11. Kontinuität und geschichtliche Wendungen der deutschen Opfer-Täter-Konstellation nach 1945

Nach 1945 wurde der dritte Versuch zur Erlangung einer Weltmachtrolle durch die BRD nie aufgegeben.[1] Sie sah sich rechtlich in Nachfolge des Reichs von 1871, erkannte dementsprechend die ausländischen Gläubigeransprüche aus der Weimarer Republik und dem dritten deutschen Reich umstandslos an.

Die BRD betonte ihren „natürlichen“ Rechtsanspruch auf eine „Wiedervereinigung“ mit der DDR als dem von den „Russen“ besetzten und installierten „Unrechtsstaat“ und verzichtete nie auf „deutsche“ „Gebietsansprüche“ östlich der polnischen Oder-Neiße-Grenze. Bis heute nahm und nimmt die Stellung Deutschlands am Weltmarkt einige historisch eigensinnige Wendungen. Dementsprechend verlor Deutschland potentiell ererbte äußere und innere Feinde für die diesmalig eventuell notwendigen Opfer-Täter-Verschiebungen und schaffte sich andere.

Schon die deutsche Unterwürfigkeit gegenüber den westlichen Siegermächten seit den Nürnberger Prozessen – man hat die Deutschen nach W. Churchill entweder an der Gurgel oder zu Füßen – signalisierte das fehlende Unrechtsbewusstsein der nationalsozialistischen Protagonisten. Sie argumentierten wie später Adolf Eichmann, dass sie nur zufällig ihre Funktion innehatten. Dass also jeder andere diese Stelle hätte besetzen können: dass damit alle und zugleich niemand sich schuldig gemacht hatte.

Die verallgemeinerbare Haltung fehlenden Unrechtsbewusstseins bestätigte die Kontinuität der alten deutschen Opfer-Täter-Verschiebungsmuster der Weimarer Zeit. Das Anglo-amerikanische Finanzkapital, also die USA blieben als potentielle äußere Feinde in der Hinterhand. Das Echo der Versailler Verträge klang in den Ohren der Verlierernation als Verstärker. Und dass hinter diesem „Finanzkapital“ die Juden steckten, war nach 1945 weiterhin inoffizielle Mehrheitsüberzeugung – ein Phantasma, das in der Weltwirtschaftskrise nach 2008 zunehmend Zustimmung gewinnt.

 

Deutschland beschwor zwar die Freundschaft zu den westlichen Siegermächten mit hehren Worten in jeder offiziellen Verlautbarung. Die Westalliierten aber drängten auf die ökonomische, politische und insbesondere die militärische Westeinbindung der BRD. Schließlich haben schon alle Nationen erfahren, wie schnell politische „Freundschaften“ für beendet erklärt werden. Sie hofften, Deutschlands drohende Expansion als ökonomische Mittelmacht durch seine in den – von der BRD nie anerkannten – Potsdamer Beschlüssen beschnittene politische Staatssouveränität in geordnetem Fahrwasser halten zu können, indem im Gegenzug zu deutschen Integrationsschritten[2] nationale Souveränitätsspielräume eingeräumt wurden, die nach Einordnung der BRD in die NATO in den Deutschlandvertrag von 1955 mündeten.

Nach Lord Ismay
[3], war es folgerichtig Ziel der 1948 gegründeten NATO, „to keep the Americans in, keep the Russians out and keep the Germans down” (im Great Game des Weltmarkts). Auf dem Wege konnte die BRD im Windschatten der USA als militärischem Hegemon bis heute ihre wirtschaftliche Expansion auf dem Weltmarkt ohne allzu großen finanziellen Ballast der militärischen Menschen-Abschlachtungs-Maschinerie für die deutschen Herrschaften durchziehen.

Was in Deutschland schönfärberisch friedliche wirtschaftliche Durchdringung genannt wird, ist faktisch Wirtschaftskrieg bei Abwesenheit des heißen Krieges im permanenten kalten Krieg. Entscheidend ist hierbei, dass es das alle militärische Waffen übertreffende, durchschlagendste Geschoss gibt, dem – wie Marx treffend bemerkt – keine Chinesische Mauer standhalten kann: die kapitalistische Ware.

Deutschland verstand es als Krämerseelennation, diese Waffe nach 1950 ausgezeichnet einzusetzen, seine Industriebranchen wurden zur Maschinenbauhalle der Welt.

Von der Gegenwart 2013 aus gesehen, konnte Deutschland die Exportwaffe sechzig Jahre ungestört zum Aufstieg zur Exportnation Nr. 1 des Weltmarkts (was hochtechnologische Waren angeht) und zum übermächtigen Handelspartner der 27 EU-Staaten nutzen.

Dass die deutsche Expansion am Weltmarkt nur durch Niederkonkurrieren und Ausschalten von Mitkonkurrenten gelingen konnte und in diesen Ländern Massen von überflüssig gemachten Arbeitsleuten aufs Pflaster warf und wirft, ist Teil der Freiheit, die das Kapital meint und braucht. Aus diesem allgemein kapitalistischen Gebaren wächst Deutschland und den Deutschen keine Hässlichkeit und Täterschaft  zu. Eher wird es dafür von den Eliten der Welt bei Einhaltung der Regeln des Big Game gehasst, gefürchtet und bewundert
[4] und fördert damit zugleich den latenten Chauvinismus seiner Wirtschaftsinsassen.

So verlief die Geschichte nach 1945 tatsächlich so, dass die Siegermächte USA, England, Frankreich und SU sich im gegenseitigen Wettrüsten fiskalisch überforderten. Währenddessen stiegen die zwei Hauptaggressoren und Verlierer des zweiten Weltkriegs, Deutschland und Japan, als militärische Winzlinge zu den stärksten Exportnationen auf. Auf welcher Seite das höhnische Gelächter bei dieser makabren geschichtlichen Wendung erschallt, ist ausgemacht.  


 

 

[1]    Vgl: Sandkühler, Thomas Hg. (2002): Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960, Wallstein Verlag Göttingen; Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18
    Sandkühler, Thomas (2012): Europa und der Nationalsozialismus. Ideologie, Währungspolitik, Massengewalt, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 9 (2012), H. 3, Europa und der Nationalsozialismus

    Eichholtz, Dietrich (1970): Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939 – 1949; Band 1; 1939 – 1941; Akademie Verlag,  Berlin(Ost)

 

[2]     Vgl. Fußnote 3, Kapitel 4: Die BRD musste Vorleistungen zur Westintegration erbringen, um schrittweise innen- und außenpolitische Souveränitäts-Spielräume zu erlangen: Anerkennung der Vor- und Nachkriegsschulden, Beitritt zum Europarat, Gemeinsame Kohle- und Stahlunion, Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft (EVG) und dann NATO. Siehe sämtliche Beiträge, insbesondere Ludolf Herbst, Stil und Handlungsräume westdeutscher Integrationspolitik, in: Herbst, Ludolf, Bührer, Werner, Sowade, Hanno (1990): Vom Marschall Plan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt, R. Oldenbourg Verlag München; Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, Band 30


[3]     Englischer Politiker, Diplomat, General. Er war von 1952 bis 1957 erster NATO-Generalsekretär.


[4]    Nach der Studie von 2011 im Auftrag des britischen Economist sieht es so aus:„Der Erfolg ist inzwischen der Garant für weiteren Erfolg. Nach einer gerade veröffentlichten Studie des Reputation Instituts ist Deutschland um fünf Plätze auf Rang elf unter den Top-50-Nationen aufgestiegen. Wachsende Exporte steigern die Reputation - zunehmende Reputation steigert die Chance auf weitere Exporte. "Das kleine Wirtschaftswunder", sagt Institutsgründer Charles Fombrun, bewirke schon jetzt steigende Anerkennung im Ausland. Profitiert habe Deutschland aber auch vom Bild eines politisch und regulatorisch stabilen Landes. Deutschland werde als verlässlich wahrgenommen. Das lässt sich in diesen Tagen nicht von allen Nationen behaupten.“ Siehe Artikel im Handelsblatt: Exportland Deutschland: Das deutsche Erfolgsrezept heißt Fleiß und Langeweile


 

 

 

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise