Das Afghanistan-Abenteuer der USA nach dem 11.9.2001 belegte deren Willen, die NATO offensiv zur militärpolitischen Einbindung Deutschlands einzusetzen.
Die USA machten sich bei ihrer Hauptstoßrichtung der „Terrorbekämpfung“ der militärischen Ausschaltung Al-Kaidas die „Menschenrechts“- und „Frauenrechts“-Phrasen Deutschlands und dessen Phrasen der sogenannten Zivil-Militärischen Zusammenarbeit zu eigen, um propagandistisch nicht als „Feind aller Völker“ ins Hintertreffen zu geraten.
Das diplomatische Ränkespiel Deutschlands war dem Vorgehen in der Jugoslawienkrise diametral entgegengesetzt. Obwohl in Afghanistan ungleich stärkere feudale Stammesrelikte gelebt werden als im Balkanraum und obwohl dort ausgeprägtere völkische Selbstabgrenzung politisch umgesetzt wurde, sprach Berlin nicht von der Befreiung der afghanischen Völker aus einem „Vielvölkergefängnis“. Deutschland kokettierte diesmal mit seiner zu kurz gekommenen kolonialen Rolle. Die prädestiniere die BRD doch geradezu, als „ehrlicher Makler“ die feindlichen Stammesführer und deren politische Galionsfiguren an einen Tisch zu holen. Die daraufhin ein brüderliches einheitliches Afghanistan beschließen und mit deutscher Zivil-Militärischer1 Unterstützung umsetzen.
Berlin versuchte folgerichtig – nach dem dortigen militärischen Vorstoß der USA unter formaler Heranziehung des NATO-Verteidigungsfalles – 2001 die politische Initiative an sich zu reißen mittels der Petersberger Konferenz. Die dort abgehaltene Folgekonferenz (Dezember 2003) sollte, wie scheinheilig betont wurde, Afghanistan angesichts der Irakkrise aus der Vergessenheit reißen. Hier wie auch in den angestrengten Versuchen zur eigenen Initiierung von (folgenlosen) Balkankonferenzen 1999 gerierte sich Deutschlands Außenpolitik unter Dr. h.c. Josef Fischer als Ober-Friedensstifter.
In 2010 zeichnete sich die dortige Lage so ab:
„Der islamische Extremismus, zu dessen Bekämpfung ISAF-Truppen in Afghanistan stationiert sind, hat sich erst durch die Zusammenarbeit von Aufstandsbekämpfern und konservativen Autoritäten entwickelt. Und diese Zusammenarbeit verhindert, dass sich islamische Gesellschaften demokratisieren und sich der ausländischen Dominanz entziehen.“2.
Die Bundesregierung kündigte an, bei der zweiten Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg am 5. - 6.12.2011 über "politische Lösungen" und "Truppenabzug" diskutieren zu wollen. Es kam ein 1000 Mann Tross von rivalisierenden Stammesfürsten, Kriegsherren, deren Abgesandten und Stellvertretern und diplomatischen Pulks. Nur die westlichen Verbündeten machten sich wie schon bei den zwei vorgängigen deutschen Inszenierungen rar – was viel über den wirklichen Stellenwert der isolierten deutschen Außenpolitik besagt.
De Facto sollen in Zukunft vermehrt afghanische Militärs und Polizisten ausgebildet werden, um stellvertretend für die NATO den Krieg fortzusetzen und selbst für "Sicherheit" zu sorgen. Die NATO behält die Kontrolle und will als "Krisenmanagement" die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) forcieren – die enge Integration politischer, militärischer, wirtschaftlicher, humanitärer und polizeilicher Instrumente. Was früher zivil war, wird heute militärischen Zielen untergeordnet. So wurden inzwischen auch "Entwicklungshilfe" und die Arbeit der NGO´s zum Bestandteil der NATO-Strategie. Alles Maßnahmen, die zugleich die oben angesprochene Destabilisierung Afghanistans beschleunigen.
Deutschlands wirkliche Linie völkischer Zerlegung des Teile & Herrsche durch „Ethnisierung“ brüchiger Nationalstaaten liegt bezüglich Afghanistan in der Zukunft. Mit dem Norddistrikt hatte Deutschland gerade die Provinz mit großem usbekischen Bevölkerungsanteil ruhig zu stellen, was durch Appeasement3 und Arrangement mit den Provinzfürsten geschah. Diese Warlords stehen in vorderster Front Afghanistans bereit, sich die Beute untereinander blutig zu teilen, sobald die Räuberbande der großen Weltmarktplayer ihnen freie Hand gewährt. Deutschland wird am Hindukusch durch Offenhalten der usbekischen Karte im Zerfallsstadium Afghanistan „verteidigt“.
Die Anfang 2013 groß angekündigten Truppenabzüge hinterlassen einen Scherbenhaufen mit der Aussicht der Neuauflage eines Bürgerkrieges und müssen tatsächlich als die uneingestandene militärische Niederlage der westlichen „Partner“ gewertet werden. Im November 2013 einigten sich Kabul und Washington auf ein „Sicherheitsabkommen“4, das die US-Militärpräsenz in Afghanistan nach 2014 für wahrscheinlich 10 weitere Jahre absichern soll. Angeblich geht es um die „begrenzte Rolle“ der Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte – hochtrabend schöngeredet als „NATO-Ausbildungsmission“ – und keinesfalls um „Kampftruppen“. Die 2500 Mitglieder der hierzu einberufenen „Großen Ratsversammlung“ aus Stammesältesten – die Loja Dschirga – schluckte sogar die obligatorische NATO-Bedingung der Immunität der US-Soldaten. Karsai spielte auf Zeit und zog im November 2013 als Entlastungsschritt mit bilateralen Vereinbarungen die iranische Karte.
Ein wichtiges mittelfristiges Experimentierfeld der USA für Drohneneinsätze und anderes unbemanntes Kriegsgerät bleibt Afghanistan alle Male.
Die Redewendung der deutsch-nationalen rot-grünen Kriegsherren, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird, ist die praktische Umsetzung der Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992, wonach Deutschlands Militär weltweit agieren muss, um „seine Interessen“ als Industrienation zu wahren. Als Bundespräsident H. Köhler die Schönfärberei als reine Wirtschaftsinteressen klar stellte, musste er gehen.
Dass die deutsche Außenpolitik es auch ganz andersherum treiben kann, zeigte ihre Linie in der Tschetschenien-Frage. Völkisch-ideologisch den Separatisten zugetan, spielte Deutschland mit Beginn des Sezessionskrieges 1994 die alte Karte der Schwächung Russlands durch Abtrennung seiner Randrepubliken. Immerhin gab es während des Weltkriegs II Kollaboration mit den Deutschen, die die SU mit der anschließenden Deportation eines Großteils der Bevölkerung beantwortete. Zehn Jahre hielt sich Deutschland die tschetschenischen Desperados warm. Unter dem Vorwand des 11. Sept. 2001 wurden sie auch von Deutschland politisch offiziell als Terroristen eingestuft. Die historisch gewachsene Geheimdiplomatie zwischen Russland und Deutschland bewegt sich der Entwicklung nach 1990 trotz aller Windungen und Wendungen in Richtung eines strategischen atomaren Bündnisses als Achse Berlin-Moskau5, deren Zwischenstation die temporäre Achsenbildung im Golfkrieg III darstellte. Jedenfalls ist dies eine der offengehaltenen Optionen der deutschen Außenpolitik, welche den Westmächten im Magen liegt6. Dieses historische Projekt der BR-Deutschland verträgt keinerlei Nebenkriegsschauplätze wie Tschetschenien im diplomatischen Verkehr.
1So hatte die deutsche „Wehrtechnik“ wie auch die Bundeswehr selbst in Afghanistan 10 Jahre lang neben dem „Geschäft“ ein unbezahlbar „robustes“ Praxisfeld zur Erprobung und Verbesserung ihrer neu entwickelten Heerestechnik im Alltag des Kriegshandwerks. Für den Export ist der laufende Kriegstauglichkeits-Beweis des Geräts sehr förderlich – wie die aktuelle Waffenexport-Aufstellung bestätigt. Dies zeigt sich z.B. schönfärberisch sachlich im Internet-Auftritt von Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG. www.kmweg.de/ KMWist nach Selbstdarstellung Marktführer in Europa für hochgeschützte Rad- und Kettenfahrzeuge. Neben und mit Rheinmetall zusammen entwickeln sie als Spezialisten der deutschen Domäne Fahrzeugbau neue Generationen von lufttransportablen Bodenfahrzeugen für die Mobilität von Schnellen-Eingreiftruppen und Krisenreaktionskräften.
2 Marc Thörner, Afghanistan-Code. Reportagen über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie; 2010. Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, kurz ISAF ist eine Sicherheits- und Aufbaumission unter NATO-Führung im Rahmen des Krieges in Afghanistan seit 2001. Die Aufstellung erfolgte auf Ersuchen der Teilnehmer der ersten Afghanistan-Konferenz 2001 an die internationale Gemeinschaft und mit Genehmigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Resolution 1386 vom 20. Dezember 2001). Der Einsatz ist keine friedenssichernde Blauhelm-Mission, sondern ein sogenannter friedenserzwingender Einsatz unter Verantwortung der beteiligten Staaten.
3 Studie – Bundeswehr-Strategie stärkte afghanische Warlords, Zeit Online 12.11.2013. Vgl.: Philipp Münch, Local Afghan Power Structures and the International Military Intervention. A review of developments in Badakhshan and Kunduz provinces. Afghanistan Analysts Network Thematic Report 03/2013
4 John Kerry - Einigung mit Afghanistan über Sicherheitsabkommen Welt Online 21.11.2013
5 Am 14.03.1998 schwärmte Jelzin – die laufenden Kameras und geöffneten Mikrofone des Pressetermins vergessend/ignorierend – seinen Besuchern Kohl und Chirac vom historischen Stellenwert der nun zu vollziehenden Achsenbildung Paris – Berlin – Moskau vor. Jelzins Sprecher beendete dessen Redefluss abrupt. Chiracs und Kohls Gesichtszüge entglitten – sie waren erwischt. Denn das damalige erklärte Ziel einer eurotransatlantischen Multipolarität der Mächte des Weltmarkts wird ja kaum mit neuen festen Achsenbildungen gegen den Welthegemon USA dynamisiert.
6 Deutschland changiert außenpolitisch taktisch zwischen Separations- und Annexionspolitik: „Newsletter vom 22.03.2012 - Ein Testlauf für Eurasien (II) BERLIN/MOSKAU/WASHINGTON (Eigener Bericht) - Jüngst veröffentlichte interne Mails eines US-amerikanischen Privatgeheimdienstes belegen die weitreichende strategische Bedeutung eines fast vergessenen Konflikts in Südosteuropa. Wie soeben publizierte Dokumente der US-Firma Stratfor zeigen, betrachtet die US-Regierung deutsche Pläne für eine Wiedervereinigung Moldawiens mit seiner abtrünnigen Region Transnistrien mit erheblicher Skepsis. Hintergrund sind deutsch-russische Absprachen über die Region, die Moskau stärkeren Einfluss in Südosteuropa einräumen, sollten die deutschen Wiedervereinigungspläne zum Erfolg führen. Das Vorhaben gilt als Testlauf für eine weitgespannte europäisch-russische Sicherheitskooperation - unter Ausschluss der USA. Washington versucht gegenwärtig mit Hilfe europäischer Verbündeter, darunter Rumänien, den Deal zu hintertreiben. Deutschland baue, heißt es, die Achse Berlin-Moskau systematisch zur Stärkung seiner eigenen globalen Machtpolitik aus.“ Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58296