Deutschlands aktueller Kampf um die Ukraine

von Emil Neubauer

Die deutschen Gazetten berichten seit zwei Monaten per „Liveticker“ in unappetitlich „demokratischer“ Selbstgefälligkeit über die vom ultranationalistischen bis faschistischen Mob getriebenen bürgerkriegsähnlichen Vorgänge in der Ukraine.

 

Klitschko wirbt auf der Münchner Sicherheitskonferenz für eine Integration der Ukraine ins "deutsche Europa"
Klitschko wirbt auf der Münchner Sicherheitskonferenz für eine Integration der Ukraine ins "deutsche Europa"

 Die Art und Weise herablassender und auf Gutsherrenart aus Berlin und Brüssel verlautbarten „Beurteilungen“ und „Empfehlungen“ zur „Gewaltlosigkeit“ sind eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates. Deutschland verbietet sich beispielsweise selbst vehement die harmloseste Kritik an seiner Exportoffensive, mit der es die Industrien der EU-“Partner“ nieder konkurriert.

Der deutsche Schrei nach Beachtung der Menschenrechte durch Kiew ist eine Farce, wenn man bedenkt, dass sich dort eine auf Basis freier Wahlen legitimierte Regierung mit groben Mitteln gegen einen aggressiven Mob wehrt, während die Herren daheim wegen angeblich drohender Gefahr durch einen verlorenen Haufen von Autonomen städtische „Gefahrenzonen“ einrichten.  Daran ist abzulesen, was dem deutschen Michel droht, wenn er denn mal aufwachen würde. Deutschland und die EU-Kommission spielen tagtäglich die Brandstifter im ukrainischen Bürgerkrieg und gerieren sich dabei als biedere "Menschenfreunde".

 

Hier an der Stelle wird keinem einzigen nationalen geschäftsführenden Ausschuss der nationalen Bourgeoisien das Wort geredet. Schließlich ist die politische Weltarena mit der Weltwirtschaftskrise 2006 in ein Hauen und Stechen der führenden Nationalstaaten um die Neuaufteilung des Weltmarkts übergegangen. Daher verweist auch das mit der Ukraine-Krise einhergehende Herumtrampeln homophober deutscher Altparteien auf der homophoben russischen Öffentlichkeit anlässlich der Winterolympiade in Sotschi auf anderes, das auch bei der gerade gelaufenen Münchner Sicherheitskonferenz 2014 gepusht wurde: Deutschland will seine Weltmachtrolle pfäffisch ummantelt mit allen Mitteln – auch militärischen – ausbauen.

 

Zur Ausdehnung seiner Vormacht in Europa destabilisiert Deutschland in historischer Kontinuität des Teile und Herrschen schon lange vor 1990 die Nationalstaaten Europas in altdeutsch-völkischer Manier: in den 1990ern betrieb die deutsche Menschenrechts-Nation die sukzessive Zerlegung der BRJugoslawien, nun dynamisiert es unter gleichem Label der "Menschenrechte" den Zerfall der Ukraine und demnächst droht sich die Balkanisierung Europas nicht nur in Spanien (Stichwort Katalonien) fortzusetzen, sondern in Großbritannien (Schottland), Belgien (Flandern), Italien (Südtirol, Padania)...

 

Sich gegenüber der virulenten Gefahr der völkischen Sezessionskriege in europäischen Nachbarländern ahnungslos gebend, plädierte der deutsche Oberhirte selbst auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit preußischer Chuzpe für die deutsche Formel „Menschenrecht bricht UN-Völkerrecht“:

 

Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. Hier setzt das 'Konzept der Schutzverantwortung' an: Es überträgt der internationalen Gemeinschaft den Schutz der Bevölkerung vor Massenverbrechen, wenn der eigene Staat dieser Verantwortung nicht nachkommt. Als äußerstes Mittel ist dann der Einsatz von Militär möglich, und zwar nach sorgfältiger Prüfung und Folgenabwägung sowie Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.“1

 

Das erinnert fatal an die Konzeption eines liberalen oder gar ethischen Imperialismus deutscher Färbung von 1915 des Pfaffenbruders Friedrich Naumann2.

 

Die Spatzen der GroKo pfeifen es auf allen Wellenlängen: die ökonomische europäische Vormacht Deutschland beansprucht jetzt auch die offene politische Führung in der EU samt einer Vereinheitlichung der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik der EU. Deutschland will auf dem Rücken des von ihm neu geordneten Europa seine Weltmachtrolle ausbauen. Die EU-Kommission flankiert als deutsches supranationales EU-Exekutiv-Organ den dritten Neuordnungsversuch Berlins, um selbst zu überleben. Beim Stichwort „Europa“ sollte stets bedacht werden, was der NS-Ober-Europäer überhaupt: Werner Daitz, Mitglied des Außenpolitischen Amtes, 1940 in einer Denkschrift von sich gab:

 

"Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geografischen Lage."3

 

Das Mantra Europa ist ist aus der Sicht Deutschlands die Chiffre für Europa als Bundesstaat unter impliziter oder expliziter deutscher Führung als Zweckgemeinschaft zum Aufstieg zur Weltmacht – nun auch des 21. Jahrhunderts. Hierin spielt Russland für Deutschland eine Sonderrolle. Die Vorgänge in der Ukraine 2013/14 blieben ohne die Herstellung dieses Zusammenhangs unverständlich. Daher dazu folgend ein Auszug aus Kapitelfolge 32 vom 16.01.2014 von: Der hässliche Deutsche – dritter Akt? - Teil I: Kritik der deutschen Zustände und Ideologie, insbesondere der deutschen Außenpolitik der Berliner Republik nach 1989

 

32. Zwischenbilanz III: Deutschlands Stellung im Weltmachtgefüge nach 2010

 

.........

C Szenarien der Ideologie-Produktion: Deutschland auf der Suche nach strategischen Verbündeten für seinen eigenen Aufstieg zur Weltmacht unter dem Logo EUROPA

Nun wird vom militärpolitischen Feld der deutschen Stellung auf dem Weltparkett zur Ideologieproduktion der Großmachtstrategen über gewechselt. Der neo-wilhelminische Traum von der „Politik der freien Hand“ hin zu einer Weltmachtrolle wird von den deutschen „Denkern“ selbstverständlich weiterhin gesponnen. Deren Überlegungen zu möglichen deutschen Optionen auf der Weltmarktebene Anfang 2012:

 

Die Rückkehr der Machtfrage 13.01.2012 BERLIN

(Eigener Bericht) - Berliner Regierungsberater stellen die grundsätzliche außenpolitische Orientierung Deutschlands zur Debatte. Gegenwärtig kehre 'die Machtfrage zurück', urteilt der Autor eines Beitrags in der einflussreichen Zeitschrift Internationale Politik. Hintergrund seien die weltpolitischen Umbrüche, zu denen sich die Bundesrepublik aufgrund ihrer ökonomischen und politischen Stärke positionieren müsse - der Aufstieg Chinas und die durch ihn motivierte Hinwendung der Vereinigten Staaten zum Pazifik, aber auch die ernsten Krisen auf beiden Seiten des Atlantik, die Zweifel daran weckten, ob die USA ihre erdrückende militärische Stärke auch in Zukunft finanzieren könnten und ob die EU dauerhaft Bestand haben werde. Angesichts der Lage müsse Berlin entscheiden, was es künftig vom Bündnis mit Washington und von der sogenannten europäischen Integration erwarte und wer in der EU das Sagen haben solle. Zunehmend diskutiert wird, heißt es, auch eine 'nationale Option': der 'deutsche Weg'. Berlin könne sich bei seiner globalen Machtpolitik auch für einen Mix aus transatlantischem Pakt, Europa und Alleingang entscheiden.

Die neue Normalität

Wie es in dem Diskussionsbeitrag heißt, den die Zeitschrift Internationale Politik, das bedeutendste Organ des außenpolitischen Establishments in der Bundesrepublik, in ihrer aktuellen Ausgabe zur Debatte stellt, könne Deutschland es 'sich nicht mehr leisten, außenpolitisch auf Sicht zu fahren'. Mit der Übernahme der DDR im Jahr 1990 sei hierzulande eine neue 'Normalität' eingekehrt, die es der Regierung ermögliche, zwischen mehreren Optionen zu wählen; in Frage kämen 'nationale Eigenständigkeit, transatlantische Koordination oder Einbettung in die EU'. Da die Bundesrepublik auf der einen Seite angesichts knapper Kassen ihre Ressourcen bündeln müsse und andererseits das 'Gewicht Deutschlands in den letzten Jahren erheblich gewachsen' sei, müsse Klarheit geschaffen werden - über den 'eigenen Standort', die 'eigenen Interessen', den 'Entwurf einer Zielvision und des Weges dorthin'. In einem 'größeren historischen Rahmen' könne man von einer 'Rückkehr der Machtfrage' sprechen - der Frage, wer einerseits innerhalb der EU und andererseits in der Welt den Ton angebe.[1]

Globale Perspektiven

Hintergrund der aktuellen Debatte sind die weltpolitischen Umbrüche seit 1990. Hatten zunächst die Vereinigten Staaten unbestritten die globale Hegemonie inne, verschieben sich zur Zeit die Kräfte grundlegend. Ursache ist nicht nur das deutsche Bemühen, die EU zum Rivalen Amerikas aufzubauen, sondern vor allem der Aufstieg der Volksrepublik China. Das Land ist auf dem Weg, die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden, und steht vor einem entsprechenden politischen Einflussgewinn (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Washington hat mittlerweile offiziell erklärt, im Mittelpunkt seiner globalen Politik werde künftig China und dessen südostasiatisches und pazifisches Umfeld stehen. Die Schwerpunktverlagerung weg vom Atlantik wird weithin mit dem Etikett 'pazifisches Jahrhundert' versehen.[3] Zugleich ist unklar, ob die USA ihr Militär in Zukunft auf dem aktuellen Niveau halten können. Als sicher gilt, dass die Finanzkrise, in die das Land 2007 geraten ist, ein weiteres Wachstum des Streitkräftehaushalts erschwert. Strittig ist, ob dies langfristig die Schlagkraft der US-Truppen verringert, die ihren Militäretat seit 2001 beinahe verdoppelt und die Streitkräfte umfassend modernisiert haben. Präsident Obama hat letzte Woche angekündigt, die U.S. Armed Forces würden in Zukunft nicht mehr in der Lage sein, zwei große Landkriege gleichzeitig zu führen.[4] Das trägt aber nur den Überlegungen von Militärstrategen Rechnung, die nach ihren Erfahrungen in Afghanistan und im Irak von der großangelegten Besatzung fremder Staaten eher abraten.[5]

Partnership in leadership

In der Internationalen Politik heißt es nun, 'die viel diskutierte Abwendung der USA von Europa' sei 'kein Schicksal': Berlin habe 'die Option, das Angebot der 'partnership in leadership', das vor über zwei Jahrzehnten von George Bush senior gemacht wurde, anzunehmen' und auf diese Weise 'zum Schlüsselpartner der USA in Europa' zu werden. Eine solche Teilhabe an der Hegemonie der Vereinigten Staaten setze freilich voraus, dass die Bundesrepublik 'Ressourcen' bereitstelle. Dies müssten 'nicht in erster Linie' militärische Mittel sein; Deutschland könne etwa auch Polizeikräfte für gemeinsame Gewaltoperationen in aller Welt liefern, müsse dies jedoch 'mit Entschlossenheit' tun. Vor allem aber sei Berlin 'nur dann wirklich interessant für Washington', wenn es alle Mittel Europas, insbesondere das Potenzial Großbritanniens sowie Frankreichs, in den transatlantischen Pakt einbringe.[6] Ob und wie das gelingen kann, ist derzeit aufgrund der tiefgreifenden Krise der EU völlig unklar.

Mit-Führung auf der Weltbühne

Ebenso unklar ist aus demselben Grund, wie es sich auf Dauer mit der 'europäischen Option' der Berliner Außenpolitik verhält. 'Wenn die EU-Staaten gemeinsam agieren, sind sie Global Player und haben Gestaltungsmacht', heißt es in der Internationalen Politik: 'Statt künftig von den USA und China dominiert zu werden", könne 'ein geeintes Europa' seinerseits 'Mit-Führung auf der Weltbühne beanspruchen'. Allerdings stehe eine 'gemeinsame europäische Außenpolitik' unter dem 'Zwang der Einigung auf gemeinsame Positionen und gemeinsames Handeln'; dies sei zur Zeit nicht in Sicht.[7] Tatsächlich bemüht sich Berlin, die Krise zu nutzen, um - vermittelt durch finanzpolitische Zwänge - eine 'politische Union' zu schaffen [8]; gleichzeitig zielt die deutsche Regierung darauf ab, das französische Beharren auf einer eigenständigen Außenpolitik, die nicht selten mit deutschen Vorstellungen kollidiert, zu brechen [9]. Die 'europäische Option' verlange zumindest einen gut funktionierenden Europäischen Auswärtigen Dienst sowie eine europäische Armee, heißt es in der Internationalen Politik. Der Preis dafür sei der 'Verzicht auf nationale Eigenständigkeit im Rahmen der EU'.[10]

Die nationale Option

Schließlich stellt die Internationale Politik die 'nationale Option' bundesdeutscher Außenpolitik zur Debatte. 'Von allen europäischen Ländern hat Deutschland am ehesten die ökonomische Basis, um Weltpolitik gegebenenfalls auch alleine betreiben zu können', heißt es in der Zeitschrift: 'Als machtbewusster Nationalstaat' könne die Bundesrepublik 'eine eigenständige weltpolitische Rolle anstreben'. 'Ein solcher Unilateralismus' sei zuletzt 'immer wieder' zutage getreten, etwa bei der Ablehnung der Kriege gegen den Irak und gegen Libyen. 'In den meisten größeren Parteien gibt es minoritäre Strömungen, die für die Idee eines eigenständigen 'deutschen Weges' empfänglich sind', schreibt das Blatt: Die 'nationale Option' sei in jüngster Zeit 'einflussreicher geworden'. So könne Berlin etwa mit Russland und China 'neue Allianzen schmieden, je nach Bedarf', oder sich 'stärker als bisher als Handelsstaat positionieren', gänzlich 'ohne Rücksichtnahme auf kollektive Interessen und Verbündete'.[11] Der Autor verhehlt nicht, dass er den möglichen Alleingang der Republik mit ganz beträchtlicher Skepsis sieht: 'Geografie und Geschichte haben zu dem Ergebnis geführt, dass deutsche Macht um so größer ist, je mehr das Land mit europäischen Nachbarn im Konzert agiert.' Das 'europäische Konzert' setzt allerdings eine Lösung der Eurokrise voraus, die zur Zeit - nicht zuletzt wegen des Berliner Va Banque-Spiels um die europäische Finanzpolitik - keinesfalls als gesichert gelten kann.[12]4

 

Doch, welche Substanz zur angestrebten Weltmachtrolle weisen die deutschen Optionen wirklich auf?

 

Die urdeutsche „Kern“-Option „Europa“ wird abschließend durchgegangen.

 

Wenn die westlichen Staaten Deutschland als gleichberechtigten „Partner“ auf Augenhöhe nicht mögen – tatsächlich hat sich die BRD jedoch selbst isoliert, Beispiele hierzu durchziehen den vorliegenden Text – dann suchen „wir“ uns eben andere aufstiegswillige Partner: Die Mittelmacht Deutschland schlägt offensichtlich die Strategie neuer Achsenbildungen mit anderen potentiellen Aufsteigern ein, um sich taktisch gemäß der Politik der „freien Hand“ mögliche „Partner“ für den eigenen nationalen Weg warm zu halten.

 

Newsletter vom 15.02.2012 - Partners in Leadership

BRASILIA/BERLIN (Eigener Bericht) - Mit seiner aktuellen Lateinamerika-Reise forciert der deutsche Außenminister eine neue Strategie für die globale Machtpolitik Berlins. Demnach strebt die Bundesrepublik engere Partnerschaften mit sogenannten regionalen Führungsmächten in aller Welt an, um ihren eigenen Einfluss rund um den Globus auszubauen. In Lateinamerika kommen dabei aus Sicht der Bundesregierung Brasilien und Mexiko in Frage - die zentralen Ziele der aktuellen Außenminister-Reise. Über Brasilien heißt es in Fachanalysen aus Berlin, dem Land sei zumindest auf subkontinentaler Ebene 'ein klarer Führungsanspruch' zu attestieren, den es mit Hilfe seiner 'hard power' und seines sehr leistungsfähigen Auswärtigen Dienstes langfristig wohl auch einlösen könne. Es sei daher ein höchst geeigneter Verbündeter der Bundesrepublik. Mexiko wird skeptischer beurteilt. Das Land lege zu großen Wert auf die 'Doktrin der Nichteinmischung' gegenüber fremden Staaten und befinde sich in allzu starker Abhängigkeit von den USA, heißt es bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Hier sei noch umfängliche Vorarbeit zu leisten. Seine machtpolitischen Vorhaben bemäntelt Berlin wie üblich mit scheinbar unpolitischen kulturalistischen Initiativen seiner deutschen Ideologie – worin die Goethe-Institute eine tragende Rolle spielen: Wie der Außenminister ankündigt, wird die Bundesrepublik nächstes Jahr in Brasilien ein 'Deutschlandjahr' mit umfassenden kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten starten.“5

 

Die deutschen Optionen, „Verbündete“ für seinen eigenen Weltmacht-Aufstieg zu finden sind gegenwärtig im Fluss wie das gesamte Kräfteverhältnis des Weltmarkts selbst. Deutschlands Doppelspiel gegenüber Russland – dieses einerseits auf Distanz zur EU zu halten und im Gegenzug durch die Achsenbildung (Paris) – Berlin – Moskau im Golfkrieg III diplomatisch auf seinem Schachbrett aufs diplomatische Weltparkett zu hieven – wird in den USA inzwischen neu interpretiert. Der ehemalige republikanische Chefstratege nahm in der letzten seiner vielen machtpolitischen Buchveröffentlichungen eine Kehrtwende vor bezüglich der zukünftigen Stellung Russlands im Weltmachtgefüge:

 

Ging es in seinem letzten großen Buch 'The Grand Chessboard' noch darum, die politische Kontrolle über Zentralasien zu gewinnen und sprach er 2008 immerhin noch von einer 'Second Chance' zur Errichtung einer unipolaren Welt, so gesteht er jetzt ein, dass der Machtverlust der USA und die multipolare Welt Realität geworden sind. Damit kommt es zu einer ganzen Reihe von Neubewertungen. Am erstaunlichsten ist, dass er seine radikale Gegnerschaft gegenüber Russland, die in all seinen früheren Büchern direkt oder unterschwellig präsent ist, aufgegeben hat. Mehr noch: Für das Überleben des Westens sei es zentral, Russland zu integrieren.“6

 

Er zählt fünf Gründe für die Lähmung der USA auf:

1. Ein festgefahrenes und reformunfähiges politisches System, 2. Bankrott durch militärische Abenteuer und übermäßige Rüstung, 3. sinkender Lebensstandard der Bevölkerung, 4. eine politische Klasse, die zunehmend unsensibel für die steigende soziale Ungleichheit ist und nur darauf bedacht ist, ihre Privilegien zu verteidigen, 5. Versuche, den innenpolitischen Legitimitätsverlust durch außenpolitische Feindseligkeit zu kompensieren, und 6. eine Außenpolitik, die in die Selbstisolation führt.7

 

Diese Gründe stimmen in abgewandelter Form auch für die EU-Vormacht Deutschland, wenngleich dessen militärische Abenteuerlust wohl eher in der Zukunft finanzielle Überforderungen mit sich bringen werden. Offensichtlich schlägt der zur „Taube“ mutierte alte Scharfmacher – in kritischer Kehrtwende zu seiner Neocon-Phase – der US-Administration den Kurs des Multilateralismus vor, um den Absturz der USA von unipolarer globaler Vorherrschaft durch Bündnissysteme abzufedern. Russland und der Türkei sind hierbei die Rollen der zentralen Bindeglieder des Westens nach den machtpolitisch aufstrebenden asiatischen Schwellenländern zugedacht. Deutschland bliebe in diesem Falle in Bündnisse eingebunden, die der Mittelmacht kaum isolierte Auswege offen ließe.

 

Was die deutsche Option Russland betrifft: Russland agierte 2012 anders als noch 1997, als es faktisch pleite war und von des Hauptgläubigers Deutschland Gnaden abhing. Die Annäherungsversuche der Jelzin Administration an den Westen in der Phase des ökonomischen Absturzes8 gelten als gescheitert. Russland fühlt sich zu recht vom Westen gedemütigt, insbesondere von den antislawischen deutschen Reflexen – nach denen Russland zu asiatisch geprägt sei, um eine „Demokratie“ westlichen Formats auszubilden. Putin verkündete auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, dass Russland außenpolitisch stets unabhängig war – sich also dem Westen nicht mehr anbiedern wird wie in der Ära Jelzin.

 

Der zweite kurze Anlauf 2008 zu einer Strategischen Partnerschaft auf „Augenhöhe“ mit den USA unter Medwedew endete desaströs. Russland fühlt sich zu recht von der einseitig entschiedenen US-amerikanischen Raketenabwehr in Mitteleuropa sicherheitspolitisch bedroht und stationierte 2013 Flugabwehrraketen in der Enklave Kaliningrad.

 

Folgerichtig geht Russland zur Zeit in Abwendung vom Westen den eurasischen Weg. Russland setzt auf Grundlage hoher Erdölpreise und gesamt-ökonomischer Erholung9 auf eine Zoll- und später Währungsunion von Kiew bis an die chinesische Grenze, die die zentralasiatischen Staaten umfassen. Im „Ukas 605"  "Über Maßnahmen zur Realisierung des außenpolitischen Kurses der Russischen Föderation"10 vom Mai 2012 wurde die Priorität auf das „strategische Zusammenwirken mit der Chinesischen Volksrepublik“ festgelegt. An das Außenministerium ging die Order, bis Jahresende das „Projekt der Konzeption einer Außenpolitik“ vorzulegen.

 

Die Achse Moskau – Peking beabsichtigt, Zentralasien zu stabilisieren und die dortige Einflussnahme der USA und der Deutschland-EU zurückzudrängen. Selbstverständlich sind die zentralasiatischen Staaten wie auch die Ukraine nicht so blöde, sich einseitig in die Klauen des russischen Bären zu begeben und verweisen daher, wenn es angebracht ist, auf die über ihnen kreisenden deutschen Reichsadler und Seeadler der Amis.

 

Der nach 1914 und 1940 erneute deutsche Kampf um den Ausbau des Ostraums11 erreichte 2012 und 2013, 2014 seinen vorläufigen Höhepunkt. Seit dem Fall der Berliner Mauer betrachtet Berlin den Landkorridor bis zum Kaukasus wieder als seine „natürliche“ Einflusssphäre. Im Ideologieteil war skizziert worden, wie despektierlich Deutschland die Ukraine anlässlich der Fußball EM 2012 unter dem Feigenblatt 'Menschenrechte' in der öffentlichen Arena anging (siehe Kapitel 15). Zwei Wochen vor dem EU-Gipfel in Vilnius Ende November 2013 gaben sich die Propagandisten der EU noch zuversichtlich, dass die Ukraine das Assoziierungs-Abkommen mit der EU unterzeichnen würde. Eine Woche vor dem Gipfel stoppte Kiew die Vorbereitungen, reizte die Karte der Forderung nach einem EU-Kredit von 20 Milliarden Euro aus, um sich dann doch von Russland mit einem 15 Milliarden Euro Kredit und verbilligten Gaslieferungen „kaufen“ zu lassen. Der Beitritt der Ukraine wie Belarus und Armenien zu der von Russland initiierten Eurasischen Zollunion ist allerdings volkswirtschaftlich vernünftig, da deren nationale Gesamtkapitale auf vergleichbaren Produktivitätsniveaus liegen – dagegen bedeutete das EU-Assoziierungs-Abkommen, dass die Ukraine zur deutschen Kornkammer-Halbkolonie herabsinken würde.

 

Auf dem EU-Gipfel in Vilnius im November 2013 unterschrieben nur Georgien und die Republik Moldawien, die sich schon 1940 ans deutsche Reich anlehnten, das EU-Assozierungs-Abkommen.

 

Das im Entwurf 1200 Seiten starke Assoziierungsabkommen mit der Ukraine wäre die am weitesten reichende Vereinbarung gewesen, die die Europäische Union bisher ausgehandelt hat. Es umfasst Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ebenso wie die politische Zusammenarbeit. Darin wird eine enge Kooperation in der Außenpolitik, in Justiz- und Grundrechtsfragen vereinbart. Der Vertrag sieht eine ständige und schrittweise Anpassung von Vorschriften und Normen an die Standards der EU und für beide Seiten eine teilweise Marktöffnung vor.

 

Von der 'wichtigsten geopolitischen Weichenstellung seit dem Fall der Berliner Mauer' hatten Medien im Osten Europas im Vorfeld geschrieben. Am Donnerstag schlug die Stunde der Wahrheit – und die Entscheidung fiel gegen Europa aus. Die Regierung der Ukraine hat die Vorbereitungen für eine engere Anbindung an die Europäische Union unter starkem russischem Druck auf Eis gelegt.“12

 

Für Deutschland war dies tatsächlich eine (vorläufige) geopolitische Weichenstellung, die es allerdings machtpolitisch nicht akzeptieren kann. Schon lustig, wie die deutsche Einheitspresse Moskaus Druck auf Kiew anprangerte, ohne den ungeheuren Druck, den Berlin jahrelang auf Kiew ausübte, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Deutschland pushte nach der Abwendung Kiews von der EU, wie bei der sogenannten orangenen Revolution, provokativ die inzwischen auf drei reaktionäre Parteien verbreiterte Opposition der Ukraine und deren Protestbewegung unter destabilisierender Einmischung in inner-ukrainische Angelegenheiten:

 

Newsletter vom 10.12.2013 - Unser Mann in Kiew

KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) - Die Bundesregierung will den Box-Champion Witali Klitschko als Präsidentschaftskandidaten in der Ukraine platzieren und ihn in Kiew an die Macht bringen. Dies geht aus Medienberichten hervor. Demnach soll die Popularität des ukrainischen Oppositionspolitikers durch gemeinsame öffentliche Auftritte beispielsweise mit dem deutschen Außenminister gemehrt werden. Auch sei aus PR-Gründen ein Treffen zwischen Klitschko und Bundeskanzlerin Merkel beim nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember geplant. Tatsächlich erhalten Klitschko sowie seine Partei UDAR nicht nur massive Aufbauhilfe von der Konrad-Adenauer-Stiftung; UDAR sei 2010 sogar im unmittelbaren Auftrag der CDU-Stiftung gegründet worden, berichtet ein CDU-Politiker. Schilderungen des Verlaufs von Stiftungsmaßnahmen, die dem Aufbau der Klitschko-Partei dienen, lassen erkennen, wie die deutsche Seite über UDAR Einfluss auf die innere Entwicklung in der Ukraine nimmt. In zunehmendem Maße wird inzwischen Polen für die Berliner Ukraine-Politik herangezogen. Die extrem rechte ukrainische Partei Swoboda ('Freiheit'), mit der Berlin und Warschau dabei kooperieren, steht in der Tradition von NS-Kollaborateuren, die im Zweiten Weltkrieg 100.000 Polen christlichen wie jüdischen Glaubens massakrierten.“13

 

Der faschistische „Held“ der Swoboda, Stepan Bandera, ist übrigens mit zwei weiteren ukrainischen NS-Kollaborateuren auf dem Waldfriedhof München beerdigt. Ihre Gräber entwickeln sich zu einem völkisch-ukrainischen Wallfahrtsort14. Da lag es im August 2013 auf der Hand im völkischen Gastland:

 

Die ukrainische ultra-nationalistische Partei 'Swoboda' ('Freiheit') gründet eine Parteizelle in München.15

 

Schöne Aussichten der Seifenblase 'Menschenrechte' angesichts der antirussischen und national-chauvinistischen Randale des ukrainischen Freiheits-Dreier-Bündnisses eines deutsch-ukrainischen Boxidols, einer Dame in BdM-Haartracht und ultra-nationalistischen Hasardeuren der Westukraine.

 

Bei dem anvisierten Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine handelt es sich um die Knebelung einer unterentwickelten Volkswirtschaft mit äußerst schmerzhaften Austeritätsschritten für die Lohnabhängigen. Im Vordergrund stehen allerdings ganz andere geostrategische Interessen Deutschlands. Eine der EU assoziierte Ukraine würde nach dem alten Vorbild günstig Hilfstruppen für die GASVP hergeben, den Landkorridor zum Kaukasus und Zentralasien unter deutsche Kontrolle bringen und dadurch zugleich Russlands militärische Verteidigungslinie empfindlichst schwächen.

 

Newsletter vom 11.12.2013 - Die militärische Seite der Integration

KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) - Eine ausführliche Analyse aus Kiew bestätigt die Absicht, die geplante Anbindung der Ukraine an die EU mit einer Nutzung ukrainischer Truppen für deutsch-europäische Kriege zu verbinden. Wie es in einer Untersuchung heißt, die die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit dem Kiewer 'Center for Army, Conversion and Disarmament Studies´ veröffentlicht hat, gehe es bei der zur Debatte stehenden EU-Assoziierung 'unzweifelhaft' auch um die Integration der Ukraine 'in die Sicherheitskomponente der EU', die 'Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik' (GSVP). Seit 1991 hat Kiew regelmäßig mit der NATO kooperiert und auch Soldaten in NATO-Kriege entsandt. Der NATO-Beitritt des Landes ist jedoch unter anderem auf deutsches Betreiben verhindert worden. Inzwischen werden ukrainische Militärs zunehmend in EU-Truppen (Battle Groups) und EU-Interventionen (Atalanta) eingesetzt. Jenseits des Nutzens für deutsch-europäische Kriege weisen US-Spezialisten darauf hin, dass die militärpolitische Anbindung der Ukraine an die EU und ihre Lösung von Russland strategisch hohe Bedeutung hat: Ohne die Ukraine sei Russland, heißt es, nicht zu verteidigen.“16

 

Deutschland erlitt eine bittere – vorläufige – Niederlage in der „Schlacht um die Ukraine“ und im Kampf um die Erweiterung des Ostraums, genannt 'Östliche Partnerschaft'. Eine Ausnahme von der publizistischen Speichelleckerei war der Einwurf eines (inzwischen wegen des „Kavaliersdelikt“ Steuerhinterziehung verurteilten) unverdächtigen Veteranen, der der politisch verblödeten deutschen Volksgemeinschaft den geschichtlichen Spiegel vorhielt:

 

Newsletter vom 06.12.2013 - Expansiver Ehrgeiz

KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) - Ein einflussreicher deutscher Publizist und ehemaliger Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung kritisiert den 'expansiven Ehrgeiz' der aktuellen Berliner Ukraine-Politik. Bei dem Machtkampf um Kiew, der dem westlichen Publikum mit großem Gestus als Kampf um 'Selbstbestimmung' präsentiert wird, handele es sich 'in Wahrheit' lediglich um ein 'großes geopolitisches Spiel', schreibt Theo Sommer, langjähriger Herausgeber und 'Editor at Large' der Wochenzeitung 'Die Zeit'. Den EU-Assoziierungsabkommen, von denen die Ukraine eines unterzeichnen solle, 'stink(e)' 'expansiver Ehrgeiz aus allen Knopflöchern'. Sommers Hinweis auf die 'Geopolitik' ruft in Erinnerung, dass der Machtkampf um die Ukraine - ein 'Zwischenland' zwischen den Machtzentren Berlin und Moskau - von Deutschland im Zuge seiner stets weiter voranschreitenden Ostexpansion seit mehr als 100 Jahren immer wieder geführt worden ist. Nur kurz - im Frühjahr und im Sommer 1918 - gelang es dem Deutschen Reich, die Ukraine tatsächlich seiner Hegemonialsphäre einzuverleiben. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg setzten deutsche Strategen ihre Bemühungen mit gleichem Ziel fort. Kontinuitäten reichen bis in die Bundesrepublik.“17

 

Derweil manövriert sich das ökonomisch erstarkende Russland mit seinem erneuerten A-Waffen-Arsenal vorübergehend in eine komfortable außenpolitische Lage: Von Peking umworben, bei den USA offensichtlich als multilaterales Bindeglied zu Eurasien im Gespräch und von Deutschland immer noch als drohendem Sonderweg der Achse Berlin – Moskau offengehalten. Da wird sich der Westen aber sputen müssen, Deutschland wird Moskau bei steigenden Rohstoffpreisen und gesamtökonomischer Entwicklung kaum ohne große Zugeständnisse für seinen potentiell eigenen eurasischen Sonderweg gewinnen können.

 

2011 tat der regierungsnahe Think Tank Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) scheinheilig so, als müsse ausgerechnet Deutschland etwas für die „Integration“ Russlands ins westliche Sicherheitsgefüge tun:

 

Zu den großen ungelösten Fragen nach dem Ende des Kalten Kriegs gehört diejenige nach dem angemessenen Platz Russlands in der euro-atlantischen Sicherheitsordnung. Solange sie nicht beantwortet ist, wird es nicht gelingen, bei regionalen und globalen Sicherheitsfragen so eng zu kooperieren, wie es nötig wäre. Ebenso wenig wird sich verhindern lassen, dass sich das russisch-westliche Verhältnis erneut krisenhaft zuspitzen kann, wie zuletzt während des Georgienkriegs 2008 geschehen.

In dieser Studie werden zunächst die Defizite der euro-atlantischen Sicherheitsordnung im Hinblick auf eine Integration Russlands analysiert. Drei Ziele müssen erreicht werden, um ein stabiles System kooperativer Sicherheit zu errichten: Abbau gegenseitiger Bedrohungsperzeptionen, Stärkung inklusiver Institutionen und Schaffung einer gemeinsamen Wertebasis mit Russland. Anhand dieser Kriterien werden drei grundlegende Handlungsoptionen geprüft, inwieweit sie einen sicherheitspolitischen Mehrwert bringen können: die Status-quo-Plus-Option (Revitalisierung und Ausbau von Rüstungskontrolle, verstärkte Kooperation zwischen Russland und EU bzw. NATO, Wiederbelebung der OSZE), ein umfassender Sicherheitsvertrag von »Vancouver bis Vladivostok« sowie ein NATO-Beitritt Russlands. Angesichts der Verhärtung im russisch-amerikanischen Verhältnis sind europäische Initiative und Führung gefragt, um wirkliche Fortschritte zu ermöglichen.“18

 

Das „Bemühen“ Deutschlands ist mehr als unnötig, da über seinen Kopf hinweg die schon in Kapitel 24 behandelte russisch-us-amerikanische militärpolitische Kooperation der Einhegung Deutschlands ihre „Früchte“ trägt: Russlands Modernisierung seiner Armee und seiner Annäherung an die NATO versperrt zur Zeit jedenfalls durch einen faktischen militärpolitischen Zangengriff Russlands und der transatlantischen europäischen Verbündeten der USA jedweden deutschen machtstrategischen Sonderweg des militärischen Winzlings Deutschlands Richtung Osten. Immerhin muss Russland in Zukunft damit rechnen, dass die Ukraine dem Werben der deutsch-EU mit dem Scheckbuch erliegt und dadurch sein wichtigster geographischer Verteidigungs- und Aufmarschraum an der Westgrenze an die NATO verloren geht. Nachfolgende Aussagen des hohen russischen Militärs von 2013 sind in deutschen machtpolitisch seismographischen Ohren als Anführer der „NATO-Unwilligen“ (Todenhöfer) doppeldeutig, wenn dieser von “Berechenbarkeit und Stabilität“ oder „Sicherheit der NATO-Staaten“ spricht:

 

Bis zum Jahr 2020 steht die Umrüstung der Truppen mit modernster Technik an. ...

Die Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und der NATO erfolgt auf der Grundlage einer Reihe bestehender Vereinbarungen, vor allem der 'NATO-Russland-Grundakte' von 1997 und der 'Römischen Erklärung zur Beziehung zwischen NATO und Russland: neue Qualität' von 2002. Der Charakter und die Tiefe der Beziehungen zu den NATO-Ländern werden einen bestimmenden Einfluss auf die europäischen Prozesse im Ganzen und auf den Entwicklungsgang der Beziehungen zu den übrigen Ländern haben. Auf dem Russland-NATO-Gipfel in Lissabon wurden weitreichende Beschlüsse gefasst, als deren Ergebnis vom Präsidenten Russlands die Aufgabe gestellt wurde, eine wirkliche strategische Partnerschaft mit der Allianz zu schaffen. Von der Sicherung der Berechenbarkeit und Stabilität in den militärpolitischen Angelegenheiten profitiert nicht nur die Sicherheit Russlands, sondern auch die aller NATO-Staaten.“19

 

Von Peking zur Zeit noch auf Augenhöhe umworben, blockierten Russland und China 2012 im UN-Sicherheitsrat gemeinsam verschärfte Interventionen des Westens gegen das syrische Regime. 2013 spielte Russland mit dem taktischen Schritt der Vernichtung der syrischen Giftgasproduktionsanlagen und Vorräte den entscheidenden „Friedensbringer“ für Syrien. Inzwischen finden auch die Weststaaten Assad wieder akzeptabler als die syrische Opposition, da die islamistischen Fundamentalisten die militärische Oberhand bei den Aufständischen gewannen. Der hier angedeutete Wiederaufstieg Russlands in die erste Reihe weltpolitischer Akteure: Vorboten für kommende machtpolitische Verschiebungen auf dem Weltmarktparkett?

 

Was die deutsche Option der „Partnerschaft“ mit den USA als Compagnon der Weltmachtpolitik betrifft: Russland bringt mit seiner chinesischen Achsenbildung allerdings Deutschland zugleich in eine komfortable Position gegenüber den USA. Obiges Denkspiel einer multilateral agierenden USA hätte mit einer tiefgreifenden China-Verbindung Russlands sein wichtigstes eurasisches Bindeglied verloren. Deutschland eröffnete sich dadurch ein großes Drohpotential als kontinentaleuropäische Hauptkraft gegenüber den USA. Mit einer Abkehr Deutschlands vom Westen – falls Moskau und Peking die als bekannt unberechenbare Mittelmacht Deutschland überhaupt in einem eurasischen Dreierbund wollten – würden die USA den schwergewichtigsten „Partner“ ihrer militärischen und politischen Vorherrschaft über Europa verlieren. Die Drohung eines deutschen Sonderwegs würde bei einer überzeugenden deutschen Zustimmung zur „partnership in leadership“ sicherlich zu merklichen machtpolitischen Zugeständnissen der USA an die BRD eingesetzt werden können. Allerdings setzte die Umsetzung der Option USA die Fähigkeit Deutschlands voraus, die EU politisch zu führen, anstatt die wichtigsten EU-Länder auf ihren EU-Kurs zwingen zu wollen.

 

1 Rede Bundespräsident Joachim Gauck zur: Eröffnung der 50. Münchner Sicherheitskonferenz 31.01.2014

 

2 Friedrich Naumann, Mitteleuropa, Berlin 1915

 

3 Werner Daitz, Europa-Charta (PDF) 1940 – http://www.uni-tuebingen.de/gerd.simon/DaitzEuroCharta.pdf

 

4 Newsletter vom 13.01.2012 – Die Rückkehr der Machtfrage

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58239

[1] Ulrich Speck: Macht gestalten. Optionen deutscher Außenpolitik, Internationale Politik Januar/Februar 2012
[2] s. dazu
Europas Abstieg (II), Das bekannte Unbekannte und Der wankende Hegemon
[3] s. dazu
Das pazifische Jahrhundert
[4] Obama gibt Zwei-Kriege-Doktrin auf; www.faz.net 05.01.2012
[5] Johannes Thimm: Die Mär vom amerikanischen Rückzug aus der militärischen Führungsrolle; www.swp-berlin.org 07.01.2012
[6], [7] Ulrich Speck: Macht gestalten. Optionen deutscher Außenpolitik, Internationale Politik Januar/Februar 2012
[8] s. dazu
Wie Preußen im Reich
[9] s. dazu
Auf Kollisionskurs (II) und Kulturkämpfe
[10], [11] Ulrich Speck: Macht gestalten. Optionen deutscher Außenpolitik, Internationale Politik Januar/Februar 2012
[12] s. dazu
Va Banque und Va Banque (II)

 

5 Newsletter vom 15.02.2012 - Partners in Leadership, Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58268

 

6 Hauke Ritz, Warum der Westen Russland braucht - Die erstaunliche Wandlung des Zbigniew Brzezinski, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Juli 2012

 

7 Ebenda

 

8 Die im schieren Gegensatz zu den vor sich her getragenen christlich-demokratischen Werten skrupellose machiavellistische Umgangsweise von Herrn Kohl mit der Politik des Jelzin-Regimes sind schön zu studieren in: Kohl, Helmut (2012): Berichte zur Lage 1989 – 1998, Droste Verlag, Düsseldorf

 

9 CEBR-Ranking - Russland überholt Italien als achtgrößte Ökonomie, Handelsblatt Online 03.01.2014

 

10 Uwe Klußmann, Russlands neue Außenpolitik - Putins Pakt mit China, Spiegel Online 10.12.2012

 

11 Sieht man sich den gleichlautenden Absatz an in Fischer, Fritz (1966): Der Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, so stechen die geopolitischen und destabilisierenden Kontinuitätslinien der deutschen „Ostraum“-Politik seit 1914 ins Auge, insbesondere, was die Länder-„Auswahl“ Deutschlands für das EU-Assoziierungs-Abkommen betrifft. Diese Staaten waren Teilziele des Septemberprogramms der Kriegszielpolitik Bethmann-Hollwegs von 1914, deren Strategie auf die Sezession aller nicht-russischen „Völker“ vom russischen Zarenreich ausgerichtet war.

 

12 Gerhard Gnauck, Ukraine stoppt in letzter Sekunde Abkommen mit EU , Die Welt Online 21.11.2013

 

13  Newsletter vom 10.12.2013 - Unser Mann in Kiew. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58754

 

14  Ukrainische Nationalisten auf “Bandera-Wallfahrt”, Unabhängiges Nachrichtenportal Polen 03.08.2009

 

16  Newsletter vom 11.12.2013 - Die militärische Seite der Integration. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58755

 

17   Newsletter vom 06.12.2013 - Expansiver Ehrgeiz. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58751

 

18  Margarete Klein, Solveig Richter, Russland und die euro-atlantische Sicherheitsordnung - Defizite und Handlungsoptionen, SWP-Studien 2011, Dezember 2011

 

19  „Russland betrachtet die NATO nicht als potentiellen Gegner“, Interview mit dem Stellvertretenden Generalstabschef und Leiter der Operativen Hauptverwaltung des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation, Generalleutnant Wladimir Sarudnizkij, Zeitschrift Europäische Sicherheit & Technik (ES&T), Februar 2013

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise