Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) mitsamt dem wirtschaftspolitischen Kern des EU-Binnenmarkts wurde wie die GASP durch die Maastricht-Verträgen 1992 als dem Übergang von der EWG zur EU eingeführt und in den Verträgen von Amsterdam 1997, von Nizza 2001 und von Lissabon 2007 fortentwickelt.
Der EU- Binnenmarkt war mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS „Montanunion“) nach 1951 und der Europäischen Agrargemeinschaft der EWG nach 1957 in zwei höchst problematischen sozial-ökonomischen Produktionszweigen faktisch vorgeebnet worden.
Der Maastricht-Vertrag peilte zudem mit fünf fiskal- und geldpolitischen Kriterien die schnellstmögliche Euro-Währungsunion an. Der erste Schritt zur Währungsunion wurde allerdings schon vorab (!) 1990 getan, nachdem sie als Europäisches Währungssystem (EWS) seit 1981 vorbereitet wurde. Ihre Konzeption bewegte sich in der Fortschreibung der Kontinuitätslinie der Konzepte und Praxis des NS1. Schritte zwei und drei der Währungsunion erfolgten in den Jahren 1999 und 2001.
Jeder muss sich darüber im Klaren sein, dass der politische Integrationsprozess der Staaten Europas ein völkerrechtliches Experiment historischen Ausmaßes ersten Ranges mit ungewissem Ausgang ist. Darauf wird als einem der Leitfäden in Teil II immer wieder fragend rekurriert werden: ist es vom theoretischen Marx'schen Gerüst der Kritik der politischen Ökonomie her denkbar, dass sich konkurrierende nationale Gesamtkapitale politisch voluntaristisch zu einer EWWU aggregieren lassen? Oder anders gefasst: Können sich die europäischen Nationalstaaten mittels des Weges 'kleiner Schritte' der tiefen ökonomischen Integration politisch voluntaristisch zu einem europäischen Bundesstaat – als Vereinigte Staaten von Europa (VSE) – zusammenschließen, ohne dass die mächtigsten Nationalstaaten sich einen Kampf bis aufs Messer um die Hegemonie liefern, bis einer die Oberhand hat? Worin besteht der Unterschied, der zu den Vereinigten Staaten von Amerika führten? Nochmal anders akzentuiert: ist nicht ein Staatenbund mit einem Binnenmarkt – wie er von Großbritannien und den Nordländern seit 1960 bis heute gefordert wird – jene Grenze einer Integration von entwickelten Nationalstaaten, wenn sie politisch als Gleiche unter Gleichen fortbestehen wollen?
Der EU-Binnenmarkt erfährt bis heute stets Ergänzungen, am laufenden Band werden neue Vorschläge zu seiner „Vollendung“ in den „Grünbüchern“ der EU-Kommission ins politische öffentliche Feld eingebracht. Eigentlich wäre damit das Ziel eines großen europäischen Freihandelsraumes erreicht. Doch dies war Deutschland nie genug. Schon unter der Ägide des EWG-Kommissionspräsidenten Hallstein von 1957 bis 1969 insistierte die BRD auf eine tiefe europäische Integration, wenn es sein musste, einer kleinen Anzahl von Ländern, anstatt einer großen Freihandelszone nach den Vorstellungen Britanniens und der anderen späteren EFTA-Länder.
EU-Binnenmarkt und Eurozone schienen von 1992 bis 2007 ein voller Erfolg zu sein, der Langfristigkeit suggerierte. In Deutschland wird der Lissabon-Vertrag von 2007 als „natürliche“ Weichenstellung Richtung einer Vollunion von VSE interpretiert und hingestellt. Was die „Partner“ darüber denken, blieb bis zur Krise im diplomatischen Kauderwelsch hängen – „natürlich“ weiß trotzdem jedes deutsche Kind, dass „England“ der ewige Quertreiber ist.
Die Weltmarktkrise erwischte den EU-Integrationsprozess zu einem schwierigen Zeitpunkt. Wie im vorliegenden Abschnitt V zur deutschen Außenpolitik nach 1990 als Perlenkette aufgereiht, zerrüttete Deutschland im Laufe von 17 Jahren das politische Verhältnis zu seinen EU-„Partnern“ mit wenigen Ausnahmen vollständig. Unter diesen zugespitzten nationalen Gegensätzen läuft nun seit der Verschärfung der europäischen Staatsschuldenkrise 2010 das deutsche Pokerspiel um die Vertiefung der EWWU durch die Umsetzung einer deutsch diktierten EU-Fiskalunion gegen die Rest-EU.
Deutschland begriff die Krise seit 2007 als Chance zur Beschleunigung seines EU-Integrations-Konzeptes einer kaschierend vorgebrachten „politischen Vollunion“. Gegenwärtig gleicht die EU einer Chimäre, ein Staatenbund auf halbem fragilen Weg zum Bundesstaat. Die rabiaten deutschen Sparkommissar-Vorschläge und der „Fiskalpakt“ im Januar 2012 zeigten, dass Deutschland als EU-Hegemon die Krise ohne wenn und aber nutzen will, die EU-Staaten als nächsten Schritt auf dem finanzpolitischen Feld Richtung Vollunion hineinzupressen.
Selbst die regierungs-beratende SWP meldete Zweifel an den fiskalpolitischen Vorgaben Berlins an:
„Um die öffentlichen Haushalte in Zukunft auf eine nachhaltige Grundlage zu stellen und eine übermäßige Verschuldung fortan auszuschließen, haben sich die 17 Mitgliedstaaten der Eurozone beim EU-Gipfel am 8. Dezember 2011 darauf verständigt, dass alle in ihren Verfassungen oder auf einer gleichwertigen Ebene Regeln verankern, die eine strenge Haushaltsdisziplin gebieten und die Ziele und Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts in die nationale Gesetzgebung übertragen. Damit ist die deutsche Bundesregierung ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen, das Modell der Schuldenbremse in andere Mitgliedstaaten zu exportieren. Ob dies tatsächlich zur gewünschten Eindämmung der Verschuldung führt, bleibt hingegen abzuwarten. Denn Schuldenbremsen müssen nicht unbedingt für Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen sorgen: Da eine starr wirkende Schuldenbremse die Staaten zu einer Reduzierung ihrer Haushaltsdefizite zwingt, kann sie unter Umständen die Konjunktur abwürgen und so ein sinkendes Steueraufkommen nach sich ziehen. In den meisten Mitgliedstaaten würde sie die Schuldenquote nur um den Preis einer Wirtschaftskrise schnell senken können. Dies wäre gerade für hochverschuldete Länder wie Griechenland oder auch Portugal fatal. Während nationale Schuldenbremsen also zu empfehlen sind, so doch unter der Voraussetzung, dass sie hinreichend flexibel sind. Vorgeschlagen wird eine Flexibilitätsregel, die sich am nominalen BIP-Wachstum orientiert. Die Absenkung der Schuldenstände würde zwar länger dauern, verliefe jedoch schockfrei.“2
Wenn die Polit- und Wirtschaftsauguren 2012 vom „Geburtsfehler“ der Euro-Währungsunion sprachen, der nun durch eine Fiskalunion als notwendiges komplementäres fiskal-politisches Feld einer umfassenden Europäischen Wirtschafts- und Währungs-Union (EWWU) behoben werden soll, so verdunkelten sie den EU-Prozess noch mehr. Ohne den deutschen Hebel als Hauptgläubiger in der tiefen Staatsschuldenkrise wäre der Vorschlag einer EU-Fiskalunion sowohl in Maastricht 1992 als in Amsterdam 1997 als indiskutabel erst gar nicht auf den Tisch gekommen, da Deutschland stets eine gemeinsame Staatsschuldenhaftung ablehnte.
Eine Einheit von Wirtschafts- und Finanzpolitik unter EU-Dach würde die vollständige Ausrichtung und Kontrolle der Haushaltspolitik der EU-Nationalstaaten in EU-Kommissionshand nach sich ziehen. Sie verlangte konsequenterweise EU-Steuerhoheit und Steuerangleichung und käme schon mittelfristig aus „Wettbewerbsgründen“ nicht ohne „harmonisierende“ Sozialpolitik – nach unten – aus. Sie würde über die jetzigen Knebelbedingungen der Geld- und Finanzpolitik von Maastricht + Amsterdam hinaus praktisch zentrale Felder nationaler Souveränität aushebeln. Ohne Finanz- und Steuerhoheit fehlt dem Nationalstaat die materielle Grundlage seiner souveränen Existenz. Ein nationales Parlament ohne Haushaltsrecht und -hoheit ist nur noch eine Farce. Wann dann beispielsweise Staaten gezwungen werden, Sonderwirtschaftszonen einzurichten, ist nur eine Frage der Zeit und des Niedergangs einzelner Volkswirtschaften. Dass das allgemeine „Demokratiedefizit“ der EU bei einer vollständigen EWWU nochmals gewaltig erhöht würde, sei nur am Rande erwähnt.
Die Euro-Währungsunion erweist sich als vielfach schon vor ihrer Einführung vorausgesagte Falle für die schwächeren ökonomischen „Partner“. Sie haben ihr einfachstes und schnellst wirkendes währungspolitisches nationales Instrument selbst – gezwungenermaßen – aus der Hand gegeben. Den Nationalstaaten der Euro-Zone sind dadurch die Mechanismen der Abwertung der nationalen Währungen zur oberflächlichen, temporären Wiederherstellung der nationalen „Wettbewerbsfähigkeit“ entzogen. Jener Mechanismus hat jedes mal zur Folge, dass die betreffende Nation nach der Abwertung ihrer nationalen Währung für die gleiche Menge exportierter Waren eine niedrigere Summe an Devisen einnimmt als vorher. Oder anders ausgedrückt muss die Nation danach einen größeren Anteil ihrer gesellschaftlichen Gesamtarbeit aufwenden, um die alte Höhe an Exporterlösen zu erzielen. Aber immerhin sind sie doch wenigstens kurz- bis mittelfristig in der Lage, Waren und Dienstleistungen zu exportieren.
Jetzt sind ihre Waren in der Euro-Zone preislich nicht konkurrenzfähig. Deren höherer Kostpreis ist Ausdruck der geringeren Produktivität der dazugehörigen nationalen Arbeit. Das Verhältnis des Werts der dort eingesetzten Produktionsmittel und Vorprodukte ist im Verhältnis zum Wert der eingesaugten Arbeitskräfte kleiner als in den Konkurrenznationen. Dieses Verhältnis wird übrigens von dem Alten als die „organische Zusammensetzung des Kapitals“ bestimmt. Je höher dieses Verhältnis ist, umso produktiver ist das entsprechende nationale Gesamtkapital. Dieses vermag dann die anderen nationalen Gesamtkapitale in den entscheidenden industriellen Produktionszweigen an die Wand zu konkurrieren. So geschah es im Zeitraffer mit der DDR-Industrie nach der Einführung der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion im Kursverhältnis 1-DM-West zu 1 M-Ost. Jetzt spielt sich dies in einer zehnjährigen Zeitlupe in der Euro-Zone ab – beispielsweise in der Automobil-Industrie und im Maschinenbau. Als Euro-Zonen-Mitglieder sind jene Volkswirtschaften, die im nationalen Konkurrenzkampf relativ zurückfallen, daher gezwungen, der nationalen lohnabhängigen Klasse die Daumenschrauben umso schärfer anzuziehen, je weiter sie sich im Wettbewerb-Ranking relativ von den stärksten und größten Euro-Nationalökonomien entfernen.
Die BRD ist im europäischen Integrationsprozess schon längst kein vorgeblicher politischer Gleicher unter Gleichen, auch kein gütiger Primus inter Pares wie es die diplomatischen Sprachregelungen suggerieren, sondern der ökonomische Dominator, der kommissarisch supranational von Berlin via Brüssel den „Partnern“ die fiskal-politischen Bedingungen der Deutschland-AG für das EU-Projekt diktiert. Der Weg zur Zwangsgemeinschaft der Vasallen Deutschlands in Europa (ZdVDE) wäre mit einer wirklich umgesetzten Fiskalunion einen entschiedenen Schritt weiter beschritten – solange der Hegemon nicht ökonomisch und anschließend politisch strauchelt und selbst in den Graben fällt.
Der Weg zu einer vollständigen EWWU ist allerdings noch gewaltig, da die deutsche „Wirtschaftskultur“ nach Maßgabe des sparsamen schwäbischen Hausmanns gewaltig mit der Jahrhunderte alten Tradition der westlichen Staaten kollidiert. Der kapitalistische Kredit wird dort als offensives staatliches Steuerungsinstrument praktisch gehandhabt. Die Eckpunkte des magischen Vierecks der Nationalökonomie: Preisstabilität – Beschäftigungsstand – Wachstumsabsicherung – Außenwirtschaftliches Gleichgewicht werden in der BRD ideologisch einseitig auf Preisstabilität reduziert. Die westlichen Nationen steuern dagegen mit ihrer Geldpolitik vorrangig die Erhöhung von Beschäftigung und Wachstum. Das unbedingte Primat der Preisstabilität kann sich die relativ produktivste Industrienation und daher exportstarke BRD leisten – auf Kosten der Euro-„Partner“. Die unterlegenen Nationen sind im Zugzwang, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung per Staatskredit zu stimulieren, um überhaupt zu überleben.
Die Kontinuität der deutsch-französischen Kämpfe um die Geldpolitik – „Geldwertstabilität“ versus „Wachstumsstimulation und Vollbeschäftigung“ – in allen fünf Rezessionsphasen seit 1970 – ist der Ausdruck des relativen ökonomischen und damit auch politischen Abstiegs Frankreichs gegenüber Deutschland. Dieser geldpolitische Kampf der beiden stärksten Volkswirtschaften Europas endete regelmäßig in einer französischen Niederlage. Hierauf wird ebenfalls in Teil II zurückgekommen. Dabei wird zur Sprache kommen, dass Frankreich schon bei den Versailler-Verträgen 1918 von den USA als kommender Hauptgläubiger der europäischen Staaten die Lektion erteilt wurde, sich dem ökonomisch überlegenen Deutschland hinsichtlich der Kartelle der Chemie- und Montanunion zu unterwerfen3. Die USA drängten seither – und verschärft mit dem Marshall-Plan 1948 auf eine Vereinheitlichung der nationalen Flicken-Binnenmärkte zu einem europäischen einheitlichen Binnenmarkt.
Eine „vollendete“ Europäische Wirtschafts- und Währungs- Union (EWWU) nach deutschem Geschmäckle ist nur möglich, wenn Frankreich auf Basis eines beschleunigten ökonomischen Niedergangs politisch niedergerungen würde. Was zur Voraussetzung hat, dass die BRD im Unterschied zu den „Partnern“ kaum von der auch 2014 keineswegs überwundenen weltweiten industriellen Überproduktionskrise betroffen wird. Läuft es für Deutschland weiterhin günstig, werden die EU-Kommission und die primär der „Geldwertstabilität“ verpflichtete EZB den Kurs der EU auf dem finanzpolitischen Feld wie bisher im Sinne des deutsch-nationalen Gesamtkapitals bestimmen und Deutschland könnte achselzuckend auf Brüssel verweisen.
Wehe, Deutschland kommt selbst ökonomisch stark in die Bredouille, dann verliert Deutschland das Pokerspiel um den Euroraum und droht zu Abenteuern. Dann entpuppt sich Deutschlands auf stetige Handelsbilanzüberschüsse und im letzten Jahrzehnt horrende Leistungsbilanzüberschüsse und Kapitalverkehrsüberschüsse (zusammen: Zahlungsbilanzüberschüsse) zielende „Wirtschaftskultur“ der „Geldwertstabilität“ als Mythos. Dann muss Deutschland selbst für „Wachstumsstimulation“ um jeden Preis sorgen, wie es die „Partner“ im Sommer 2012 händeringend von Deutschland einforderten.
Unabhängig von der laufenden Entwicklung des Weltmarkts: Was die deutsche weltmachtpolitische EU-Option auf dem wirtschafts- und finanzpolitischen Feld der EWWU betrifft, so ist die Chance einer gleichrangigen politischen Partnerschaft der europäischen Hauptländer offensichtlich für immer verspielt.
Den „Partnern“, welche alle auf einen funktionsfähigen europäischen Binnenmarkt angewiesen sind, bleibt nur der Ausweg, sich trotz aller gegensätzlichen Interessen gegen Deutschlands laufende EU-Fiskalunion-Diktate zusammen zu tun. Die lateinische Achsenbildung vor dem EU-Gipfel Juni 2012 und die Wende der EZB in Frage der Staatsanleihen-Ankäufe waren erste Vorboten. Britanniens Blockadehaltung gegen die Fiskalunion und den mittelfristigen EU-Haushaltsplan griff Deutschlands EU-Führung von der Flanke der Nicht-Euro-Staaten der EU an. Hinter Großbritannien stehen die Nordländer und die Mittel-Ost-europäischen Länder. Dass Finnland den deutschen Vasallen spielen muss, liegt übergreifend in seiner unmittelbaren geographischen Nachbarschaft zu Russland. Alles in allem erweist sich das Integrationsprojekt EU in der jetzigen Krise als ziemlich fragil, und sieht machtstrategisch keineswegs wie eine Weltmacht der Zukunft aus.
Ökonomisch gesehen kann die jetzige Euro-Zone auf Grund der ungleichmäßigen Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der beteiligten Nationalstaaten keinen langfristigen Bestand haben – ein europäischer Bundesstaat erst recht nicht. War die Gemeinschaftswährung Euro für Deutschland in Relation zu den anderen beteiligten Staaten von Anfang an zu schwach und subventionierte dadurch die deutschen Exporte, so verstärkte sich dies in der Krise zusehends. Seit Beginn des Verschuldungsschubs der Nationalstaaten im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007 kann der deutsche Export in die Euro-Zone nur noch durch faktische Subventionen der Exportindustrie durch die Bundesbank (Target2-Salden4) buchungstechnisch aufrecht erhalten werden5. Die „Partner“ werden die dort aufgelaufenen Forderungen kaum je begleichen können – da die Handels- und Leistungsbilanzdefizite der beteiligten Staaten sich „dank“ der deutschen Exportoffensive zunehmend relativ vergrößern anstatt abzuschmelzen. Die im Gegenzug der Verbindlichkeiten hinterlegten Sicherheiten sind nomineller Natur, faktisch jedoch zweifelhaften Bonitätsgehalts angesichts der Schärfe des Einbruchs der dahinterstehenden Volkswirtschaften. Wenn 2014 schönfärberisch von einer „Erholung“ der südlichen EU-Peripherie geredet wird, so sind dies reine Durchhalteparolen ohne ökonomische Substanz.
Schon die in Kapitel 32 dargelegten „alternativen“ Überlegungen zu Optionen deutscher Sonderwege jenseits der existierenden EU zeigen den „Partnern“ die „wahren“ deutschen EU-Interessen. Wenn der französische Präsident Hollande anlässlich des 50 jährigen Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrags am 8. Juli 2012 sagte:
"Wir dürfen unsere Beziehung nicht wie ein Direktorium gestalten, das dafür sorgt, dass Deutschland und Frankreich allein für Europa entscheiden."6
Und wenn dagegen Bundeskanzlerin Merkel genau diese Unart der Deutsch-Französischen Zusammenarbeit beim gleichen Anlass lobte, so drückt sich hierin der Unterschied ums Ganze der zukünftigen deutsch-französischen Achse an. Für Deutschland ist das EU-Projekt nur Mittel für „Höheres“. Frankreich muss dagegen zum eigenen Überleben Truppen gegen Berlin in Stellung bringen. Auf dem EU-Gipfel acht Tage zuvor hatte Frankreich klar auf der Seite Italiens und Spaniens die deutsche Austeritäts-Position geschwächt. Nur in Deutschland selbst wurde und wird offen gefordert, diesen oder jenen „Partner“ aus dem Euro-Raum zu entfernen. In den „Partnerländern“ wurden 2012 dagegen Überlegungen laut, notfalls aus der Währungsunion Euro auszutreten, um die Souveränität des eigenen Landes teilweise zurückzugewinnen, falls sie Deutschland nicht in die Haftungsgemeinschaft zu ihren
eigenen Bedingungen hinein zu manövrieren vermögen.
„Newsletter vom 09.08.2012 – Vor dem Kollaps – BERLIN/ROM (Eigener Bericht) - Der drohende Kollaps der Eurozone lässt die nationalen Gegensätze zwischen dem dominanten Deutschland und den Staaten Südeuropas eskalieren. Weil Berlin weiterhin jegliche Krisenmaßnahmen blockiert, die - wie der Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB oder die Ausweitung des 'Rettungsschirms' ESM – den Krisenstaaten rasch helfen könnten, nehmen insbesondere in Italien die Proteste gegen die deutsche Politik zu. Deutschland kehre zurück, 'nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Euro', heißt es in der italienischen Presse: Rom müsse sich 'dem neuen Kaiser namens Angela Merkel unterwerfen' und die Berliner Diktate umstandslos erfüllen. Selbst treue Verbündete rücken mittlerweile von der Blockadepolitik der Bundesregierung ab. Man müsse dem 'Rettungsschirm' ESM endlich eine Banklizenz verleihen, die es ermögliche, ihn zu 'hebeln', verlangt der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Deutsche Politiker setzen ohne Abstriche ihren entgegengesetzten Kurs fort. Wie der bayrische Finanzminister Markus Söder (CSU) fordert, soll Deutschland stärkeren Einfluss in der EZB bekommen. Das würde es Berlin erlauben, seine - für die Krisenstaaten fatale – restriktive Geldpolitik noch fester zu zementieren.“7
Anfang August 2012 kündigten Italien und Spanien an:
"Wir beide sind uns einig, wir bilden eine Front, und zusammen sind wir stark."8.
In diesem Stadium der Verschärfung der Staatsschuldenkrise Italiens und Spaniens durch die von Berlin diktierten „Spardiktate“ und sich verstetigende wirtschaftliche Rezession traten in der BRD die Widersprüche zwischen der Kapitalfraktion der großen exportorientierten Industrie und dem Bankkapital auf der einen Seite und der national orientierten Kapitalfraktion der mittleren global-exportstarken Hidden Champions („Familienunternehmern“) um den Fortbestand der Eurozone offen zu Tage. Zur Bundestagswahl 2013 trat die „Alternative für Deutschland“ mit der Losung der geordneten Auflösung der Euro-Zone und des Übergangs zu einem Nord-Euro-Verbund an:
„ Newsletter vom 07.08.2012 – Wirtschaftskulturen – BERLIN/ROM (Eigener Bericht) - In Berlin mehren sich die Plädoyers für eine Abspaltung der südlichen EU-Staaten aus der Eurozone und für die Einführung eines 'Nord-Euro'. Die Pläne, die ursprünglich von einem ehemaligen Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie an die Öffentlichkeit getragen wurden, sehen einen Zusammenschluss Deutschlands, Österreichs, der Niederlande, Luxemburgs und Finnlands zu einer neuen Währungszone vor. In diesem Gebiet habe sich über die Jahrhunderte eine 'relativ einheitliche Wirtschaftskultur' entwickelt, die sich deutlich von derjenigen Südeuropas oder Großbritanniens unterscheide, erklärt ein renommierter deutscher Wirtschaftshistoriker. Eine Trennung der unterschiedlichen 'Wirtschaftskulturen' sei sinnvoll. Bei der Etablierung des 'Nord-Euro' müsse man Frankreich ausschließen, fordern mehrere Ökonomen: Die französische Wirtschaft weiche zu stark vom deutschen Modell ab. Überlegungen werden laut, Italien in den 'Nord-Euro' einzubeziehen: Dies könne den 'Aufwertungsdruck', der auf der neuen Währung laste, verringern. Norditalien - der wohlhabende Teil des Landes - ist ökonomisch eng an Deutschland angebunden. Eine spätere Abspaltung des Gebiets vom verarmten Süditalien ist - dies zeigt die Sezessionspolitik der norditalienischen 'Lega Nord' – nicht ausgeschlossen.“9
Die Desolatheit der Euro-Zone, insbesondere seiner nationalen Bankensysteme, kam Anfang 2013 darin zum Ausdruck, dass mit der Republik Zypern einer der ökonomisch irrelevantesten Staaten als „systemrelevant“ „gerettet“ werden sollte. Als nächster Pleitestaat geriet sie Februar 2013 unter das Kuratel von EU-Kommission und EZB. Unter dem Slogan der Reduzierung des „überdimensionalen Bankensystems“ sowie der Kappung der Schwarzgeldwäsche outete sich die EU-Politik offen als Enteignungsinstrument der Sparer. Der neue Euro-Gruppenchef Dijsselbloem sprach undiplomatisch von einer „Blaupause“ zur Beteiligung der privaten Investoren an der „Bankenrettung“. In der Zypern-Krise schoss sich die Politik des Industriestandorts BRD auf die nationalen Standorte des Geldkapitals ein. Deutschmanns sprachen von einem „Geschäftsmodell“, dass verändert werden müsste. Mann war zwar 15 Jahre prächtig mit der gewaschenen Russenkohle gefahren, da diese via Griechenland in deutsche Exportkassen floss. Nun ist das „Geschäftsmodell“: „Finanzmarkt“ für Zypern per Dekret platt gemacht. Dass die deutsche Chuzpe vor allem die Luxemburger empörte, ist verständlich. Chef Juncker stellte klar, dass er sich solche Verunglimpfungen kleiner Volkswirtschaften verbietet, schließlich kritisiert auch niemand die „überdimensionierte“ deutsche Automobilindustrie.
Den Sommer 2013 über war es ruhig an der EWWU-Front, Deutschland gönnte seinen „Partnern“ eine Atempause bezüglich seiner Dalli Dalli Vorstöße, da in Merkelland Bundestagswahlen anstanden und der Michel ohne Europa-Probleme eingelullt werden musste, um das Land in Merkel-Hand zu halten. Der regierungsnahe Think-Tank platzierte im Wahlmonat September im Wissen um die Fragilität des EU-Projekts geradezu moderate Empfehlungen an die zu erwartende GroKo, um durch Elastizität die Chancen für die angestrebte vertiefte EU-Integration zu verbessern:
„Auch wenn sich die Krise in der Eurozone vordergründig beruhigt hat, bestehen nach wie vor große Risiken im Bereich der Staatsfinanzen, im Bankensektor und durch soziale und politische Instabilitäten. Die neue Bundesregierung sollte hierauf zunächst mit drei Initiativen reagieren. Erster Schritt wäre eine Neuausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik. Mehr Investitionen, eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors sowie eine Stärkung der grenzüberschreitenden Arbeitskräftemobilität würden der deutschen Wirtschaft nutzen und den Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte in der Eurozone fördern. Zweitens sollte die Bundesregierung einer Bankenunion mit einem zentralen Abwicklungsmechanismus zustimmen, der eine Konsolidierung des europäischen Bankensystems erlaubt und die Fragmentierung im europäischen Finanzmarkt umkehren könnte. Drittens würden eine Wachstumsinitiative und ein europäischer Jugendbildungsfonds einer »verlorenen Generation« Perspektiven eröffnen. Dieses Maßnahmenbündel würde die Voraussetzungen für eine spätere, politische Vertiefung der Eurozone verbessern: Demokratisch legitimierte Entscheidungsstrukturen, die nur über eine Vertragsreform umzusetzen sind, sollten den in der Krise erstarkten Intergouvernementalismus ablösen.“10
Schon einen Monat nach der Merkelwahl 2013, noch vor den schwarz-roten Koalitions-Verhandlungen, wurde der deutsche Plan, die EU-Kommission zur zentralistischen Exekutive des 2011 beschlossenen „Fiskalpaktes“ zu ermächtigen, öffentlich11. Deutschland forderte die Änderung der EU-Verträge dahingehend, dass die Teilnehmer der EU-Fiskalunion der EU-Kommission nicht nur ihre Haushalte wie schon jetzt zur Genehmigung vorlegen müssen, sondern der EU-Kommission ein zentralistisches sanktionsfähiges Kontrakt-Recht mit jedem EU-"Partner" bezüglich nationaler Haushaltsdisziplin und wettbewerbssteigernder Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen eingeräumt wird. Gelingt der deutsche Vormarsch, dann wäre Deutschland einen entschiedenen Schritt der tiefen Integration der EU Richtung einer umfassenden finanz- und wirtschaftspolitischen Union weiter. Dann wäre Frankreich als deutscher politischer Gegenpol einen entschiedenen Schritt weiter geschwächt. Die haushaltspolitische Kern-Souveränität der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten wären danach unter Vorgaben des Hegemons vollständig ausgehebelt.
Die Glienicker Gruppe ehrbarer deutscher Professoren schrieb zum gleichen Zeitpunkt unter Zustimmung zum Fiskalpakt und der Forderung nach einer EU-Bankenunion im Studienrats-Organ unter dem Titel „Euro-Vertrag Mobil, gerecht, einig“ grundsätzlicher in Richtung einer Euro-Wirtschaftsregierung:
„Diese vier Punkte – eigenverantwortliche Gläubiger, Schutz der Lebenschancen, Schutz der demokratischen Rechtsstaatlichkeit, Bewahrung der öffentlichen Güter – sind das Minimum dessen, was erforderlich ist, um den Euro zu erhalten. Um die Union dauerhaft stabil zu machen, muss aber mehr geschehen. Sie muss ihr Potenzial, gemeinsame öffentliche Güter zum Vorteil aller bereitzustellen, auch wirklich ausschöpfen.
Potenzial sehen wir vor allem in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. In einer multipolaren Welt, in der China, Russland und andere an Einfluss gewinnen und die Vormacht der USA abnimmt, sollte Europa seine gemeinsamen Interessen wirksam vertreten können. So müsste es den Europäern möglich sein, eine gemeinsame Strategie zur Ordnung des globalen Handels- und Finanzrechts und zur Nutzung globaler Gemeingüter wie Tiefsee oder Weltraum zu verfolgen. Dass die Euro-Zone mit ihrer gemeinsamen Währung auch einen gemeinsamen Sitz bei IWF und Weltbank beanspruchen sollte, ist eigentlich selbstverständlich. Wenn es eine effektive gemeinsame Außenpolitik und zentralisierte Entscheidungsstrukturen für die Sicherheitspolitik gäbe, wäre auch ein gemeinsamer Sitz im UN-Sicherheitsrat erreichbar.
Ein Qualitätssprung zur Integration: Der Euro-Vertrag für die Euro-Union
...... Um das bisher skizzierte politische Programm zu verwirklichen, bedarf die Euro-Zone einer neuen, eigenen Vertragsgrundlage. Statt punktueller Reparaturen brauchen wir einen Qualitätssprung der Integration – einen Euro-Vertrag. Mit einem solchen Vertrag würden die in der Krise gemachten kollektiven Einsichten und Erfahrungen dauerhaft gespeichert. Mit dem Euro-Vertrag ginge es endlich wieder darum, was europapolitisch gewollt und erforderlich ist, und nicht mehr nur um die juristischen Einwände dagegen. Die Änderungen des Grundgesetzes, die dabei möglicherweise erforderlich sind, würden aus Anlass des Euro-Vertrages endlich konkret erörtert.
….. Bisher haben bei der Krisenbewältigung die nationalen Regierungschefs den Ton angegeben. Aber dieser Intergouvernementalismus ist den Aufgaben, die in einer Währungsunion zu bewältigen sind, nicht gewachsen. Diese Überforderung ist wesentlich dafür verantwortlich, dass die EZB nolens volens eine derart zentrale Rolle bei der Sicherung der gemeinsamen Währung übernommen hat.
Wir benötigen deshalb endlich eine handlungsfähige europäische Exekutive, die die Reformpakete mit Krisenländern verhandeln, über Bankenschließungen entscheiden und die Bereitstellung öffentlicher Güter sicherstellen kann. Die Euro-Union braucht eine handlungsfähige Wirtschaftsregierung.
Diese Wirtschaftsregierung muss über abgestufte Durchgriffsrechte in die nationale Budgetautonomie verfügen. Solange die Mitgliedsstaaten ihre Pflichten erfüllen, kann es sich dabei nur um unverbindliche Empfehlungen handeln. Wer aber die Stabilitätskriterien verletzt, dem muss die Wirtschaftsregierung verbindlich vorgeben können, wie viel er einzusparen hat – an welcher Stelle, bleibt ihm überlassen.“12
Hier wurde ein Konzept einer Wirtschaftsregierung der Euro-Zone als voraus schreitendes Kerneuropa ideologisch gepusht, in der eine funktionsfähige GASVP als notwendige Bedingung gesetzt ist. Solche Herren riechen den günstigen Zeitpunkt des deutschen Durchstechens Richtung VSE auf Grund der anhaltenden Schwächen der EU-“Partner“. Mit Merkels Rückhalt beim Wahlvolk stieg das „Selbstvertrauen“ teutonicus und das von der SWP im September empfohlene moderate Vorgehen wich zwei Monate später knackigen hegemonialen Empfehlungen:
„Newsletter vom 05.11.2013 - Die Dominanz über Europa
BERLIN (Eigener Bericht) - Berliner Regierungsberater sprechen sich für die Etablierung neuer Integrations-Instrumente zur Schwächung künftiger Widerstände gegen die deutsche EU-Dominanz aus. In Europa finde derzeit 'eine größere Machtumverteilung' statt, in deren Rahmen Frankreich und Großbritannien klar hinter Deutschland zurückfielen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Schon heute komme es in Südeuropa zu heftigen Massenprotesten gegen die Diktate der Bundesregierung. Zwar hätten diese noch keine größeren Konsequenzen, doch solle man rechtzeitig einer möglichen Bildung von 'Gegenmacht' vorbeugen. Die SWP-Vorschläge dazu begleiten diverse Vorstöße aus dem Berliner Establishment, die auf eine Festigung der deutschen Dominanz über die EU und auf eine offensivere Weltpolitik seitens der nächsten Bundesregierung dringen. So hat erst kürzlich der Bundespräsident zum diesjährigen Nationalfeiertag ein offensiveres deutsches Auftreten in der Weltpolitik angemahnt; die SWP plädiert energisch für eine stärkere 'Führung' Berlins. Während die deutsche Dominanz über die EU heute als gegeben gilt, deuten sich Verschiebungen im Verhältnis zu einem wichtigen globalen Konkurrenten an - den Vereinigten Staaten.“13
Dies konnte zu dem Zeitpunkt nur auf die Unsicherheit zielen, ob das zwischenzeitliche Stillhalten der lateinischen Achse sich unter der Hand zu einer ernstzunehmenden Front gegen Deutschland formiert, sobald sich die ökonomische Krise wieder verstärkt. Zu Merkels Antrittsbesuch als wieder bestätigte Kanzlerin in Paris ergoss sich die Häme des deutschen Michels als Ausdruck nationaler Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomplexe über die ökonomisch am Boden liegende „hochnäsige“ Grande Nation:
„Newsletter vom 13.11.2013 - Die Abkopplung Frankreichs
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) - Mit spöttischen Schlagzeilen kommentieren deutsche Boulevard-Medien den gestrigen Paris-Besuch der deutschen Kanzlerin. 'Strahlende Siegerin trifft hilflosen Hollande', titelt die Springer-Presse mit Blick auf die dramatische wirtschaftliche Lage Frankreichs: Das Land blicke 'in den Abgrund'. Jenseits offener Stimmungsmache konstatieren Experten eine 'Abkopplung' der französischen Wirtschaft von der deutschen. Berlin habe der deutschen Industrie mit den 'Hartz-Reformen' - Lohnverzicht, Sozialkürzungen - einen erheblichen Vorteil verschafft, heißt es in Analysen. In Frankreich sei der Widerstand in der Bevölkerung gegen entsprechende Austeritätsprogramme bislang nicht zu brechen gewesen.
Die deutsch-französischen Differenzen seien so groß, dass inzwischen 'die Zweifel gewachsen' seien, 'ob es noch eine ausreichende Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit gibt', heißt es in einer aktuellen Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Als weiteren Beleg für die Erosion der Bindungen zwischen Deutschland und Frankreich interpretieren Beobachter den jüngst gefällten Pariser Beschluss, einen wichtigen Teil der Deutsch-Französischen Brigade aus der Bundesrepublik abzuziehen.“14
Kurz vor dem EU-Dezember-Gipfel der EU 2013 einigten sich die Finanzminister auf eine EU-Bankenunion. Deutschland war im wortwörtlichen Sinne vollständig isoliert in der Frage der Moneten für die Abwicklung maroder Banken.
„ Finanzminister Schäuble hat eine EU-Bankenunion ganz nach deutschem Geschmack gezimmert. Das sieht nach einem großen Sieg aus - könnte aber Europa und Deutschland bei der nächsten großen Bankenkrise teuer zu stehen kommen.
...
Sie haben eine strenge Haftungskaskade etabliert, nach der zunächst Bankenaktionäre, Anleihebesitzer und Sparer mit Vermögen über 100.000 Euro das Risiko tragen. Die Banken müssen zudem binnen zehn Jahren rund 55 Milliarden Euro in einen Notfallfonds einzahlen. Bis der gefüllt ist, soll neben nationalen Absicherungen notfalls auch der europäische Rettungsfonds ESM Gelder bereitstellen. Beantragen muss dies aber der Heimatstaat der jeweiligen Bank und auch dafür gerade stehen. Frühestens 2026 soll sich dies ändern.
Denn das war Berlin besonders wichtig: zu verhindern, dass der milliardenschwere ESM als Rekapitalisierungstopf für überschuldete europäische Banken herhalten soll. Schäuble stand mit dieser Haltung allein gegen 16 Kollegen, berichten Brüsseler Insider - 'höchst ungewöhnlich, normalerweise teilen wenigstens einige Länder Berlins Position'.“15
Was als ein weiterer Schritt zur „Vertiefung“ der EWWU nach deutschem Geschmäckle erhofft war, erwies sich auf Grund der totalen Selbstisolation des durchsetzungswilligen Hegemons de facto als erneutes deutsches Diktat an die „Partner“. Eine absurde Konstruktion: die EZB übt die zentralisierte Kontrolle über die wichtigsten 160 europäischen Banken aus, die dadurch bezüglich ihres nationalen Bankensystem faktisch ausgeschalteten Nationalstaaten sollen den Banken-Abwicklungsfonds dagegen selbst subsidiär absichern bis dieser von den Banken bis 2024 auf 55 Mrd. Euro aufgefüllt ist – ein lächerlicher Tropfen bei einem Verschuldungsvolumen der europäischen Banken in Höhe von ca. 30 Billionen Euro16. Und dann soll der Abwicklungsfond in sage und schreibe 10 Jahren auf obige Alibisumme aufgefüllt werden, wo es jeden Tag im Gebälk der nationalstaatlich zersplitterten europäischen Bankensysteme richtig krachen kann. Trotz aller von Schäuble öffentlich zur Schau getragenen Zuversicht gibt es zudem juristische Schlupflöcher zur „Vergemeinschaftung“ der Schulden – worauf AfD Chef Lucke zurecht hinwies, sicherlich in Abstimmung mit den in seiner Partei versammelten Professoren der Verfassungsklagen gegen die finanz- und währungspolitischen Beschlüsse der Maastricht-Verträge 1992 sowie gegen die Einführung des Euros 199717. Die Bankenunion kann sich schnell als ein erneuter Pyrrhussieg des verbissen kämpfenden sparsamen schwäbischen Hausmanns herausstellen. Es scheint, dass Deutschland EU-vertiefende-Vertragsänderungen erpressen will als Bedingung dafür, dass die EU-“Partner“ an den ESM als Instrument der Abwicklung maroder Banken ran kommen wollen.
Unmittelbar nach der Entscheidung der EU-Staaten zur Bankenunion, fand jener EU-Dezember-Gipfel statt, dessen inhaltslose Verlautbarungen bezüglich der GASVP im vorherigen Kapitel zur Sprache kam. Auch bezüglich der EWWU setzte sich die jahrelange, zermürbende wirtschaftspolitische Hinhaltetaktik der „Partner“ fort:
„Zum sage und schreibe sechsten Mal ist das Zieldatum für die von Berlin so vehement geforderten Reformverträge zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten verschoben worden. Schon im Dezember 2012 standen die Abkommen, die wirtschaftspolitische Reformzusagen in Europa verbindlich machen sollen, auf der Agenda. Im Oktober hatte Merkel für diesen Gipfel Entscheidungen angekündigt. In der Gipfel-Vorbereitung hieß es dann, dass die Entscheidungen zu den Reformverträgen im Juni 2014 fallen sollten. Nun ist es der kommende Oktober geworden. 'Da wird', gab Merkel zu, 'noch viel Arbeit nötig sein.'
Berlin wird beim Thema der Reformverträge vor allem Überzeugungsarbeit leisten müssen. Denn nach Angaben eines belgischen EU-Diplomaten kann Merkel bisher nur auf die Unterstützung von Barroso und Van Rompuy zählen: 'Die Opposition kommt nicht nur aus den Club-Med-Ländern, sondern auch aus Staaten wie den Niederlanden.'“18
Deutlicher kann die Hinhaltetaktik der ihren nationalen Interessen verpflichteten EU-“Partner“ nicht ausfallen. Deutsche „Überzeugung“ „argumentiert“ in der Regel mit Scheckbuchpolitik und Repressionen. Im Wirtschaftsblatt kam noch klarer zur Sprache, wer Deutschland in seiner Not als einziger Unterstützer zur Seite sprang:
„Auch wenn in Deutschland gerne auf 'die EU-Bürokraten' geschimpft wird: Merkels einzige Bündnispartner sitzen derzeit in den Brüsseler Bürotürmen. Es sind José Manuel Barroso, der Noch-Kommissionspräsident sowie Ratspräsident Herman Van Rompuy. Dazu kommt EZB-Chef Mario Draghi. Auch aus deren Sicht spielt Deutschland in einer anderen Liga als der Rest der EU-Länder. Wenn diese eine deutsche Hegemonie wirklich verhindern wollten, müssten sie erst einmal ihre Hausaufgaben machen, heißt es in Brüssel. Mit Hausaufgaben sind Reformen gemeint.“19
Kein Wunder, dass die EU-Kommission Deutschland unterstützte: die BRD boxte in den 1960er Jahren eine eigenmächtige EG-Kommission gegen Frankreichs Vorstellungen vom intergouvernementalen Charakter der EG-Verträge durch. Die BRD setzte schon damals klar auf die Priorität „Tiefe“ vor „Breite“ der europäischen Integration als Kontinuitätslinie ihres „Kern-Europa“-Modells I. Der Entwicklungsgang des zentralen Organs der EG/EU seit 1957 ist Thema von Teil II der Arbeit. Die EU-Kommission machte nach 28 jähriger selbstlernender Verpuppungsphase 1985 die Metamorphose durch zu einer zunächst von Jacques Delors neu ausgerichteten und danach von „schwachen“ Präsidenten geführten, sich parkinsongemäß aufblähenden, bürokratischen Großorganisation mit dem „geheimen“ Befehlszentrum in Berlin. Spätestens mit dem Ende der EU-Kommissions-Präsidialzeit Jacques Delors 1995 entwickelt sich die EU-Kommission unter deutschem Druck mehr und mehr Richtung einer funktionstüchtigen eigenmächtigen EU-Exekutive. Deutschland versucht, – wie es vorstehend die professoralen Claqueure einforderten – die EU-Kommission als EU-Wirtschaftsregierung durchzusetzen. Das wäre die zentralistische ökonomische Basis der VSE, flankiert von der EZB, der nur noch eine funktionsfähige GASVP fehlen würde um als „Europa“ Weltmacht zu erlangen. Durch die stetige Zunahme von Eigenbefugnissen bezüglich vieler Politikfelder entfaltete der bürokratische Apparat der Kommission schon bisher ein zunehmend machtpolitisches Eigenleben. Die EU-Kommission wurde zum unentbehrlichen zentralen EU-Organ des Hegemons, ist von ihm abhängig und unterstützt diesen daher aus eigenen existentiellen Interessen bei dessen Bestrebungen hin zu den VSE. Offensichtlich ist die EU-Kommission gewillt, die propagandistische Peitsche zur Durchsetzung der „Wettbewerbsfähigkeit“ unwilliger EU-“Partner“ selbst zu übernehmen, um so den isolierten Hegemon aus der Schusslinie zu holen.
Die EU-Kommission wusste um die Grenzwanderung ihres Beistands des isolierten Deutschlands auf dem EU-Dezembergipfel. Daher schickten zwei Kommissare kurz vor der Jahreswende 2013/14 folgende ungewohnt undiplomatische Jahresbotschaft an die Bewohner aller EU-Staaten: „EU-Kommission: Oettinger und Rehn warnen vor deutscher Dominanz“:
„'Deutschland ist zwar das größte Mitgliedsland, aber eben nur eines von 28': Im SPIEGEL fordern prominente EU-Kommissare Kompromissbereitschaft von der Bundesregierung. Kleinere Staaten müssten vollwertig in Entscheidungen einbezogen werden, mahnen Olli Rehn und Günther Oettinger.
Die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion hält der Präsident der Europäischen Zentralbank für weitgehend gebannt. 'Die Krise ist nicht überwunden, aber es gibt viele ermutigende Zeichen', sagte er in einem Gespräch mit dem SPIEGEL.“20
Da haben sich zwei Ungeduldige – der Hegemon und sein supranationales Organ der EU – nach zwanzig Jahren Doppelgespann als EU-Zampanos in eine Zwickmühle gebracht, aus der sie wie auch ihr Züchtigungsinstrument EBZ nicht ohne Blessuren herauszukommen drohen. Ihr wirtschaftspolitisches Dalli Dalli bezüglich der Vertiefung der EWWU verpufft im diplomatischen Getriebe der inzwischen Protektionismus betreibenden EU-„Partner“. Die Vertiefung der EWWU geht nach Berliner, Brüsseler und Frankfurter Vorstellungen im machtpolitischen Hier und Jetzt viel zu langsam, um sich als EU auf dem machtpolitischen Weltparkett Gehör zu verschaffen und den erhofften Einfluss zu gewinnen.
Dem unbefriedigenden Zustand soll Abhilfe verschafft werden. Der Stillstand in der Umsetzung der Fiskalunion seit Ende 2011 sowie in Fragen der an sie gekoppelten jeweiligen nationalen „Reform“-Agenda der EU“Partner“ zur Erhöhung ihrer „Wettbewerbsfähigkeit“ scheint 2014 durch Frankreichs Einschwenken auf Deutschlands sozial-politischen Frontalangriff der Agenda 2010 auch in Kerneuropa in Bewegung zu kommen:
„Newsletter vom 17.01.2014 - Le modèle Gerhard Schröder
PARIS/BERLIN (Eigener Bericht) - Mit lautem Beifall quittiert Berlin die Übernahme deutscher Austeritätsmodelle durch den französischen Staatspräsidenten François Hollande. Dessen Ankündigung, die Staatsausgaben zu kürzen und dafür die Wirtschaft spürbar zu begünstigen, könne 'nur als gute Botschaft verstanden werden', erklärt Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Deutsche Medien weisen darauf hin, dass Hollande Maßnahmen ankündigt, die - teilweise im Detail - der deutschen 'Agenda 2010' nachempfunden sind. Letztere wurde im Bundeskanzleramt der Ära Schröder vom damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier federführend entwickelt. Mit ihr ist es Berlin gelungen, seine ökonomische Vorherrschaft über Europa zu festigen. Ob es Paris gelingt, die deutsche Austeritätspolitik nachzuahmen, gilt als ungewiss: Bereits Hollandes Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy hatte dies versucht, hatte mit seinem Vorhaben jedoch im Frühjahr 2012 die Präsidentschaftswahlen verloren. Unabhängig davon werden in Berlin erneut Schritte zum Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften diskutiert. Bundespräsident Joachim Gauck hat am gestrigen Donnerstag beklagt, der Begriff 'neoliberal' sei negativ besetzt; das müsse sich ändern.“21
Die als PIIGS-Staaten herabgewürdigten Pleitestaaten der Euro-Zone-Peripherie waren im Zuge der Bankenkrise nach der Lehman-Pleite 2008 soweit in die Knie gegangen, dass sie gegen ihre Malocher verschärfte Versionen der Schröder'sche Agenda 2010 durchsetzen mussten, um an die Garantien des ESM zu gelangen und so ihre überschuldeten nationalen Bankensysteme vor dem Kollaps zu bewahren. Hierdurch sollten Dominoeffekte auf die hoch verflochtenen nationalen Bankensysteme der Euro-Zone abgebremst werden.
Das wirtschaftspolitische Verharren Frankreichs entwickelte sich zum Bremsklotz der Dynamisierung der EU. Letztlich starrte Frankreichs politische Elite schon seit Chirac's Präsidialzeit, unter Sarkozy's Amtszeit und und seit Hollande' Amtsantritt 2013 erst recht auf ihren Pöbel wie das Kaninchen auf die Schlange: Wird der notwendige Generalangriff auf die lohnabhängige Klasse die politische Elite verschlingen? Die Zeit für Salamitaktik war verstrichen. Die Scheibchen, die seit 1995 aus dem Leib der Proleten geschnitten wurden, sind der französischen Bourgeoisie zu dürftig gewesen. Jetzt geht es um die ganze Wurst. Diesmal können sie nicht die deutsche Reichswehr gegen ihre Malocher zur Hilfe rufen, wie es die kollaborierende französische Montanindustrie 1940 eiskalt durchzog. Diesmal muss das französische politische Personal selbst den überkommenen Klassenkompromiss mit einem relativ hohen historischen Wert der Ware Arbeitskraft substanziell liquidieren. Nicht nur die supranationalen Propaganda-Apparate der Bourgeoisie zielen auf Frankreichs „Arbeitsmarkt“-„Reformen“, sondern Deutschland und Britannien als enge EU-Partner sitzen Frankreich im Nacken. Erst, wenn Frankreich seine „Pflichtaufgaben“ zur Verbesserung der „Wettwerbsfähigkeit“ erfüllt, können Britannien und Deutschland die nächste Runde der Erhöhung der „Wettbewerbsfähigkeit“ durch drehen an der schnell wirkenden Stellschraube sozial-ökonomischer Austerität auf den Weg bringen. Das Schreckgespenst China wird dafür zukünftig herhalten müssen.
Zur Vorbereitung der deutschen innenpolitischen Agenda 2020 rief der deutsche Amts-Apostel der „Freiheit“ die Erinnerung an die ordoliberalen „Freiheitspropheten“ ins Gedächtnis der staatsgläubigen deutschen Volksgemeinschaft:
„....
Hier in Freiburg haben unabhängige Geister – in Zeiten totalitärer Herrschaft – eine Ordnung der Freiheit entworfen, eine Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg, in Zeiten großer Skepsis gegenüber liberalen Wirtschaftssystemen, dazu beigetragen hat, Deutsche mit Marktwirtschaft und Wettbewerb zu befreunden. Hier wurde ein Kapitel der Freiheitsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland geschrieben.
Denn die Freiheit wurde als wichtiges Thema in die Gesellschaft eingebracht, indem man über die Freiheit der Wirtschaft redete. Denn Freiheit in der Gesellschaft und Freiheit in der Wirtschaft, sie gehören zusammen. Wer eine freiheitliche Gesellschaft möchte, möge sich einsetzen für Markt und für Wettbewerb und gegen zu viel Macht in den Händen weniger. Er muss aber auch wissen: Eine freiheitliche Gesellschaft beruht auf Voraussetzungen, die Markt und Wettbewerb allein nicht herstellen können.'
…...
Dies könnte nun das Happy End sein: Soziale Marktwirtschaft, sie hat sich durchgesetzt, und gut! Und es ist ja auch so: Deutsche Unternehmen verkaufen weltweit erfolgreich ihre Produkte, wir genießen – dank dieses wirtschaftlichen Erfolges – nicht nur einen materiellen Wohlstand, sondern auch einen sozialen Standard, den es so nur in wenigen Ländern der Welt gibt.
Und doch halten viele Deutsche die marktwirtschaftliche Ordnung zwar für effizient, aber nicht für gerecht. Mit Marktwirtschaft assoziieren sie – laut einer aktuellen Umfrage – 'gute Güterversorgung' und 'Wohlstand', aber auch 'Gier' und 'Rücksichtslosigkeit'. Das ist nun freilich nichts Neues. Ähnliche Forschungen in der Seele der Deutschen fördern seit Jahrzehnten relativ konstante Sympathien für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zutage. Schon Bundespräsident Heuss sprach vom 'gefühlsbetonten Antikapitalismus' der Deutschen, den er zu Recht für einen 'unreflektierten Antiliberalismus' hielt."22
Der lutherisch-asketische gute Hirte kennt seine Schäfchen seit Luthers Zeiten gut. Scheinheiligkeit ist die Lieblingsrolle der deutschen Neid-Geiz-Volksgemeinschaft: sie zieht seit 1950 ansehnliche persönliche Vorteile aus dem dem „Neoliberalismus“ zu verdankenden fortwährenden deutschen Exportboom und verdammt gleichzeitig moralisch empört die „ungerechten“ Seiten des „Systems“ und jene böse Buben, die „uns“ das da „oben“ eingebrockt haben. Der Nationalseelsorger erinnerte die unwilligen Eigenverantwortlichen daran, dass jene ordoliberalen Freiburger Propheten23 das „wichtige Thema“ „Freiheit“ in die Gesellschaft „einbrachten“, „indem man über die Freiheit der Wirtschaft redete“. So kam also die Freiheit in die BRD-Gesellschaft - und nicht durch die militärische Befreiung von außen durch die Allierten! Die Ordnung der „Freiheit“ besteht demnach inhaltlich in der kartellamtlichen Durchsetzung des möglichst scharfen – aber bitteschön fairen! – freiheitlichen Wettbewerbs aller „Markt“-teilnehmer – also auch der freien Träger der Ware Arbeitskraft. Das „Wirtschaftswunder“ nach 1949 war folgerichtig auch ein „Freiheitswunder“. Dass der in der staatlichen Hängematte aufgefangene deutsche Michel jene „Freiheit“ nicht als Gottes Geschenk dankend annimmt, wurmt den bestallten Apostel der Freiheit. Da wird die deutsche Politik den Michel wohl mit „aktivierender Sozialpolitik“ Mores lehren, um der gelben Gefahr wettbewerbsfähig zu trotzen! Es ist zu erwarten, dass die GroKo schon 2014 die Tarifeinheit24 gesetzlich durchdrücken wird, die Steinmeier beim Tag des BDA25 ankündigte. Dadurch wären schon mal die sich aus Protest gegen das Gewerkschafts-Co-Management neu bildenden kämpferischen kleinen Spartengewerkschaften des Streikrechts beraubt.
Die Hatz zur neuen Wettbewerbs-Runde ist also in allen Ländern der EU eröffnet. Nur geht in der dynamisierten Wettbewerbs-Konkurrenz der EU-Nationen die Schere der mittelfristigen Produktivität der nationalen Gesamtkapitale noch weiter auf. Die durch die Einführung des Euros verstärkte Problemlage der ungleichmäßigen Entwicklung der nationalen Gesamtkapitale der Euro-Zone-Mitgliedsstaaten und Deutschlands Stellung hierin wurden in Kapitel 32 unter den Punkten 1. und 2. abgehandelt. Dort wurde die laufende Deindustrialisierung der EU-Staaten angesprochen. Die erhoffte und propagierte Kohäsion der EU-Staaten schlug spätestens 2008 in Dissoziation um. Die Überflüssigen der Euro-Zone-Peripherie-Länder emigrieren in die Zentren der Lohnarbeit. Deutschland profitierte 2013 überproportional vom Brain Drain aus Süd-(Ost)Europa. Deutschland profitierte bisher von der Weltwirtschaftskrise. Dessen Bonität spült dem schwäbischen Hausmann u.a. laufend Mrd. Euro Gewinn in die deutsche Staatskasse aus der Spanne von zu niedrigem Zins aufgenommenen eigenen Staatsschulden und deren Ausleihung zu höherem Zins an seine maroden EU-“Partnern“. Deutschlands eigenen ökonomischen Schwächen werden überdeckt durch die ungleich größeren Schwächen der EU-“Partner“.
Zu glauben, die schon seit Mitte der 70er Jahre währende strukturelle Überakkumulation des Kapitals mit fortwährender Senkung des Lebensstandards der lohnabhängigen Klasse überwinden zu können, ist lächerlich. Die Akkumulationsrate des industriellen Kapitals hinkt seither weit hinter der Profitrate her. Investitionen zur Rationalisierung der Maschinerie übertreffen die Neuanlage industriellen Kapitals signifikant, „Boom ohne neue Arbeitsplätze“ hieß seit 30 Jahren die entsprechende Sprachwendung in allen entwickelten Industriestaaten. Alle Kennzahlen der Entwicklung der Nationalökonomien der entwickelten Industrienationen weisen auf eine langanhaltende deflationäre Stagnationsperiode26 hin, wie sie Japans Volkswirtschaft seit 1992 zerrüttet. Japan hat den anderen vorexerziert, dass selbst die ungeheuerlichsten „Konjunkturprogramme“ nur Strohfeuer entfachen, ohne einen selbsttragenden ökonomischen Aufschwung in Gang setzen zu können. Deutschland wird sich aus der auch in der EU nun schon 10 Jahre laufenden Entwicklung schwachen Wirtschaftswachstums kaum alleine befreien können.
Der Kampf Deutschlands um eine einheitliche EU-Finanz- und Wirtschaftspolitik zur Erzwingung der „Wettbewerbsfähigkeit“ der EU-“Partner“ wird nochmals im anschließenden Kapitel aufgegriffen, da dies der gegenwärtige deutsche Hebel ist, um die „Partner“ Richtung VSE zu drängen.
Nochmals ein Wort zu den in allen drei Unterkapiteln von Kapitel 33 angehäuften mehr oder minder ausführlichen Zitaten: die unmittelbar ablaufende Gegenwartsgeschichte ist in ihren Tendenzen nur durch das Heranziehen der jeweils aktuellen ökonomischen und politischen Entscheidungen und deren ideologischen Begleitmusik hypothesenmäßig skizzierbar. Erst nach offenlegen der Akten der jeweiligen nationalen Außenpolitiken in frühestens 30 Jahren wird nachprüfbar, ob alle hier zitierten Ideologieelaborate historisch in der Mülltone gelandet sind oder die sich durchsetzenden geschichtlichen Tendenzen gestützt haben. Die hier häufig herangezogenen kritischen „Informationen zur deutschen Außenpolitik“ von German-Foreign-Policy.com, die in vieler Hinsicht die Argumentationslinien des Autors stützen, können allerdings ebenso in dieser Mülltonne landen, wie das Hypothesengerüst des Autors selbst – wenn es denn im Gegensatz zur historischen Wahrscheinlichkeit einen geordneten deutschen Rückzug aus der EU-Bredouille geben sollte. Es blieb dem Autor allerdings nichts übrig, als sich auf dünnes ideologisches Glatteis zu begeben, um die Tendenzen des dritten deutschen Neuordnungsversuchs Europas in den Schlusskapiteln zu skizzieren.
Deutschland hat sich nach vorliegenden Skizzierungen mit der schnellen Einführung der Euro-Währungsunion und einer zu „vollendenden“ EWWU übernommen und überhebt sich mit den Lasten ihrer überdimensionalen Aufrechterhaltung. Gerade weil Deutschland das Projekt Europa nicht mit einem schlichten EU-Binnenmarkt abzurunden gedenkt, sondern die EU durch drängen der „Partner“ zu VSE offen als Instrument seines Aufstiegs zur Weltmacht nutzen will, besteht die Gefahr, dass es notfalls als europäische Vormacht in modifizierter Form wieder seinen hässlichen imperialen Eskapismus aufnimmt.
1 Hinweis auf Endnote 5 von Kapitel 20:41 Die Bundesbank konnte bei der Euro-Währungsunion auf die zahlreichen Erfahrungen der Reichsbank von 1928 bis 1945 mit der Clearing-Stelle für internationalen Zahlungsverkehr zurückgreifen. Insbesondere nach dem Sieg über Frankreich 1940 wurden in deren Kontext Konzeptionen für eine Währungsunion entworfen, deren Vorstellungen Kontinuitätslinien mit der Euro-Währungsunion aufweisen.
Siehe: Mark Buggeln, Währungspläne für den europäischen Großraum. Die Diskussion der nationalsozialistischen Wirtschaftsexperten über ein zukünftiges europäisches Zahlungssystem, in: Sandkühler, Thomas, Hg. (2002): Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960, Wallstein Verlag Göttingen; Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18.
Die Kontinuität der deutschen Bestrebungen zu einer Währungsunion der EWG gewann 1968 inoffizielle Konturen: Hans von der Groeben, Probleme europäischer Währungspolitik. Für die schrittweise Einrichtung eines europäischen Währungssystems. in: «Geldtheorie und Geldpolitik - Günter Schmölders zum 65.Geburtstag», Berlin 1968. Der Herr legte 'seine private' Meinung als Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein halbes Jahr vor dem weichenstellenden ersten EG-Gipfel von Den Haag vom Juli 1969 dar. Dort wurde die Erarbeitung eines Konzepts für eine EG-Währungsunion als Auftrag an die Werner-Kommission gegeben. Diese erörterte die Fragestellung auf den zwei Polen: Grundsteintheorie oder Krönungstheorie, wobei die Währungsunion im ersten Fall schocktherapeutisch sofort durchgezogen wird (z.B. DDR-Annexion), im anderen als 'Krönungsschritt' einer längeren Anpassung der Volkswirtschaften vollzogen wird wie angeblich auch beim Euro.
2 Ognian Hishow, Schuldenbremsen in der EU: Das ultimative Instrument der Budgetpolitik? Bremsmechanismus, Bremskraft und Bremsleistung. SWP-Studien 2012/S 02.
3 Annie Lacroix-Riz, Frankreich und die europäische Integration – Das Gewicht der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und Deutschland 1920 – 1955. In: Sandkühler, Thomas (2002): Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960, Wallstein Verlag Göttingen; Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18.
4 Lesenswerte Kommentare zur Entwicklung des Weltmarkts, zu den südeuropäischen Staaten sowie zu den Target2 Salden, siehe: http://www.querschuesse.de/
5 Gunnar Beck, „Euro-Rettung bindet Deutschland an einen Leichnam“, Gastbeitrag Handelsblatt Online 26.11.2012
6 Sascha Lehnartz, Freundschaftsjubiläum – Die heftigen Böen über "chère Angela" und Holland, DIE Welt Online 08.07.2012
7 Newsletter vom 09.08.2012 – Vor dem Kollaps mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58395
8 Ute Müller, Spanien und Italien – die Basta-Achse gegen Merkel DIE WELT Online 02.08.2012
9 Newsletter vom 07.08.2012 – Wirtschaftskulturen, Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58393
10 Daniela Schwarzer, Guntram B. Wolff, Neuer Anlauf für die Eurozone - Drei Maßnahmen würden kurzfristige Risiken mildern und die Chance auf eine notwendige Vertragsreform verbessern. SWP-Aktuell 2013/A 55, September 2013
11 Mehr Rechte für EU-Kommission: Merkel will europäische Verträge ändern SPIEGEL Online 19.10.2013
12 Euro-Vertrag - Mobil, gerecht, einig. Die Glienicker Gruppe – elf deutsche Ökonomen, Politologen und Juristen – entwerfen ein neues Europa. Zeit Online 14.10.2013
13 Newsletter vom 05.11.2013 - Die Dominanz über Europa. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58726
14 Newsletter vom 13.11.2013 - Die Abkopplung Frankreichs. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58733
15Gregor Peter Schmitz, EU-Bankenunion: Ein morsches Konstrukt, Spiegel Online 19.12.2013
16 Bernd Lucke, Tür für Vergemeinschaftung von Schulden ist offen, Handelsblatt Online 19.12.2013
18 Christopher Ziedler, EU-Gipfel Merkel stößt mit Reformverträgen auf Granit, Tagesspiegel Online 20.12.2013
19 EU-Gipfel in Brüssel - Machtlose Merkel, Handelsblatt Online 20.12.2013
20 EU-Kommission: Oettinger und Rehn warnen vor deutscher Dominanz, Spiegel Online 30.12.2013
21 Newsletter vom 17.01.2014 - Le modèle Gerhard Schröder. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58776
22 Joachim Gauck, Festveranstaltung des Walter Eucken Instituts, Freiburg, 16. Januar 2014
23 Was die Freiburger Schule und deren Einfluss auf die „Wirtschaftsordnung“ der BRD betrifft: Zum internen deutschen Kampf der Funktionalisten um L. Erhard und der Institutionalisten um W. Hallstein um den Integrationskurs Europas, der unter der Vermittlung von A. Müller-Armack in den Eicherscheider Beschlüßen 1960 zu Gunsten der Institutionalisierung der EWG-Kommission entschieden wurde und als Kompromiss ein starkes Kartellamt der EWG zur Stärkung des „Wettbewerbs“ der EWG-Staaten einzog, siehe: Olaf Breker, Ordoliberalismus – Soziale Marktwirtschaft – Europäische Integration. Entwicklung einer problematischen Beziehung. In: Sandkühler, Thomas, Hg. (2002): Europäische Integration. Deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Westeuropa 1920 – 1960, Wallstein Verlag Göttingen; Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 18.
24 Vorzügliche Darstellung: Detlef Hensche, „Schwarz-rotes Streikverbot“ Blätter für deutsche und internationale Politik 1/14
25 Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Steinmeier auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2013. Zur Tarifeinheit ab Minute 15:43 und insbesondere ab Min. 17
26 Mark Schieritz , Summers-Debatte - Das Ende des Wachstums, Handelsblatt Online 25.12.2013, Quelle: Zeit Online