Von D. D.
Zu der im Juli von Katja Kipping angestoßenen und später von anderen aufgegriffenen Sommerloch-Diskussion um „Arbeitszeit-Verkürzung“ und spezieller um die Vier-Tage-Woche sollten wir uns sicher alsbald in der proletarischen Plattform gründlicher verständigen. Hier aber zunächst etwas in Kladde vor allem zu Bernd Riexingers „Die 4-Tage-Woche konkret machen“.
Dessen Text macht auf mich einen einigermaßen konfusen Eindruck. Der Form nach eher wie eine Pressemitteilung eines seiner Mitarbeiter aufgemacht, für so etwas anderseits aber viel zu geschwätzig. Das Ganze ziemlich lieblos zusammengeschustert. Niemand scheint sich das Ding auch nur einmal angeguckt zu haben, um wenigsten solche Sätze wie den: „Ein Ausgleich auf durchschnittlich 8 Stunden müssen innerhalb von 2 Monaten ausgeglichen werden“, zu korrigieren, bevor es raugehauen wird.
In der Sache selbst bietet seine „konkret“ gemachte „4-Tage-Woche“ allerschlimmste Konfusion. Zum Beispiel heißt es da:
„Die gesetzliche Arbeitshöchstzeit pro Woche muss auf 40 Stunden reduziert werden. Während des Corona-Lock-Downs ist sie per Verordnung verlängert worden. In der Corona-Krise könnte sie per Verordnung verkürzt werden – zum Schutz der Arbeitsplätze.“
Das ist zum ersten schlicht falsch, denn die gesetzlich ausnahmsweise zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit beträgt (6 mal 10 =) 60 Stunden, und die hat die Verordnung ausdrücklich nicht geändert. Was sie geändert hat, ist die mögliche Verteilung auf die einzelnen Wochentage, indem sie erlaubt, die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden auszudehnen, so dass dann beispielsweise 5 Tage à 12 Stunden als Maximum herauskämen. Zum zweiten unterschlägt der Satz die Änderung, die man „während des Corona-Lock-Downs“ an eben jenem Gesetz selbst, in dem es um die „gesetzliche Arbeitshöchstzeit“ geht, vorgenommen hat, um die Verordnung allererst zu ermöglichen. Die hat dann ihrerseits zwar nicht die „gesetzliche Arbeitshöchstzeit pro Woche“, wohl aber die ausnahmsweise tägliche verlängert. Und zum dritten: Was soll der Blödsinn, „sie“ (also die „gesetzliche Arbeitshöchstzeit pro Woche“) ausgerechnet „per Verordnung“ zu verkürzen? einer Verordnung, deren gesetzliche Grundlage, nämlich der dem § 14 des Arbeitszeitgesetzes durch besagte Änderung hinzugefügte Absatz (4), eine solche Möglichkeit gar nicht hergibt? (Zumal in der sensiblen Frage der gesellschaftlichen Normierung der Arbeitszeit es aus Arbeitnehmersicht grundsätzlich verwerflich ist, auf „Verordnungen“ zu setzen, also der staatlichen Exekutive Handlungsvollmachten dazu zuzubilligen, solange die sich nicht einigermaßen sicher unter der Fuchtel der Gesamtheit der assoziierten Arbeitnehmerschaft befindet.)
Das Ding macht den Eindruck, als habe Kollege Riexinger kurz vor Toresschluss schnell noch auf einen Zug aufspringen wollen, den zunächst seine Noch-Co-Vorsitzende, Frau Kipping angeschubst und dann der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann unter etwas Dampf gesetzt hatten. Beide sind freilich weit entfernt davon, eine verbindliche allgemeine Arbeitszeitbeschränkung vorzuschlagen. Beide knüpfen an die bestehenden Kurzarbeitsregelungen an und wollen daraus eine Geschichte machen, die etwas länger hält, weniger provisorischen Charakter hat. Kipping schlägt ausdrücklich eine einjährige „Anschubfinanzierung“ ihrer Vier-Tage-Woche über „ein neues Kurzarbeitergeld“ vor. Hofmann fordert direkt eine Verlängerung der bestehenden Kurzarbeitsregelung und denkt „außerdem“ nach „über … etwa eine 4-Tage-Woche als Wahlmöglichkeit für Unternehmen“ und dies dann mit – aber hallo! – „einem gewissen Lohnausgleich“.
Im Fall der IG Metall ist von vornherein klar, dass es ihr keineswegs um eine gesellschaftliche, alle Arbeitnehmer erfassende Verkürzung der Höchstarbeitszeit geht, denn dafür fühlt sie sich schon lange nicht mehr zuständig. Aber auch Frau Kipping meint mit ihrer „die Corona-Krise zum Anlass“ nehmenden „flächendeckende[n] Einführung einer Vier-Tage-Arbeitswoche“ nichts anderes, denn am Ende ihrer „Anschubfinanzierung … für Unternehmen, die … verkürzen“, soll an deren Stelle „ein Tarifvertrag beziehungsweise eine Betriebsvereinbarung über ein Arbeitszeitmodell“ treten.
Beide versuchen die Arbeitgeberseite mit der Aussicht, auf diesem Weg einen hier und da anstehenden sogenannten „Strukturwandel“ besser zu meistern, bzw. mit „Mitarbeiter[n]“ zu locken, die „weniger Fehler machten, motivierter und seltener krank seien“. Dass eine dauerhafte Vier-Tage-Woche gerade dort, wo sie wahrscheinlich am ehesten infrage käme – ausdrücklich wird von beiden die Autoindustrie ins Spiel gebracht –, nämlich im Hochtechnologiebereich, ganz gewaltig auf den dort erwirtschafteten Beitrag zur Durchschnittsprofitrate drücken würde, weil teure Sachinvestitionen nicht einfach so ins verlängerte Wochenende geschickt werden können wie die mit ihnen hantierenden Arbeitskräfte; dass folglich der Standort Deutschland das ohne schwere Beeinträchtigungen seiner Weltmarkposition nur verkraften könnte, wenn in anderen Bereichen viel zusätzliche Arbeit billiger Arbeitskräfte mobilgemacht würde, mithin ein mächtiger Druck für Verlängerungen der Arbeitszeit in Sektoren schlecht- bis unorganisierter Niedriglohnbeschäftigung sich entwickelte: davon ahnen diese Schwafelköpfe der „guten Arbeit“ natürlich nichts, und zumindest ein Jörg Hofmann will davon sicher auch gar nichts wissen. Über jegliche gesetzliche Arbeitszeitregulierung bewahren sie im Übrigen Stillschweigen.
Das immerhin ist bei Riexinger ganz anders. Nicht zuletzt wahrscheinlich deshalb, weil der Mann Verdianer ist und den in der Regel ziemlich desolaten Organisationsgrad der Arbeitnehmerschaft im Verdibereich kennt. Da ist mit tarifvertraglichen Regelungen meist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Riexinger setzt daher den Akzent vernünftigerweise auf gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeit und bringt sogar irgendwie die Parteiforderung einer arbeitszeitgesetzlichen 40-Stundenwoche in Erinnerung. Leider verbuddelt er sie aber unter einem Wust von „konkreten“ Ideen, wie „man“ etwas ganz anderes realisieren könnte, nämlich die auf dem Mist von Kipping und Hofmann gewachsene ominöse „Vier-Tage-Woche“, der er obendrein noch ein „für alle“ als Schwänzchen hinten dran schummelt, das bei Kipping und Hofmann gar nicht vorkommt. Und das alles mit irgendeiner „gesetzlichen Flankierung“, was für das Arbeitszeitgesetz eigentlich nur ganz bös enden kann.
Denn wo in der politischen Realität dieser Republik für ein solches Vier-Tage-Woche-für-alle-Paradies derzeit eine politische Kraft sich fände, die auch nur den Eindruck erwecken könnte, fähig zu sein, das alles im Sinne der wohlverstandenen Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, nachdem bereits diejenigen, denen er sich hier zur Seite stellt, offensichtlich etwas ganz anderes wollen, diese Frage stellt er vorsichtshalber wohl nicht einmal sich selber. Irgendein vage umrissenes großes gesellschaftliches Palaver soll da irgendwann dereinst Abhilfe schaffen, und mit seinem Text trägt er schon einmal sein Scherflein dazu bei.
Der Frau Kipping springt übrigens mittlerweile aus allen Knopflöchern der Ehrgeiz hervor, aus ihrer Vier-Tage-Woche ein erstes rot-rotes Projekt zu backen. Sie hat nämlich nachgelegt und vor anderthalb Wochen den sozialdemokratischen Arbeitsminister aufgefordert „eine ‚Task Force Arbeitszeitverkürzung‘ aus Opposition und Regierung, aus Gewerkschaften und Unternehmen, sowie aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft“ zu bilden. Was dann aus der am langen Ende herauskommt, ist ihr vermutlich ziemlich schnurz, wenn sie darüber nur irgendeinem Regierungsposten ein Stückchen näher rücken kann. Soweit wird’s wahrscheinlich nicht kommen, aber man will sich hinterher doch sagen können: Ich hab’s wenigsten versucht.
Mit ihrer „Vier-Tage-Woche“ hat Frau Kipping allerdings zugleich einen Schlager angestimmt, der auch bei denen in der Partei verfängt, die ihren Kurs, mit SPD und Grünen zwecks gemeinsamen Bundesregierens sich zusammenzutun, strikt ablehnen. „Lucy und ich, und im Zuge unserer Intervention auch Bernd Riexinger und andere im PV, haben die ‚Vier-Tage-Woche‘-Initiative von Katja Kipping sehr positiv aufgegriffen“, schrieb Thies Gleiss in einer von ihm am 7. September versandten Email, in der er sich dagegen aussprach, einen Text von Rainer Beuthel (aus der AKL Schleswig-Holstein), der kritisch mit Kippings Vorstoß befasst ist (weniger kritisch leider mit Riexingers Beitrag), auf den Debatten-Seiten der AKL zu veröffentlichen. Rainer Beuthels Text (Neues aus dem Schlaraffenland) hat’s zum Glück dann trotzdem auf die AKL-Seiten geschafft. Aber am Kurs der AKL in dieser Angelegenheit wird das wohl kaum etwas ändern.
Dass Kipping mit der Vier-Tage-Woche ihren Proregierungskurs befeuert, nimmt man in der AKL anscheinend nicht einmal wahr oder ignoriert es jedenfalls geflissentlich. Und das Arbeitszeitgesetz und sein jüngstes wie sein künftiges Schicksal werden ihr wohl weiterhin ziemlich am Arsch vorbeigehen. Dabei bekäme sie, entwickelte sie nur um ein weniges mehr als null Interesse daran, für ihre Ablehnung der rot-rot-grünen Option einmal ein Argument politischen Charakters in die Hand, das nicht bloß auf die Beweihräucherung der eigenen politischen Nullität hinausliefe. Sie könnte versuchen, die Partei durch offenen und öffentlichen Beschluss ihres kommenden Parteitages darauf festzulegen, einer Regierungsbildung, von wem auch immer betrieben, nur dann „nicht im Wege [zu] stehen“ (ich greife hier eine für meine Zwecke sehr passende Formulierung aus dem Änderungsantrag von Ursel Beck, Hans Neumann und Sascha Staničić zum Vorschlag des Bundessprecherrats der AKL auf, die dort indes recht seltsam platziert ist), sofern die daran Beteiligten sich ebenso offen wie öffentlich dazu verpflichten, die Änderung des Arbeitszeitgesetzes vom 25. März rückgängig zu machen. Wenn man dann schon soweit gekommen sein sollte, könnte man zudem da noch die Rücknahme des Tarifeinheitsgesetzes draufsatteln. Und wenn man’s richtig gut machen wollte, könnte man noch verlangen, die 40-Stundenwoche mit allem Drum und Dran ins Arbeitszeitgesetz zu schreiben. Letzteres wäre allerdings die Kür, das übrige aber Pflicht.
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