikt XVI. muss als "Wende hin zu einem neuen Antimodernismus" eingestuft werden. Diese Einschätzung bekräftigt der vatikankritische Theologe David Berger. Demnach gehörte es zu den zentralen Zielen Joseph Ratzingers, unter dem theologischen Motto einer "Entweltlichung" der katholischen Kirche deren in den 1960er Jahren eingeleitete vorsichtige Modernisierung Schritt für Schritt zurückzudrängen. Diesem Ziel diente die Konsolidierung des Rechtskatholizismus, die von Benedikt XVI. vorangetrieben wurde - unter Inkaufnahme eines Wiederauflebens alter Traditionen des katholischen Antisemitismus. Auch Vereinigungen wie die Priesterbruderschaft St. Pius X., die intensive Beziehungen in die extreme Rechte unterhält, profitierten davon, ebenso Organisationen wie das Opus Dei, das - begünstigt vom neuen, von Benedikt XVI. eingesetzten Erzbischof Berlins - mit der Errichtung eines Elite-Gymnasiums unweit der deutschen Hauptstadt beginnt. Beobachter gehen davon aus, dass Joseph Ratzinger und einige seiner engsten Mitarbeiter auch in Zukunft über starken Einfluss im Vatikan verfügen werden. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58550 Mal sehen, wie der 2013 angetretene Franziskus die Verknüpfung von Antimodernität und soziale „Gerechtigkeit“ modellieren wird.


[3]     In der französischen Verfassung heißt es ungeschminkt: Artikel 16. (Verfassung von 1793): »Das Eigentumsrecht ist das Recht jedes Bürgers, willkürlich seine Güter, seine Einkünfte, die Früchte seiner Arbeit und seines Fleißes zu genießen und darüber zu disponieren. In: Karl Marx, Zur Judenfrage. MEW Band 1. 1976.

 

[4]      Newsletter vom 22.09.2011 - Die Antithese zur Moderne (II) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58154

 

[5]       Der alte Herr schlagender Verbindungen Ramsauer erzählt, dass die BRD das Kitschding braucht und berappt. http://berliner-schloss.de/die-schlossdebatte/die-bundesregierung-steht-zum-berliner-schloss-2010/


[6]    Newsletter vom 06.10.2011 - Weniger Demokratie wagen (II) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58166


[7]     Christian Wulff Katholik, der mit Evangelikalen kungelt http://www.zeit.de/politik/2010-06/erzchristlich


[8]     Alan Posener forderte im Flaggschiff des Verlags umgehend am 07.01.2012 unter der Rubrik „Meinung“ im lapidaren Stil die ersatzlose Streichung des Amtes und: die Verfassung lässt sich eh ändern. Sic!. Siehe: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13801953/Schafft-das-unnuetze-Amt-des-Bundespraesidenten-ab.html

 

[9]     Joachim Gauck, Welche Erinnerungen braucht Europa? siehe S. 16: http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Stiftungsvortrag_Gauck.pdf

 

[10]       Als Walseriade wird hier eine spezifische Form des Revisionismus deutscher „Gegenwartsgrößen“ bezeichnet, in der die Reflexion der Shoa als Zumutung abgewehrt und als unerwünscht deklariert wird. Walsers Intonation nach darf der Themenkomplex Auschwitz nicht zur „Moralkeule“ verkommen, gerade wegen seiner großen Bedeutung. Sagte der moralinsaure deutsch-nationale Dichter bei seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche und erhielt von allen Anwesenden stehenden Applaus außer von Ignatz Bubis als dem amtierenden Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland dessen Frau Ida und Friedrich Schorlemmer. Gaucks obige Einlassungen sind eine modulare Intonierung des Gleichen.

 

[11]       Philipp Lenhard, Doch ein Ehrenmann - Joachim Gauck und das Elend positivistischer Antisemitismuskritik http://redaktion-bahamas.org/auswahl/web64-2.html (Bahamas 63/21012)


[12]       Friedrich Heer, Gottes erste Liebe – 2000 Jahre Judentum und Christentum. Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler, München 1967 und Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität, 1968 

 

[13]       Was Aufklärung, Evolutionären Humanismus, Religionskritik auf Höhe der Zeit und den Kampf gegen Kreationismus und die deutschen Zustände betrifft, siehe Giordano-Bruno-Stiftung: http://www.giordano-bruno-stiftung.de/ Was Gauck betrifft: http://www.keine-macht-den-doofen.de/1165/gauckler-an-der-macht-heilige-einfalt-in-der-politik

 

[14]       Mehr als eine Fußnote wert ist der Glücksfall der von der Partei DIE LINKE nominierten Bundespräsidentschafts-Kandidatin Beate Klarsfeld. Sie führte der versammelten politischen Klasse am Wahltag drastisch deren eigene moralische Verkommenheit vor Augen. Diese konservative Person repräsentierte die Aufklärung jener deutschen mörderischen Phase, welche die 68er aller politischen Farben verdrängen möchten und deren Geschichte der mit der Gnade der späten Geburt gesegnete Helmut Kohl 1991 als abgeschlossen betrachtete. Der Schleier über der in jenem Zusammenhang von ihm propagierten deutschen Weltmachtrolle, die Deutschland zum Zeitpunkt der Wahl gerade durch seine EU-Hegemonialpolitik voranzutreiben versucht, wurde am Wahltag wenigstens einen Augenblick lang von der personifizierten Aufklärung zerrissen.

 

[15]       Dass Hochwohlgeboren in der Regel französisch sprach, Flöte spielte und als homosexuell gilt, passt nun überhaupt nicht ins Deutschbild des Deutschseins, welches mit Deutsch-Sprechen identisch gesetzt wird und Homosexualität mit Weichheit und nicht mit preußischen Tugenden verbinden kann. So verquastes Zeugs muss zur Ideologieproduktion dienen, weil Brandenburg-Preußen mit nichts an zeitgemäß Nationalstaatlichem aufwarten kann – sondern als ärmliche, gottverlassene Sandbüchse und Heimat der Rohrstockschwinger mit erkaufter Königskrone in die Weltgeschichte trat. Was sich heutzutage jedoch alles eventmäßig vermarkten lässt und dabei weiter die feudale ideologische Spur der „preußischen Tugenden“ als „natürlicher“ Vorbilder für echte deutsche Kerle zu legen weiß!

 

[17]        Wo der Autor sich schon in spekulativen Assoziationsketten verliert, nennt er auch gleich die Kanaillen, die er aktuell mit Führer-Qualitäten für die heutigen Deutschen auf mittlere Sicht in Verbindung bringt.

Da ist erstens der Menschen-Fischer Joschka. Seine Unverfrorenheit im Kosovo-Abenteuer prädestiniert ihn doppelt: Sein diplomatisches Husarenstück des Rambouillet-Abkommens und das Glanzstück an revisionistischer Propaganda seines Auschwitz-Bezugs (die gesamte Fußnote dürfte im Text nach und nach einsichtiger werden) outete ihn als postmodernen Ribbentrop-Goebbels-Verschnitt. Er weiß von Haus aus, wie jedes Schweinerl richtig zerlegt gehört. Er weiß, dass seine Rhetorik im schnarrenden Tonfall gerade ohne Schnurrbärtchen in ihrer Apodiktik beim neuen deutschen Wutbürger gut anschlägt. Seine Führer- und Steherqualitäten wurden in den Sponti-Krawall-Banden der Turnschuhära seiner Zwangs-Proletarisierung in den 70ern bestens ausgebildet. Seine aktuellen medialen Einwürfe sind jedesmal strategisch auf Schritte zu einem EU-Bundesstaat gerichtet. Vieles spricht dafür, dass er sich über das Wahljahr 2013 hinaus trotz seines Zerwürfnisses mit der Grünen-Führung für die Umwelttechnologie-Branchen-Partei hinter den Kulissen warm joggt. Sein Alter? Der Personalmangel des Bürgertums recycelt und spült heute ganz andere alte Säcke aufs politische Parkett nach ganz oben.

 

Dann ist da noch der oben gar monarchisch gehandelte freiherrliche Ober-Plagi-2011 der deutschen Nation. Einige seiner kläglich gescheiterten Ansätze zur Rückkehr in die politische Arena verweisen darauf, dass hinter seiner aalglatten Gelassenheit Ungeduld steht. Wenn Herr Hochwohlgeboren einsieht, dass er seine raubritter- und menschenschinderisch sozialisierte Forschheit nur zuhause beim Pferdeknecht einfach raus lassen kann und in der Öffentlichkeit wenigstens lernt, wann er was für ein dämliches Zeugs wo schwadroniert, dann … ja dann kann der Reichsritter des Volkes Führer werden. Seine Wohnsitzflucht in die USA werden sie ihm verzeihen, so wie sein Plagi-Dasein die Intellektuellen-Feindlichkeit des deutschen Gemüts verstärkte und den Oberplagiator zugleich zum Spitzen-Sympathieträger der allgegenwärtigen Plagi-Bewegung des sozialen Raums beförderte. Immerhin erdreistete sich der zusammengerottete Pöbel 1523 im Bauernkrieg noch, dem wohl nach Neunhundert aus dem Dunkel des Kriegshandwerks zum niederen fränkischen Landadel aufgestiegenen Reichsritter die Burg zu schleifen. Heute liegt nicht nur die oberfränkische Provinz ihm zu Füßen, mit glänzenden kokettieren Augen  seine Fans mit seinem Vornamenskürzel KT. Sie haben ihn in Bierzelten und allerlei Volksfesten hautnah erlebt. Er vermag so schön aristokratisch von oben herab zu sehen und gleichzeitig den volksnahen Populisten zu mimen. Da blüht in der deutschen Innerlichkeit das ersehnte Anerkennungsverhältnis von knechtseliger Unterwürfigkeit und hochwohlgeborener Freiherrlichkeit auf.

Beide Hasardeure zusammen wären das Idealpaar, Europa erneut in einen deutschen Abgrund zu treiben. Wenn es ein menschenfreundliches und nicht aristokratisch gesinntes Herrgöttchen geben würde, verbannte es diese zwei Figuren für immer in zwei Klosterzellen. Vielleicht hätte das Nonnenkloster noch Platz, das schon den Kinderprügler Mixa standesgemäß aufnehmen musste. Hiermit sei die Assoziationskette zur Auswahl deutscher Führer-Kanaillen anno 2017 oder früher beendet. Nun zurück zum Stoff, aus dem die Alpträume tatsächlich geboren werden und deren prägende Marionetten gegenwärtig nicht von der Kanaillen-Sorte Fischer, Guttenberg sind.

 

[18]       Wie die Ideologieproduktion der Postmoderne den deutschen Irrationalismus seit den 1960er Jahren beförderte und die Ideologie der NS-Periode modernistisch hoffähig machte, siehe: Alex Gruber, Philipp Lenhard (Hg.), Gegenaufklärung – Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft, Freiburg 2011.

Für diese Textsammlung kritischer Kritiker gilt dasselbe wie bei den anderen hier empfohlenen Texten dieser typisch deutschen ideologiekritischen linksbürgerlichen Strömung: Ihre Ausführungen sind erkenntnisfördernd, bleiben allerdings in der kulturpessimistischen, rein negierenden Ideologiekritik befangen ohne jeden Vermittlungsschritt in eine vorwärtsweisende politische Praxis. Welche proletarischen Kräfte hätten die Zeit, die Lust und das Durchhaltevermögen, sich gleich einem Hase-Igel-Spiel in der Auseinandersetzung mit der Textproduktion am laufenden Band dieses proletarisierten kleinbürgerlich-akademischen Milieus zerreiben zu lassen?

 

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise