Julikrise 1914: Ein neuer Streit um die Deutungshoheit?

-Ja- 19.8.14 hsozkult.geschichte.hu-berlin.de: 

Sammelrezension: Ein neuer Streit um die Deutungshoheit? 

Neuere Literatur zu den Kriegsursachen von 1914

Der Historiker Andreas Rose rezensiert für das Portal „H-Soz-u-Kult“ Neuerscheinungen zur Julikrise 1914. Deutlich wird, dass sich die Deutungshoheit der Kriegsschuldfrage in der historischen Wissenschaft zunehmend in Richtung Christopher Clarkes Studie „Die Schlafwandler“ verschiebt.

Gelobt wird die „europäische Perspektive“ neuerer internationaler Forschungen. Den wenigen deutschen Stimmen, die an der Hauptschuld Deutschlands am 1. Weltkieg festhalten, wird eine „Bewahrung der traditionellen deutschen Nabelschau“ unterstellt.  Gelobt wird von Rose hingegen, dass Clarke „die überkommene Schuldfrage für moralisierend und für eine längst begonnene, aber offenbar noch immer schwierige Historisierung der Vorkriegsgeschichte als nicht förderlich, ja geradezu als müßig empfindet.“ Die Verschiebungen in der internationalen Forschung, die Balkankrise bzw. „die Balkanisierung der Verhältnisse“, sowie die Verantwortung Frankreichs und Russlands an der Eskalation zu fokussieren, werden lobend aufgegriffen.

 

Größen der Sozialgeschichtsschreibung wie Hans-Ulrich Wehler sind wohl notorische Hinterwäldler, wenn sie Kritik an der in Deutschland geführten Entlastungsdebatte üben: „Durch sein Vorgehen verwischt Clark verblüffend einseitig den massiven deutschen Verursachungsanteil an der fatalen Konstellation, die zum Krieg geführt hat. Dem beschönigenden Kommentar des englischen Politikers Lloyd George aus den zwanziger Jahren, alle Staaten seien letztlich in das Unheil ‚hineingeschlittert‘, wird zielstrebig zu neuer Geltung verholfen. Und der Verkaufserfolg auf dem deutschen Büchermarkt – keineswegs auf dem englischen! – verrät ein tiefsitzendes, jetzt wieder hochgespültes apologetisches Bedürfnis, sich von jenen Schuldvorwürfen zu befreien, die in der Kontroverse um das Kriegszielbuch des Hamburger Historikers Fritz Fischer (‚Griff nach der Weltmacht‘, 1961) allenthalben verfochten worden waren.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Andreas Rose (Donnerstag, 02 Oktober 2014 09:18)

    Offenbar ist der Leser meiner Rezension bei H-Soz-Kult der deutschen Sprache und Ihrer Feinheiten nicht mächtig. Ansonsten hätte er aus meinem Text nicht schließen, können, dass ich "Größen der Sozialgeschichtsschreibung" irgendwo als "notorische Hinterwäldler" beschreibe. Vielmehr geht es um die Tatsache, das diese vielfach keine Expertise in der Sachfrage vorweisen können und deshalb Ihre Kritik ins Leere geht.

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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