Die Verschiebung des westeuropäischen Gleichgewichts zu Gunsten Deutschlands durch faktische Annexion der DDR war unmittelbare Folge des Machtvakuums in Mittel- und Osteuropa im Auflösungsprozess der SU und des Warschauer Paktes.
Der Abzug der Roten Armee aus dem Gebiet der ehemaligen DDR sowie aus den „Bruderländern“ Mittel- und Osteuropas ging einher mit dem Übertünchen des roten Sowjetsterns durch das großrussische Wappen. Dies ist das militärpolitische Symbol für das Verschwinden des Bolschewismus als dem äußeren Erzfeinds Deutschlands nach 1917.
Damit verschob sich zugleich das nationalstaatliche Gleichgewicht in Mittel-Süd-Osteuropa gravierend zur wirtschaftlich dominanten neuen BRD als unmittelbarem geografischem Nachbarn. Die Nachkriegsordnung nach 1945 löste sich auf, Deutschland knüpfte sofort an die Kontinuitätslinien seiner ökonomischen und politischen hegemonialen Mitteleuropa-Politik der Vorkriegszeit an. Der Zusammenbruch des bipolaren Gefüges der militärischen Hauptkräfte SU1 und USA führte nach 1990 für ein 15-jähriges Zeitfenster zur scheinbar unumschränkten unipolaren Hegemonie der USA. Jedenfalls wenn man der deutschen Einheitspresse und dem US-amerikanischen Selbstbild Glauben schenkte.
Der Auflösungsprozess der SU verschob die Kräfteverhältnisse und die Stellung aller Weltmarktteilnehmer gravierend. Die Schachfiguren der Diplomatie mussten vielfach ausgetauscht werden. In vielen Teilen der Welt bildeten sich regionale Krisenherde aufgrund von Kräfteverschiebungen zwischen Staaten, die durch den Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen und die politische Schwäche des zentralen Partners SU im Übergang zum Staat Russland und der Renationalisierung der alten Teilrepubliken zu unabhängigen Staaten unterschiedlich stark betroffen waren.
Dass die westlichen nationalen Bourgeoisien sich die am Boden liegende Beute im ewigen Frieden brüderlich teilen würden, war der Traum von so manchem Philister. Pustekuchen. Deutschland geht seither unter impliziter Androhung seines Sonderwegs irradiierend von Fall zu Fall unter Rückgriffen auf alte Strategien seine Alleingänge der „freien Hand“ in der Weltarena. Die neue bündnispolitische Unberechenbarkeit der BRD ließ diese nach den Gepflogenheiten der westlichen Diplomatie zum Unruheherd Kontinentaleuropas werden. Schließlich kennen alle anderen EU-Staaten die alten Neuordnungspläne einer europäischen Großraumwirtschaft nach deutscher Fasson. Sie erfahren den neuen deutschen abenteuerlichen Drang zu deren Umsetzung schon seit den Maastricht-Verträgen 1992 ständig am eigenen Leibe. Dazu später bei der Behandlung des Weges zur EU-Vormachtstellung der BRD von 1949 bis heute in Teil II der Arbeit.
Bezüglich zweier weiterer von der SU-Auflösung dynamisierten Krisenherde kehrte das neue Deutschland nach dem Maßstab westlicher diplomatischer Umgangsweisen in seiner autistischen Selbstüberzeugung, -überschätzung und -gefälligkeit als hässliches Deutschland in die Weltmarktarena zurück.
In der Jugoslawienkrise und der Südwestasienkrise (sogenannter Naher Osten) von 1990 bewies die deutsche Diplomatie die Wirksamkeit ihres überkommenen feudalen Arsenals – wie inhaltsleer ihre völkische Ideologie auch ist. Deutschland formuliert seine nationalen Interessen nicht unmittelbar, sondern schiebt wie eh und je als „ehrlicher Makler“ allgemeine Menschheitsinteressen, seine eigene Selbstlosigkeit bei der Verteidigung der Menschenrechte und Durchsetzung von Gerechtigkeit vor jede seiner außenpolitischen Initiativen.
Die Diplomatie des Genscherismus, den seine Nachfolger als Vertreter einer Mittelmacht nachzuahmen versuchen, besteht darin, auf den Schachbrettern der EU- und Weltbühne gekonnt die eigenen deutschen Interessen als scheinbare höhere multilaterale europäische Interessen zu verkaufen, um Zug für Zug Druck auf die anderen zur Durchsetzung deutscher Positionen zu machen. Dies kann nur mit einer ausgedehnten Scheckbuchdiplomatie funktionieren. Sie verlangt bezüglich Südwestasien – wie in der Syrienkrise zum Zeitpunkt des G-20 Gipfels im September 2013 – und Nordafrika andere politische Strategien und temporäre Taktiken der deutschen Politik als für Europa und die EU oder andere Weltgegenden.
Kaum war die Einheit der neuen deutschen Berliner Republik in trockenen Tüchern und Deutschland völkerrechtlich wieder vollständig souverän, bot sich Deutschland die historische Gelegenheit, den Status quo des Balkanraums nach dem Zusammenbruch des RGW2 zu seinen Gunsten umzuwälzen. Die Bundesrepublik Jugoslawien war als Frontstaat zum Warschauer-Pakt bis 1990 kreditmäßig, ökonomisch und politisch in starke Abhängigkeit vom IWF und den USA geraten. Innenpolitisch wurden die zentrifugalen Kräfte der stagnierenden Ökonomie übermächtig und beflügelten die Nomenklatura der weiterentwickelten Teilrepubliken Slowenien und Kroatien zu einer von allen Seiten befeuerten nationalchauvinistisch durchgezogenen Sezession. Als slowenische und kroatische Separatisten-Kreise der Parteinomenklatura im Mai 1990 ihre Absichten zur Unabhängigkeit faktisch in Taten umzusetzen begannen, schlug sich Deutschland auf deren Seite.
Zunächst verhielten sich die EU-Staaten während der Haager EU-Friedenskonferenz scheinbar geschlossen als neutrale Vermittler. Dann kam die Phase der Moderation, danach der Koordination, schließlich der Anerkennung. Neben Slowenien waren die BRD und der Vatikan zu Weihnachten 1991 die ersten Staaten, die die Souveränität Kroatiens und Sloweniens anerkannten.Dies war (selbstverständlich) mit Österreich abgestimmt, lief aber einem EU-Übereinkommen zuwider, wonach eventuelle Anerkennungen erst ab dem 15. Februar 1992 vollzogen und die Ergebnisse der sogenannten Badinter-Kommission abgewartet werden sollten. Mit diesem Alleingang brüskierte Deutschland die EU-Partner also unmittelbar vor der Unterzeichnung des zu seinen Bedingungen abgefassten Vertrags von Maastricht über die Europäische Union (EU) am 7. Februar 1992 in neuer Qualität. Deutschland wurde daher von den EU-Partnern offen vorgeworfen, den Zerfall Jugoslawiens maßgeblich gefördert zu haben.
In einer DFG-Langzeitstudie 1994 bis 1997 heißt es schönfärberisch zur damaligen Entwicklung der Gegensätze zwischen USA und BRD in der Jugoslawienkrise:
„Rollenerwartungen und die Anerkennungsfrage
In der Frage einer Anerkennung der sezessionswilligen Teilrepubliken differierten Washington und Bonn erheblich. Die Unterstützung Genschers für die Unabhängigkeit mußte den Bemühungen Washingtons, die Einheit Jugoslawiens unter allen Umständen zu bewahren und dafür eine gemeinsame westliche Position zu entwickeln, offensichtlich entgegenstehen: 'Wir drängten die Kroaten und Slowenen, durch Warren Zimmermann, zusammenzubleiben. Genscher... ermutigte die Kroaten, die Föderation zu verlassen und ihre Unabhängigkeit zu erklären.' Zusammen mit dem UNO-Unterhändler Cyrus Vance war man in der Administration in Washington der Überzeugung, daß eine verfrühte Anerkennung Vance keine Chance lassen würde, einen umfassenden Waffenstillstand zu verhandeln und eine UNO-Friedenstruppe nach Kroatien zu entsenden.
Im Dezember machte Präsident Bush die Position der Vereinigten Staaten bezüglich einer völkerrechtlichen Anerkennung der Teilrepubliken in der New York Times deutlich: 'The U.S. position has been that we want to see a peaceful evolution. We’ve been strongly supportive of what the UN has tried to do. Their advice has been to go slow on recognition and I think they’re right.' Die Bush-Administration hat folglich auch versucht, die Bundesrepublik und die Europäische Gemeinschaft von der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens ohne umfassende Friedensregelung im Winter 1991 abzubringen. Zusammen mit UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar warnte man die EG, eine Anerkennung würde 'almost inevitably lead to greater bloodshed.' Der spätere Außenminister Christopher warf der Bundesregierung vor, durch ihre Anerkennungspolitik mitverantwortlich für den Krieg in Bosnien gewesen zu sein. In Washington war man über die unerwartete Demonstration deutscher Entschlossenheit überrascht und verärgert über eine aus amerikanischer Sicht mißgeleitete Politik der Deutschen. Einige amerikanische Beobachter sahen den 'recognition mistake' als Warnung für eine künftige deutsche Außenpolitik '[that] may begin to differ significantly' von amerikanischen Vorstellungen. Andere Deutschlandexperten erkennen in der Anerkennungspolitik 'no disturbing trend' und sehen Genschers Entscheidung als Ergebnis innenpolitischen Drucks. Die Bundesrepublik wurde von der Administration wegen ihrer Anerkennungspolitik aber vor allem deshalb scharf kritisiert, weil Bonn aller Voraussicht nach für die Konsequenzen einer Anerkennung keine Verantwortung übernehmen würde: 'Bonn hastened Bosnian secession and a war from which Germany, due to history and constitutional restraints, could remain aloof while its partners faced risk and sacrifice. The Germans favored standing up to the Serbs, knowing that the responsibility would fall to others.' Genau diese halbherzige Rolle hatte die Bush-Administration aber für die Bundesrepublik als ‘Partner in Leadership’ nicht vorgesehen. Eine größere Führungsrolle der Deutschen in Europa war in Washington durchaus erwünscht. Führung hätte aber auch die Übernahme von Verantwortung bedeuten müssen.“3
Die meisten EU-Staaten hatten kein Interesse, in Jugoslawien den Präzedenzfall ihrer eigenen regionalistischen Kalamitäten zu schaffen. Der alte Status Quo einer Bundesrepublik Jugoslawien nutzte im Gegensatz zu den deutschen Interessen offensichtlich den alten Siegermächten mehr als ein ungeordneter Zerfall in Teilrepubliken – ansonsten hätten sie kaum geschlossen für den Erhalt Jugoslawiens nach geltendem Völkerrecht plädiert. Umgekehrt sind die kleinen und schwachen unabhängigen Teilrepubliken ihrem ökonomisch starken politischen Protektor Deutschland, der den Balkan stets als sein „natürliches“ Hinterland ansah, auch politisch ausgeliefert, was ihre zukünftige EU- und Euro-Mitgliedschaft betrifft. Es stellte sich nach 1990 heraus, dass der Konkurrenzkampf des neu-erwachten Deutschlands wilhelminischer Prägung mit den USA – Frankreich und England sind von Deutschland auch politisch längst abgehängt – darauf hinausläuft, dass die jeweilige Seite dort militärisch zugreift, wo der Status Quo dem Gegner nutzt. So auf dem Balkan Deutschland und so im sogenannten Nahen Osten die USA – wie anschließend gezeigt wird.
Bei dem Anbahnen, Flankieren und Durchsetzen sowie Anerkennen der kroatischen Unabhängigkeit spielte wiederum die Kontinuität der Geheimdiplomatie und Geheimdienstverbindungen4 des ehemaligen Protektors, dem dritten Deutschen Reich, mit seinen historischen Vasallen in deren klerikal-faschistischer Periode eine zentrale Rolle. So wurden die deutschen grundlegenden Interessen der Vorherrschaft auf dem Balkan und dessen Zurichtung nach deutscher Wirtschaftskonfession schon in der Adenauer-Ära zwanglos fortgesetzt mit der Stimulation der kroatischen und slowenischen Separationsgelüste in den 1960er Jahren sowie der Zulassung separatistischer kroatischer Exil-Organisationen in der BRD. Mit diplomatischen, ökonomischen, politischen und logistischen Mitteln aus Deutschland wurden die Separatisten aller auseinanderdriftenden jugoslawischen Teilrepubliken jeweils spezifisch nationalistisch in die Pflicht genommen.
Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens unter dem ideologischen Popanz eines imaginierten völkischen Selbstbestimmungsrechts, erklärte auch die Teilrepublik Bosnien-Herzegowina 1992 nach einem Referendum ihre nationale Unabhängigkeit. Deutschland schlug sich erwartungsgemäß auf die Seite der Separatisten, wogegen Frankreich und England die Achse Russland und Serbien stützten und für den Verbleib Bosniens-Herzegowinas in der Bundesrepublik Jugoslawien plädierten.
Den USA blieb nichts anderes übrig, als Deutschlands Alleingang politisch zu flankieren und die islami(sti)schen Bosniaken um Izetbegovic zu protegieren. Hiermit war die Tür zum Vorhof der Hölle eines brutalen vierjährigen Bürgerkrieges5 geöffnet. Die geographisch zentrale Lage dieser Teilrepublik weckte die Annexionsgelüste sowohl Kroatiens wie Serbiens zur arrondierenden Erweiterung ihrer Gebiete auf Kosten der angrenzenden Territorien der Herzegowina und Bosniens und sei es durch jeweilige eigene völkische, politisch autonome Gebilde innerhalb der neuen Republik. Bosnien wurde jahrelang zum Schauplatz des schmutzigen Bürgerkriegs und Übungsplatz dutzender paramilitärischer und faschistischer Banden und Söldner-Verbände. Auf allen Seiten wurden sogenannte „ethnische Säuberungen“ vorgenommen. Endlich war nach deutschem Jargon das „Vielvölkergefängnis“ Jugoslawien geöffnet und „reingewaschen“ und der urdeutsche Mythos scheinbar homogener Völker samt Zwergstaaten „wahr“ geworden.
An dieser Stelle geht es ja nicht um die Nachzeichnung des Bosnienkrieges nach 1992, sondern darum, festzuhalten, dass Deutschland auch in der Bosnien-Frage6 seit 1990 isoliert in der EU verantwortungslos auf Seite der islamistischen Kriegstreiber agierte, da es keinerlei tragfähige Vorstellungen von einem geordneten Weg zur Unabhängigkeit Bosniens vorzuweisen hatte.
Zum 20. Jahrestag der Anerkennung Kroatiens am 15. Januar 1992 schrieb das politische Tagesorgan der deutschen Bourgeoisie 2012 einen sehr deutschen Artikel.7 Darin gibt sich die deutsche Ideologieproduktion im Nachhinein scheinheilig bezüglich Deutschlands interessengeleiteter Außenpolitik in der Balkankrise nach 1990. Ohne jede Bezugnahme auf jahrzehntelange Wühlarbeit der Zwergen-BRD wird so getan, als ob es inzwischen „wissenschaftlicher“ Stand sei, dass der Zerfall des Nationalstaats Jugoslawien nur durch innere Widersprüche bedingt gewesen sei. Nachdem das Blatt damit kokettiert, dass sein Herausgeber als Schreiberling die deutsche Außenpolitik 1990 quasi im Alleingang zur Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens vor sich hergetrieben habe, dreht der Autor den deutschen Spieß um und behauptet dreist, dass die Anerkennung ein halbes Jahr zu spät gekommen sei und Anschuldigungen zur deutschen Täterrolle nur Mythen und Legenden seien. Deutschlands Protektorrolle in der Sezession der jugoslawischen Teilrepubliken wird im Nachhinein als weitsichtiger als jene der EU-„Partner“ suggeriert. Tatsächlich hatte die BRD – wie allen klar war – keinerlei politische Nachkriegspläne und gerade deswegen wurde Deutschlands Vorpreschen von seinen westlichen Verbündeten als verantwortungslos kritisiert. Aber der Sieger bringt eben immer den Frieden und schreibt die Mythen seiner eigenen Geschichte.8
Nun stehen die inneren Verhältnisse von Nationalstaaten stets im Verhältnis zu einem Außen, da jeder Staat zu jedem Zeitpunkt eine spezifische Stellung im Weltmarktgefüge hat. Jugoslawiens Absturz am Weltmarkt bedingte den inneren Zerfall und seine Zerlegung in unabhängige Nationalstaaten nutzte dem geostrategisch nächst gelegenen Großen Player ebenso wie der ökonomische Bankrott der mittel-osteuropäischen Staaten samt daraus resultierendem politischem Machtvakuum. Dieser relativ große Weltmarktplayer war Deutschland. Und das deutsch-nationale Gesamtkapital gierte nach der Annexion der DDR geradezu nach Erweiterung seines Einflussgebietes nach dem mittel-süd-osteuropäischem Großraum entsprechend seinen Traditionslinien des Kerneuropa-Modells III. Die großen anderen westlichen Weltmarkt-Player der EU, Frankreich, England und Italien waren zu schwach sowie territorial abgeschnitten, um Deutschland als übergroßem geographischen Nachbarn der neuen Winzlingen des Weltmarkts ökonomisch als Handelspartner und Investor Paroli zu bieten.
Sieht man die gegenwärtige deutsche ökonomische Dominanz des deutschen Gesamtkapitals zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Ägäis/Adria, so wird deutlich, dass die BRD nach 1990 in der Region nicht als Menschenrechtsfreund sondern als ökonomischer Usurpator mit politischer Peitsche unterwegs war und ist. Die genannten Länder sind zu einer großen deutschen Werkbank geraten, deren Warenprodukt zu einem gewichtigen Anteil in das deutsche Gesamtkapital als Vorprodukt zu niedrigen Kosten eingeht oder deutschen Konzernen als günstige Exportschlager zu Gute kommt. Das deutsche Gesamtkapital schneidet sich durch sein dort investiertes Auslandskapital ein gehöriges Stück am Profitkuchen jener Volkswirtschaften ab. Dagegen verblasst die Gesamtsumme des von den West-EU-„Partnern“ dort angelegten Auslandskapitals.
Wenn also das politische Sprachrohr der deutschen Bourgeoisie diese von jeder Verantwortung bezüglich des Balkandesasters reinwaschen will, so passt das vielleicht ins selbstgezimmerte deutsche Selbstbildnis als Fahnenträger der „Menschenrechte“, den es als Deckmantel dem deutschen Michel übergeworfen hat und dessen psychopathisches Opferlämmerdasein heimelig wärmt. Fürs „befreundete“ westliche Ausland sah das Ganze gerade aus diesem Grunde ziemlich hässlich deutsch aus, weil Deutschland unter der Desorientierung „Menschenrechte“ seine ökonomische und politische Vorherrschaft in Mitteleuropa und dem Balkan ohne effektive Eingriffsmöglichkeiten des Westens ungestört ausbaute. Deutschland zog seinerseits die westlichen Partner ungewollt in eine unberechenbare Kriegskaskade, die bis heute wichtige Teile ihrer finanziellen und militärischen Ressourcen bindet, ohne ihnen ökonomischen und politischen Nutzen zu bringen. Denn nach Bosnien kam die Loslösung Montenegros, Mazedoniens und dann das Herausbomben des Kosovos aus Jugoslawien und die potentielle Kaskade der Separationen auf dem Balkan9 ist damit auf weitere Länder vorprogrammiert.
An all dem blitzkriegartigen machtpolitischem deutschen Vorgehen in Mittel-Ost-Süd-Europa gab es im bürgerlichen Maßstab nichts Ehrenrühriges, sondern vielmehr Bewunderung und Verwunderung ob der Wiederkehr der preußischen Chuzpe nach 45 Jahren säuselndem Multilateralismus und offensichtlich geheuchelter Westeinbindung. Allerdings sind die westlichen Siegermächte spätestens seit 1992 gewarnt, dass Berlin seine formulierten Weltmachtansprüche rücksichtslos und unberechenbar durchsetzen werde und versuchten Deutschland zumindest auf militärischem Terrain weiterhin hässlich klein zu halten.
Wie weit Deutschlands Weg zur EU-Hegemonie zwanzig Jahre nach dem Beginn des Jugoslawiendesasters vorangeschritten ist, zeigt sich im Statement von German-Foreign-Policy anlässlich der Verleihung des noblen Friedensdynamitpreises an die EU:
„Helfer in der Not – OSLO (Eigener Bericht) - Mit der Verleihung seines "Friedenspreises" an die EU stärkt das Osloer Nobelkomitee das Streben Berlins nach Stabilisierung des krisenerschütterten deutsch-europäischen Machtblocks. Europa verdanke der europäischen Integration nach furchtbaren Weltkriegen "Frieden und Versöhnung", behauptet das Komitee. Mit der Erklärung, die europäische Integration sei eine „Frage von Krieg und Frieden in Europa", haben Berliner Politiker, auch Kanzlerin Merkel, bereits mehrfach die Formierung der EU nach deutschen Vorstellungen erzwungen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises erfolgt zu einem Zeitpunkt, da die Euro-Krise die ,Widerstände gegen Berliner Diktate stärkt, erste Massenproteste gegen die deutsche Politik hervorruft und den Bestand der EU zum ersten Male seit ihrer Gründung ernsthaft in Frage stellt. In der deutschen Hauptstadt heißt es, man dürfe den Widerständen keinesfalls nachgeben - eine deutsch dominierte EU sei für die globale Berliner Machtpolitik "unverzichtbar".10
Der „Friedenspreis“ für das Integrationsprojekt EU nach deutschen Vorstellungen von Vereinigten Staaten von Europa als einem Bundesstaat ist genauso konsequent wie Deutschlands Agieren in der Balkankrise nach 1990 und bestätigt die Folgerung von Clausewitz: „Der Eroberer ist immer friedliebend.“11 Nicht vergessen werden darf, dass dieser Friedensnobelpreis schon einen Vorläufer hat, mit dem 1926 die Moderatoren der „Deutsch-Französischen Aussöhnung“ Aristide Briand und Gustav Stresemann bedacht wurden – wie die damalige Hoffnung zerstob, braucht hier nicht mehr angefügt zu werden.
Deutschland machte sich in der Balkankrise nach innen und außen kriegführungstauglich und erzwang für Bosnien erstmals eigene europäische Truppenverbände. Die Zerlegung Jugoslawiens in Zwergstaaten – Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Makedonien12, Montenegro, Kosovo – ist Beleg für die Kontinuität der deutschen völkischen Destabilisierungs- und Separations-Politik13. Es wird sich zeigen, dass die Jugoslawienkrise zwischen 1991 und 1996 für Deutschland zugleich das zentrale Mittel war, einige Eckpunkte, die seine neue, formulierte Weltmachtrolle substantiell erfordern, energisch anzugehen.
1 Warum die Sowjetunion als Illusion des „Sozialismus in einem Lande“ auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Themas. Hingewiesen sei beispielsweise auf die Zirkulare und anderen Texte des Archivs Übergänge http://www.proletarische-plattform.org/archiv/%C3%BCberg%C3%A4nge/
2 Der 1949 gegründete Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) oder im Westen oft als Comecon bezeichnet, war der wirtschaftliche Zusammenschluss der realsozialistischen Staaten des Ostblocks unter Führung der SU. Er wurde 1991 aufgelöst.
3 DFG-Projekt ‘Zivilmächte’ - Fallstudie, Knut Kirste, Der Jugoslawienkonflikt, Fassung: 7. Januar 1998. Die Studie untersucht die Rollen der BRD und USA in der ersten Phase der Jugoslawienkrise. Standardgliederungspunkte: Lagebeurteilung und Position, Grundsätze und Ziele, Strategien und Instrumente, Perzeption der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten, Rollenkonzept und Rollenerwartung.
4 Erich Schmidt-Eenboom, Kapitel 9: Titos Erben in Bonn; in: Der Schattenkrieger. Klaus Kinkel und der BND, 1995.
5 Das Zusammenwirken der inneren Widersprüche der Teilrepubliken Jugoslawiens bis hin zum damaligen Bürgerkrieg als ideologisch völkisch geführter „Bruderkrieg“ mit der Kontinuität deutscher Wühlarbeit in Jugoslawien wird in der 2. Hälfte des Films Underground (1995) des serbischen Filmemachers Emir Kusturica eindrucksvoll ästhetisch umgesetzt. In dieser Politgroteske setzt er sich in der 1. Hälfte auf satirische Weise mit der Geschichte (zunächst unter den Bedingungen Belgrads mit dem deutschen Terrorangriff 1941 …) bis zur Gegenwart des damaligen Jugoslawien auseinander.
6 Über die desolaten Zustände in Bosnien-Herzegowina, 10 Jahre nach dem Sezessionskrieg vgl.: Markus Bickel, Bosnien und Herzegowina Konfliktanalyse Bosnien und Herzegowina, November 2005 im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung
7 Zum 20. Jahrestag der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens betätigte sich die FAZ, deren Herausgeber Herr Reißmüller 1991 die propagandistische Speerspitze zur Anerkennung der sezessionswilligen Teilrepubliken war, als deutscher Reinwäscher, Michael Martens, “Oder es wird zerfallen“ faz-net vom 15.01.12. Der unvoreingenommene Leser sollte zum Vergleich folgende Version reflektieren: Slobodan Milošević, Eröffnungserklärung zum Beginn der Verteidigung - Den Haag, 31. August und 1. September 2004. International Committee to Defend Slobodan Milošević (ICDSM) – German Section Internationales Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milošević - Deutsche Sektion
8 Dies ist ein Musterbeispiel für die unüberbrückbaren Gegensätze für eine gemeinsame Geschichtsschreibung der EU-Länder als VSE. Wie sollte die Jugoslawien-Krise 1990 ff. in einem gemeinsamen EU-Geschichtsbuch abgefasst werden?
9 Hier ein völkischer Vorgeschmack von vor der Weltwirtschaftskrise: Newsletter vom 23.01.2007 - Sieger im Kalten Krieg - BELGRAD/ATHEN/MADRID/BERLIN (Eigener Bericht) - "Griechenland bemüht sich um ein Defensivbündnis gegen die deutsche Südosteuropa-Politik. Anlass ist die bevorstehende Abtrennung des Kosovo, die maßgeblich von Berlin betrieben wird. Wie es in Athen heißt, wolle man mit den neuen EU-Mitgliedern Bulgarien und Rumänien eng kooperieren, um Maßnahmen gegen die weitere Zerstörung souveräner Staaten in der Region zu treffen. Griechenland und Rumänien sind von Separatisten bedroht, die sich auf Leitnormen der deutschen Außenpolitik berufen und von deren Vorfeldorganisationen gestützt werden. Wenige Tage vor einem Treffen der sogenannten Kosovo-Kontaktgruppe (26. Januar), auf dem Berlin nach langjähriger Vorarbeit die endgültige Abtrennung der südserbischen Provinz beschließen will, kündigt sich heftiger Streit an. Als sicher gilt, dass die EU in Zukunft die Kontrolle über das Protektorat übernehmen wird. Russland stellt sein Veto gegen die Sezession in Aussicht, worauf mehrere westliche Staaten mit der einseitigen Anerkennung eines selbsternannten Kosovo-Staates drohen. Der russische Präsident warnt vor einer zunehmenden "Verachtung grundlegender Prinzipien des Völkerrechts" und vor einem daraus resultierenden neuen Wettrüsten der Großmächte." Mehr:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56705
10 Newsletter vom 15.10.2012 Helfer in der Not – mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58434
12 Zur Lage in Mazedonien, 10 Jahre nach der Sezession von der BRJ, siehe: Dr. Marie-Janine Calic, Makedonien Studie zur länderbezogenen Konfliktanalyse im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Herbst 2002
13 Martin Bennhold, Deutschland und die "Dekomposition" Osteuropas In: Blätter für deutsche und internationale Politik Bonn 10/1991. Dazu im historischen Archiv von German-foreign-policy:
„Das 'Dekompositionsinteresse' Deutschlands, das Interesse an einer Zerlegung von Staaten in Ost- und Südosteuropa, hat eine alte Tradition; es sollte und soll deutsche Vorherrschaft garantieren und wird nun, nach 1990, erneut in die Praxis umgesetzt: Zunächst bezüglich der UdSSR, dann bezüglich Russlands. Die Tradition reicht von Friedrich Naumann und Paul Rohrbach (um 1900) über den 1. Weltkrieg, die Außenpolitik der Weimarer Republik, die Expansionspolitik des Nationalsozialismus und die außenpolitische Perspektive der Regierung Goerdeler (20. Juli 1944) bis in die heutige Phase ihrer Realisierung - freilich unter heute neuen (und riskanten) Bedingungen. Es ist die Traditionslinie des 'deutsch geführten Mitteleuropa'.“ http://www.german-foreign-policy.com/de/hist-archiv/