Corona und das Arbeitszeitgesetz

Grober Unfug der LINKEN im Bundestag

von D.D.

Hand in Hand mit dem Lockdown wurde, wie wohl inzwischen bekannt, vom Bundestag am 25. März[1] ein Gesetzespaket (eines von mehreren)[2] beschlossen, in dessen Rahmen auch das Arbeitszeitgesetz dahingehend geändert wurde, dass per Verordnung seitens des Arbeitsministeriums die Arbeitszeit über die im Gesetz oder in Tarifverträgen gezogenen Schranken für eine bestimmte Frist in bestimmten Bereichen des Arbeitslebens ausgedehnt werden kann.

Die Fraktion der LINKEN hatte seinerzeit in der sogenannten „zweiten Lesung“ des Pakets in einer von ihr verlangten gesonderten Abstimmung über den Artikel, der das Arbeitszeitgesetz betrifft,[3] als einzige Fraktion dagegen gestimmt (die Grünen hatten sich enthalten).

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Aber in der unmittelbar anschließenden dritten Lesung wurde dann das gesamte Gesetzespaket mitsamt der Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes einstimmig vom Bundestag beschlossen.[4]

Am 7. April erließ SPD-Arbeitsminister, Hubertus Heil, die auf dem geänderten Gesetz beruhende „Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie“. Für Beschäftigungsverhältnisse mit „Systemrelevanz“ sowie für eine Frist bis zum 30. Juni wird darin die Schranke einer ausnahmsweisen Überschreitung der gesetzlichen Norm einer achtstündigen Arbeitszeit pro Werktag von den durchs Gesetz maximal erlaubten zehn auf zwölf Stunden erhöht.[5] Zusätzlich werden auch die Mindestruhezeiten verkürzt und das Verbot der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen gelockert.

 

Einen guten Monat später, am 12. Mai, stellte die LINKE im Bundestag im Zusammenhang mit „Corona“, die sogenannten Pflegebeschäftigten betreffend, zwei Anträge. Im ersten Antrag geht es um die Arbeitszeit, im zweiten um die Bezahlung.

 

Der die Arbeitszeit betreffende erste Antrag zielt auf einen Beschluss des Bundestags, die Bundesregierung zu wiederum zweierlei aufzufordern. Zum einen dazu, „alle Pflegeberufe unverzüglich aus der COVID-19-Arbeitszeitverordnung … herauszunehmen und sicherzustellen, dass die Verordnung in dem Bereich keinesfalls über den 31.07.2020[6] hinaus verlängert wird“. Zum andern soll der Bundestag die Regierung auffordern,

„einen Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorzulegen, um die Möglichkeit zu schaffen, u.a. die Höchstarbeitszeit einer Vollzeitstelle als Pflegekraft bis auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich zu reduzieren und darüber hinaus weitere“ Wohltaten „vorzuschreiben“ und schließlich auch „umzusetzen“,

die wir uns gleich noch näher anschauen müssen.

 

„flexibel genug“

 

Zunächst jedoch zum ersten Punkt, der begehrt, „alle Pflegeberufe unverzüglich aus der COVID-19-Arbeitszeitverordnung … herauszunehmen“. In der Debatte zu den Anträgen wurde dieses ebenso unausgegorene wie verlogene Ansinnen durch den Beitrag der Abgeordneten Kappert-Gonther, der die Position der Grünen dazu darlegte, in aller Freundschaftlichkeit aufs gründlichste blamiert mit der an sich einzig richtigen Feststellung, die ganze Verordnung gehöre „gestrichen“.[7] An sich richtig. Denn die anschließend von der Rednerin gegebene Begründung hat dann doch ihre Haken und Ösen: „Das aktuell geltende Arbeitszeitgesetz ist flexibel genug, um diese Notsituation abzudecken.“

 

Nun ja, das „aktuell geltende Arbeitszeitgesetz“ ist das am 25. März vom Bundestag geänderte Gesetz, und diese Änderung, die überhaupt erst den Weg eröffnet hat zu seiner Aufweichung per Verordnung, d. h. am Parlament vorbei (und damit auch von keinem Parlamentarier konkret zu vertreten), war am Ende von eben diesem Parlament einstimmig, also mit der Zustimmung sowohl der Linken als auch der Grünen, beschlossen worden. Zuvor allerdings hatten – anders als der gesamte Rest des Parlaments – Die Linke sich gegen die Änderung ausgesprochen und die Grünen jedenfalls nicht dafür. Indes: Da war ja noch „diese Notsituation“, und in der Not steht man letztlich zusammen.

 

„um Leben und Tod“

 

Wie groß diese Not war, mit der man sich da konfrontiert sah, erhellt der Redebeitrag der seitens der Linken in der Sache anscheinend federführenden Abgeordneten Susanne Ferschl in der Debatte vom 25. März über das Gesetzespaket, das u. a. die Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorsah, aber auch einige für die Notzeit geltende Lockerungen beim Alg. II. Letztere hatten der Linken das Paket schmackhaft gemacht und es ihr wohl auch erleichtert, nach einigem Murren das Gesamtpaket am Ende abzunicken. Sie sei zunächst, so folglich damals die Genossin Ferschl, „noch guten Mutes“, dann jedoch „[s]tinksauer“ gewesen, als sie gesehen habe, dass die Regierung und namentlich Arbeitsminister Hubertus Heil „sich nicht zu schade“ gewesen seien, „den Schutzcharakter des Arbeitszeitgesetzes auszuhöhlen.“ Und klarstellend, dass auch sie im Kampf gegen die „Notsituation“ nicht wanke, fügte sie hinzu:

Ich rede hier nicht von den Beschäftigten in der Pflege und den Krankenhäusern, wo es um Leben und Tod geht, sondern von Saisonarbeitern, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Ernährungsindustrie usw.“

 

In der Debatte vom 12. Mai dann, zu den zwei Anträgen der Linken, von denen der erste nun das genaue Gegenteil dessen verlangte, was Die Linke selbst anderthalb Monate zuvor ausdrücklich vertreten hatte, erntete sie folgerichtigerweise Unverständnis und musste sich gefallen lassen, darauf verwiesen zu werden, dass ja an der „Notsituation“ sich nichts geändert habe.[8] Und niemand im Bundestag, am allerwenigsten Die Linke, wagte (und wagt es bis heute), näher nach der „Not“ zu fragen, die angeblich erfordert, Arbeitszeiten von mehr als zehn Stunden am Stück zu legalisieren, oder auch nur danach, wo denn bislang von den die Schranken des Arbeitszeitgesetzes überschreitenden Ausnahmen, die durch die Verordnung nun legalisiert werden, tatsächlich Gebrauch gemacht wurde oder wird.[9] Jedoch hat andererseits auch niemand versucht, der grünen Abgeordneten, die befand, dass die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes ganz ohne die Verordnung auch für die „Notsituation“ flexibel genug seien,[10] konkret zu widersprechen.

 

Inszenierte Not

 

Dass die „Notsituation“, auf die hin man – und zwar, jedenfalls hierzulande, von Beginn an und bis heute erklärtermaßen rein prophylaktisch – das ganze Coronaspektakel in Gang gesetzt hat und hält, absehbar nicht eintreten würde, stand bei näherem Hinsehen Ende März bereits zu vermuten. Mittlerweile kann es wissen, wer es denn wissen will.[11] Selbst die zahlreichen wegen „Corona“ ergriffenen Vorsichtsmaßregeln, die vermehrte Personalausfälle in Einrichtungen des Gesundheitswesens zur Folge hatten, haben zwar sicherlich hier und da zu Engpässen geführt und zweifellos Patienten und auch Gesundheitspersonal in größerer Zahl in Nöte gebracht, das Gesundheitswesen im Ganzen aber niemals auch nur in die entferntere Nähe einer solchen „Notsituation“ gebracht, dass unser flexibles Arbeitszeitgesetz ohne eine weitere Flexibilisierung ihrer Bewältigung im Wege gestanden hätte.

 

Die „Notsituation“ war von Anfang an ein Fake. Zunächst war es kaum mehr als die Katastrophenprophetie rein fantastischer mathematischer Modelle, untermalt mit Gruselbildern in den hiesigen leitmedialen Nachrichtensendungen vor allem aus Italien; Bilder die auch früher in mancher Grippesaison lieferbar gewesen wären, aber nicht nachgefragt wurden. Dann wurde es mithilfe einer abenteuerlichen Handhabung der Ergebnisse fragwürdiger, massenhaft eingesetzter Tests mit einer scheinbaren Plausibilität versehen, die sich aber bereits wieder verflüchtigte, kaum hatte man sich gegen die derart inszenierte „Not“ zum Lockdown niedergesetzt. Diesen gelockert beibehaltend, lebt das Fake inzwischen nur noch fort in den Sprachregelungen derjenigen, die auf ihm ihr eigenes mehr oder weniger folgenreiches Handeln gegründet haben, mit dem sie nun, wie es scheint, nicht mehr aufhören können, wollen sie ihr Gesicht nicht verlieren.

 

Die Linke, vom Regieren im Bund zeit ihrer Existenz strikt ferngehalten und jetzt allem Anschein nach nur noch erpicht, auch dort endlich einmal daran beteiligt zu werden, hat sich offenbar von Anfang an selber unter den Druck gesetzt, aus der Phalanx gegen „Corona“ um keinen Preis auszuscheren. Daher die Beflissenheit, mit der sie ein ums andere Mal das Ihre zum peinlichen Kitsch der Corona­propaganda beiträgt. Anders als den Grünen fehlt ihr anscheinend noch die geringste Gelassenheit, in der Opposition die nächste Gelegenheit zum Mitregieren abzuwarten und bis dahin entsprechend dem Pro­gramm, für das sie sich hat wählen lassen,[12] dem Tun und Lassen der Regierung zu opponieren.

 

30-Stundenwoche als „Möglichkeit“

 

Noch miserabler steht es indes um den zweiten Punkt des hier begutachteten Antrags der Linken zur Arbeitszeit von Pflegekräften, der – zu allem Unglück – auf eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes zielt. Das Elend beginnt schon damit, dass man just dieselbe Bundesregierung auffordert, das Gesetz einmal mehr anzufassen, nach deren jüngster entsprechender Operation man erklärtermaßen Grund hatte, „stinksauer“ zu sein. Es scheint freilich, als hätte dieser grobe Unfug „doch Methode“, denn auch dem in den beiden letzten Wahlprogrammen formulierten hoch löblichen Ziel, die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 auf 40 Wochenstunden zu senken, dem man getrost strategische Bedeutung zumessen kann, tat die Linke im Bundestag ganze zweimal (einmal pro Legislatur) mit solcher­art lauwarmen Anträgen ungenüge.[13] Dies in einer Zeit, da von Arbeitgeberseite längst für Änderungen des Arbeitszeitgesetzes in ganz anderer Richtung kräftig Reklame gemacht wurde und wird. (Dass es durchaus auch anders geht, hat in dieser Legislatur ein Antrag vom 13. März 2018 gezeigt, mit dem die FDP einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes einbrachte, der darauf zielte, unter Beibehaltung der 48-Stunden­woche das Gesetz für zusätzliche Flexibilisierungen auf tarifvertraglicher Grundlage zu öffnen.)[14]

 

Die Nonchalance, mit der die Linke im Bundestag in ihrem Antrag der Regierung in Sachen Arbeitszeitgesetz einmal mehr das Heft des Handelns überlässt, ist umso sträflicher, als die Vorgaben, die der Antrag dazu umreißt, in welcher Richtung man sich dessen Änderung denn wünscht, zudem gefährlich unausgegoren formuliert und nur dazu angetan sind, Konfusion zu stiften. Wie bereits zitiert, heißte es da, der von der Regierung vorzulegende Gesetzentwurf habe,

„die Möglichkeit zu schaffen, u. a. die Höchstarbeitszeit einer Vollzeitstelle als Pflegekraft bis auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich zu reduzieren“.

 

Warum eine solche Möglichkeit erst noch „zu schaffen“ wäre und sie gar eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes erforderte, verrät der Antrag nicht. Der Versuch einer Antwort könnte auch nur peinlich geraten, wie leicht einzusehen ist. Man nehme nur die Arbeitszeitregelungen im Metall-Bereich. Die dort immer noch geltende, wenn auch stark ausgehölte 35-Stundenwoche harmoniert ganz prima mit dem derzeitigen Arbeitszeitgesetz. Regelungen, die die Schranken des Gesetzes unterschreiten, fallen nämlich in die Autonomie von Tarifvertragsparteien. Das Gesetz schneidet diesen nur die Möglichkeit ab, Vereinbarungen über Arbeitszeiten zu treffen, die sie über die gesetzlichen Schranken hinaus ausdehnen würden.

 

„Flexibilität“ des Arbeitszeitgesetzes

 

Dies freilich nicht sehr rigide, sondern versehen mit allerlei Schlupflöchern für Ausnahmen, die es unter Umständen doch ermöglichen. Schlimmer noch. Die Ende März vorgenommene Gesetzesänderung hebelt auch die Tarifautonomie aus, indem sie die Erlaubnis, „über … Ausnahmen hinaus[zu]ge­hen“, ausdrücklich auch auf die „in Tarifverträgen vorgesehenen“ Grenzen erstreckt. Besser gesagt, sie transformiert die Autonomie der Tarifvertragsparteien in die des jeweiligen Arbeitgebers, denn der hat die Notwendigkeit einer außerordentlichen Verlängerung der Arbeitszeit zur Aufrechterhaltung der von seinem Laden zuliefernden „systemrelevanten“ Leistungen allein zu vertreten.[15]

 

Mit größter Vorsicht ist in diesem Zusammenhang zu genießen, was auf den Internetseiten des DGB und seiner Einzelgewerkschaften zur derzeit geltenden Arbeitszeitverordnung verlautet. Und damit nähern wir uns dem Kern des skandalösen Umgangs nicht nur der Linken im Bundestag mit dem, was in Sachen Arbeitszeitgesetz gegenwärtig politisch geschieht.

 

Die Covid-19-Arbeitszeitverordnung verschaffe „den Arbeitgebern keine neuen Befugnisse, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten einseitig zu verändern“, heißt es in der Bewertung des DGB vorweg, um dann in einer längeren Reihe wortreicher Zweideutigkeiten vor allem davon zu erzählen, was alles die Verordnung nicht bewirke. Das klingt schon sehr nach einer Beschwichtigung, die mit Akkuratesse die Frage umgeht, worauf die Verordnung denn positiv abziele, vermutlich um mit dem Minister, der schließlich aus demselben politischen Stall kommt wie der Großteil des gewerkschaftlichen Spitzenpersonals, nur ja nicht aneinander zu geraten. Das Ende vom Lied lautet allerdings:

„Arbeitgeber haben lediglich die Möglichkeit, bei absoluten Notfall- und Notstandsarbeiten einseitig Mehrarbeit anzuordnen. Diese Befugnis beschränkt sich auf zeitlich eng begrenzte Ausnahmesituationen, etwa bei drohenden irreparablen Schäden für den Betrieb.“

Dies versehen mit einem sich unmittelbar anschließenden letzten Satz, der eine besondere Würdigung verdient:

Sie“, nämlich besagte einseitige Befugnis der Arbeitgeber, „war bereits vor der Verabschiedung dieser Verordnung Bestandteil des Arbeitszeitgesetzes.“

 

Vielleicht etwas unklar scheint zunächst, auf welche Fassung des Arbeitszeitgesetzes diese letzte Aussage sich bezieht, denn dessen jüngste Änderung geschah ja vor Erlass der Verordnung. Aber in dieser Gesetzesänderung geht es um neue einseitige Befugnisse der Arbeitgeber nicht unmittelbar, sondern darum, solche durch ministerielle Verordnung unter Umständen erlassen zu können. Schaut man indes hinein ins Arbeitszeitgesetz, so findet man in seinen nichtgeänderten Teilen und insbesondere in den Absätzen 1 bis 3 des § 14 sowie im § 15 reichlich Anhaltspunkte für eine schon vor seiner Änderung und ohne sie gegebene Offenheit des Arbeitszeitgesetzes für unendliche Dehnungen seiner Ausnahmeregelungen. Zum einen konnte in der Tat schon immer der einzelne Arbeitgeber, wenn auch sehr ausnahmsweise, sich über die Schranken des Gesetzes hinwegsetzen und zum andern konnten die Bundesländer mittels der in ihrer Hoheit sich befindenden Aufsichtsführung über die Einhaltung des Gesetzes die darin vorgesehenen Ausnahmen, soweit dies „im öffentlichen Interesse dringend nötig“[16] werde, wie es im Gesetz heißt, nahezu unbegrenzt erweitern.

 

Gesetzesänderung ohne Not

 

Es drängt sich daher die Frage auf, warum denn die Bundesregierung diese Änderung des Arbeitszeitgesetzes überhaupt auf den Weg gebracht hat. Und das Drängen dieser Frage hat sich sogar in einem Papier niedergeschlagen, das zur Erläuterung der auf der Grundlage der Gesetzesänderung erlassenen Verordnung vom Bundesarbeitsministerium (BAMS) einen Tag nach seinem Erlass herausgegeben wurde und sich der Frage gegen Ende ausdrücklich widmet.[17] Danach waren schon vor dem Erlass der Verordnung ganz ähnliche Regelungen der Länder wegen „Corona“ in Kraft, wenn auch nicht in allen Ländern und nicht einheitlich sowie teils weitergehend und teils weniger weitgehend, als es die Verordnung des BAMS jetzt vorsieht. Zudem versichert das Papier, es bleibe

„den Ländern unbenommen, … über die Regelungen in der Verordnung hinaus längere Arbeitszeiten zuzulassen oder Regelungen für weitere Tätigkeiten vorzusehen, die in der Verordnung nicht genannt sind.“

 

Es bestand also nicht einmal theoretisch, geschweige denn praktisch Bedarf, hier gesetzesändernd einzugreifen. Nichts hatte dagegen gesprochen, zur Vereinheitlichung des Vorgehens auf diesem Gebiet, so denn das notwendig oder auch nur wünschenswert wäre, denselben Weg zu nehmen wie bei den anderen der Länderhoheit unterliegenden Coronamaßnahmen. Warum also dennoch die Gesetzesänderung und deren auf dem Fuße folgende Inanspruchnahme durch die Verordnung des BAMS? Warum wurde zudem die Gesetzesänderung zwei Tage nach ihrer Verabschiedung im Bundestag von der Länderkammer ohne irgendeine Diskussion einmütig durchgewunken?

 

Zwei Gesichtspunkte fallen hierzu ins Auge.

 

Zum Ersten geht es offensichtlich darum, dem Bund und seiner Exekutive bei der Lockerung der Re­striktionen des Arbeitszeitgesetzes mehr Initiative zuzuschanzen. Das mag auch den Ländern zupass gekommen sein, insofern es, anders als zum Beispiel in der Gesundheitspolitik, beim Gros der Wählerschaft in diesem Fall wahrscheinlich wenig politische Lorbeeren zu ernten gibt. Das Arbeitszeitgesetz ist außerdem ein Bundesgesetz und es erscheint daher folgerichtig, dass seine zuständigen Organe bei allem, was das Gesetz regelt, die erste Geige spielen sollten. Weitaus weniger folgerichtig war es schon immer, dass bei der Überwachung der Einhaltung des Gesetzes nahezu ausschließlich Organe der Länder zuständig sind.[18] Dass man daran gänzlich unbeirrt festhält, ist ein untrügliches Zeichen dafür, in welche Richtung hinsichtlich des Arbeitszeitgesetzes sämtliche Überlegungen aller maßgeblichen politischen Kräfte gehen: Schleifen seiner Beschränkungen bei Aufrechterhaltung des unübersichtlichen Gestrüpps an Kontrollinstanzen.

 

Zum Zweiten fällt eine durch die Gesetzesänderung eingeführte Neuerung auf, die auf Tarifverträge Bezug nimmt. Von Tarifverträgen war zwar auch bislang schon im Arbeitszeitgesetz an vielen Stellen die Rede, aber – mit einer einzigen Ausnahme – immer nur als Hebel zur Aufweichung bestimmter Restriktionen des Gesetzes. In der jetzt vorgenommen Gesetzesänderung ist die Sache umgedreht: An dieser Stelle wird nun das Gesetz zum Hebel, mögliche Restriktionen in Tarifverträgen aufzuweichen. Die erwähnte Ausnahme, die auch zuvor schon eine solche Möglichkeit vorsah, findet sich in § 15, Absatz 3 und betrifft, wie es da heißt, den „Geschäftsbereich“ des Bundesministeriums der Verteidigung, womit wohl hinreichend klargestellt wäre, welchen Charakters besagte nun auch die „Geschäftsbereiche“ des zivilen Lebens erfassende Neuerung ist. Mit ihr wurde die Möglichkeit geschaffen, auch im Bereich des zivilen Lebens das Arbeitszeitregime zeitweilig unter Kriegsrecht zu stellen.

 

„Schutzcharakter“

 

Die Linke im Bundestag scheint entschlossen, solche politischen Implikationen des Regierungshandelns und der davon angetriebenen Gesetzgebung vollständig zu ignorieren. Wenn sie vom „Schutzcharakter“ des Arbeitszeitgesetzes redet, den „auszuhöhlen“ sie verwerflich findet und eigentlich (s. o.: „Ich rede hier nicht von den Beschäftigten in der Pflege und den Krankenhäusern, wo es um Leben und Tod geht“) ablehnt, dann hat sie regelmäßig nur das wie auch immer zur Masse sich summierende böse Schicksal Einzelner im Auge, und weiß keinen anderen Rat, als den Regierenden ihr gutes Gewissen streitig zu machen. Wirksame Abhilfe kann sie nicht anders in Aussicht stellen als dadurch, dass man ihr endlich mitzumachen erlaubte beim Regieren. Und bis dahin wirft sie sich ein ums andere Mal in die Pose dessen, der soviel Gutes tun könnte, wenn man ihn nur ließe. Aber selbst dabei verheddert sie sich bisweilen, wie wir sahen, im eklatanten Widerspruch, oder das Ganze verrutscht ihr wegen gründlichen Mangels an Sachkenntnis oder aus purer Schludrigkeit zur Grimassen schneidenden komischen Figur.

 

Indes könnte die Rede vom „Schutzcharakter“ des Arbeitszeitgesetzes, an dem die Regierung aushöhlend sich zu schaffen mache, durchaus das passende Stichwort für die dringend nötige Formulierung eines strategischen Gedankens liefern. Eines Gedankens, der allem politischen Tun und Lassen derjenigen zur Orientierung dienen könnte, die sich der Wahrung der gemeinsamen Interessen aller Lohnabhängigen im Lande verschrieben haben. Eines Gedankens freilich auch, der dem (im weitesten Sinne) linken Milieu zurzeit ferner zu liegen scheint denn je. Des Gedankens nämlich, dass die lohnabhängige Klasse in Gestalt dieses Gesetzes offenbar immer noch ein Bollwerk besitzt, das ihrer unbezahlten Mehrarbeit, der Arbeit also, die sie über die Arbeit für ihre eigene Fortexistenz hinaus leisten muss, gewisse Schranken setzt; dass folglich die Aufrechterhaltung dieses Bollwerks, die einschließen muss die dringend notwendige Ausbesserung seiner zahlreichen Schadstellen sowie seine zeitgemäße Nachrüstung, nicht nur äußerst lohnenswert, sondern ganz unabdingbar wäre, wollte man irgend den grassierenden Zerfall jeglichen politischen Zusammenhangs der Klasse aufhalten; dass schließlich die Klasse – und zwar am Dollpunkt des Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital – immer noch etwas zu verteidigen hätte, mithin strategisch sich in der Defensive[19] befände, wenn sie nur endlich diese mit Tatkraft ins Werk setzte.

 

Ausgehend von diesem Gedanken mag es vielleicht in Ordnung und unter Umständen sogar geboten sein, für die Verkürzung der Regelarbeitszeit (Vollzeit) im Rahmen bestimmter Branchen (oder auch nur bestimmter Berufsgruppen darin) einzutreten und Arbeitskämpfe dafür anzuschieben und zu organisieren. So etwas hängt ab von den konkreten Kräfteverhältnissen, zuallererst vom Grad der Bereitschaft der Beschäftigten, für die die Verkürzung der Arbeitszeit erstritten werden soll, dafür sich ins Zeug zu legen und von ihrer Fähigkeit, dafür ihre Organisationen in Bewegung zu setzen, aber auch davon, wie realistisch es ist, den Widerstand der Gegenseite zu überwinden, und sicher noch von einigem anderen. Ganz ungut dagegen wäre eine darauf gerichtete Kampagne, deren Hauptzweck absehbar nur die Reklame für den sie tragenden Politladen sein kann – und zwar ungut völlig unabhängig davon, wie sehr an sich sinnvoll oder sogar nötig die Erfüllung des dazu geschnürten Pakets an Forderungen wäre. Bei solcher Reklame fällt nach aller Erfahrung ihr Ertrag insbesondere bei denen, die man bewirbt, ziemlich mickrig aus, gar nicht zu reden von dem verdient schlechten Leumund, den man sich in den entsprechenden gewerkschaftlichen Organisationen in aller Regel damit erwirbt.

 

Wie es in dieser Hinsicht mit der gesundheitspolitischen Kampagne der Linken des Näheren sich verhält, kann ich nicht beurteilen, muss jedoch gestehen, dass das ziemlich bombastische Potpourri an Forderungen, das ich dem Beschluss des BSpR der AKL vom 2. Juni entnehme, mir nicht den Eindruck auch nur irgendeiner seriösen politischen Überlegung macht.

 

„Schaufensterantrag“

 

Was nun allerdings die Linke im Bundestag dazu mit ihrem Antrag von 12. Mai – gedacht womöglich als ihr spezieller Beitrag zur Kampagne – verzapft hat, lässt sich nicht anders bewerten denn als Bärendienst sowohl an denen, auf die hin als Nutznießer der Antrag formuliert ist, als auch erst recht am „Schutzcharakter“ des das Gesamtinteresse der lohnabhängigen Klasse im Kern tangierenden Arbeitszeitgesetzes.

 

Schon das Timing der Antragseinbringung scheint – wenn auch ganz untauglich – allein darauf berechnet gewesen, mit einer besseren Expertise beim Management der Coronakrise auf der parlamentarischen Bühne sich zu profilieren. Bezüglich des er­sten Punktes, der Forderung die Pflegeberufe aus der Verordnung des BMAS „herauszunehmen“, kam der Antrag für die Betroffenen einen Monat zu spät (wenn wir einmal davon absehen, dass es ganz danach aussieht, als hätte die Fraktion es sich in dieser Frage irgendwann unterwegs halt anders überlegt). Was andererseits den zweiten An­tragspunkt angeht – wir lassen den Schaden zunächst beiseite, den die heillose Konfusion dessen anrichtet, was das Arbeitszeitgesetz regeln kann (und sollte) und was nicht –, so garantierte der Zeitpunkt seiner Einbringung, dass das Anliegen, die Einführung einer (5 x 6 =) 30-Stundenwoche für Pflegekräfte, nicht nur die erwartbare Abfuhr im Parlament erhielt, sondern auch dessen laue Debatte darüber ohne jede Wirkung für seine Durchsetzung auf dem Wege einer Kampagne blieb, denn etwas derartiges war offenbar noch kaum in Gang gekommen, jedenfalls hat kein Diskussionsbeitrag auf irgendein Kampagnengeschehen Bezug genommen. Nicht einmal also zum „Schaufensterantrag“, wie der Abgeordnete der AfD geargwöhnt hat, taugte die Sache, denn vor dem Schaufenster stand leider niemand. Dabei hätte man durchaus noch Zeit gehabt, will man doch die 30-Stunden-Regelar­beitszeit für Pflegekräfte ausdrücklich erst nach der Krise eingeführt sehen.

 

Linker Freifahrtschein für die Regierung

 

Als weit schlimmer freilich ist das Signal zu bewerten, das der Antrag für den politischen Umgang der Linken im Bundestag (und womöglich der Partei Die Linke insgesamt) mit dem Arbeitszeitgesetz setzt. Alles in allem liefe die Verabschiedung eines solchen Antrags in diesem Punkt auf einen Dispens für eine beliebige Regierungsmehrheit hinaus, die sich daranmachen wollte, den wirklichen „Schutzcharakter“ des Gesetzes restlos zu zerstören. Soweit sind wir glücklicherweise in Deutschland wohl noch nicht, aber dies anscheinend eher nicht wegen sondern trotz der Linken.

 

Der wirkliche „Schutzcharakter“ des Gesetzes hängt ganz und gar davon ab, wie strikt es ausnahms­los allen Lohnabhängigen dieselbe Maximalarbeitszeit auferlegt, und zwar ohne jede Rücksicht auf jedwede Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers.[20] In dieser Striktheit macht sich gerade der Klassencharakter der lohnabhängigen Existenz geltend, das also, was die Proleten in dem Maße nur loswerden, wie sie alle zusammen mit Wissen und Bewusstheit aus freien Stücken sich ihm unterwerfen. Bei eben dieser verteufelten, der blanken Selbstbestimmung des Individuums zuwiderlaufenden Striktheit, die jegliche wirksame Regelung der Normalarbeitszeit verlangt, setzen denn auch in der Art eines Automatismus diejenigen den Hebel an, denen aus durchsichtigen Interessen die Reglementierung der Arbeitszeit ein Dorn im Auge ist und die sie deshalb zu unterminieren suchen. Beispielhaft ließ sich das zuletzt studieren an der Debatte um den (s. Fn. 13) erwähnten Antrag der Linken zu einer seitens der Regierung einzuführenden gesetzlichen 40-Stundenwoche, der am 1. Februar 2018 zur ersten Lesung auf der Tagesordnung stand.[21] Flexibilisierung der Arbeitszeit, die auch im Interesse der Arbeitnehmer liege, lautete dazu die gegnerische Parole, wobei jedoch niemand in der Debatte den völligen Abriss der 48-Stunden-Barrie­re für die Wochenarbeitszeit verlangt und also auch nicht erklärt hat, warum die Anpassung dieser Barriere an die längst eingebürgerten 40-Stunden mit den gleichfalls eingebürgerten zwei freien Wochentagen nicht der allseits geforderten Zeitgemäßheit des Arbeitszeitgesetzes gerecht würde. Die Linke jedoch, statt eine solche Erklärung einzufordern, ist gleichfalls lieber auf der individuellen Selbstbestimmung lohnabhängig Beschäftigter herumgeritten und hatte daher dem Argument seitens der CDU, sie (die Linke) übersehe, „dass es auch unter Arbeitnehmern den Wunsch gibt … mehr als die 40 Stunden, die von Ihnen angesetzt worden sind, zu arbeiten“, weil „sie sich aufgrund ihrer Mehrarbeit etwas leisten möchten“, buchstäblich nichts entgegenzusetzen.[22]

 

Flexibilisierung des Achtstundentags

 

Wie auf der andern Seite Flexibilisierung im Umgang mit dem Arbeitszeitgesetz geht, zeigt mustergültig der ebenfalls oben bereits erwähnte Gesetzentwurf, den die FDP, anderthalb Monate nach dem Antrag der Linken zur 40-Stundenwoche, eingebracht hat. Die darin vorgeschlagene Gesetzesänderung kommt, wie erwähnt, ganz unscheinbar daher. Man will am Gesetz an sich nichts ändern, nichts an der achtstündigen werktäglichen Normalarbeitszeit und nichts an der Sechswerktagewoche, man will nur die Erlaubnis ins Gesetz einbauen, sich in tariflichen Vereinbarungen darüber hinwegzusetzen, nämlich: „anstelle einer werktäglichen Höchstarbeitszeit eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden festzulegen“[23]; sowie die Ruhezeiten ohne eine bestimmte Untergrenze zu kürzen. Dies alles, wie gesagt, nur, sofern es streng sozialpartnerschaftlich vereinbart wird; ein Weg, der im Übrigen – auch das sahen wir oben bereits – keine im Arbeitszeitgesetz bislang ganz unbekannte Neuerung darstellte, sondern vielmehr der Standard ist, wie in das Gesetz Möglichkeiten eingebaut sind, auch jenseits seiner Grenzen zusätzliche Lebenszeit des Arbeitsvolks in Arbeitszeit fürs Kapital zu verwandeln.

 

Dass der Gesetzentwurf dennoch im Parlament durchgefallen ist, hatte wahrscheinlich weniger mit seinem Inhalt zu tun als mit den sehr speziellen poltischen Umständen unter denen er zur Verhandlung stand. Die neue GroKo aus CDU und SPD war nach mühevollem Gerangel soeben in trockene Tücher gebracht worden. Dies, nachdem einige Zeit vorher die FDP unter großen Schmähungen den Versuch zur Installation einer sogenannten Jamaika-Koalition abgeblasen hatte. Den Beiträgen seitens der frisch gekürten Regierungsparteien in der Debatte des Bundestagsplenums über den Entwurf lässt sich entnehmen, dass man sich zwar entschieden hatte, ihn abzulehnen, aber zugleich mehr oder weniger schwer damit tat. Insbesondere die CDU suchte wohl vor allem sich selbst damit zu trösten, dass man im Koalitionsvertrag ja etwas ganz ähnliches als Vorhaben stehen habe, versehen mit der Einschränkung, es solle sich zunächst nur um „Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen“ handeln. Die wenig geheime Botschaft lautete am Ende, dem Anliegen des FDP-Ent­wurfs werde schon irgendwie entsprochen werden, aber das brauche große Vorsicht und vor allem noch Zeit. Geht es doch im Kern – während der Debatte zum Teil ziemlich offen ausgesprochen – um nichts Geringeres als darum, den Achtstundentag und darüber auch die 48-Stundenwoche möglichst geräuschlos unter die Erde zu bringen.

 

Schon eine geraume Zeit vor „Corona“ wies demnach die politische Großwetterlage in Richtung einer Art kalter Auflösung jeglicher gesetzlicher Normierung der Arbeitszeit lohnabhängig Beschäftigter. Kein frontaler Angriff auf den Kernbestand des Arbeitszeitgesetzes stand bis dato ins Haus, sondern dessen fortschreitende Zersetzung gewissermaßen von innen heraus: durch beharrliche Vermehrung der immanenten „Möglichkeiten“ seiner Aufhebung im flexiblen Einvernehmen der Sozialpartner. Mit „Corona“ und der damit einhergehenden Anbahnung einer tiefen Depression hat die Sache nun allerdings einen neuen Drall erhalten. Die Änderung des Gesetzes vom 27. März zielt zwar weiterhin nicht auf die Regelzeit selbst, sondern auf die ausnahmsweise erlaubten Abweichungen davon, aber zum Überschreiten der dafür im Gesetz vorgesehenen Grenzen braucht es – im Falle eines parlamentarisch festgestellten infektiösen Notstands – jetzt keine Vereinbarung der Sozialpartner mehr, es genügt das blanke Diktat der Regierung, das dann ggf. zeitweilig sogar solche Vereinbarungen außerkraftsetzen darf.

 

Avanti Dilettanti

 

In dieser Situation nun die Regierung dazu aufzufordern, im Arbeitszeitgesetz eine weitere „Möglichkeit“ welcher Art auch immer „zu schaffen“, zeugt bereits für sich genommen von einer politischen Einfalt, die in ihrem Ergebnis nicht anders denn als kriminell zu bewerten wäre, gäbe es nicht den mildernden Umstand, dass davon, wie wohl vom allermeisten des linken Aktivismus im Bundestag, nicht mehr als eine parlamentarische Randnotiz bleiben wird. Dass dies zudem ohne jede Not geschah, weil die „Möglichkeit“, um die es in dem Antrag geht, einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes gar nicht bedarf und es ein Missbrauch wäre, der seinem Schutzcharakter widerspricht, so etwas in das Gesetz hineinzuschreiben, macht’s natürlich um nichts besser. Aber wie gesagt: mildernder Umstand. Und viel wichtiger daher: Wie geht die Partei mit dieser ihrer Fraktion im höchsten deutschen Parlament fürderhin um?

 

Oder lautet die Frage nicht eher: Gibt es noch nennenswerte Kräfte in der Partei, denen der grobe Unfug und die – zumindest potentielle – Gefährlichkeit solchen Treibens ihrer Parlamentarier einleuchten könnte, wenn man sie darauf aufmerksam machte? Denen begreiflich zu machen wäre, dass beim Herumdoktern des politischen Establishments am Arbeitszeitgesetz es sich um keine Spielerei handelt, dass vielmehr ein Kernelement des Besitzstands ausnahmslos aller Lohnabhängigen auf dem Spiel steht? Die daher begreifen können, welch enormen Schaden im Angesicht der herangerückten Depression anrichten muss, wer, statt auf das gemeinsame Interesse der Klasse, den politischen Akzent auf disparate Interessen ihrer Segmente setzt; wer, statt zur gemeinsamen Verteidigung jenes Kernelements aufzurufen und zu mobilisieren, lieber den altruistischen Anwalt besonders systemrelevanter Interessen mimt?

 


[1] In einigen Meldungen und Kommentaren im Internet wird irrtümlich das Datum des 23. März genannt und der 25. März für die Zustimmung des Bundesrats, die aber (und zwar wiederum einstimmig) tatsächlich erst am 27. März erfolgte.

[2] Darunter zuvorderst das eine Reihe von Änderungen des Infektionsschutzgesetzes betreffende Paket, das sicherlich eine ausführliche gesonderte Würdigung verdient hat.

[3] Hier der Wortlaut des Artikels 8 des Gesetzespakets, der das Arbeitszeitgesetz betrifft:
„Dem § 14 des Arbeitszeitgesetzes vom 6. Juni 1994 (BGBl. I S. 1170, 1171), das zuletzt durch Artikel 12a des Gesetzes vom 11. November 2016 (BGBl. I S. 2500) geändert worden ist, wird folgender Absatz 4 angefügt:

‚(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ohne Zustimmung des Bundesrates in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes, für Tätigkeiten der Arbeitnehmer für einen befristeten Zeitraum Ausnahmen zulassen, die über die in diesem Gesetz und in den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie in Tarifverträgen vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen. Diese Tätigkeiten müssen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig sein. In der Rechtsverordnung sind die notwendigen Bedingungen zum Schutz der in Satz 1 genannten Arbeitnehmer zu bestimmen.‘“ (Drucksache 19/18107 des Bundestags, S. 13 f)

[4] Vgl. im Plenarprotokoll 19/154 des Bundestags S. 19169 f.

[5] Zum Wortlaut der Verordnung geht‘s hier. Ein Detail am Rande, das es wert ist, notiert zu werden: Einhergehend mit dieser Ausdehnung auf tägliche zwölf Stunden wird darin die Schranke der wöchentlichen Arbeitszeit nicht auf die sich aus den sechs „Werktagen“ des Arbeitszeitgesetzes ergebenden 72 (= 6 x 12) Stunden, sondern auf (5 x 12 =) 60 Stunden festgesetzt.

[6] Nach ihrem § 7 tritt die Verordnung am 31. Juli außer Kraft.

[7] Im Video ab etwa Minute 32:43 und im Protokoll auf Seite 20052.

[8] So vom CDU-Abgeordneten Riebsamen (vgl. im Video ab Minute 4:30 und im Protokoll, Seite 20046 f.

[9] Dass Die Linke im Bundestag sich dafür bislang überhaupt nicht zu interessieren scheint, ist natürlich vor allem deshalb ein Skandal, weil hier ein elementares Gesamtinteressen der Arbeitnehmerschaft (in modern times Arbeiterklasse genannt) ebenso auf dem Spiel steht wie auch die Rechte und Interessen vieler einzelner Arbeitnehmer, was sowohl im Ganzen als auch im Detail gründlich aufgeklärt gehörte. Siehe in diesem Zusammenhang auch Fußnote 15.

[10] Wie enorm flexibel, dazu im Weiteren noch etwas mehr.

[11] Zum Stand der Dinge hier eine sehr gute Übersicht vom 23. Juni.

[12] Das derzeit maßgebliche Programm für die Bundestagswahl von 2017 ist da ganz unzweideutig. Hinsichtlich der jetzt zur Disposition gestellten Regelungen steht dort zu lesen:

„Ausnahmen von der gesetzlich zulässigen Tageshöchstarbeitszeit und den erforderlichen Ruhezeiten lehnen wir ab.“

[13] Siehe für die vergangene Legislaturperiode den Antrag vom 8. Juni 2016 und für die gegenwärtige den Antrag vom 30. Januar 2018.

[14] Vgl. Bundestag, Drucksache 19/1174. Mehr zu diesem Antrag im vorliegenden Text hier.

[15] Der letzte, etwas unscheinbar klingende Satz in jenem vierten Absatz, der dem § 14 des Arbeitszeitgesetzes durch die Gesetzesänderung hinzugefügt wurde, lautet: „In der Rechtsverordnung sind die notwendigen Bedingungen zum Schutz der [betroffenen] Arbeitnehmer zu bestimmen.“ Und schaut man in der auf dieser Grundlage erlassenen Arbeitszeitverordnung vom 7. April nach, wird man bei deren nicht weniger unscheinbarem § 5 fündig, betitelt „Behördliche Befugnisse“. Er lautet so schlicht wie nebulös: „Die Aufsichtsbehörde kann feststellen, ob eine Beschäftigung nach dieser Verordnung zulässig ist.“ Das sollten wir uns merken. Es wird zu klären sein, wo, wann, aus welchen bestimmten Gründen und in welchem Ausmaß die Verordnung in Anspruch genommen worden ist und wer da ggf. wie die Aufsicht ausgeübt hat. Und es wird die Frage nach der Wahrung der spezifischen Rechte und Interessen der Arbeitnehmerseite zu stellen sein, die vielleicht schneller als zuvor auf dieser Seite das Einsehen der Notwendigkeit flächendeckender Aufsichtsorgane befördern kann, die allein von der Arbeitnehmerschaft installiert und kontrolliert werden.

[16] ArbZG, § 15, Absatz 2.

[17] BMAS: Die Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie (COVID-19-Arbeitszeitverordnung), 8. April 2020, S. 6.

[18] Vgl. ArbZG, § 17, Absatz 1. Die einzige Ausnahme von dieser Regel betrifft ausgerechnet „den öffentlichen Dienst des Bundes sowie … die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“ (dito, Absatz 3), womit – zumindest im Fall des öffentlichen Dienstes – der Bock zum Gärtner gemacht wird. Einmal mehr wird man hier mit der Nase darauf gestoßen, wie dringend nötig Aufsichtsorgane wären, die ausschließlich Arbeitnehmerinteressen vertreten.

[19] Eine Position oder vielmehr (so denn gekämpft würde) eine Kampfform, die auf dem Gebiet, von dem der Ausdruck herstammt, dem Militärwesen, anders als es seine Benutzung auf dem politischen Feld in der Regel nahelegt, meist keine an sich schwache, sondern eine ausgesprochen starke Kampfform und daher die vom schwächeren Kontrahenten solange als möglich zu bevorzugende ist, was indes taktische Offensiven keineswegs ausschließt. Der von Marx, Engels und auch von Lenin hochgeschätzte preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz spricht davon, dass „die verteidigende Form des Kriegführens … an sich stärker als die angreifende“ sei (Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Ausgabe als PDF im Internet, S. 248).

[20] Wie ja schon bei jedem Streik auf die Selbstbestimmung einzelner Arbeitswilliger (landläufig: Streikbrecher) keine Rücksicht genommen werden kann.

[21] Zu einem Zeitpunkt also, als der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD noch verhandelt wurde, weshalb die Beiträge aus der CDU und der SPD noch nicht allzu sehr aufs gemeinsame Regieren hin glattgebürstet wa­ren. Auch in diesem Fall kann man sich inzwischen übrigens fragen, wie glücklich das Timing des Antrags gewesen ist, denn in der Debatte spielte offensichtlich der sogenannte „Fachkräftemangel“ eine nicht unerhebliche Rolle bzw. dass, wie eine CDU-Abgeordnete es ausdrückte, „viele Wissenschaftler inzwischen vom sogenannten Arbeitnehmermarkt“ sprächen. Jedenfalls hatte das linke Standardargument einer gleichmäßigeren Verteilung der Arbeit auf möglichst viele Schultern offenbar gerade keine besonders gute Konjunktur.

[22] Nichts zum Beispiel auch dem wahrhaft herzigen „die 40 Stunden, die von Ihnen angesetzt worden sind“. Vgl. das Protokoll der Debatte, S. 836 und im Video ab Min. 8:37.

[23] Deutscher Bundestag, Drucksache 19/1174, S. 3.

 

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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