Ungeheuerlichkeiten bei allzu dünner Faktenlage

von D. D.

Lieber L. J., zu deiner dem „ersten Impuls“ folgenden raschen Antwort, nicht ganz so auf die Schnelle ein paar Worte.

 

Zunächst zu dem, was du zum zweiten Teil meiner Antwort schreibst: Dir sei „schleierhaft, weshalb“ ich meine „scharfe Zunge so wenig an den Querdenkern selbst zu üben bereit“ bin. Dazu kann ich nur sagen: An „scharfen Zungen“, die sich daran abwetzen, herrscht ja nun wahrlich kein Mangel, da braucht es doch nicht auch noch meine.

Wenn du das von mir formulierte „Dilemma“, in dem so eine Protestbewegung wie Querdenken stecke, „nicht erkennen“ kannst, dann wüsste ich doch gerne Näheres darüber, wo es da hakt. Empfiehlst du im Ernst den „Kräften der Kritik an der Corona-Politik“, sich mit einer Gesinnungspolizei auszustatten, und hättest du Ideen, nach welchen Kriterien und mit welchen Methoden die dann vorzugehen hätte? Oder wäre es dir im Zweifel doch womöglich am Ende lieber, sie gäben einfach Ruhe?

 

Und damit nun zu dem, was dich immer noch „am meisten interessiert“, womit am Ende natürlich auch alles steht und fällt, was man von Querdenken halten kann.

Du schreibst

– und ich frage zwischendurch dazu nach:

 

„Ein Blick ins DIVI-Register zeigt, dass in den letzten Wochen nicht nur die Corona-Positiven, sondern auch die Zahl der davon invasiv zu beatmenden gestiegen ist.“

– Wo genau hat sich dir das gezeigt? Ich finde in den Graphiken nur Angaben über „intensivmedizinisch behandelte“ Fälle, was keineswegs dasselbe ist.

 

„Es schließt sich hier also die Frage an, ob die Zahl der invasiv Beatmeten bloß auf die Diagnose Covid-19, oder eine normale saisonale Schwankung zurückzuführen ist. Darüber gibt das Register keinen Aufschluss.“

– Die Frage, die ich mir da zuerst stelle, lautet, worauf ggf. „die Diagnose Covid-19“ jeweils beruht, sodass womöglich die richtige Konjunktion zwischen „bloß Covid-19“ und „normale saisonale Schwankung“ nicht ein beide Erklärungen wechselseitig einander ausschließendes „oder“, sondern ein sie miteinander verbindendes „und“ wäre; anders gesagt: Die Diagnose Covid-19 gab es in den früheren („normalen“) saisonalen Schwankungen ja noch nicht (nach „Corona“ hatte niemand gefahndet, obwohl es das Virus oder enge Verwandte davon sehr wahrscheinlich damals bereits gab).

 

„Im Vergleich zum März hat sich die Zahl indes mehr als vervierfacht.“

– Welche Zahl meinst du damit? Die der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Fälle? Dabei wären zum einen die vertikalen grauen Linien in den Graphiken zu bedenken, die „Ereignisse der Register-Entwicklung mit Einfluss auf die Daten“ markieren. In den Erläuterungen heißt es dazu: „Starker Anstieg oder Reduktion der Daten an diesen Zeitpunkten basiert ggf. auf den Ereignissen.“ Zwischen März und heute liegen alle vier „Ereignisse“, und die ersten zwei davon („Datenbankmigration“ am 3. und „Beginn der Meldepflicht“ am 16. April) fallen in zwei Anstiege der Daten (einen starken und einen weniger starken). Zum andern aber und wichtiger noch: Das ganze Register, das laut Wikipedia im „Rahmen der COVID-19-Pandemie … innerhalb von nur zwei Wochen aus“ einem „bereits bestehenden Meldeportal“ für eine sehr spezifische andere intensivmedizinische Behandlung von Lungenerkrankungen entwickelt wurde, begann erst am 17. März mit der Datenerhebung. Ein Vergleich der Daten aus dem März mit späteren und erstrecht mit heutigen Daten des Registers ist daher ohne jede Aussagekraft.

 

„Und meine erste Quelle dazu bestätigt diese Annahme insoweit, dass Covid-Patienten wohl im Durchschnitt deutlich länger beatmet werden müssen (https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/09/02/covid-19-patienten-haeufiger-und-laenger-beatmet-und-hoehere-sterblichkeit)“

– Dass Covid-Patienten (wie auch immer zu solchen definiert) möglicherweise „deutlich länger beatmet“ wurden als die SARI-Fälle im Durchschnitt der letzten fünf Grippewellen (deine Quelle nennt einen Unterschied von 22 gegenüber 14 Prozent), mag vielleicht sein, heißt aber nicht, dass das auch medizinisch geboten war. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass der Panikmodus, in dem seit März die Gesundheitsapparate jedem Fall mit SARS-CoV-2-positivem Testergebnis entgegentreten, hier seine sicher nicht selten ungute Wirkung tut. Und dass die invasive Beatmung, bei der der Patient narkotisiert wird, über einen längeren Zeitraum oft nachhaltige Schädigungen der Lunge zur Folge hat bzw. insbesondere bei sehr alten Patienten die Überlebenschance gelinde gesagt kaum verbessert, ist an sich auch kein Geheimnis mehr.

 

„Weshalb könnte nicht angenommen werden, dass die anderen schweren Atemwegserkrankungen wegen des Lockdowns und der verbreiteten Vorsicht sinken, während COVID-19, aufgrund ganz besonders hoher Ansteckung, weiterhin zunimmt? Ich gehe – ohne weitere Kenntnis – davon aus, dass das die gängige Argumentation sein wird.“

– Eine „gängige Argumentation“ ist das sicher längst. Aber ist sie auch triftig? Oder vielmehr: Sollte sie es sein, hieße das nicht, dass Lockdown und „verbreitete Vorsicht“ keine Kräutlein sind, die gegen positive Testergebnisse oder gar gegen CoVid-19 helfen?

 

„Beziehungsweise lese ich bei Maul, dass nach Virologin Brinkmann die Gefährlichkeit darin liege, dass so viele Personen ohne Symptome den Virus weitertragen würden (https://www.thomasmaul.de/2020/11/corona-wahn-vollendet-gefahrlich-weil.html)“

– Dass Personen ohne Symptome infektiös seien und in diesem Sinne das Virus „weiter­tragen“, ist zumindest sehr umstritten. Aber die Pointe der Frau Brinkmann ist ja eine durchaus etwas andere. In der Bundespressekonferenz am 3. November sagt sie wörtlich u. a.: Das Virus sei „eigentlich viel gefährlicher als ein Virus, das Menschen richtig krank macht.“ Sars-CoV-2 wäre demnach ein Virus, das Menschen nicht richtig krank macht. Das aber beißt sich zunächst mit dem, was wie sie selbst kurz zuvor sagt, dass es „ein paar Leute“ sehr wohl „richtig“, nämlich „schwerkrank“ mache. Wie passt das zusammen? Offenbar nur so, dass fürs Schwerkrankwerden zum Sars-CoV-2 irgend etwas anderes Krankmachendes entweder hinzukommen oder vorher bereits dagewesen sein muss. Damit wären wir bei genau der Beurteilung der mit Sars-CoV-2 zusammenhängenden gesundheitlichen Lage, wie sie der hegemonialen Corona-Erzählung sehr viele der Kritiker von Anfang an entgegengesetzt haben, die just deswegen von Anfang mit dem Stempel „Leugner“, „Verharmloser“ und dergleichen unter diskursive Quarantäne gestellt wurden.

 

„Maul meint, dass das RKI keinerlei Auffälligkeiten wahrnehmen konnte, bezüglich schwerer Atemwegserkrankungen im Vergleich zu den Vorjahren. Auch in diesem Apothekenblättchen: https://www.ptaheute.de/news/artikel/covid-19-im-vergleich-mit-schweren-atemwegsinfektionen-laengere-beatmung-und-hoehere-sterblichkeit/; lese ich dazu anderes.“

– Was da „Auch in diesem Apothekenblättchen“ steht, ist, verfasst von derselben Autorin, wortwörtlich dasselbe, das deine „erste Quelle“ wiedergibt. Es handelt sich also um eine einzige Quelle, publiziert in zwei verschiedenen Blättchen. Thomas Maul hatte auf die Wochenberichte des RKI und spezifischer den der 43. KW (der die Daten bis einschließlich KW 42, d. h. bis zum 18. Oktober enthält) verwiesen, weil das wohl bei Abfassung seines Textes der aktuellste war. Wir können aber auch den jetzt aktuellen der 49. KW nehmen. Man findet dort u. a. auf Seite 5 eine Graphik, die ab KW 40/2018 die Gesamtzahl stationär behandelter Atemwegserkrankungen („SARI-Fälle“) für verschiedene Altersgruppen als Kurven abbildet. Bis einschließlich KW 42 zeigen die Kurven tatsächlich keinerlei signifikante Unterschiede gegenüber denselben entsprechenden Zeiträumen der Vorjahre (übrigens auch nicht für den Zeitraum der diesjährigen sogenannten „ersten Welle“, die bekanntlich schon deutlich im Abklingen begriffen war, als der erste Lockdown begann). Ab der KW 43 allerdings liegen die Kurven der Altersgruppen ab 35 „ungewöhnlich hoch für die Jahreszeit“, wie es im Kommentar dazu im Wochenbericht heißt, sind eine Zeitlang im Steigen begriffen und haben jetzt anscheinend bis auf weiteres ein neues Plateau erreicht.

Eine Erklärung dafür habe ich zurzeit nicht, denke aber, dass sie gesucht werden muss. Denn diejenige schlichte Erklärung, die deine Quelle nahelegen möchte, dass nämlich „COVID-19“ nun einmal „schlimmer als andere schwere akute Atemwegserkrankungen“ sei, überzeugt schon deshalb nicht, weil am 2. September, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Textes, die Situation diesbezüglich in den Krankenhäusern eben nicht sich von derjenigen in den Vorjahren unterschied und niemand, auch die in dieser Sache schwer apologetisch interessierten Herrschaften Lothar Wieler und Co., auf deren vorab (am 28.8.) veröffentlichten Artikel aus dem Epidemiologischen Bulletin 41/2020 der Text sich stützt, wissen konnte, wie sie anderthalb Monate später sich entwickelt. Eine immerhin ziemlich plausible, obgleich gruselige Erklärung für die erkennbare, jedoch keineswegs durchgehend dramatische Verschärfung der Situation in den Krankenhäusern liefert Wolfgang Wodarg auf seiner Seite bzw. auf Rubikon in dem Aufsatz „Die Angst aus der Klinik“ (s. ab dem Abschnitt „Wie kriegt man die Alten in die Kliniken?“).

Im Übrigen: Ist nicht die Mühe verdächtig genug, welche sich Wieler et alt. damit geben, eine Krankheit, die nach ihrer eigenen Diktion angeblich grundverschieden sein soll von der Grippe und grippalen Infekten, in ihrer Gefährlichkeit gerade nicht damit vergleichbar, genau davon, um mit Herrn Restle zu sprechen, „sehr kleinteilig“ abzugrenzen? Dabei ist schon die Vergleichbarkeit der Zahl der verstorbenen stationären „SARI-COVID-Fälle“ mit jener der Grippe-„Fälle“ im Durchschnitt der letzten fünf Wellen sehr fragwürdig, wenn man bedenkt, dass im Fall der Grippe sehr oft die Vorerkrankung als Todesursache gewertet wurde und wird, wenn die Grippe sich dort nur obendrauf gesetzt hatte, während bei COVID-19, wie man weiß, genau andersherum gezählt wird.

 

Ich bleibe dabei: Die Faktenlage ist dünn. Viel zu dünn, als dass es auch nur den Hauch einer Rechtfertigung oder vielmehr Vergebung für solche Ungeheuerlichkeiten gäbe wie beispielsweise dieses Bekenntnis von Julius Streicher im Stürmer, pardon, Nikolaus Blome im Spiegel vom 7. Dezember:

„Ich … möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“

Oder für das Schreiben einer Schulleitung in Berlin, das die Eltern einer Schulklasse davon in Kenntnis setzt, dass ein Mädchen der Klasse „von der Pflicht zum Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung befreit ist“, und daher angehalten sei, sich strikt abseits von ihren Mitschülern zu halten, einen zeitlich und räumlich getrennten Weg in den Klassenraum zu nehmen, in den Pausen allein im Klassenraum zu bleiben hat und dass auch ihre Mitschüler mit „Erziehungs- und … Ordnungsmaßnahmen zu rechnen haben“, wenn sie das Abstandsgebot zu ihr miss­achten.

Die so etwas verbrechen, gehörten eigentlich nach Recht und Gesetz bestraft oder jedenfalls gesellschaftlich geächtet. Und die es gleichgültig hinnehmen oder gar mit Verständnis quittieren, machten sich eigentlich mitschuldig, müsste man ihnen nicht eine geminderte Schuldfähigkeit zubilligen, weil sie wohl allermeist vor allem selber Opfer sind – Opfer einer massenhaft ausgebrochenen und sich wechselseitig steigernden Psychopathie.

 

Ich bin daher dankbar, dass es das alles gibt: den Protest von Querdenken und anderen, die Untersuchungen des Corona-Ausschusses, die zahlreichen und durchaus auch divergenten kritischen, aber fast immer ziemlich klugen Beiträge zu Corona (aber auch zu anderen Themen) auf der links übel beleumundeten, weil halt tendenziell eher rechts-liberalen Achse des Guten und vieles andere Corona-Kritische im Zwielicht der „rechtsoffenen“ Medienlandschaft jenseits des gesinnungspolizeilich Erlaubten. Ohne dies wäre ich wohl in restloser Verzweiflung an der Vernunft- und Zivilisationsfähigkeit des Menschenpacks (meine eigene darin selbstverständlich eingeschlossen) endgültig verstummt.

 

Nichtsdestotrotz: Ich freue mich, dass du nachbohrst und bleibe gerne weiter mit dir in der Diskussion.

 

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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