Anmerkungen zur Konferenz ://about Arbeitszeit der Linksfraktion

Wir waren bei der Konferenz ://about Arbeitszeit der Linksfraktion im Bundestag am 23. November 2018 vertreten. Uns ist bei den Diskussionen in den Workshops aufgefallen, dass der Zuspruch für eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit (Reduzierung der Wochenarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz auf zunächst 5x8 = 40 Stunden) einen sehr hohen Zuspruch erfuhr – viel stärker, als dieser Aspekt von den Impulsredner*innen auf den Podien eingebracht wurde. Eine Genossin berichtet von Ihren Eindrücken, die als Brief an die zuständigen Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion gegangen sind.

 Zumindest im Workshop 3: „Wem gehört die Zeit? Gesellschaftliche Notwendigkeit von Arbeitsumverteilung“ hatte ich nach dem Beitrag von Jörg Wiedemuth (verdi) den Eindruck: seiner Analyse folgten viele nicht. Diejenigen, die sich zu Wort meldeten, haben aus der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Gewerkschaften, die, wie Jörg berichtete, sich viele Versäumnisse in Bezug auf tarifliche Arbeitszeitverkürzungskampagnen in den letzten 30 bis 40 Jahren leisteten, andere Schlüsse gezogen.

 

Jörg stellte uns kurz die Idee der „kurzen Vollzeit“ vor, die ja auch nicht sonderlich neu ist. Seiner Meinung nach gebe es aktuell kaum eine Mobilisierungschance für eine tarifliche Erkämpfung von Arbeitszeitverkürzung im klassischen Sinne, ähnlich wie es auch in der ver.di-Broschüre „Mehr Zeit für mich“ von 2015 wiedergegeben wird. Aus diesem Zusammenhang leitete er wohl ab, dass der gesellschaftliche Kampf für eine allgemeine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung noch aussichtsloser zu erringen sei, zumal die Partei DIE LINKE alleine zu wenig Zugkraft besitze.

 

Ein Kollege, Betriebsratsmitglied im Einzelhandel, gab an, für ihn hätten die Gewerkschaften die Diskursmehrheit auf tariflicher Ebene verloren und hingen seit langem hinterher und außerdem würde der Kampf für eine tarifliche Arbeitszeitverkürzung - Stichwort „kurze Vollzeit“ - nur einen geringen Anteil der Beschäftigten betreffen. Ein anderer wies m. E. zurecht darauf hin, dass auch die Einführung des Mindestlohns, ohne die Partei DIE LINKE nicht denkbar, einmal als Populismus galt.

 

Ich verstand ihn so, dass er vor allem den Aspekt hervorheben wollte, bei dem es auf die Ausnutzung vorhandener Stimmungslagen ankommt.

 

Ich frage mich, warum die Partei DIE LINKE sich hinter ihrer Forderung zur Reform des ArbZG (Reduzierung der gesetzlichen Höchstwochenarbeitszeit) verstecken sollte, die im Bundestagswahlprogramm 2013 klar formuliert wurde, weniger ausführlich auch im Bundestagswahlprogramm 2017 (Seite 18), außerdem auf der Themenseite „Arbeit“ (Punkt 7).

 

 

Das mangelnde Selbstbewusstsein einiger Linker Mandatsträger auf dem Kongress in Hinblick auf diese Forderung war für mich erschreckend. Für mich ist diese Forderung nicht eine unter vielen, sondern eine Schlüsselforderung und ein Türöffner für viele gute andere Forderungen, für die die Partei steht und für die sich eine Kampagne lohnt.

 

Dabei hat Susanne Ferschl im Konferenzreader (S. 7) in ihrem Essay „Politische Einschätzungen :/about Arbeitszeit“ ausdrücklich darauf hingewiesen: „Das Arbeitszeitgesetz ist (für einen großen Teil der Beschäftigten) keineswegs überholt, vielmehr bedarf es hier sogar besserer Regelungen – wie beispielsweise die der Reduzierung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden“ und (S. 8): „Wir wollen, dass der Entgrenzung der Arbeit entgegengewirkt wird, weswegen wir eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden fordern“.

 

Zudem ist die Forderung auch in den Beschlüssen des Bundeskongresses 2015 von ver.di klar formuliert. Im Beschluss zu Antrag A099 heißt es:

 

" ver.di setzt sich für eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes ein. Wir wollen, dass die zulässige durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf höchstens 40 Stunden festgesetzt wird und Ausnahmeregelungen deutlich reduziert werden.

 

ver.di wird die Diskussion über die parlamentarische Änderung des allgemeinen Arbeitszeitgesetzes innerhalb der Gewerkschaften, in den Betrieben und im öffentlichen Raum anregen und befördern.

 

ver.di wird sich an den gesellschaftlichen Bündnissen zur Durchsetzung dieses Zieles beteiligen.“

 

Damit ging der ver.di-Bundeskongress 2015 in seinen Beschlüssen eindeutig weiter als die kurz davor (August 2015) von dem oben erwähnten Jörg Wiedemuth redigierte ver.di-Broschüre „Mehr Zeit für mich“ (Modell: „kurze Vollzeit“). Dort heißt es unter „Ein gemeinsames Ziel finden“ (Seite 32):

 

Eine Forderung nach einer einheitlichen Wochenarbeitszeit als Zielmarke für weitere Arbeitszeitverkürzung über alle Branchen hinweg ginge an der jetzigen Lebenswirklichkeit und an einer erreichbaren Zielperspektive vieler Beschäftigter vorbei. Zumal nicht allein ausschlaggebend ist, welche Arbeitszeit sich Mann oder Frau für sich selbst wünscht, sondern was von denjenigen, die eine Arbeitszeitverkürzung fordern, durch ihr Engagement und ihre Durchsetzungsmächtigkeit auch als erreichbar angesehen wird. Auch eine positive „Utopie“ erfordert die Formulierung von erkämpfbaren Zwischenzielen.“

 

Im Gegenteil: Eine gesetzliche Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit ist aus der Sicht aller Lohnabhängigen ein durchaus erkämpfbares Zwischenziel, welches nicht nur einem privilegierten Kreis von Beschäftigten, sondern tatsächlich allen zu Gute kommt. Eine einheitliche gesetzliche Verkürzung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit könnte im Hier und Jetzt auf notwendige gesellschaftliche Begeisterung und Unterstützung stoßen. Es braucht dafür auf der einen Seite Initiatoren und auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass man nicht alles gleichzeitig erkämpfen kann. An diesem strategischen Punkt gehe ich mit den Autoren der ver.di-Broschüre durchaus zusammen. Doch den notwendigen Kampf um die gesetzliche Reduzierung der Höchstarbeitszeit zugunsten einer Kampagne „ Kurze Vollzeit als Chance für alle" aufzugeben, nur weil die dadurch angesprochene, sehr begrenzte Klientel "mobilisierungsfähiger" erscheint - so wie es Hörg Wiedemuth und auch Bernd Riexinger auf dem Kongress vorschlugen - schlägt doch den Interessen des "großen Teils der Beschäftigten" von denen Susannen Ferschl (s.o.) spricht, voll ins Gesicht!

 

Für mich hat unser Workshop in der Diskussion aber gezeigt, dass die Teilnehmer sehr wohl den qualitativen Unterschied zwischen tariflichen Arbeitszeitregelungen und einer gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit erkennen. Die Forderung nach einer Beschränkung des Arbeitszeitgesetzes auf maximal 40 Stunden (5x8 Stunden) pro Woche schiebt dem Bestreben der Arbeitgeber, die Arbeitszeit weiter auszudehnen (was ihnen auch auf tariflicher Ebene gelingt), einen Riegel vor.

 

Im Gegensatz zu der tarifspezifischen Regelung, betrifft die Änderung des ArbZG wirklich alle Lohnabhängigen (beschäftigt und unbeschäftigt), und auch die, die keinem Tarifvertrag unterliegen.

 

Nur noch ca. 40% der Beschäftigten arbeiten in einem tarifvertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. 60% der Arbeitnehmer würden bei einem tariflichen Kampf um AZV erst mal nicht eingebunden sein und das Ganze nicht als ihre Sache begreifen. Ebenso gilt dies für die meisten Prekären und Arbeitslosen.

 

Nur wenn der Kampf um Begrenzung der Arbeitszeit alle Lohnabhängigen einbezieht, und das tut nur der Kampf um eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit, kann ein effektiver Kampf um AZV geführt werden, der das Gesamtinteresse der Klasse formuliert.

 

Anders als die Forderung nach einer kurzen Vollzeit, verlangt die Forderung einer gesetzlichen 40-Stundenwoche nur die Festschreibung dessen, was (noch!) im allgemeinen Bewusstsein hier und jetzt der praktizierte Normalfall ist. Sie ist wesentlich defensiv und daher vielleicht durchaus geeignet, beträchtliche Teile insbesondere der SPD, aber auch des Arbeitnehmerflügels der CDU in Zugzwang zu bringen und so diese Parteien unter Druck zu setzen. Andererseits beinhaltet sie trotz ihres anscheinend harmlos anmutenden Charakters eine enorme gesellschaftliche Sprengkraft. Denn in dieser Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit geht es um die grundsätzliche gesellschaftliche Frage, wer über die Zeit der Lohnarbeitenden verfügt. Je länger die Anwendungszeit des Arbeiters durch den Unternehmer andauert, desto höher ist auch sein Mehrwert. Es liegt daher auf der Hand, dass sich das Kapital seinen Profit ohne ausdauernde Kämpfe der Arbeiter und ohne flächendeckende Kontrollen der tatsächlichen Einhaltung der gesetzlich maximal zulässigen Arbeitszeit nicht begrenzen lässt.

 

Dass diese gesellschaftliche Sprengkraft gebraucht wird, habe ich auch im Impulsreferat von Birgit Mahnkopf herausgehört, die uns darauf hinwies, über das Tagespolitische und auch über die Partei DIE LINKE hinaus zu denken, inhaltliche Bündnispolitik zu betreiben. Die gesetzliche Reduzierung der Arbeitszeit wäre ein Widerhaken, an dem ggf. auch die SPD in die Pflicht genommen werden könnte!

 

Einen weiteren – organisatorischen – Aspekt bzgl. der Auswertung der Diskussionsergebnisse in den Arbeitsgruppen möchte ich gerne noch ansprechen. Es erscheint wenig hilfreich, wenn Assistenten versuchen, die in der Diskussion geäußerten Aspekte im Anschluss an Arbeitsgruppen nach eigenem Gutdünken und mit teilweise ungeeigneten Stichworten auf Moderationskarten weitgehend unstrukturiert auf einer Pinnwand zu drapieren – und anschließend dieses Sammelsurium von Fraktionsmitarbeiter*innen, die gar nicht an der Diskussion teilgenommen hatten, als recht unzusammenhängende Liste zusammengefasst werden. Hier würde es m. E. helfen, wenn

 

  1. die Assistenten ihre mitgeschriebenen Notizen noch einmal mit den Diskutanten im Saal durchgehen und abstimmen;

 

  1. die so abgestimmten Formulierungen dann 1:1 ins Protokoll übernommen werden.

 

 

Eine Genossin der „Proletarischen Plattform“

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise