Wer in linken oder linksliberalen Kreisen einen Zusammenhang von Shoah und Arbeiterbewegung anspricht, erlebt heutzutage zwei diametral entgegengesetzte Reaktionen.
In der Regel senden schon die Blicke und Gesten derjenigen, die sich als politisch links verstehen, Signale völligen Unverständnisses und einer gereizten Abwehrhaltung aus. Das verweist auf die eigenen gepflegten und gehegten Gewissheiten statt Erkenntnis-Interesse, Geschichte zu begreifen, indem sie gegen den Strich gebürstet wird.
Dies ist eines der Echos der verpfuschten Geschichte gerade des radikalen Flügels der europäischen Arbeiterbewegung. Die Legitimationsideologie des Marxismus-Leninismus des „Sozialismus in einem Lande“ – dem national-bolschewistischen „Vaterland aller Werktätigen“ – kanonisiert(e) alle einmal „bewiesenen“ Fakten zu unhinterfragbaren Dogmen. Das wurde und wird „Klarheit“ genannt.
Auch für politische Programmatik gilt in aller Regel: Opium des Volkes und für das Volk. Kritisches Denken braucht seine eigene Zeit und kann sich selten an vorgegebene politische Direktiven halten. Marx betonte, dass sich der Kritiker nicht vor den Resultaten seiner Arbeit fürchten darf. Somit entzieht sich kritisches Denken in der Regel der Zweckrationalität des kurzfristigen politischen Handwerks, das im Tagesgetriebe auf Angriffe des Gegners im richtigen Augenblick mit den richtigen Mitteln reagieren muss, um die Angriffe geschickt zu parieren, um selbst in die Vorderhand zu gelangen. Daher mögen gerade auch linke Parteien keine kritischen „Sesselfurzer“, sie werden als Spalter und Liquidatoren denunziert, ihnen droht als Abweichlern der Parteiausschluss.
Gerade die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung bis 1937 belegt, wie sie sich durch Ausschluss der politisch gefährlichen, reflektierteren Köpfe stramme Parteisoldaten erzogen – von der physischen Vernichtung der „Abweichler“ ganz zu schweigen. Was den klassenbewussten, gesellschaftsrelevanten Klassenorganisationen als „Einheit“ im damaligen sprichwörtlichen „Klassenkampf um Leben und Tod“ notwendig erschien, um die größtmögliche Stoßkraft als Voraussetzung des Siegs über die nationalen Bourgeoisien auszubilden, erwies sich sogleich als ihre größte Schwäche. Die Analysen von Trotzki und Thalheimer in der Vorzeit des NS belegen, dass ein paar dafür diffamierte und politisch kaltgestellte, unbeugsame politische Denker mehr Klarheit und Approximation an die Wirklichkeit zu Stande brachten, als die Papierflut aller millionenstarken Parteien der Komintern zusammen. Dies sollten jene bedenken, die in der desolaten Verfasstheit der gegenwärtigen Linken immer noch meinen, eigene Aneignung von Theorie sei ersetzbar durch unhinterfragte Positionen des eigenen Vereins.
An dieser Stelle kann nun nicht behandelt werden, ob und bis wann die Geschichte der 1920er Jahre noch offen war zum Einschlagen eines erfolgreichen Kurses der Weltrevolution. Umgekehrt lässt sich festhalten, dass mit dem Abebben der revolutionären Flut in Europa 1923 und des Einschlagens des Stalin'schen Kurses1 die Politik der Komintern spätestens seit der kampflosen Aufgabe des revolutionären Kurses durch die KPD beim Amtsantritt Hitlers konterrevolutionären Charakter trug. Auf diese Fragen wird in Teil III zurückgekommen.
Das eigene Phantasma, „der braune Spuk“ sei in einem Jahr vorbei, erwies sich als endgültiger Wendepunkt zum Zermalmen der proletarischen Weltrevolution, vernichtete die KPD und die opportunistischen Gewerkschaften vollständig und endete mit der Niederlage der Revolution in Spanien 1936. Was in der Komintern und ihrer stärksten Bastion der KPD hierzu vor und nach 1933 an Analysen geliefert wurde, gleicht einer Bankrotterklärung. Dass diese Entwicklung ohne „Alternative“ gewesen sei, ist ein Ammenmärchen2, um das Versagen der revolutionären Arbeiterschaft, ihrer Partei KPD und der Komintern, die für den desaströsen Kurs der KPD verantwortlich war, zu verdecken. Trotzdem halten große Teile der Linken bis heute an der Plattitüde fest, die aggressiven Teile der deutschen (Finanz-)Bourgeoisie hätten Hitler an die Macht gebracht. In diesem Konstrukt faschistischer politischer Herrschaft des NS ist die Shoah bis heute nur eine der scheußlichen Nebensachen. Von daher gibt es für den M-L keinen Zusammenhang zwischen dem Scheitern der revolutionären Arbeiterbewegung, der daraus hervorgehenden deutschen Volksgemeinschaft und der klassenübergreifenden Vollstreckung der Vernichtung des europäischen Judentums. Die Proletarier erscheinen dabei als missbrauchte, unbefleckte Verführte.
Was das Verhältnis von Proletariat und Judentum angeht, so räumte das Versagen und die brutale Zertrümmerung der Träger der proletarischen Weltrevolution in Deutschland das letzte Bollwerk aus dem Weg, das dem Vernichtungsfeldzug des NS im allgemeinen und insbesondere gegen das europäische Judentum im Wege stand (3. Modernes Emanzipationsversprechen: Auflösung der nationalen Frage einschließlich des Antisemitismus im Zuge der Aufhebung des Privateigentums und der Klassenspaltung und somit der Nationalstaaten).
Die diametral andere Seite oben angesprochener linker oder linksliberaler Reaktionen – meist im Umfeld des Studentenmilieus – bestätigen den Zusammenhang von Shoah und proletarischer Bewegung mit Gesten von Ingroup-Wissen, das sich bei genauerem Hinsehen als internes Kampffeld 'wertkritischer' Sekten um die Lufthoheit auf dem Campus ausweist. Hält man den Ball flach, dann lässt sich als ihre gemeinsame Doktrin ausmachen: die klassenübergreifende Vollstreckung der Shoah zeigt das Ende des Proletariats als potentiellem Subjekt der Geschichte an. Die Proletarier sind in der Volksgemeinschaft aufgegangen. Somit ist die sich auf den „Traditionsmarxismus“ stützende proletarische Revolution für immer vorbei.
Das gegenwärtige studentische Klientel holt sich seinen 'wertkritischen' Most im Umfeld der modifizierten Nachfahren jener, die im Zuge der Initiation der neuen deutschen Volksgemeinschaft 1989 ff. ihre linken antinationalen und 'Nie wieder Großdeutschland' Parolen einstampften und sich auf die Bahamas davon machten, um fürderhin die Demokratien der vormaligen Westalliierten, USA und Großbritannien, gegen die deutsche Volksgemeinschaft im allgemeinen und insbesondere die antizionistische Linke und nach 11/2001 gegen die islamische Welt in Stellung zu bringen, um Israel zu verteidigen. Sie konnten den Deutschen als gebildete Bewährungshelfer nun mal nicht den Antisemitismus austreiben und wurden stattdessen zu den Wegbegleitern der Vorneweg-Verteidigung des Staatsapparats bezüglich der „besonderen Verantwortung Deutschlands“ für die Sicherheit Israels. Während dessen spielt(e) die antizionistische Linke mit ihrer Regierung gemeinsam auf unterschiedliche Weise den Bewährungshelfer für Israel.
Es fällt dabei auf, dass die Youngsters dabei jene Arroganz und Despektierlichkeit gegenüber den anderen Linken, deren Hassobjekt sie sind, an den Tag legen, die Sekten und ihren Dogmen zugrunde liegen. Sie müssten es besser wissen: Arroganz ist regelmäßig mit Dummheit gepaart. Jede Veranstaltung mit Koryphäen von den Bahamas oder des ISF Freiburg oder der fahrenden Wiener Truppe belegen das altbekannte Muster von Guru und an seinen Lippen hängenden belesenen Schülern. Die scheinbare theoretische und moralische Überlegenheit der guten linksbürgerlichen Deutschen der (Ur-)Enkel-Generation des akademischen Teils der NS-Täter quillt aus jedem Gedanken gepflegten „Geheimwissens“.
Welche grundlegende zum Dogma geronnene These liegt denn nun der Frankfurter Schule zugrunde? M. Postone, von jenen Sekten und deren Anhängern geschätzte 'wertkritische' – Allah sei es gedankt unprätentiöse, geschichtlich nach vorne gewendete – Persönlichkeit, kam im Gespräch mit J. Baumann 1999 auf die nach seiner Ansicht nach entscheidenden Kerngedanken, die der geschichtspessimistischen Sicht, in die große Teile der Frankfurter Schule und die meisten ihrer Adepten verfallen sind, zugrunde liegen. Das erste Gesprächsdrittel (fett markiert und nummeriert von E.N.) ist vollständig zitiert:
„J.B.: Was verstehen Sie unter traditionellem Marxismus, und was hat dieser mit der Kritischen Theorie zu tun, die sich doch bereits in ihrer Entstehungsphase Mitte der dreißiger Jahre von ihm absetzt?
M.P.: Der traditionelle Marxismus hat ein Verständnis von Produktionsverhältnissen, die im wesentlichen als Markt- und Eigentumsverhältnisse verstanden werden. Produktivkraft in diesem Verständnis der Produktionsverhältnisse ist die Arbeit, die normalerweise überhistorisch verstanden worden ist(P1 + 2). Das schließt sehr viele verschiedene Richtungen des Marxismus ein.
Mein Begriff von traditionellem Marxismus ist nicht mit orthodoxem Marxismus gleichzusetzen, weil meiner Meinung nach jemand wie Horkheimer in "Traditionelle und kritische Theorie" auch innerhalb des traditionell marxistischen Rahmens denkt. Vier Jahre später, also noch in den dreißiger Jahren, versucht er, aus diesem Verständnis herauszukommen, was ihm aber nur eingeschränkt gelingt.
Schon vor der "Dialektik der Aufklärung" kommt Horkheimer in "Autoritärer Staat" und "Die Juden und Europa" zu einer Position, die sich sehr stark anlehnt an die Aufsätze von Friedrich Pollock zum Staatskapitalismus und zur Frage, ob der Nationalsozialismus eine neue Gesellschaftsordnung darstellt, die mit dem überkommenen Kapitalismus in wichtigen Bereichen breche. Horkheimer wie Pollock argumentieren, daß Markt(P1) und Privateigentum(P2) aufgehoben sind und nicht mehr als Wesensmerkmale des damaligen Kapitalismus gelten. Sie nennen es weiterhin Kapitalismus, aber sie haben keine Begrifflichkeit(P3), mit denen sie diesen Terminus begründen können.
Aber wenn Markt und Privateigentum aufgehoben worden sind, dann gibt es keinen Widerspruch mehr, der die gesellschaftliche Entwicklung weitertreiben könnte(P4). Entweder muß man sagen, daß die Gesellschaft weiterhin widersprüchlich strukturiert bleibt - Markt und Privateigentum also nicht wesentliche Bestimmungen des Kapitalismus sind -, oder man sagt, sie sind aufgehoben, und es gibt somit keine immanenten Widersprüche mehr, die Kritik und oppositionelles Handeln gesellschaftlich begründen könnten.
Daraus entstehen schließlich die Begrifflichkeiten von eindimensionaler Gesellschaft und verwalteter Welt, die für die spätere Kritische Theorie zentral sind. Wenn man die Position ablehnt, daß Markt und Privateigentum aufgehoben worden sind - das war Franz Neumanns Position, die er in "Behemoth" ausgeführt hat -, hat das ebenfalls entscheidende Konsequenzen für die Gesamtstruktur einer Kritischen Theorie. Neumanns Position, daß es auch im totalen Staat, dem Behemoth des Nationalsozialismus, noch traditionell verstandene Widersprüche gäbe, finde ich theoretisch nicht so befriedigend.
J.B.: Warum denn nicht? Entweder stimmen Neumanns Analysen des Nationalsozialismus empirisch, dann ist auch anzunehmen, daß von seinen theoretischen Annahmen zumindest einiges stimmen muß, oder er liegt daneben. Zu sagen, daß er zwar die richtige Analyse des Nationalsozialismus liefere, Pollock und Horkheimer dagegen eine irreführende, und dennoch eher an ihre Theorie anzuknüpfen, erscheint doch widersprüchlich.
An Neumann müßten Sie doch mit ihrem eigenen Anspruch, eine zeitlich genauer bestimmte Analyse des Verhältnisses von Kapital und Arbeit zu betreiben, eher anschließen können als an die sehr spekulativen Annahmen der "Dialektik der Aufklärung", die mit vollkommen überhistorischen Begriffen operiert.
M.P.: Nein. Man kann Pollocks These als hypothetische These verstehen. Nehmen wir einmal an, der Markt und das Privateigentum wären tatsächlich abgeschafft worden im Staatskapitalismus(P5). Wäre das eine ausreichende Grundlage für den Aufbau des Sozialismus? Neumann geht auf diese wichtige Frage überhaupt nicht ein. Gerade deshalb finde ich, daß Pollock für theoretische Fragen, die auf die Geschichte gerichtet sind, weitaus interessanter ist als Neumann, der zweifellos die genauere Beschreibung des Nationalsozialismus geliefert hat. Pollocks Staatskapitalismustheorie beinhaltet, daß der traditionelle Marxismus seine historischen Grenzen erreicht hat(P5). Deshalb stellen sich ihm und in seiner Folge Horkheimer und Theodor W. Adorno neue Fragen und Probleme.
J.B.: Aber Horkheimer und Adorno haben doch gerade in dieser Phase der Entwicklung der Kritischen Theorie keine anschlußfähigen neuen Analysen und Kategorien herausgearbeitet, die für eine kritische Analyse der Gesellschaft brauchbar wären. Nicht umsonst haben sich beide in der Nachkriegszeit von dem Paradigma der "Dialektik der Aufklärung" teilweise verabschiedet.
M.P.:Richtig, das haben sie, aber sie haben auch gesehen, daß man mit den alten Begrifflichkeiten die Welt nicht mehr erklären kann. Das Problem, das sich Horkheimer und Adorno Ende der dreißiger Jahre stellt, ist folgendes: Sie sehen, daß sie mit den alten Begrifflichkeiten des Marxismus, z.B. Markt und Privateigentum, den Kapitalismus nicht mehr adäquat begreifen können, sie haben aber noch keine neuen gefunden.
Für Horkheimer beispielsweise hat das wichtige theoretische Folgen für die Kategorie der Arbeit. Er hält an der für den traditionellen Marxismus zentralen Annahme fest, daß die Kategorie der Arbeit eine überhistorische Kategorie der Vergesellschaftung sei. 1936 ist sie für ihn noch eine Quelle emanzipatorischer Vernunft, 1940 meint er dagegen, daß die gesellschaftliche Arbeit der Grund für die instrumentelle Vernunft sei.
Diese grundlegende Umwertung gesellschaftlicher Arbeit beruht auf Pollocks These, daß die Abschaffung von Markt und Privateigentum im Staatskapitalismus bedeutet, daß der Hauptwiderspruch des Kapitalismus aufgehoben worden ist(P6). Die Arbeit hat sich verwirklicht. Die daraus entstandene Gesellschaft verkörpert jedoch eine neue technokratische Herrschaftsform. Innerhalb dieses theoretischen Rahmens muß Arbeit Grundlage dieser neuen Herrschaftsform sein. Das ist der Kerngedanke, der zum Konzept der instrumentellen Vernunft führt.
Hier setzt Habermas dann später an. Habermas kehrt der Kritischen Theorie nicht einfach den Rücken, wenn er später behauptet, daß man neben die Arbeit die Interaktion setzen müsse, um die historische Möglichkeit gesellschaftlicher Kritik und Opposition zu erklären. Die Umdeutung des Begriffes der Arbeit zur instrumentellen Vernunft, die Horkheimer und Adorno in den vierziger Jahren vorgenommen haben, ist genau Habermas' Ausgangspunkt.“3
Statt einer, jedenfalls an dieser Stelle nicht zu führenden, textimmanenten Kritik vorstehender idealistischer Thesen und Konzepte, Modelle, Beschreibungen und einer abwägenden Postone'schen Rezeption Pollocks, wird hier Marxens am Ende von Band I des Kapitals empirisch abgesicherten, induktiv geführten geschichtlichen Tendenzen der Akkumulation des Kapitals als Ausgangspunkt der Kritik genommen.
„Sobald dieser Umwandlungsprozeß nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und andrer Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigentümer, eine neue Form(M2). Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist.
Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale(M2). Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit(M5), die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts und damit der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes.“4
Diese Umwälzungen der Produktion waren schon damals nur bewältigbar durch die parallele ungeheure Ausdehnung des Kreditsystems. Dessen Darstellung erfolgt gemäß der immanenten Marxschen Formenanalyse erst in Kapital Band III, nachdem sich das Kapital in die drei Funktionsräume des produktiven Kapitals, des Warenhandlungskapitals und Geldkapitals mitsamt Bankenwesen und Leihkapital aufgespalten hat. Marx schreibt u.a. in: Die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Produktion:
„2. Das Kapital, das an sich auf gesellschaftlicher Produktionsweise beruht und eine gesellschaftliche Konzentration von Produktionsmitteln und Arbeitskräften voraussetzt, erhält hier direkt die Form von Gesellschaftskapital(M2K) (Kapital direkt assoziierter Individuen) im Gegensatz zum Privatkapital, und seine Unternehmungen treten auf als Gesellschaftsunternehmungen(M5K) im Gegensatz zu Privatunternehmungen. Es ist die Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst(M2K).
3. Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremdes Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalisten(M5K). Selbst wenn die Dividenden, die sie beziehn, den Zins und Unternehmergewinn, d.h. den Totalprofit einschließen (denn das Gehalt des Dirigenten ist, oder soll sein, bloßer Arbeitslohn einer gewissen Art geschickter Arbeit, deren Preis im Arbeitsmarkt reguliert wird, wie der jeder andren Arbeit), so wird dieser Totalprofit nur noch bezogen in der Form des Zinses, d.h. als bloße Vergütung des Kapitaleigentums, das nun ganz so von der Funktion im wirklichen Reproduktionsprozeß getrennt wird wie diese Funktion, in der Person des Dirigenten, vom Kapitaleigentum. Der Profit stellt sich so dar (nicht mehr nur der eine Teil desselben, der Zins, der seine Rechtfertigung aus dem Profit des Borgers zieht) als bloße Aneignung fremder Mehrarbeit, entspringend aus der Verwandlung der Produktionsmittel in Kapital, d.h. aus ihrer Entfremdung gegenüber den wirklichen Produzenten, aus ihrem Gegensatz als fremdes Eigentum gegenüber allen wirklich in der Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis herab zum letzten Taglöhner. In den Aktiengesellschaften ist die Funktion getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Es ist dies Resultat der höchsten Entwicklung der kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares Gesellschaftseigentum. Es ist andrerseits Durchgangspunkt zur Verwandlung aller mit dem Kapitaleigentum bisher noch verknüpften Funktionen im Reproduktionsprozeß in bloße Funktionen der assoziierten Produzenten, in gesellschaftliche Funktionen.(M6Ü2)“
…..... „Es ist dies die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst (M6Ü3) und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt. Als solcher Widerspruch stellt er sich dann auch in der Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sphären das Monopol her und fordert daher die Staatseinmischung heraus. Er reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.(M6Ü4)“5
Kurz danach charakterisiert Marx die AG als sich entfaltende Übergangsform Richtung Assoziation der freien Produzenten:
„Die kapitalistischen Aktienunternehmungen sind ebensosehr wie die Kooperativfabriken als Übergangsformen aus der kapitalistischen Produktionsweise in die assoziierte zu betrachten, nur daß in den einen der Gegensatz (zwischen Kapital und Arbeit E.N.) negativ und in den andren positiv aufgehoben ist(M6Ü5).“6
Was nicht nur Friedrich Pollock7 sondern andere wie M. Postone auch aus der Entwicklungsphase der Organisation des Kapitals der NS-Zeit an Veränderungen ausmach(t)en, ist also in obigen Marxzitaten als Tendenzen von Übergangsformen des Kapitals zur Assoziation der freien Produzenten längst vorweggenommen und als innerhalb der kapitalistischen Grenzen bestimmt.
Die vom Autor fett markierten und nummerierten Stellen in beiden Texten lassen Marx wie folgt in Stellung bringen gegen Pollock's und Postone's Unterbelichtungen:
Pollocks These der Aufhebung des Privateigentum(P2) fällt hinter Marxens weitergehende Bestimmung zurück, wonach es im Zuge des Zentralisationsprozesses der Kapitale(M2) zu einer „Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst“(M2K) kommt. Aktiengesellschaften, Kredit und Börsen sind die sich nach den Notwendigkeiten der Akkumulationsdynamik des Kapitals nach 1870 entfaltenden Formen und Mittel zugleich, den Zentralisationsprozess der Kapitale zu bewerkstelligen, um die gewaltigen, über die Kräfte des Privateigentums des Einzelkapitalisten hinausgehenden gesellschaftlichen Unternehmungen, hervorgetrieben durch die Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit, schultern zu können. Es handelt sich bei den Aktiengesellschaften um eine Weiterentwicklung jener Eigentumsformen, mit denen die Kaufleute die Seefrachtschifffahrt jahrhundertelang genossenschaftlich stemmten. Nach Marx spielt sich dies alles innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise ab. Zugleich weist die AG als Übergangsform über die kapitalistische Produktionsweise hinaus. Die Aufhebung des Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit bleibt in den Formen des Kapitals gebannt. Das Privateigentum bleibt auch, nachdem das private Kapital an den Produktionsmitteln sich zu gesellschaftlichem Kapital assoziierter Individuen wandelte, zu deren Clubs sich inzwischen übrigens große Teile der Arbeiteraristokratie mit ihren Billionen Euro schweren Pensionsfonds, Belegschaftsaktien etc. pp. assoziierten, weiterhin Bestimmung der kapitalistischen Produktionsweise.
Die wesentliche Veränderung besteht in der Trennung des fungierenden Kapitals vom privaten Eigentum, welche den fungierenden Kapitalisten zum reinen Geldkapitalisten wandelt, der nur noch die Eigentumstitel an fiktivem Kapital hält. Pollock und sein Interpret Postone hätten also zur eigenen Klarheit Marx gegen den vermeintlichen „Traditions-Marxismus“ ins Feld zu führen, um die ökonomischen Entwicklungen bis und im NS zu begreifen. Obige Marx'schen Ausführungen belegen die begriffs-bestimmende Problemlage, dass und wie das Kapital sich selbst immanent seine neuen Bewegungsformen schafft, welche innerhalb der Grenzen des Kapitalverhältnisses verbleiben und zugleich als Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb derselben (M6Ü3) über es hinausweisen. Das Kapitalverhältnis ist also kein statisches Jahrhunderte-Produktionsverhältnis, sondern treibt seinem Wesen nach selbst durch die Auflösung seiner Formen auf seine geschichtliche Aufhebung zu. Solche Übergangsformen sind durch keinerlei formanalytischen „Begrifflichkeiten“(P3) einer neuen Wirtschaftsordnung zu fassen, da die Hülle der Kapitalformen noch nicht gesprengt ist.
Pollocks These von der Aufhebung des Marktes(P1). Da Pollock sicher nicht die Weihnachtsmärkte sondern die Marktmechanismen der Konkurrenz meinte, sei hier nur vermerkt, dass die industrielle Massenproduktion auf (kontinuierlicher) Bestellung der Kapitalisten und Großhändler untereinander beruht und schon seit Engels Zeiten durch strikte gemeinsame Regulierungen der Kartelle bestimmt war. Der Arbeitsprozess des nationalen Gesamtkapitals ist ein zusammenhängender, hoch arbeitsteiliger und kombinierter gesellschaftlicher Prozess. Der „Markt“ des sogenannten freien Bürgers des sogenannten liberalen „Konkurrenzkapitalismus“ war schon zu Marxens Zeiten zur Metapher für den Umsatz-Umfang mutiert, den eine spezifische Ware auf dem nationalen „Markt“ oder auf dem Welt“markt“ einnahm – wesentlich war er fürs Kapital nicht, sondern für die Nationalökonomen und deren fetischistische Fixierung auf die „Marktpreise“. Was sich in den 1920er Jahren allgemein durchsetzte war die Verwissenschaftlichung sämtlicher Geschäftsvorgänge, so dass die Optimierung der Planung der industriellen Massenproduktion als neues Phänomen hervorstach.
Falls Pollock mit „Markt“ den sogenannten Konkurrenzkapitalismus gleichsetzt, der durch Kartellierung usw. zu einem ominösen „Monopolkapitalismus“ übergegangen sei, der nun der staatlichen Lenkung unterworfen sei, so sei dem entgegengesetzt, dass die Bewegung des Kapitals sich auch im Zentralisations-Prozess der vermeintlichen Monopolisierung regelmäßig als Oligopol herausstellt, in welcher sich die Konkurrenz der Oligopolisten gerade unter der Kartellierung steigert, um sich in der Krise durch einseitige Aufkündigung des Kartells um so schärfer zu entladen. Die Staatsintervention wurde und bleibt nötig, um die Waffengleichheit der feindlichen Kapitalisten-Brüder möglichst herzustellen.
Ein heutiges Musterexemplar dafür ist das faktische Oligopol der hoch verflochtenen europäischen Automobilindustrie, dessen Teilnehmer jahrzehntelang jährlich synchron ihre Preise anhoben und jetzt in der tiefsten Absatzkrise mit exorbitanten Rabatten – mit dem Wagen des teutschen Volkes und dessen dutzend Automarken im Schlepptau an der Spitze – im gegenseitigen Vernichtungskampf liegen. Und so, wie der Staat in den 1920er Jahren zunehmend wirtschaftspolitische Ordnungsfunktionen übernehmen musste, gilt heute: falls die italienische und französische Regierungen nicht bald geeignete protektionistische Gegenmaßnahmen ergreifen, drohen ihre nationalen Automobilbranchen – die noch bis in die 1960er Jahre stärker waren als diejenige der BRD – durch die deutsche Dampfwalze plattgemacht zu werden. Ökonomie und Politik bilden eine Einheit von Inhalt und Form, welche den „Markt“ längst hinter sich gelassen hat.
Pollocks These vom NS als Staatskapitalismus(P5). Aus den Thesen der Aufhebung von Markt und Privateigentum geschlussfolgerte These einer „neuartigen“ Gesellschaftsformation, die mit dem „Traditionsmarxismus“ nicht mehr auf den Begriff zu bringen sei. Nach vorstehenden Marx'schen Einlassungen wird der Begriff „Staatskapitalismus“ hinfällig, wenn man nicht selbst wie angeblich die sogenannten Traditionsmarxisten den Marx vermurksen will.
Dass damals sowohl der NS als auch die SU unbeholfen als „Staatskapitalismus“ tituliert wurden, verweist auf die Unbestimmtheit der Wortschöpfung und subjektiven Setzungen der Autoren.
Die SU hielt im Gegensatz zum NS immerhin das Staatsmonopol an Industrie, Außenhandel und Bankwesen und somit die Planungsgrundlage für die SU-Nationalökonomie in Händen. Die Form der Ware und des Kapitals wurden ausschließlich den Arbeitsprodukten für den Export der SU durch den Weltmarkt aufgeprägt. Der Rubel der Malocher glich inhaltlich einer Lebensmittelmarke für den „Einkauf“ der national-staatlichen „Warenkorb-Angebote“. Der Rubel war eine nicht konvertible Binnenwährung – also kein Geld in der Bestimmung von Weltgeld.
Der NS war dagegen weit entfernt vom Staatsmonopol an den Produktionsmitteln, er steigerte, wie z.B. die USA auch, den Staatsanteil an der Wirtschaft gewaltig durch innere Verschuldung mittels keynesianischer Hebel für Infrastruktur und Hochrüstung, um aus der nach 1929 verfestigten wirtschaftlichen Depression herauszukommen.
Dass der Staat in Deutschland im NS die Lenkung der Wirtschaft übernahm, war die gesteigerte Neu-Ausformung der Kriegsrohstoffabteilung des Kaiserreichs, die nach Kriegsbeginn 1914 mit hunderten speziellen GmbH's zur Beschaffung und Verteilung der kriegsführungswichtigen Rohstoffe ad hoc aus dem Boden gestampft wurde und mit der Syndikat-Bildung der Chemieindustrie als Vorläufer der IG-Farben deren Zentralisation auf die Spitze trieb. Es handelte sich um eine zentrale staatliche Lenkung der wichtigsten volkswirtschaftlichen Produktionszweige, die das Übergewicht des nationalen Gesamtkapitals bildeten.
Lenins Studie zum Imperialismus belegte für den Zeitraum bis zum ersten Weltkrieg empirisch den von Marx bestimmten Prozess der Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Er betonte geradezu, dass hiermit die materiellen Bedingungen für den Sozialismus vorlagen. Hilferding's 'Generalkartell' und Kautsky's organisches Hinüberwachsen in den Sozialismus waren opportunistische Varianten der Deutung der neuen Phänomene. Es ist schon eigentümlich, dass Postone die Frage erst zwanzig Jahre später für die Zeit des NS aufwerfen will.
In der Krise der 20er Jahre beschleunigte sich der Zentralisationsprozess der Kapitale. Im Jahre 1926 wurde das Internationale Stahlkartell (ISK) der westeuropäischen Staaten und Deutschlands gegründet – in Teil II des Textes wird genauer dargelegt, dass es integrierender Vorläufer der Montanunion war.
„Das ISK fungierte als Vorläufer umfassender Vereinbarungen zwischen Produzenten und Regierungen, als Instrument der Diplomatie und als Vehikel faktischer wirtschaftlicher Integration.“8
Wohlgemerkt geht es hier um die 1920er Jahre. Empirisch belegt ist die These, dass die kollaborierende französische Kapitalfraktion der Montanunion – Lothringen war immerhin zwischen 1871 und 1918 von Deutschland annektiert – die Armee des NS 1940 praktisch zur Hilfe gegen ihre Malocher als „innerem Feind“ rief9. Der Ausbau der westeuropäischen Kohle- und Stahlunion lief unter deutscher Besatzung und unter schärfster Konkurrenz der deutschen Ruhrbarone untereinander weiter. Die Herren beschlossen schon damals hinter den Kulissen länderübergreifend, dass es nach Kriegsende in ihrem Produktionszweig kein zurück zum „Wirtschaftsliberalismus“ mehr geben darf, sondern die Montanunion westlich und östlich des Rheins ein „natürlicher“ Wirtschaftsraum sei. Sie widersetzten sich 1952 entsprechend scharf dem Konzept einer wettbewerbsgetriebenen Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft (EKSG) von Jean Monnet.
Die Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit waren schon vor 1914 soweit in Widerspruch zu den nationalen Produktionsverhältnissen geraten, dass die Kapitalfraktionen der Montanindustrien ihre Regierungen zu Interventionen und multinationalen Vereinbarungen benötigten, wenn sie sich nicht in einem unberechenbaren Todeskampf gegenseitig aufreiben wollten.
Hierbei sind zwei Rahmenbedingungen zu beachten. Erstens hielten die Kohle- und Stahlindustrien Westeuropas bis Ende des zweiten Weltkrieges bedeutende Anteile des jeweiligen Gesamtkapitals und waren als primäre Industrie die äußerst wichtige stoffliche Basis für die imperialistische Kriegsführung und die angebrochene Automobilisierung der Gesellschaften. Zweitens war die Montanunion an das Bodenmonopol gebunden, konnte seine Fabriken nicht irgendwo aufbauen. Gleichzeitig waren die Lütticher und nordfranzösischen Kohlereviere weitgehend ausgekohlt und nur das Ruhrgebiet besaß jene Anthrazitkohle, welche in Koks umgewandelt für die Eisenerzverhüttung in Lothringen benötigt wurde. Dies verstanden die Manager des ISK als „natürlichen“ Wirtschaftsraum. Daher war es unabdingbar, dass die beteiligten Staaten als Garantiemächte des transnationalen Kartells fungierten. Übrigens verlor mit der Entwicklung des Rohstoffweltmarktes mit Importkohle und der Logistik der Schüttgutfrachtschiffahrt nach 1955 jedes Bodenmonopol an Rohstoffen jene frühere existenzsichernde nationale Bedeutung.
Nicht nur die imperialistischen Kriege mit ungeheuren Materialschlachten, sondern die Verwissenschaftlichung und Vergesellschaftung des Produktionsprozesses(M5) des Kapitals hatte den „Nachtwächterstaat“ längst begraben und zum zentralen wirtschaftspolitischen Akteur werden lassen. Die Ausformung der politischen Doppelherrschaft behemoth'er Rackets des NS unterwarf sich im ersten Augenschein die wirtschaftspolitische Richtung des deutschen nationalen Gesamtkapitals mit Zuckerbrot und Peitsche – die Kapitalisten wussten ihre erweiterten Interessen dabei mehr als zuvor durchzusetzen und gingen sich in Unschuld die Hände waschend über alle Leichen.
Die theoretische Problemlage Pollock's wird offensichtlich in dessen These vom Umschlagen des Primats der Ökonomie ins Primat der Politik und dessen Verallgemeinerung als zukünftige „Neue Ordnung“. Seine Fiktion eines krisenfreien, staatlich regulierten Kapitalismus wird gegenwärtig unter dem linken Geschrei der Forderung nach einer vermeintlichen „Rückkehr“ zum Primat der Politik gründlich widerlegt.10
Das Wortgeschöpf „Staatskapitalismus“ ist ein Nicht-Begriff, sei nun der NS oder die SU als autoritär und bzgl. USA liberal tituliert, weil das Kapital als Staatsmonopol seiner Form und seinem Inhalt nach im Inneren aufgehoben ist und den Arbeitsprodukten der Staatsangestellten jenes Staates nur noch im Austausch auf dem Weltmarkt die Waren-, Wert-, Geld- und Kapitalform aufgeprägt werden.11 Die Frankfurter Soziologen meinten den „Traditionsmarxismus“ überwinden zu müssen(P5) und erzeugten bezüglich der Kritik der politischen Ökonomie höchste Konfusion. Hiermit wird ihre Ideologiekritik und ihre Akzentuierung geschichtlicher Gebundenheit von Gesellschaftstheorien nicht geschmälert – worauf bald zurückgekommen wird.
Pollocks These zum aufgehobenen Gegensatz von Kapital und Arbeit(P6) in jenem „Staatskapitalismus“. Postone's obige Einlassungen zur Kategorie Arbeit bringen das Frankfurter Dilemma an den Tag: Postone spricht stets von 'Arbeit' ohne nur einmal nur einen Gedanken zu den historischen Formen der Arbeit zu verlieren. Da die kritische Theorie das Marxsche Werk als reine Ideologiekritik nur gültig für die kapitalistische Phase, in der es verfasst wurde, ansehen, sind die Marxschen Kategorien von ihrem historischen Formwandel „kritisch gereinigt“. Daher unterstellt er dem „Marxismus“, 'Arbeit' als überhistorische Identität zu setzen. Wir bleiben bei Marx, der die einfachen, überhistorischen Bestimmungen der Kategorie Arbeit bis zum Erbrechen als Banalität betonte, sowie deren historisch-spezifischen Formbestimmungen und deren Unterschieden zur Form der Lohnarbeit herausarbeitete.
Und tatsächlich lässt sich dann die Geschichte der Gattung historisch-materialistisch post festum als ihr Herausarbeiten aus der Natur fassen. Wer daraus eine Teleologie des kein Ochs oder Esel hält den Lauf des Sozialismus auf machen will, ist längst einem mechanistischen Geschichtsverständnis verfallen.
Was soll es aber sonst als die gesellschaftliche Arbeit (Kooperation und Arbeitsteilung) gewesen sein, mittels dessen sich die Gattung nach und nach aus dem Naturzusammenhang herauslöste und die gesellschaftlichen Sphären ausbaute? Das Denken, das sich des Arms zur Umsetzung der individuellen „Ideen“ des eingebildeten „freien“ „Intellekts“ bediente, griff stets auf die kooperativen Erfahrungen der Produktion zurück. Mit Tanzen und Spiritualität war es auch nicht getan.
Die tatsächlich durchgehende Konstante der bisherigen Gattungsgeschichte besteht in der Banalität: die menschlichen Formen von Gemeinschaften/Gesellschaften schlugen schon immer jenen Weg der materiellen Produktion ein, der ihnen erfahrungsgemäß mit wenigstem Aufwand an Zeit und Arbeitsmitteln den größten Ertrag lieferte. Die Steigerung der Produktivität der Arbeit ist daher eine überhistorische vernünftige Abstraktion. Das Kapital trieb diese Entwicklung in ungeahnter Weise mittels und zwecks der relativen Mehrwertproduktion hervor, die kontinuierliche Produktivitätssteigerung der gesellschaftlichen Arbeit fürs Kapital wurde in dessen Formen für seinen Selbstzweck maßloser Akkumulation praktisch wahr. In diesem Sinne charakterisierte der Autor am Ende von Kapitel zwei den bisherigen historischen Gang der Gattung als „naturwüchsigen objektiven Prozess“. Ohne jedwede theoretische Reflexion verstanden es die Gemeinschaften/ Gesellschaften praktisch, ihre vorhandene Zeitressource auf die verschiedenen Produktionszweige proportional zu den Bedürfnissen zu verteilen – schon in jener Phase, in der es um Sammeln, Fischen oder Jagen ging. In der modernen Welt des Kapitals hat das Gesetz des Wertes jene Allokationsfunktion der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit auf die verschiedenen Produktionszweige inne. Dies lässt sich post festum als die Vernunft in der Geschichte fassen, falls die Gattung ihre Vorgeschichte überwindet, indem sie dem Arbeitsvermögen und den Arbeitsprodukten etc. die Formen von Ware, Geld und Kapital abstreift und das Wertgesetz bewusst gesellschaftlich aufhebt: ihre Produktion in vernünftiger Übereinkunft als gemeinsamen Plan beschließt und umsetzt. Ja, falls. Die Einsicht in die Notwendigkeit und Möglichkeit der proportionalen Verteilung der Gesamtarbeit auf die verschiedenen Produktionszweige entsprechend den gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnissen ist der höchstmögliche Freiheitsgrad der Gattung, die bei deren Verwirklichung den Übergang von der Vorgeschichte zur Gattungsgeschichte eröffnet. Dies ist übrigens das, was Marx analytisch belegen wollte – nicht mehr und nicht weniger können wir auch heute sagen. Genug der “Geschichtsphilosophie“! Igittigitt.
Marx gibt nicht von ungefähr in den Grundrissen Adam Smith recht, dass erst im industriellen Kapitalverhältnis die Arbeit sans phrase – also ohne jede weitere Bestimmung – praktisch wahr wird, wie er in Zur Kritik.. ebenso David Ricardo recht gibt, dass der Wert als Gesetz der Produktion erst in der industriellen Massenproduktion praktisch wahr wurde. In diesen Bestimmungen liegt zugleich die Bestimmung, dass die Kategorien Arbeit sans phrase und Wert vorkapitalistich existierten, jedoch noch nicht voll gültig und universell waren.
Wenn Aristoteles beispielsweise den 'Landbau' und den 'Handel' als „natürliches“ Wirtschaften bewertete, so subsummierte er unter 'Landbau' eine Totalität von Arbeitsprozessen. Und die Totalität der Arbeiten des 'Handels' samt Handels- und Kriegsflotte waren im Gegensatz zur „unnatürlichen“ Chremastik als „reiner Geldwirtschaft“ „natürlich“, da die Arbeitsprodukte der stimmbegabten „natürlichen“ Sklavenarbeit (= ponos) durch die Handelspraxis der Sklavenhaltergemeinschafts-Demokratie dem einzelnen Grundeigentümer Reichtum bescherte. Diese konnten sich ihre Denker und Dichter aushalten (poiesis). Praxis, Poiesis und Ponos war der dreifacher gegliederte Arbeitsbegriff des Aristoteles.
Andererseits: Die Marxsche Fußnote, dass Aristoteles den Tauschwert untersuchte und ihn praktisch begriff, den Wert jedoch nicht erfassen konnte, weil die Gleichheit der verschiedenen Arbeiten noch nicht zum Volksurteil verallgemeinert war, löste bei dem linksradikalen Neukantianer Castoriadis Im Labyrinth der Seele der 1950er Jahre einen wutschnaubenden Sturm im Wasserglas aus: demnach konnte Aristoteles den Wert nicht sehen, weil es nichts zu sehen gab! Cogito ergo sum! Basta! Dies ist symtomatisch für den Gegensatz von bestimmenden, begreifenden, vernünftigen Abstraktionen des Denken der Marxschen Formenanalyse des Kapitals, welche dessen historische Vergänglichkeit belegen, und logischer „erkenntniskritischer“ geschichtsloser Reduktion.
Selbstverständlich wissen Autoren wie D. Behrens um den einhergehenden Verlust des Zugriffs auf die Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse und des geschichtlichen Werdens und Vergehens ihrer Kategorien als Ausdruck von Daseinsformen und Existenzbestimmungen, um einen solchen Versuch im nächsten Atemzug als „Geschichtsphilosophie“ verächtlich machen zu wollen und sich dem immanenten Raunen ihrer Marx'schen Wertformanalyse-Interpretationen hinzugeben12.
Es gibt bei Postone's obigem Verständnis von 'Arbeit' genauso wenig eine Formkritik der Arbeit, wie die Frankfurter Erkenntniskritik sich weigert, die Formkritik des Wertes zu formulieren und stattdessen meint, den Wert selbst der Kritik unterwerfen zu müssen. (Siehe hierzu die lange Fußnote im voranstehenden Unterkapitel 14.2.) So schlussfolgert er aus den Pollock'schen Thesen der Aufhebung von Markt und Privateigentum und öminösem Staatskapitalismus zustimmend, die 'Arbeit' habe sich selbst verwirklicht. Und: der Widerspruch von Kapital und Arbeit sei aufgehoben.
Welche 'Arbeit' sich da verwirklicht haben soll, lässt sich nur ahnen. Es ist wahrscheinlich die Identität Arbeit = Abstrakte-Arbeit = Lohnarbeit ohne die nichtidentischen Momente dieser schlechten Identitätssetzung zu bestimmen. Im Gespräch mit Postone kommt wieder einmal das ewige Frankfurter Suchen nach dem „unverdinglichen Rest“13 zu Tage. Demnach sei der emanzipatorische Charakter des Arbeitsprozesses nach Horkheimers Auffassung im NS-Staatskapitalismus zur instrumentellen Vernunft der Arbeit umgeschlagen – als wäre die Fabrikarbeit, die Marx als Unglück ansah, je emanzipatorisch gewesen – und damit fiel der Arbeitsprozess zukünftig als revolutionäres Moment aus.
Wie wäre es mit folgender Lesart der Geschichte: der eben skizzierte Zentralisationsprozess der Kapitale (M2), nach 1870, getrieben von den sich entwickelnden Produktivkräften der gesellschaftlichen Arbeit – wenngleich in kapitalistischer Form und Inhalt (M5) –, vollendete zugleich die reelle Subsumption der Arbeit unter das Kapital. Mit dem so generierten industriellen Massenarbeiter, der Verwissenschaftlichung der Produktion, der mit der Umwälzung der materiellen Grundlage einhergehenden Umwälzung der gesellschaftlichen und der fabrikinternen Arbeitsteilung enteignete das Kapital die Fertigkeiten der unmittelbaren Produzenten per Taylorismus und wandelte sie um in „Fähigkeiten“ seiner Maschinerie. Die Arbeiter wurden zum Anhängsel der kapitalgeformten Maschinerie, deren Zeittakt und deren „Bedürfnissen“ nach Zufuhr von Material sie in absolutem Gehorsam und fremd erzwungener Selbstdisziplin nachkommen mussten, um überhaupt zu überleben.
Die Arbeitswelt änderte sich spätestens in den 1920er so evident, wie Ch. Chaplin sie in Modern Times (im Nachtrab erst 1936) auf den Punkt brachte. Im Dadaismus und Surrealismus der Nachkriegszeit I kamen die geistigen und psychischen Irritationen einer unverstandenen absurden Welt des bürgerlichen Mannes ohne Eigenschaften zu ästhetischem Ausdruck. Die anonyme Herrschaft des gesellschaftlich zentralisierten prozessierenden Kapitals als quasi-automatischem Subjekt kam zu sich selbst – in Unterkapitel 14.2. geortet als Anker der Personalisierung des Kapital-Zins-Fetischs zu Weltherrschaftsplänen der Juden als den Herren des Finanzkapitals und der Börsenwelt – in welchem die ehemaligen fungierenden Kapitalisten als zurechtgestutze Geldkapitalisten höchstens noch in den Aufsichtsräten der Anteilseigner der Aktiengesellschaften entsprechend ihrem Anteil Stimmgewicht hatten. Der Arbeits- und Verwertungsprozess des Kapitals benötigte den fungierenden Kapitalisten nicht mehr, die Lohnabhängigen organisierten ihre Ausbeutung selber von der Fabrik über die Verwaltung, einschließlich Kontrolle und Management. Sämtliche Funktionen des Reproduktionsprozesses des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und des Staates wurden ab jetzt von Lohnarbeitern ausgeführt. Damit hatte sich die Lohnarbeit selbst verwirklicht als in Kapitalform gegossenes entäußertes Gattungsvermögen in der die tote, aufgehäufte Arbeit über die lebendige Arbeit herrscht.
Der Gegensatz von Kapital und Arbeit wurde hierbei nicht aufgelöst (P6), sondern einseitig negativ aufgehoben(M6Ü5). Das gesellschaftliche Produkt der von ihm getrennten Lohnarbeiter wird bei der AG nicht mehr vom Einzelkapitalisten angeeignet, sondern von einer gesellschaftlichen Körperschaft, welche mit dem erzielten Profit nachrangige Eigentumstitel der Geldgeber bedienen muss. Vorrangig geht es um die Akkumulation des fungierenden Kapitals. Die Gläubiger, die selbst hoch vermittelte Geldkapitalsammelstellen assoziierter Geldkapitalisten sind, haben keinerlei Einfluss auf das operative Geschäft der AG. Der gesellschaftliche Arbeitsprozess diktiert den AG's den Spielraum der technischen Zusammensetzung des Kapitals. Der Arbeits- als Verwertungsprozess zur Erzielung des Durchschnittsprofits wird den AG's durch die Konkurrenz aufgezwungen, fern vom Einfluss eines Privatkapitalisten.
Die Lohnarbeit beherrscht seither auf ihre Weise das Kapital und nicht umgekehrt. Heutzutage ist beispielsweise der Gesamtbetriebsrat des weltweit produzierenden Wagen des teutschen Volkes zum wichtigsten Pressesprecher und Repräsentanten des Konzerns mutiert. Die Proletarier beherrschen den konkreten gesellschaftlichen Arbeitsprozess als Kombination Einzel-betrieblicher Einheiten. Zugleich organisieren sie diesen als Verwertungsprozess des Kapitals und somit ihre eigene Mehrarbeit akribisch selbst. Es handelt sich um ein eigenartig modifiziertes Hegel'sches Herr-Knecht-Verhältnis: Der Knecht beherrscht als gesellschaftlicher Gesamtarbeiter den gesellschaftlichen Arbeitsprozess vollständig. Der Herr ist entschwunden und damit das persönliche Abhängigkeitsverhältnis und gegenseitige Anerkennungsverhältnis beider aufgelöst – der Knecht hat ausgedient. An des Herrn und Knechts Stelle ist die unpersönliche, gesellschaftliche Macht des Kapitals getreten, die im Aberglauben der Kleinbürger-Proleten an Gottvater Staat das neue Abhängigkeits- und Anerkennungsverhältnis fand.
Das Kapital machte nach seinen eigenen Maßstäben ungeheure Zugeständnisse um die revolutionäre Flut der 1920er Jahre zu stoppen. Mit der blutigen Zerschlagung der deutschen revolutionären organisierten Arbeiterschaft war der Weg frei für eine Volksgemeinschaft nach dem unhinterfragbaren Führerprinzip, die den „Volkskörper“ organizistisch zur klassenübergreifenden Kampf- und Arbeitsgemeinschaft erhöhten. Der Kapitalist mit Zylinder und dicker Zigarre landete ebenso in der geschichtlichen Mülltonne wie der Arbeiter-Blaumann im gesellschaftlichen Gesamtarbeiter aufging. Das proletarische Klassenbewusstsein und der proletarische-revolutionäre Klassenkampf um eine andere Welt wurde den Proleten – zuletzt in Spanien 1936 – blutig ausgetrieben. Empirisch gesehen landete damit das Klassenbewusstsein und der jenes erzeugende organisierte geschichtsmächtige proletarische Klassenkampf in den entwickelten Ländern Europas ebenfalls – bis heute – in der geschichtlichen Mülltonne.
Die Herrschaft des prozessierenden Industriekapitals als automatisches Subjekt hatte im Führer seinen legitimierten 'weisen' Dirigenten gefunden, der als abgestiegener Kleinstbürger nach der Devise orchestrierte: nach mir die Sintflut! Behemoth löste Leviathan ab. Die klassenübergreifende deutsche Volksgemeinschaft legte sich dem entsprechend gründlich ins Zeug. In der staatlich organisierten industriellen Massenvernichtung des europäischen Judentums meinte sie die phantasmagorische Antithese des 'Ariers' und mit dieser die 'Zinsknechtschaft' aus der Welt zu schaffen und den Weg zum 'Deutschland über alles in der Welt' frei zu machen. Die Vernichtung des Judentums um der Vernichtung willen liegt diametral zum Begriff des Fortschritts, wie ihn Marx bezüglich der Frage nach der Entwicklung Indiens durch den britischen Kolonialismus verallgemeinernd akzentuierte:
"Die bürgerliche Periode der Geschichte hat die materielle Grundlage einer neuen Welt zu schaffen: einerseits den auf der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker beruhenden Weltverkehr und die hierfür erforderlichen Verkehrsmittel, andererseits die Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte und die Umwandlung der materiellen Produktion in wissenschaftliche Beherrschung der Naturkräfte. ... Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte, gemeistert und sie der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat [sic!], erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte."
Die Shoah ist somit für die Frage der proletarischen Emanzipation mehr als ein Reflexionspunkt. Der geschichtliche Fortschritt ist sichtbar an sein Ende gekommen, die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte ist zugleich übergreifend in gesellschaftliche Destruktivkräfte umgeschlagen. Empirisch ist der Klassenantagonismus von Bourgeoisie und Proletariat zu einem klassenübergreifenden Volkslager von Lohnarbeiter-Staatsbürgern umgeschlagen.
Nach 1945 lief alles in staatlich regulierten sozial-demokratischen Gleisen. Die Staaten West- und Nord-Europas wurden zu nationalen Volksheimen. Die Zermalmung und Proletarisierung der materiellen Kleinbürger ließ den selbstständigen Wirtschaftsbürger quantitativ zur bedeutungslosen Restgröße schrumpfen: 2010 sind nur noch ca. 5 Prozent der Bevölkerung der BRD den Selbstständigen zuzurechnen. Aus bürgerlichen Gesellschaften wurden lohnarbeitende Gesellschaften – wie sehr das Lohngefüge auch gespreizt ist, um das Management, die Arbeiteraristokratie und den Pöbel sozial und politisch zu spalten. Aus bürgerlichen Staaten wurden bürgerliche Arbeiterstaaten. Die Lohnarbeiter sind dem Schein nach zum Tax-Bürger und somit zum idealtypisch schröpfbaren modernen Staatsbürger mutiert. Die lohnabhängige Klasse hat alle Funktionen des Staatsapparat übernommen und herrscht politisch-ökonomisch über sich selbst – als allseits gehätscheltes sogenanntes Humankapital gepriesen – als ehrbare Großmacht der Volksgemeinschaft. Die Proleten zelebrieren im Verein mit den „Jebildeten“ und den „Selbstständigen“ ihr fünfkistiges kleinbürgerliches Suppenschüssel-Dasein. Wehe, ihnen wird ihre Suppenschüssel des Imponiergehabens der sozialen „Differenz“ nicht mehr nachgefüllt!
Die jetzigen europäischen Territorialstaaten drohen im Zuge des Rückzugs der sich konzentrierenden und zentralisierenden Kapitale aus der Fläche auf entwickelte Regionen durch „völkischen“ Separatismus der entwickelten Regionen territorial zerlegt zu werden. Dies leistet einem völkischen Bürgerkrieg in Europa – und rund um den Globus – Vorschub, der das staatliche Gewaltmonopol territorial gegliedert in bandenmäßige, stammesgesellschafts-affine Doppelherrschaft zerschlägt.
Solche Szenarien spielen sich vom theoretischen Standpunkt alle innerhalb des Marxschen Kategoriengerüstes ab – wenngleich, wie zuvor skizziert, die Entwicklung zugleich von Übergangsformen des Kapitals selbst Richtung einer assoziierten Produktionsweise drängt. Was jetzt noch expropriiert werden muss, sind bloße Eigentumstitel auf fiktives Kapital – bloße Papierchen, die wertlos sind, sobald ihre Ansprüche auf Zins nicht mehr bedient werden. Der Anteil der Besitzer jener Titel an der Gesamtbevölkerung ist sehr groß: die lohnabhängige Klasse partizipiert inzwischen selbst mit Zinseinnahmen und Pensionsansprüchen an ihrer kapitalistischen Ausbeutung. Nimmt man allerdings die gewichtigen Teile der Eigentumstitel des fiktiven Kapitals, so machen deren Besitzer nur eine kleinste Minorität der Bevölkerung aus. Heute haben sich die meisten Forderungen und Maßnahmen der Diktatur des Proletariats, wie sie in der von Marx entdeckten ersten Form in der Pariser Commune 1871 in Wohlfahrtsausschüssen gestellt wurden, längst in gesellschaftlichen und staatlichen Körperschaften institutionalisiert – allerdings den Formen des Verwertungsprozess des gesellschaftlichen Gesamtkapitals unterworfen.
Diejenigen, die meinen „Andere Zeiten brauchen andere Begriffe“, müssen sagen: wofür, für welche gesellschaftlichen Phänomene und Entwicklungen können sie argumentativ begründete andere Begriffe einführen? Wenn schon, so liegt es an ihnen, das Vergehen alter Bestimmungen und das Werden neuer über die alte Produktionsweise hinausweisender Bestimmungen der Kategorien und deren Formbestimmtheit in Fortsetzung zu Marx Torso in der Staats- und Weltmarkttheorie weiterzuentwickeln.
Die Betonung der geschichtlich begrenzten Gültigkeit der historisch-spezifischen Marx'schen Analyse durch die Frankfurter Schule ist wichtig. Sie steht im unüberbrückbaren Gegensatz zu dogmatischen Positionen der Kanonisierung der Arbeiten Marx' bis zum Ende des 'Kapitalismus'. Letztere benutzen das kommunistische Manifest, als sei es für die Gegenwart geschrieben. Sie nehmen es nicht ernst als für 1848 verfasst, weil sich für sie die damaligen Verhältnisse post festum als nicht 'reif' erwiesen haben. 'Reif' seien die Verhältnisse erst heute. Hiermit wird Marx als revolutionärer Theoretiker des sich bewusst werdenden Proletariats ebenfalls nicht ernst genommen.
Daher ist Wolfgang Pohrt14 in erster Annäherung Recht zu geben, dass die revolutionäre Phase im Sinne des Marxschen Werkes mit der Niederlage der Pariser Commune endete. Zurecht stellt er fest, dass die zwei Weltkriege wohl kaum in ein historisch-materialistisches Entwicklungsschema als notwendiges Durchgangsstadium zur Assoziation der freien Produzenten taugen. In zweiter Annäherung ist er zu kritisieren, dass er auf typische Frankfurter Weise die mit dem Ende des ersten Weltkrieges bis 1924 einhergehende proletarisch-revolutionäre Flut als Anathema behandelt. Den 'Leninismus' fassen sie wegen seiner 'Repräsentants'-Funktion nicht mal mit spitzen Fingern an. So kann man sich einfach den 'reinen' Marx erhalten und nicht zugeben, wie nahe die SU bei jenem 'rohen' Kommunismus lag, den Marx als Übergangsform in den Pariser Manuskripten charakterisierte.
Der Frankfurter Schule ist zu widersprechen, dass die Klassen durch ihre Auflösung in die Volksgemeinschaft nicht mehr existieren und sich daher die proletarische Revolution erledigt hat. Gegenwärtig liegt der Klassenantagonismus im Tiefschlaf des verkleinbürgerlichten Proleten. Der Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit existiert mit der Mehrwertproduktion weiter. Der Rätekommunist Paul Mattik machte auf die geschichtliche Vergänglichkeit des Frankfurter Hypothesen-Kranzes in seiner Rezension Herbert Marcuse's eindimensionalen Menschen aufmerksam.
"Die gesamte Problematik erhält ihren entscheidenden Akzent von der dem Kapitalismus unterstellten Fähigkeit, den gegenwärtigen Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung aufrechtzuerhalten. In allen vorangegangenen Erörterungen haben wir dem Kapitalismus diese Fähigkeit abgesprochen. Zweifellos ließe sich aus der gegenwärtigen Situation eine solche Fähigkeit ablesen, doch beweist dies nichts für die Zukunft."15
Ob die Proleten beim Aufbrechen des alten Klassenantagonismus die nationalen Volksgemeinschaften sprengen werden und sich auf die Reststrecke ihrer Emanzipation begeben, ist nicht ausgemacht. Die Beantwortung dieser Frage ist keine theoretische, sondern eine rein praktische – theoretisch gibt es nicht mehr viel zu sagen. Dass die Proleten dazu nicht mehr in der Lage sind, ist ein linksbürgerliches Ammenmärchen. Erinnert sei an den Briefwechsel von Marx und Engels vom August 187016 kurz vor dem deutsch-französischen Krieg. Marx argumentierte geschichtlich, dass bei einer Niederlage Frankreichs der Krieg in den revolutionären Bürgerkrieg umschlagen könnte, die Pariser jedoch nach 20 Jahren Demoralisierung unter Napoleons-Regime dazu nicht in der Lage wären. Engels antwortete, dass dafür wohl zuerst die Bevölkerung Paris' ausgetauscht werden müsste. Alles kam ganz anders. Und doch: das Grauen der völkischen Regression ist in Europa allgegenwärtig im Aufschwung.
1 Siehe: Abschnitt IV. Thermidor in: Pierre Frank Thema Geschichte der Kommunistischen Internationale (1919 - 1943) - TEIL IV THERMIDOR ( original ) Status 1979 - Band 2 - Auszüge - ISP-VERLAG http://www.mxks.de/files/kommunism/KominternII1.html#5.3.
2 Die Frage, ob und wie das Proletariat und dessen Führung in Deutschland den Nationalsozialismus hätten abwenden können, wurde politisch bearbeitet in: Thalheimer, August (1932): Wie schafft die Arbeiterklasse die Einheitsfront gegen den Faschismus? Ebenso von A. Thalheimer (1932): Einheitsfront und kommunistische Führung - richtiges Ziel - falscher Weg. Von Trotzki, Leo (1931): Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen? Die Reflexion und Einordnung des Versagens der KPD und Komintern vor 1933 in der Frage der Einheitsfront ist Gegenstand von Teil III der Arbeit. Sie ist Voraussetzung der aktuellen Frage: Was tun?
3 Jochen Baumann im Gespräch mit Moishe Postone über die Aktualität der Kritischen Theorie, jungle-world.com-Archiv Nummer 21, 19.Mai 1999
5 Karl Marx, Das Kapital Band III, MEW, 25, S. 453 f. Engels führt in einer Anmerkung an der Stelle zur Aktiengesellschaft die dynamische Entwicklung seit Marxens Manuskriptniederschrift bis 1890 aus.
7 Der Autor kennt Friedrich Pollock's Studien zum Staatskapitalismus nicht wirklich und bezieht sich hier auf Postone's Interpretation der Frankfurter Schule im vorliegenden Gespräch. Pollock's Intention: "Mein Ziel besteht darin, die neue Ordnung als ein neues wirtschaftliches und gesellschaftliches System im Gegensatz zum Monopolkapitalismus darzustellen." (Recht und Staat im Nationalsozialismus, S. 111)
8 John Gillingham, Zur Vorgeschichte der Montan-Union Westeuropas – Kohle und Stahl in Depression und Krieg, Vierteljahresheft, Institut für Zeitgeschichte, Jahrgang 34 (1986) Heft 3, http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1986_3.pdf
9 Annie Lacroix-Riz, Industriels et banquiers francais sous l´Occupation: la collaboration économique avec le Reich und Vichy, Paris 1999; Siehe auch: Dieselbe, Frankreich und die europäische Integration. Das Gewicht der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und Deutschland, 1920–1955, in: Th. Sandkühler (Hg.), Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18 (2002).
10 Friedrich Pollock 'Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung'; 'Zeitschrift für Sozialforschung', Jg 1. 1932, Max Horckheitmer (Hg.)
11 Vergleiche: Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen 'Kapitals', Band II, 1968 EVA
13 Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik, Essaysammlung, veröffentlicht 1923. Was an dieser Stelle nicht abgehandelt werden kann, ist die Tatsache, dass Lukács in seinem sogenannten „Verdinglichungs-Aufsatz“ unreflektiert die Identität von vorkapitalistischer und kapitalistischer Warenform setzte und damit bei Adorno die Tür für die Verkürzung der Problemstellung auf das „Verhängnis des Tauschwertes“ öffnete und die Suche nach noch nicht-verdinglichten Momenten der gesellschaftlichen Totalität eröffnete.
14 Wolfgang Pohrt, Theorie des Gebrauchswerts. Über die Vergänglichkeit der historischen Voraussetzungen, unter denen allein das Kapital Gebrauchswert setzt, Edition TIAMAT, 1995; Siehe den Abschnitt: Vernunft und Geschichte bei Marx.
15 P. Mattick: Kritik an Herbert Marcuse. Der eindimensionale Mensch in der Klassengesellschaft, Europäische Verlagsanstalt, 1969.