31. Deutschlands Niederlage im Kampf um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat 2005

Die bis heute schärfste Zuspitzung der Konfrontation der BR-Deutschlands mit den USA auf diplomatischem Parkett ist der gescheiterte Versuch der BRD zwischen Anfang 2004 und Ende 2005, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat mit VETO-Recht gegen vielfachen Widerstand anderer Staaten durchzusetzen.

Diese in der „Heimat“ medial ausgeblendete deutsche diplomatische Großoffensive und desaströse Niederlage belegte einen Grad an politischem Eskapismus einer wild gewordenen Mittelmacht, der für die Zukunft Schlimmes erwarten lässt.

Das Desaster der USA im Golfkrieg III rief den Appeaser-Maximus BRD 2004 mit einem „Tauschgeschäft“ bezüglich Mittel-Süd-Westasien auf den Plan. Die USA griff es auf und stellte der BRD einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat in Aussicht, falls sich Deutschland militärisch im Irak engagiert. Dies war die US-amerikanische Interpretation jener „Verantwortung in der Strategischen Partnerschaft“, die Deutschland seit 1990 selbstbewusst „auf Augenhöhe“ für sich einforderte.

 

Der Recherche-Dienst German-Foreign-Policy (GFP) meldete in seinem Newsletter vom 03.06.2004: „Tauschgeschäft“

 

Maßgebliche Fraktionen der deutschen Außenpolitik haben Eckpunkte eines gemeinsamen Forderungskatalogs für die arabische Welt festgelegt. Zentrales Element ist die vollständige Übernahme der Ressourcenkontrolle und die definitive Verwaltung des Wirtschaftstransfers durch Beauftragte der westlichen Industriestaaten ('Modernisierung'). Bisher unterschiedliche Auffassungen über die anzuwendenden Mittel bei der Erzwingung des Programms ('Wider Middle East') werden gegenwärtig in der Irak-Politik zusammengeführt. Regierung wie Opposition unterstützen Gewaltmaßnahmen, die sie an die Bagdader Administration delegieren und durch UNO-Beschlüsse befehligen wollen. Das gemeinsame Programm modifiziert Taktiken der US-Besatzer und schlägt Washington eine gleichberechtigte Partnerschaft in Strategiefragen vor. Die USA antworten mit Angeboten für einen ständigen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat.“1

 

Und selbstverständlich wusste der damalige oberste außenpolitische Michel, was für die arabische Welt am Besten ist:

 

Nach Ansicht des deutschen Außenministers Fischer stellt der Einsatz von Brahimi ('UN-Sonderbeauftragter') 'unsere letzte aktuelle Chance'1)dar. Brahimi fungiere in einem 'Spiel', und dies sei 'das letzte Spiel, das wir haben', sagte Fischer im Deutschen Reichstag. Es müsse gelingen, der neuen Bagdader Administration den Anschein der Gesetzmäßigkeit zu verleihen ('Legitimation zu kreieren') und die wirtschaftliche Übernahme ('Transformationsaufgabe') beispielhaft voranzubringen. Die von Euphemismen durchsetzte Rede gipfelte in der Erfindung einer angeblichen 'Modernisierungskrise', die die arabische Welt durchlaufe. Ausweg biete allein ein 'Zugang zur Globalisierung', da 'die Globalisierung der ökonomische Basistrend ist'. Auf diesen Weg müsse die arabische Welt geleitet werden, kündigte Fischer in Übereinstimmung mit sämtlichen Parlamentsfraktionen an.“2

 

Ja, ja das deutsche Wesen ist unübersehbar aus der Gruft gestiegen und treibt sein Unwesen wieder ganz ungeniert. Müssen, müssen, darunter geht nichts „Auf diesem Wege müsse die arabische Welt geleitet werden“. Selbstverständlich wissen „wir“ parlamentsübergreifend wohin, Dalli Dalli.3

 

Der damalige deutsche außenpolitische Vorstoß betraf alle Felder der internationalen Politik:

 

Joint venture: Bei der Umsetzung der Globalisierungsinteressen besteht die parteiübergreifende deutsche Außenpolitik auf einer eigenen Rolle. Gegenüber Washington werde die Berliner Seite 'in Zukunft im Einzelfall selbstbewusst ihre Meinung auch im Dissens ausdrücken'2), kündigte der USA-Beauftragte im Auswärtigen Amt, Voigt, vergangene Woche an. Zwar seien die USA eine 'unverzichtbare Nation', aber Deutschland sei auch ein 'unverzichtbarer Partner'. Die USA sollten sich bewusst werden, dass 'wir in einem Boot' sitzen. Diese Gleichrangigkeit unterstreicht der deutsche Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger, ebenfalls. Der ehemalige Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt (AA) verlangt bei der 'Transformation und Modernisierung'3)der arabischen Welt ein amerikanisch-europäisches ,'joint venture', das gemeinsame Gewaltaktionen nicht ausschließe.“4

 

In dieser Phase drängte Deutschland offen auf die Durchsetzung seiner nationalen Interpretation der beschworenen „Partners in Leadership“. Der Informationsdienst zur deutschen Außenpolitik, German-Foreign-Policy.com, meldete dann in anderthalb Jahren in 20 Newslettern über den Fortgang der Farce der deutschen Großmachträume auf dem diplomatischen UNO-Parkett. Sie lesen sich wie die Vorlage für eine Groteske à la „Vom Elefanten im Porzellanladen“ – sie bieten gleichzeitig Stoff für einen Politkrimi mit erstaunlichen Wendepunkten. Die Newsletter bieten zugleich plastisches Anschauungsmaterial für die diplomatische Zuspitzung der Konkurrenz auf dem Weltmarkt zwischen den USA und der BRD vor der einsetzenden Großen Weltwirtschaftskrise 2006. Deutschland setzte alle möglichen diplomatischen Hebel in Gang, um „Partner“ für seine UN-Sicherheitsrats-Ambitionen aufzutun.

 

Die BRD überschätzte ihre außereuropäische politische Rolle und Einflussnahme 2004 und 2005 unter Regie der Vabanquespieler Schröder/Fischer gewaltig und hoffte irrigerweise in ihrem selbstgefälligen Autismus, den Konfrontationskurs gegen die USA durch Einspannen der anderen EU-Länder zu verstetigen. Auf der 41. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2005 forderte Schröder in einer Rede, die in seiner Abwesenheit aus Krankheitsgründen von Verteidigungsminister Struck verlesen wurde, in versöhnlicher Form jedoch inhaltlich bestimmt und geradeheraus eine Weltmachtrolle für Deutschland auf Grund der gestiegenen Bedeutung der EU. Er forderte von den USA machtstrategisch auf Augenhöhe behandelt zu werden. Die Infragestellung der NATO kam in Schröders Rede unumwunden zur Sprache5.

 

Ein Jahr nach der Verhandlungsaufnahme des „Tauschgeschäfts“ BRD-USA hatte die deutsche Diplomatie soviel Porzellan auf der obersten Bühne der Diplomatie zerdeppert, dass die BRD in der UNO faktisch isoliert war. GFP meldete:

 

Newsletter 18.07.05 - Achtung, Deutschland!

 

NEW YORK/BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) - Der gestrige UN-Auftritt des deutschen Außenministers hat zu einer dramatischen Eskalation der nationalen Einflusskämpfe in der UNO geführt und die Zerrüttung der Organisation weiter vertieft. Fischer ist nach New York gereist, um Bündnisse für den deutschen Aufstieg in das höchste UN-Gremium zu schmieden. Gegen die Berliner Pläne haben sich neben den USA und China u.a. Kanada, Schweden, die Niederlande, Algerien und die Schweiz ausgesprochen, ohne das Auswärtige Amt im geringsten zu beeindrucken. 'Es ist Wahnsinn', zitiert die chinesische Presse eine Quelle im UN-Sicherheitsrat; Deutschland und seine Verbündeten (Japan, Indien, Brasilien) 'gehen einen völlig falschen Weg'. Heftige Angriffe richten kanadische sowie pakistanische Diplomaten gegen die von Berlin angeführte Staatengruppe und bezichtigen sie eines 'unethischen' Verhaltens. Um in den UN-Sicherheitsrat aufzusteigen, sei Berlin im Begriff, die Stimmen mehrerer afrikanischer Staaten zu kaufen. 'Wir müssen sehen, was man uns bietet. Es ist eine Frage des Preises', sagte der Botschafter eines afrikanischen Landes vor Beginn der New Yorker Gespräche zu german-foreign-policy.com.“6

 

Der von Deutschland, Japan, Indien und Brasilien für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat ins Spiel gebrachte sogenannte G-4 Antrag verkannte, dass die Zeit Indiens und Brasiliens hierfür 2005 noch nicht gekommen war. Japan als Partner ins Boot zu nehmen, lief 2005 darauf hinaus, einen auf Grund 15 jähriger Stagnation taumelnden ökonomischen Riesen als politischen Zwerg in der Weltarena der Lächerlichkeit preiszugeben. Für ihre Partneranwerbung graste die BRD und ihre Kombattanten den ganzen Globus mit dem Scheckbuch ab. Dennoch fanden sie keine aussichtsreichen Offiziers-Figuren und nicht genügend willfährige Bauern für ihr Schachbrett, um gegen den Widerstand der USA entscheidende Züge einfahren zu können.

 

Zum schlecht besetzten deutschen Schachbrett kam die teutsche Ignoranz und Arroganz im diplomatischen Verkehr. Berlin brachte seine unmissverständliche Forderung nach einem eigenen nationalen UN-Sicherheitsrats-Sitzes ungeschminkt als Selbstverständlichkeit vor. Viele andere Staaten wiesen dies als Anmaßung eines selbsternannten Bewerbers zurück. Die brachiale deutsche Diplomatie führte zu tiefen Zerwürfnissen, in deren Folge Italien, Spanien, die Volksrepublik China, die USA und zahlreiche andere Staaten der EU gegen Berlin zusammengerückt waren. (siehe Newsletter von GFP am 17.8.05 - Abgang -)

 

Deutschland verhinderte nicht zuletzt mit seinen nationalen Eskapaden, dass die gerade von ihm selbst hochgehängte Reform der UNO zwecks Verstärkung der eigenen stets verbal hochgehaltenen multilateralen Karte ergebnislos scheiterte.

 

12.09.2005 - Chinesisches Veto

NEW YORK/BERLIN/TOKIO(Eigener Bericht) - Die am kommenden Mittwoch beginnende Vollversammlung der Vereinten Nationen steht vor dem Scheitern. Letzte Kompromissversuche wurden von einer diplomatischen Krisengruppe am vergangenen Wochenende aufgegeben. Die Umsetzung zentraler Reformvorhaben, die anlässlich des 60. UN-Gründungsjahres verabschiedet werden sollten, sei nicht mehr zu erwarten, teilt das Büro des UN-Generalsekretärs mit. Zum Scheitern wesentlich beigetragen hat die Berliner Regierung, die das UN-Treffen benutzen wollte, um Deutschland im Sicherheitsrat als internationale Veto-Macht zu etablieren. Obwohl die aggressive Kampagne der Berliner UN-Delegation gescheitert ist, setzen deutsche Diplomaten ihre Einflussmaßnahmen fort und locken ärmere Staaten mit Unterstützungsangeboten. Der deutsche Verbündete Japan hat hohe Millionenbeträge verteilt, um in Lateinamerika UN-Stimmen für Tokio und Berlin zu kaufen, berichtet die internationale Presse. Das deutsch-japanische Bündnis strahlt auch nach Asien aus, wo militärische Auseinandersetzungen zwischen Tokio und der Volksrepublik China nicht mehr ausgeschlossen werden. 'Sie werden zusammenstoßen', zitiert die US-Presse politische Beobachter. Die deutsche Außenpolitik folgt dem Sog dieser Entwicklung - an der Seite Japans.“7

 

Deutschland hatte seine Bewerbung für einen Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat mit vollständigem VETO-Recht, wie vorne skizziert, wiederholt seit 1990 angekündigt. Der größte Traum des Genscherismus, danach Kinkelismus, Fischerismus wurde 15 Jahre verbissen verfolgt. Er platzte an deutscher Arroganz und Selbsttäuschung hinsichtlich seiner politischen Stellung im damaligen Weltmachtgefüge. Die wieder vor sich hergetragene preußische diplomatische Form des Kasernenhoftons signalisierte allen anderen Nationen den sich versteifenden deutschen Willen zu einer anerkannten selbsttragenden Weltmachtrolle. Die Gefahr einer ernsten Konfrontation Japans und Chinas hat sich bis 2013 zusehends verschärft. Die alte Achse Berlin – Tokio als denjenigen Mächten, deren Niederhaltung der Zweck der UN-Sicherheitsratskonstruktion überhaupt war, wird inzwischen weiter ausgebaut8.

 

Dass sich Deutschland 2004/2005 keinerlei Hoffnung mehr auf einen gemeinsamen EU-Nenner in der UN-Sicherheitsrats-Mitgliedsschafts-Frage machen konnte, lässt sich wissenschaftlich „dezent“ auch so umschreiben:

 

"In der Gesamtschau der Entwicklung seit Anfang der 1990er Jahre wird erkennbar, dass der zunächst zaghaft geäußerte 'Wunsch' nach Beteiligung sich über Zeit zu einer vehement, teilweise auch rabiat vertretenen Forderung nach einem nationalen ständigen Sitz entwickelt hat. Der wahrscheinlich erstaunlichste Befund bei der Analyse der deutschen Position zum Sicherheitsrat ist die konsequente Nicht-Thematisierung eines möglichen europäischen Sitzes in sämtlichen offiziellen Reden deutscher Repräsentanten vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Gerade vor dem Hintergrund, dass zum einen die Vertreter Italiens seit 1997 in ihren jährlichen Redebeiträgen fortwährend für die Idee eines europäischen Sitzes werben, entsprechende Positionen auch von EU-Repräsentanten eingenommen werden (Solana 2003) und auch in den Koalitionsverträgen von 2002 und 2005 einem europäischen Sitz der Vorrang vor einem nationalen Sitz zugesprochen wird (Koalitionsvereinbarung 2002; Koalitionsvertrag 2005), sticht dieser Verzicht auf eine proeuropäische Position besonders ins Auge (vgl. Abschnitt 4.3).“9

 

Tatsächlich hatten jene deutschen Propagandisten, die noch 1994 vehement auf den Verzicht der nationalen Sitze Großbritanniens und Frankreichs im UN-Sicherheitsrat zugunsten eines ständigen Sitzes der EU drängten (siehe Kapitel 24.1.), längst alle Hoffnungen auf ein "Europa" mit einer Stimme im wichtigsten machtpolitischen Organ der UNO fahren lassen. Die damaligen Verwerfungen mit Italien wegen dessen europäischer Prellbockfunktion gegen Deutschland werden noch im Zusammenhang mit der EU zur Sprache kommen. Roms wiederholte Position war seit Anfang der 1990er Jahre, dass bei einer Reform der UNO die EU einen eigenen Sitz im UN-Sicherheitsrat beantragen solle. Das Berliner AA machte Rom schwere Vorwürfe für seine selbstverschuldete Schlappe (siehe GFP Newsletter vom 07.08.2005 – Im Felde unbesiegt –). Auf der Bühne der UNO kam wie schon im Golfkrieg III die Gegenachse London – Madrid – Rom samt den kleinen Anrainerstaaten gegen Deutschland zum Tragen, um die deutschen Gelüste nach einer Weltmachtrolle zu vereiteln. Frankreich und Britannien konnten sich in der Phase 2004 - 2005 taktisch zurücklehnen: „Andere“ hatten die Aufgabe der Blockade des selbstgefälligen Deutschlands übernommen, ihr eigener nationaler ständiger Sitz als Veto-Macht wurde im Windschatten des ungestümen deutschen Anrennens unhinterfragt als gesetzt akzeptiert. Der EU-Hegemon Deutschland blamierte sich mit seinen blinden Anmaßungen bis auf die Knochen. Beim großen diplomatischen Endspiel 2004/2005 um die 10 Jahre vorbereitete Reform der UNO wurden viele nationale Widersprüche der EU-Staaten ans Tageslicht gefördert, die der Zwang zum gemeinsamen Handeln im EU-Alltagsgeschäft verdeckte. In der sogenannten Staatsschuldenkrise brechen sie seit 2011 nach und nach auf dem EU-Parkett auf.

 

Im Wissen um die eigene sicherheits- und militärpolitische Isolation nicht nur in der EU konnte Deutschland 2005 gar nicht anders, als seine nationalen Interessen explizit voranzustellen:

 

Neben 'Verantwortung' und 'Erwartung' taucht auch immer wieder der Begriff der 'deutschen Interessen' (bzw. des 'deutschen Interesses' oder des 'nationalen Interesses' im Singular) als Bezugspunkt in der Debatte über einen ständigen Sitz auf. Die Formel lautet dabei zumeist, der nationale ständige Sitz diene den deutschen Interessen oder liege 'im nationalen Interesse'. Es gehe 'um Interessenwahrnehmung für unser Land und für Europa, […] um Mitsprache bei Entscheidungen, die auch uns unmittelbar betreffen.' Der Vorteil eines ständigen Sitzes bestehe in 'Einbringungsmöglichkeiten', die andere Institutionen nicht aufwiesen.“10

 

Da war wieder die deutsche Fiktion, dass seine nationale „Interessenwahrnehmung“ zugleich für Europa gut sei. Tatsächlich belegte die damalige UN-Farce den Scherbenhaufen der deutschen EU-Politik der Säule der GASVP seit 1992:

 

4.3 Treuhänder Europas

 

Das Argument Europa stellt seit jeher einen wichtigen Bezugspunkt in der Rechtfertigung deutscher Außenpolitik dar. Besonders heikel gestalten sich diese Bezüge allerdings in der Frage eines ständigen nationalen Sitzes, 'denn zweifellos wäre ein ständiger Sitz für die EU im UN-Sicherheitsrat', wie selbst deutsche Diplomaten einräumen (müssen), 'ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung europäischer Interessen' (Mützelburg 2005: 40) Da diese Forderung lange Zeit im Mittelpunkt der deutschen Politik bezüglich der Sicherheitsratsreform stand und sich im übrigen zwingend aus dem Bekenntnis zu einer immer kohärenteren Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ergibt, will und kann sich die Bundesregierung nicht von der Position lossagen, dass dies 'langfristig auch das Ziel der Bundesregierung' bleibe. Mit Verweis auf Frankreich und Großbritannien, die 'auf absehbare Zeit nicht zum Verzicht auf ihren nationalen Sitz bereit' seien, argumentieren deutsche Diplomaten allerdings, 'dass die EU noch nicht ‚reif’ ist für einen europäischen Sitz.' Bis Europa soweit sei, 'dient es seinen Interessen, bei einer Erweiterung des Sicherheitsrats auch die europäische Bank zu vergrößern. Deutschland wäre als überzeugter Fürsprecher der politischen Union bis dahin bereit, im Sicherheitsrat treuhänderisch europäische Interessen zu vertreten' (Mützelburg 2005: 40).“11

 

Deutschland, der selbsternannte 140 jährige „Treuhänder Europas“ ausgerechnet in Sicherheitsfragen, sieht Europa erst „reif“, wenn sich die EU-Staaten zu VSE konföderieren. Bis dahin 'dient' Deutschland treuhänderisch Europa durch einen angestrebten nationalen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Das glaubt doch selbst der Michel nicht Mal. Das Ausland hat den Kern der Angelegenheit in 140 Jahre schon zweimal schmerzhaft zu spüren bekommen: Deutschland ist ohne Europa ein weltpolitischer Zwerg. Also ist Deutschland erst durch und mit Europa – nach deutschem Fasson.

 

Das Scheitern Deutschlands auf ganzer Linie in der Frage eines eigenen EU-Sitzes im UN-Sicherheitsrats als Ausdruck der desolaten Lage der GASVP der EU kommt im folgenden Vorgang zum Ausdruck:

 

Von der Bundesregierung wird dies mittlerweile auch indirekt dadurch eingeräumt, dass sie die im Folgenden zitierte Erläuterung, die noch vor einem Jahr auf ihrer Homepage geführt wurde (vgl. Auswärtiges Amt 2006) mittlerweile gestrichen hat.

 

'Bis es soweit ist [dass Frankreich und Großbritannien zugunsten eines EU-Sitzes auf ihre Sitze verzichten, MGH/UR], würde Deutschland auf einem ständigen Sitz wie bisher ein guter Europäer sein und die gemeinsamen europäischen Positionen vertreten. Deutschland hat außerdem einen Konsultationsprozess mit seinen europäischen Partnern über eine Europa-freundliche Ausgestaltung eines etwaigen zukünftigen ständigen Sitzes begonnen. Und bei realistischer Betrachtung muss man auch sehen, dass unter den heutigen Bedingungen die europäischen Positionen im Sicherheitsrat umso mehr Chancen haben, je mehr Mitglieder sie vertreten.'“12

 

Deutschlands Kampf um den Aufstieg zur Weltmacht ist objektiver Ausdruck der Notwendigkeit und Möglichkeit des mittelgroßen deutschen Gesamtkapitals. Dessen Träger, die deutsche Bourgeoisie, ließ hierzu im Laufe des vergangenen Jahrhunderts vollständig unterschiedliches politisches Personal von der Leine.

 

Politik braucht entschlossenes Personal. Dies fand sich beim dritten deutschen Anlauf zu einer Weltmachtrolle – diesmal im Gegensatz zu den zwei vorhergehenden in einträchtiger Volksgemeinschaft – zum rechten Augenblick im Armani gewandeten Toskana-Sumpf. Die Schröder-Fischer-Gang ging 1998 bis 2005 als unverbrauchte neudeutsche nationale Kraft ohne diplomatische Vorbelastungen im Einklang mit ihrem „Volk“ voll auf Konfrontationskurs mit den USA. Die zwei offenbar geborenen Spielerfiguren bewiesen ihr skrupelloses Abenteurertum, wendeten die Balkankrise zu Deutschlands Gunsten und verzockten sich auf dem UNO-Parkett gewaltig.

 

Ihre Vatergeneration wäre stolz auf diese Söhne gewesen. Sie hätten sich nicht träumen lassen, dass ihre karrieregeile Juso- und Randaliererbrut sich mit ihnen als Tätergeneration jemals versöhnen würden. Und, oh welche Wonne, sie traten in ihre alten Fußstapfen und sind nun dabei, Europa diesmal in neuer Form mit dem deutschen Stiefel der Austerität zu zermalmen! Schröder-Fischer gelang die Modernisierung der feudal-goetheschen deutschen kleinbürgerlichen Handlungsanweisung: Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen. Der schale Beigeschmack bleibt, dass die Deutschen und Deutschland auf die nächsten Zocker und (eventuell baronesken) Populisten oder andere Plagiatoren der alten Ordnung warten, um das alte Erbe auf neue Weise bis zum bitteren Ende auszukosten.

 

Ansonsten isolierte sich Deutschland in der Libyenkrise 2011 nochmals von seinen NATO-Bündnispartnern im UN-Sicherheitsrat-Getriebe. Es musste appeasend mit ansehen, wie seine libysche Bastion im Bombardement der EU-Partner Frankreich und England geschleift wurde. Nach allem Vorstehenden liegt es auf der Hand, dass Deutschlands Stellung in West-Süd-Asien und Nordafrika durch den „Arabischen Frühling“ vorerst empfindlich geschwächt wurde. Seine dortigen Weggefährten des alten Status quo wurden ausgebootet und auf Deutschlands diplomatischen Schachbrettern abgeräumt. Berlin sucht mit seinen Mitteln des ehrlichen Appeasers nach neuen Wegen der Einflussnahme. So wurde Deutschland in der Syrienkrise 2013 von Assad selbst als Vermittler ins Spiel gebracht wurde.

 

Und als Deutschland zum Jahreswechsel 2013 als gewählter Vertreter aus dem UN-Sicherheitsrat nach zwei Jahren rotationsgemäß ausschied, wurde Deutschlands Kampf um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inländisch typisch deutsch verklemmt ohne Rückbezug auf die 2005 erlittene totale Niederlage heruntergespielt:

 

Aber ist Deutschland einem Sitz im Sicherheitsrat nähergekommen? 'Ich sage immer, dass ich das wohl in meiner aktiven Arbeitszeit nicht mehr erleben werde', meint Politologe Gareis (50). 'Denn eine Reform braucht neben der Zweidrittelmehrheit in der Vollversammlung auch die Ratifikation durch die fünf ständigen Ratsmitglieder. Und genau die haben kein großes Interesse, ihre Macht zu teilen.'

 

Will Berlin unbedingt mehr Macht? 'Ich sehe diese Frage in strategischer Hinsicht unbeantwortet. Unsere ganze Außenpolitik ist eigentlich nicht darauf ausgerichtet, in der Weltpolitik ganz vorn mitzuspielen', sagt Gareis. 'In den UN ist Deutschland ein ordentliches und verlässliches Mitglied, aber kein Primus.'“13

 

Der Herr Professor lobte erleichtert das „ziemlich professionelle“ Auftreten der deutschen Diplomatie. Nun weiß allerdings alle Welt außer dem deutschem Professor, einem speziellen Kenner der UNO-Verhältnisse, dass Deutschland es spätestens seit 2004 geradezu verbissen darauf anlegt, ein 'Primus' der politischen Weltarena zu werden. “Eigentlich“ ist die deutsche Außenpolitik machtstrategisch unbedingt auf einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat mit Veto-Recht ausgerichtet. Deutschland möchte selbst „natürlich“ in der ersten Reihe der Weltmächte mitmischen, allerdings mögen dies die schwergewichtigen „Partner“ verständlicherweise nach ihren Erfahrungen mit 20 Jahren deutscher Alleingänge auf dem diplomatischen Weltparkett nicht und wissen es auf weiteres zu verhindern. Mag der Bürger die Wahlversprechungen „seiner“ Partei schon nach Verlassen des Wahllokals vergessen haben, Staatsapparate haben „Langzeitgedächtnisse“ bezüglich des eigenen außenpolitischen Agierens und ebenso bezüglich des Agierens der anderen Staaten. Daher stimmte der deutsche Bundespräsident pflichtgemäß beim „Tag der deutschen Einheit“ 2013 pastoral inniglich verschwurbelt die Leier des deutschen Strebens nach ständiger Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat im Konditionalsatz an. Und stellte dabei dem deutschen Michel die Kriegs- und Friedensfrage in weiterer Modulation gleich für den gesamten Erdkreis Gottes:

 

Und wenn wir einen ständigen Platz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstreben: Welche Rolle sind wir bereit, bei Krisen in ferneren Weltregionen zu spielen?“14

 

Hiermit sind die außenpolitischen deutschen Etappen auf dem Weltparkett der Sturm- und Drangperiode II der Berliner Republik zwischen 1998 und 2005 skizziert. Wenn diese Periode II hier im Text von 1998 bis 2007 gesetzt wurde, dann deswegen, weil Deutschland zeitlich parallel zum Veitstanz auf dem Weltmachtparkett zwischen 2002 und 2007 die völkerrechtlichen Vertrags-Vorbedingungen seiner erhofften VSE mit dem Lissabon-Vertrag auf dem EU-Parkett durchdrückte. Die deutschen „Beiträge“ zur politischen Integration Europas seit 1949 und den Vertragswerken von EG und EU und deren Kontinuitätslinien seit 1900 sind Gegenstand von Teil II des Gesamttextes.

 

1 Newsletter vom 03.06.2004, - Tauschgeschäft - BERLIN/BAGDAD/WASHINGTON (Eigener Bericht) Mehr: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/43708

 

2 Ebenda; hierin Fischerzitate aus: 1) Rede von Bundesaußenminister Fischer vor dem deutschen Bundestag zum Nahen und Mittleren Osten, dem Irak und dem Beitritt der Türkei zur EU, Berlin, 28.05.2004.

 

3 Da es im Text schon mehrfach benutzt wurde: Dalli Dalli setzte der Moderator der gleichnamigen Rateshow Hans Rosenthal dem deutschen Michel 15 Jahre als unbewusstes Kuckucksei ins Wohnzimmer. Dalli Dalli bedeutet in den slawischen Sprachen so viel wie schnell, beeil dich! Der deutsche Landser benutzte es im Ostfeldzug bei jeder Gelegenheit zum Antreiben der „Untermenschen“. Besonders beeindruckend und bedrückend kommt dies in Claude Lanzmann´s Dokumentation Shoah im Interview mit einem Aufseher des Vernichtungslagers Sobibor zum Ausdruck.

 

4 Newsletter vom 03.06.2004, - Tauschgeschäft - BERLIN/BAGDAD/WASHINGTON (Eigener Bericht) Mehr: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/43708 Ebenda, Zitate von Voigt aus: 2) ,,Deutschland-USA: Eine sich verändernde Partnerschaft"- Rede von Karsten D. Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, als Beitrag zu den Mosse-Lectures, Humboldt-Universität zu Berlin, 27.05.2004
3) Wolfgang Ischinger, German Ambassador to the United States.

 

5 Peter Schwarz, Münchner Sicherheitskonferenz - Schröder fordert Weltmachtrolle für Deutschland, World Socialist Web Site 16.02.2005

 

6 Newsletter vom 18.07.2005 - Achtung, Deutschland! - NEW YORK/BERLIN/BEIJING (eigener Bericht) http://www.german-foreign-policy.com/de/news/art/2005/54764.php

 

7 Newsletter vom 12.09.2005 - Chinesisches Veto, Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56010

 

8 Newsletter vom 04.12.2013 - Deutschland im Inselstreit, Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58749

 

9 Gunther Hellmann/Ulrich Roos, Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat – Analyse eines Irrwegs und Skizzen eines Auswegs, INEF-Studie 92/2007, Universität Duisburg, S.16

 

10 a.a.O., S. 30

 

11 a.a.O., S. 36

 

12 a.a.O., S.39

 

13 Zwei Jahre UN-Sicherheitsrat – Deutschland verhält sich unauffällig gut Handelsblatt Online 31.12.2012

 

14 Gaucks Rede im Wortlaut "Die Freiheit in der Freiheit gestalten" Der Tagesspiegel Online 03.10.2013

 

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise