Lethargie in der Hysterie

Einwürfe wider die Ignoranz in der proletarischen Plattform. Teil 1

von D. D.

„Der Internationale stellte sich ein Dilemma: entweder an den politischen Auftritten teilnehmen, wie sie die existierenden politischen Parteien, die ihr fremd waren, hervorriefen, oder sich der Teilnahme an politischen Ereignissen vollständig zu enthalten, die nichtsdestoweniger ihren Verlauf nahmen und Einfluss auf sie ausübten, auf die Arbeiterbewegung und auf die Lage der Sozialisten überhaupt. Es gab jedoch einen dritten Weg: Die Erarbeitung eines politischen Aktionsplans auf der Grundlage der Prinzipien des Arbeitersozialismus, die Heranziehung der Arbeitermassen, die noch nicht von den Prinzipien der Internationale durchdrungen waren, zu diesem Aktionsprogramm, und mit allen Kräften die Vorbereitung auf die der Realisierung dieses Plans günstigen Umstände. Diesen Weg hatte man offensichtlich nicht im Sinn, da die Internationale als kollektives Ganzes lediglich ökonomischen Aufgaben verbunden war. Fremden politischen Programmen zu folgen, war in der Tat schädlich für Sozialisten, und deshalb lehnten sie es·im ganzen ab, als eine politische Kraft zu existieren, beteiligten sich aber als Einzelne an den Versuchen der Realisierung fremder Programme.“[1]

 

„Daher sehen wir keinen Anlass zurückzukehren zu einem verfrühten Aktionismus“ (RO, JA, KXS: Hysterie in der Pandemie)

 

Der von Christian Drosten promotete PCR-Test auf Corona wird dieser Tage immer wieder einmal Gegenstand gerichtlicher Verhandlungen, und durch eine Entscheidung des Amtsgerichts Heidelberg von Anfang Februar ist die Virologie in Gestalt des Professor Drosten nun sogar gefordert, ihre Expertise virologischen Laien, wozu in aller Regel auch Richter und andere Juristen gehören, schriftlich so zu präsentieren, dass diese darüber sich ein selbständiges Urteil erlauben können. Gerichtlich überprüft werden soll damit, ob der Test eine „Infektion im Sinne des §2 Infektionsschutzgesetz nachweisen“ kann.

Die Pointe dieser Nachricht, dass der Promoter der „Corona-Pandemie“ damit womöglich in eine rechtliche Zwickmühle gerät, weil er vor der Wahl stehe, entweder dem Gebäude der „Pandemie“-Erzäh­lung und also auch der darauf gegründeten Politik sachverständig das Fundament zu zertrümmern oder sich der Falschaussage schuldig zu machen, soll hier jetzt nicht Thema sein. Wie sich der Professor am Ende aus der Affäre zieht, ist noch offen.[2]

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Erörtert werden soll hier vielmehr die Frage, wie haltbar die in der proletarischen Plattform (PP), aber nicht nur dort anzutreffende Berufung aufs medizinische und insbesondere virologische Laientum ist, wenn es darum geht, der Debatte über die Kernfragen von „Corona“ auszuweichen, statt in sie einzutreten. Gegen eine solche Berufung schrieb unter der Überschrift „Selbstchecken ist gut für Deine Gesundheit“ bereits im Dezember auf der Achse des Guten Felix Perrefort meines Erachtens Bedenkenswertes:

„Die Corona-Politik zu kritisieren, bringt einem regelmäßig den Vorwurf ein, sich auf einem Gebiet zu versuchen, auf dem man sich nicht auskenne. Jedoch: Wo Wissenschaftler im denkbar höchsten Maße politisch werden, indem sie angeblich aus ihrem Fachwissen heraus die Notwendigkeit der Einschränkung von Freiheitsrechten ganzer Bevölkerungen herleiten, käme es einer bürgerlichen Selbst-Entmündigung gleich, sich darüber kein Urteil anzumaßen.

Deshalb muss man die politische Urteilskraft stärken, doch nicht derart, dass den Experten bloß andere entgegengehalten werden, womit man auf die autoritären Argumente der Maßnahmen-Befürworter nur seinerseits autoritär reagieren würde. Statt dessen durch ein selbstbewusstes Laientum, das sich seiner Grenzen und Möglichkeiten bewusst ist. Es gilt die bekannte aufklärerische Maxime, sich mit Mut seines eigenen Verstandes zu bedienen: Das Wissen, welches man benötigt, um die Corona-Politik vernünftig zu beurteilen, ist kein Hexenwerk.“

 

Alarm wegen GKV-Defizit

Im Email-Verteiler der PP wurden wir Ende Februar darauf hingewiesen, dass im Verdi-Periodikum Wirtschaftspolitik aktuell 04 / 2021 ein „Griff in die Krankenkassen“, wie es da heißt, „kritisiert“ werde. Unter dem Titel „Corona-Kosten fair verteilen!“ findet sich dort jedoch weniger eine auf immanente Widersprüche einer Sachlage (welcher auch immer) abzielende Kritik als vielmehr die recht pauschale Behauptung, „die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen“ sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, sowie eine daraus abgeleitete ebenso pauschale Forderung: die „pandemiebedingten Gesundheitsausgaben“ seien „aus Steuern“ zu finanzieren.

Eine Begründung dafür hat man sich gespart, so als verstünde sie sich von selbst, in Wahrheit jedoch wohl eher, weil man ihre Schwierigkeit scheut. Denn dass für nötig erachtete „Leistungen“, die vorbeugend oder anderweitig der Gesundheit dienen, im Falle von Versicherungen gegen durch Krankheit verursachte Kosten zu „versicherungsfremden“ werden, weil sie „pandemiebedingt“ seien, und dennoch die daraus entstehenden Kosten weiterhin „Gesundheitskosten“ heißen dürfen, leuchtet ja nicht auf Anhieb ein. Untersuchungen zur Krebsvorsorge oder die alljährlichen Grippeimpfungen pauschal als „versicherungsfremd“ zu bezeichnen, ist jedenfalls bislang, soweit ich sehe, nicht gerade üblich gewesen.

Etwas tiefer in die Sache selbst eindringend hatte da unter gleichlautendem Titel schon im vergangenen Sommer beispielsweise die fürs Handwerk zuständige Innungskrankenkasse (IKK classic) zu dieser Frage sich geäußert:

„Initiativen der Politik zum Schutz der Bevölkerung vor Pandemien zählen, so Römer [Vorsitzender des Verwaltungsrates der IKK classic], zur allgemeinen staatlichen Daseinsvorsorge und fielen nicht in die Verantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies gelte beispielsweise für Massentests bei symptomlosen Personen. ‚Die Kosten für solche Maßnahmen, so richtig sie sein mögen, dürfen nicht den Beitragszahlern der Krankenkassen aufgebürdet werden. Sie sind stattdessen gesamtgesellschaftlich, also aus Steuermitteln zu finanzieren‘, erklärt Bert Römer.“

Gesetzt freilich, das massenhafte Testen von „symptomlosen Personen“ wäre tatsächlich im Interesse der Gesundheit der Versicherten so „richtig“, wie es der IKK-Vorsitzende anscheinend zwar nicht gerade für gewiss, aber immerhin für möglich hält: Sollten es dann nicht die Versicherten und ihre Solidareinrichtungen tunlichst in der Hand behalten, für ihre Durchführung und also auch Finanzierung zu sorgen?

In einem Beitrag, auf den wiederum in unserem Email-Verteiler Anfang April aufmerksam gemacht wurde, hatte ein halbes Jahr später (am 14.12.2020) auf seinen Themenseiten der DGB unter dem Titel „Langfristige Herausforderungen: Sozialgarantie und GKV-Finanzierung“ ebenfalls die Klage angestimmt, dass „die Versicherten und ihre Solidargemeinschaft GKV … zu den mehrheitlichen Zahlmeistern der Pandemie und ihrer Folgen erklärt“ würden und dazu „der Gesetzgeber die Rücklagen der Versicherten bei den Krankenkassen als heimliche Bundesreserve zweckentfremdet“. Dass er „nach Belieben darüber verfügt, wofür und in welchem Umfang diese aufzuwenden seien“, heißt es weiter, spreche

„eine deutliche Sprache über den Stellenwert, den insbesondere das Gesundheitsministerium dem Modell eines selbstverwalteten und mitbestimmten Sozialstaates und seiner Versicherungsträger einräumt – nämlich im Zweifelsfall keinen.“

Sicherlich nicht bloß versehentlich befleißigt sich insbesondere der letzte Satz einer nebulösen Semantik, die am Ende (beim einerseits „selbstverwalteten“, andrerseits aber – von wem auch immer – „mitbestimmten Sozialstaat“) vollends verunglückt. Aber „eine deutliche Sprache“ nimmt auch der übrige Text für sich selbst keinesfalls in Anspruch.

Da wird vor „desaströsen Effekten für Versorgungsgerechtigkeit und Versorgungsqualität“ gewarnt für den Fall einer „Umstellung der gesetzlichen Krankenversicherung auf ein steuerfinanziertes System“, nachdem man im vorherigen Absatz noch selbst gefordert hatte, statt der beitragsfinanzierten Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen lieber „die erforderlichen Bundesmittel zu mobilisieren“, also Steuergelder, um „das bereits absehbare Finanzierungsdefizit … im Jahr 2021 in voraussichtlicher Höhe von 16,6 Milliarden Euro“ auszugleichen.

 

Pandemisch in den Ruin getestet

Und das Defizit selbst? Der Frage nach dem Woher und Wozu ist man peinlich bedacht aus dem Weg zu gehen. Man spricht von „Kosten der Pandemie“, deren Sinnhaftigkeit an sich – Gott bewahre! – nicht infrage gestellt wird, und gibt nur – genauso begründungslos wie etwas weniger schüchtern inzwischen (s. o.) auch Verdi – zu bedenken,

„dass der Schutz der Bevölkerung vor Seuchen und ansteckenden Krankheiten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und damit in politischer und finanzieller Verantwortung der öffentlichen Hand stehen muss.“

Reimt sich ohnehin in dem Text wenig bis nichts zusammen, so wird’s bei dem Versuch, den derzeit omnipräsenten Vorwurf auszuräumen,

„dass es im GKV-System wohl an Solidarität fehle, wenn man dort nicht bereit sei, die eigenen Reserven verfügbar zu machen, um die Pandemie erfolgreich in den Griff zu bekommen“,

regelrecht gaga: „Das Gegenteil“ sei „der Fall“, heißt es da. Und zum Zeugnis, wie im „Gegenteil“ solidarisch die GKV doch immer schon gewesen sei, beruft man sich auf „beispiellose Eingriffe in ihre Selbstverwaltungskompetenzen“, welche „in den vergangenen Jahren“ die GKV erfahren habe, und obendrein darauf, dass sie

„zur Begleichung teurer und den Versicherten in keiner Weise nützender Gesetzgebungen verpflichtet … wurden“.

Schwer zu entscheiden, was an dieser Argumentation dämlicher um nicht zu sagen zynischer ist: dass man das Verpflichtetwerden zu etwas oder dass man den zur Veruntreuung der Interessen der eigenen Klientel nötigenden Inhalt der Verpflichtung als einen Akt der Solidarität verkauft. Und diese fatale Veralberung einer „Solidarität“ der GKV abschließend heißt es dann am Ende dieses Absatzes auch noch, besagte Rücklagen bzw. „Reserven“ der GKV, die Spahn jetzt „nach Gutdünken“ zur Begleichung der „Kosten der Pandemie“ heranzuziehen gedenkt,

„die tatsächlich aber eingezahlte Beiträge der Beschäftigten sind, zu verschleudern, ist tatsächlich höchst unsolidarisch – über sie zu wachen und sie gezielt zum Wohle derjenigen einzusetzen, die sie auch erbracht haben, ist es hingegen nicht.“

Die Rede vom „verschleudern“ zielt vermutlich ziemlich beliebig ins Blaue. Jedenfalls hält man beim DGB „viele Testungen“ keineswegs für unnötig, sondern es ganz fraglos durchaus für möglich, dass sie vielleicht sogar in Zukunft noch „notwendig sein werden“. Und selbstverständlich hält man auch fest an der üblichen Verkehrung von Ursache und Wirkung diesbezüglich: dass nämlich die massenhafte Testerei ohne medizinischen Anlass oder gar medizinische Konsequenzen ein Mittel des Kampfes gegen eine Pandemie sei und nicht etwa, wie vernünftigerweise angenommen werden muss, diese allererst etabliert – weshalb dann auch die von ihr produzierten Kosten natürlich vollauf verdient hätten, als „verschleudert“ qualifiziert zu werden. Just davon, so nahe das eigentlich läge, kann hier also sicher keine Rede sein.

Stattdessen fummelt man sich – wahrscheinlich, um nicht in den Ruch zu geraten, womöglich so etwas wie dem altmodischen Klasseninteresse das Wort zu reden – ein verqueres Verständnis von „Solidarität“ zurecht, das auf die Ansprüche ordinärer Beitragszahler abhebt, mit dem das Prinzip einer solchen Solidarität, die auf den Zusammenhalt der Klasse abzielte und daher „eingezahlte Beiträge“ zuvorderst in dessen Dienst stellen müsste, ohne allzu sehr darauf zu schauen, wer davon wieviel „erbracht“ hat, nicht mehr viel gemein hat.

Das Corona-Krisenmanagement hat in dem denkbar knappsten Zeitraum von nicht einmal einem Jahr zwei tragende, wenn auch zuvor bereits angeschlagene Säulen des altehrwürdigen bundesdeutschen Sozialstaats, die Arbeitslosenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung, in den finanziellen Ruin regiert. Im Falle der Arbeitslosenversicherung fanden die das Desaster herbeiführenden Regelungen das nahezu einmütige Wohlwollen aller maßgeblichen auf die Vertretung lohnabhängiger Interessen abonnierten politischen Kräfte. Aber auch der Ruin der GKV stößt allenfalls auf sehr verhaltenen und vor allem ziemlich hilflosen Protest von dieser Seite. In Zeiten einer „Pandemie“ jedoch, präziser gesagt in Zeiten, in denen das Gesundheitssystem der Gesellschaft im Ganzen, aus welch näheren Gründen auch immer, einer außerordentlichen Bewährungsprobe ausgesetzt ist, die Verantwortung dafür aus den Händen der Solidareinrichtungen der Lohnabhängigen in „die öffentliche Hand“ zu geben, mithin sie vollends dem Staat in Gestalt seiner Regierung und deren nachgeordneten Behörden auszuliefern – was wäre das anderes als die Verwandlung einer der wichtigsten Schutzeinrichtungen der lohnabhängigen Klasse in eine lächerliche Attrappe?

 

Totalität einer Pandemie

Mit den hierzulande zunächst einigen Hunderttausend, inzwischen weit über eine Million PCR-Tests pro Woche wurde im vergangenen Jahr ein in der Medizin zwar keineswegs neues labordiagnostisches Verfahren erstmals aus seinem bisherigen klinischen in einen völlig anderen Kontext versetzt. Unabhängig von der längst mit guten Gründen bezweifelten Validität des vom Drosten-Team entwickelten und mittlerweile in unzähligen Varianten hergestellten und verwendeten Tests auf Sars-CoV-2, ist dieser, wie bereits vielfach gezeigt wurde, ganz und gar ungeeignet dazu, für sich allein eine Infektion mit dem Virus oder gar eine Erkrankung daran im Sinne des Infektionsschutzgesetzes festzustellen. Darum völlig unbekümmert werden aber mit Hilfe eben dieser pandemisch verbreiteten falschen Annahme die tagtäglichen sogenannten Inzidenzen generiert, die das poröse Fundament bilden für ein ebenso monströses wie gefährlich unsolides Gebäude an sogenannten „Regeln“ und „Maßnahmen“ wegen Corona.

Dies ist keine besonders komplizierte und schwer zu gewinnende Erkenntnis, sondern bezeichnet das ABC, das es braucht, um über das derzeitige pandemische Geschehen ein verständiges Wort zu verlieren. Im Übrigen bleibt richtig, was Thomas Maul auf seiner „Corona“-Seite Anfang April notiert hat:

„Wer sich in Sachen Corona im März 2020 nicht auf seine Primärerfahrung, den Common Sense und deren kritische Reflexion sondern allein auf Autorität verlassen wollte, hatte immer noch die Wahl zwischen auf der einen Seite menschenfreundlichen Wissenschaftlern, an deren Sachkompetenz, Reputation und Integrität überhaupt nicht zu zweifeln war (Wolfgang Wodarg, Stefan Hockertz und Sucharit Bhakdi) und auf der anderen Seite vorbelasteten Hochstaplern, denen die Banalität des Bösen von Beginn an ins Gesicht geschrieben stand: Drosten, Wieler, Lauterbach.“ (Thomas Maul: Kritische Texte zur „Corona-Krise“ inkl. Updates, Eintrag vom 8.4.2021)

In ihrem Beitrag zu „Corona“, betitelt „Hysterie in der Pandemie“, rekurrieren dagegen RO, JA und KXS (ROJAKXS) in aller für sich reklamierten Unschuld, die versichert, hinsichtlich „der Indikatoren der Pandemie“ und des dazu vorliegenden „Zahlenmaterials“ sich keine „endgültige und abschließende Meinung anzumaßen“, auf ein angebliches „Ansteigen der Inzidenzen im Frühjahr“ und plädieren für Schulschließungen, wenn auch nur „bei Gewährleistung einer sozialen und digitalen Infrastruktur“ sowie für eine „Berücksichtigung gesundheitsschützender Maßnahmen“ beim Gewährleisten von „Versammlungsfreiheit und Demonstrationsrecht“. Das mag vielleicht keine „endgültige“ und „abschließende“ Meinung sein, eine sehr bestimmte und in der zugespitzten derzeitigen Auseinandersetzung um „Corona“ durchaus parteiliche ist es aber sehr wohl. Und leider in Tat nur eine Meinung – etwas, wofür Argumente, auf die Sache reflektierende und zur Kritik gestellte Gründe zur Not entbehrlich sind.

„Wir … sollten methodisch vom Allgemeinen zum Besonderen und Konkreten voranschreiten“, schlagen ROJAKXS vor und erinnern damit an die Marxsche Methode in seiner Kritik der politischen Ökonomie. Aber das dazu Erläuterte ähnelt eher dem, was Marx in den methodischen Überlegungen seiner „Grundrissen“ eine „chaotische Vorstellung des Ganzen“[3] nennt, denn sie wollen

„von der Geschichte der Gesellschaft und ihres aktuellen Klassenverhältnisses ausgehen und damit die gesellschaftliche Totalität betrachten“,

um sodann zu konstatieren:

„Wir leben in einer Klassengesellschaft, deren Aktivität und widerstreitende Klasseninteressen den Umgang mit der Pandemie bestimmen.“

Im Anschluss werden verschiedene klassenmäßig bestimmte Interessen angeführt, die vom Pandemie-Management in größerem oder kleinerem Maße einesteils tangiert und andernteils bedient werden. Aber der zentrale Gegenstand dieses Managements bleibt aus der Erörterung verbannt. Ob wir es in allem Ernst mit einer Pandemie zu tun haben und was das ggf. des Näheren denn überhaupt hieße, stellen die Autoren nicht zur Debatte, sondern hantieren ihren gesamten Text hindurch mit „der Pandemie“ wie mit einer bereits bestimmten und unbestreitbaren, ja nicht einmal umstrittenen und also gar nicht zu erörternden Tatsache. Statt also zuallererst in dem nach herrschender Diktion als eine „Pandemie“ und den Umgang mit einer solchen apostrophierten Geschehen selbst nach elementaren Gesichtspunkten zu suchen, von denen aus das emanzipatorischen Interesse des Proletariats eine Orientierung darin gewinnen und zu einem Begriff davon sich hinaufarbeiten könnte, belassen sie es für die Frage, womit denn da umzugehen wäre, beim Wimmelbild nicht „abschließend“ und daher lieber gar nicht zu beurteilender „Indikatoren“, „Statistik“, „Zahlenmaterial“ und „Interpretationen“.

Auf der Grundlage eines solchen vom vorläufigen bloßen Meinen bestimmten Blicks auf „die gesellschaftliche Totalität“ entwickeln die Autoren am Ende einen bunten Strauß teilweise ziemlich fahrlässig über den Daumen gepeilter Ideen und Forderungen für ein Aktionsprogramm, „um sich aus proletarischer Sicht in die Frage der Pandemiebekämpfung einzumischen“. Da aber das, was da bekämpft werden soll und diesem Kampf den Namen gibt, völlig unbestimmt bleibt, erhebt sich die Frage, welchen Zweck sie mit ihren programmatisch daherkommenden Vorschlägen wirklich verfolgen, und der Eindruck ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass es weniger um „die Pandemie“ und einen am Klasseninteresse orientierten „Kampf dagegen“ geht als vielmehr um die Sorge, in der rapide sich entwickelnden und sich auswachsenden Krise[4] nicht aus dem bislang gewohnten Fahrwasser heraus und in ungewisses und womöglich schrecklich falsches hineinzugeraten.

Neben „der Pandemie“ steht nämlich gleichsam als ein zweiter Elefant im Raum ihres Textes die sich entwickelnde Opposition gegen das Krisen-Regime – mit dem Unterschied, dass „die Pandemie“ den fraglos vorausgesetzten und ansonsten peinlich beschwiegenen, grau in grau gehaltenen Hintergrund ihres Bildes der irgendwie „proletarisch“ zu bewältigenden aktuellen „gesellschaftlichen Totalität“ abgibt, während der „Corona-Protest“ schemenhaft als ein ungewiss ekliges Ärgernis seinen Vordergrund verunziert. Anders als mit ganz spitzen Fingern fassen sie auch ihn nicht an und versagen sich so, übers interessiert-diffamierende Geraune wegen „Querdenkern“, „Corona-Leugnern“ etc. sich zu einem selbständigen Urteil zu erheben. Wie hinsichtlich „der Pandemie“ wird auch diesbezüglich die medial dominante Propaganda – alles wohlbegründet Anderslautende, das auch auf diesen Seiten dazu bereits zu lesen war und ist, strikt ignorierend  – ziemlich eins zu eins übernommen. Ein Zutrauen in die medial herrschende Etikettierung der neu herausgebildeten Opposition, das nicht einmal die von Amts wegen mit dem Schutz seiner „Funktionsfähigkeit“ betrauten Organe des Staatsapparats sich erlauben, weshalb sie neben den bislang verwendeten Etiketten „rechts“, „links“ und „islamistisch“ – darauf macht dankenswerterweise G. S. in seinen „Anmerkungen“ aufmerksam – eigens für diese neue „extreme“ Opposition ein neues Etikett designt haben mit der bemerkenswerten Aufschrift „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.

 

„Aktionismus“: ein Rätsel …

Das Proletariat falle „nicht in Alarmstimmung“, schreiben die Autoren und scheinen zunächst damit nicht unzufrieden zu sein, weil doch bislang – dies ihre eigene Diagnose – alles mehr oder weniger beim alten geblieben sei. Als ganz so gemütlich erweist sich etwas weiter unten die Stimmung dann aber doch nicht. „Einerseits“ nämlich zeige die Arbeiterklasse, man weiß nicht genau, ob nur in „Teilen“ oder nicht vielmehr zum Großteil, „konformistisches Einverständnis mit Staat und Sozialpartnerschaft“, welche nun aber ihrerseits längst für eine ganz eigene „Alarmstimmung“ in der Bevölkerung gesorgt haben und weiter dafür Sorge tragen. Und „andererseits“ hätten – in diesem Fall wohl wirklich nur – eher „gut situierte Teile“ der Klasse angeblich „Verständnis für den kleinbürgerlichen Protest gegen den Lockdown“[5], der wegen der anhaltenden Aussetzung der Freiheitsrechte seinerseits gehörig Alarm schlägt.

Sehr wohl also Alarm allenthalben und eingeklemmt dazwischen die Autoren der „Hysterie …“, die uns gegen Ende ihres Textes allen Ernstes versichern, dass sie „keinen Anlass“ sehen, „zurückzukehren zu einem verfrühten Aktionismus“, weil dergleichen (von dem man sich fragt, in welcher verzweifelten Lage jemand sich befinden muss, dass er zu so etwas Anlass sehen könnte) „in der alten Linken nicht unüblich“ gewesen sei und „nicht selten zu Hysterie und Weltuntergangsfantasie“ geführt habe.

Dass letztere hier als Folge, statt als Quelle des ominösen „Aktionismus“ figurieren, ist vielleicht nur eine Fehlleistung der Formulierung, die dann allerdings mehr verrät, als sie vielleicht sollte. Sie trifft nämlich recht gut den wirklichen Zusammenhang, in dem die Linke – wenn auch nicht eine „alte“, zu der „zurückzukehren“ wäre, sondern die ganz gewöhnliche Linke der Gegenwart – zwar nicht gerade zu den eigentlichen Machern gehört, aber den Tempomacher zu spielen versucht. Und tatsächlich dürften „Hysterie und Weltuntergangsfantasie“ eher nicht der Grund als vielmehr das seitens der Macher befeuerte Vehikel eines „Aktionismus“ sein, dessen Motiv weitaus weniger irrationalen Charakters ist.

Jedenfalls zeigt sich just die gegenwärtige Linke in ihrer erdrückenden Mehrheit regelrecht durchdrungen von hysterischer Angst vor einem die Weltgesundheit akut bedrohenden Virus und daher entschlossen, sich von niemand übertreffen zu lassen in der Parteinahme für einen blindwütigen Aktionismus, wie ihn die Menschengeschichte kaum jemals gesehen hat; angefangen mit dem völlig sinnfreien massenhaften Einsatz einer aus ihrem klinischen Kontext herausgerissenen Labordiagnostik, über mit deren Ergebnissen motivierte weltweit praktizierte Lockdowns und -ups und wieder -downs, bis hin zum Ausdembodenstampfen einer Reihe von Impfstoffen einer völlig neuen, bislang niemals als solche angewendeten Art[6] in einer irrsinnig kurzen Zeit sowie zu deren wiederum tendenziell weltweitem massenhaften Einsatz unter Aushebelung wesentlicher bis dato aus gutem Grund üblicher Standards der Austestung und sorgfältigen, schrittweisen Erprobung neuer Impfstoffe.[7]

Dies alles haben unsere Autoren indes sicher nicht im Auge, wenn sie im Schlussabschnitt unter der Überschrift „Kampf um die ‚demokratische Republik‘“ vor „Aktionismus“ warnen. Aber was dann? Woran denken sie dabei?

Der unmittelbare Kontext, an dessen Ende sie ihre Warnung platziert haben, gibt darüber leider kaum näheren Aufschluss, sondern eher Rätsel auf:

„Die Corona-Protestler wollen die Vor-Corona-Normalität zurück. Es geht ihnen um die Rückkehr zum kapitalistischen Alltag“,

behaupten sie vorweg einigermaßen kenntnislos[8] und ohne irgendwelche Belege dafür anzuführen. G. S. hat in seinen „Anmerkungen …“ hierzu bereits die auf der Hand liegende Frage gestellt, wie denn die angebliche Biederkeit des Corona-Protests sich zusammenreimt mit der „Aufregung in den ‚Main­stream-Me­dien‘ und auf Regierungsebene“, mit der diese dem Protest begegnen. Er hätte noch die Aufregung ergänzen können, die mit wenigen Ausnahmen in der gesamten Linken deswegen veranstaltetet wird[9] und alle Strömungen vom Klassenkampf mimenden Antikapitalismus über eine in staatsfrommer Militanz sich einübende Antifa bis hin zum ordinären, unverdrossen weiter auf R2G schielenden Reformismus vereint. Die Sorge, daran unbedingt den Anschluss zu behalten, scheint mir nicht zum geringsten Teil die so merkwürdig aufs bloße Hörensagen sich verlassende Aversion zu motivieren, mit der hier die Autoren der „Hysterie …“ im linken Gleichklang auf den Protest reagieren.[10]

Wie dem aber auch sei – wenn es, wie sie meinen, den „Corona-Protestlern“ um eine „Rückkehr zum kapitalistischen Alltag“ ginge, mit was für einem mittlerweile seinerseits bereits zum Alltag gewordenen Zustand hätten wir es dann jetzt denn zu tun? Oder anders gefragt: Was fangen wir dann mit der unter „Corona“ angeblich fortbestehenden „relativen Normalität“ an, mit jener „Kontinuität“ eines „hierzulande gut erprobten Klassenkompromiss[es]“[11], mit der die Autoren anfangs ihres Textes das Ausbleiben einer „Alarmstimmung“ der „Arbeiterbewegung“ sich und uns zu erklären versuchen?

Eine auch nur halbwegs konsistente Auffassung von der derzeitigen, vor mittlerweile über einem Jahr drastisch veränderten und seither beharrlich sich fortschreibenden „Normalität“ ist da nicht zu erkennen; weder von dem – wie auch immer – veränderten, um die „Corona“-Maßnahmen sich aufbauenden sozialen und politischen Regime, noch vom Protest dagegen. Die Autoren haben nur einen Namen dafür, der grundsätzliches Einverständnis mit dem Treiben des Regimes signalisiert und der die reichlichen Löcher stopfen muss, die überall dort sich auftun, wo sie einmal einen etwas genaueren Blick in die Sache selbst riskieren. „Pandemie“ heißt er bzw. „Pandemieverleugnung“, und mit seiner Hilfe erhält ihre Argumentation eine oberflächliche Glätte, vermeidet sie, dass die ihr inhärente Inkonsistenz sofort ins Auge springt.

 

… und des Rätsels Lösung

Was die „Corona-Protestler“ wirklich „wollen“, davon haben die Autoren der „Hysterie…“ also eigentlich keinen Schimmer, und es interessiert sie auch nicht wirklich. Was „hingegen“ sie selber „wollen“, lassen sie gleichwohl stante pede wie folgt uns wissen:

„Wir hingegen wollen das proletarische Programm mit entwickeln helfen, welches auf die Aufhebung der kapitalistischen Produktion abzielt. Daher sehen wir keinen Anlass zurückzukehren zu einem verfrühten Aktionismus …“

Ein oder vielmehr „das proletarische Programm … , welches auf die Aufhebung der kapitalistischen Produktion abzielt“ – das ist natürlich keine Kleinigkeit und weist sicherlich über alle ältere, neuere oder allerneueste, gar künftige „Normalität“, die gewöhnliche Sterbliche dieser Tage „wollen“ mögen, ein gutes Stück hinaus. Dass es dafür eigentlich nicht auch allerhand – gedanklicher wie praktischer – Aktion bedürfte, die das sture, sei’s auch nur gedankliche Verharren im „kapitalistischen Alltag“ der Vor-, Während- oder Nach-Corona-Normalität, das sie konstatieren, ins Rutschen brächte, liegt da ja nicht unmittelbar auf der Hand. Das „Daher“, mit dem die Autoren ihre Zurückweisung eines „verfrühten Aktionismus“ als Folgerung aus ihrem speziellen Wollen nahegelegt sehen, mutet „daher“ zunächst etwas seltsam an.

Allerdings hat das „Entwickeln“ dieses Programms wie auch diverse kleinere und größere Versuche, das eine oder andere davon in die Tat umzusetzen, bekanntlich seinerseits bereits eine ziemlich lange Geschichte auf dem Buckel – eine „nur allzu wirkliche, höchst dramatische Geschichte“, wie’s in der Präambel unserer „programmatischen Eckpunkte“ heißt, die einerseits von den Gegnern jenes Pro­gramms

„als an sich längst erledigt betrachtet, von vielen seiner trotzigen Anhänger andererseits schamhaft ignoriert wird, so als könne man heute in aller Unschuld noch einmal ganz von vorne anfangen“.

Dieser schamhaften Ignoranz scheinen mir nun leider auch die Autoren der „Hysterie …“ anheim gefallen zu sein, wenn sie hier ihrem Entschluss zur Entwicklungshilfe fürs „proletarische Pro­gramm“ den Anstrich eines Vorhabens ganz außerhalb von Zeit und Raum verleihen; eines, das man, so man nur will, immer und überall betreiben kann und ja auch bereits betrieben hat und für das es „daher“ – Voilà! – in der Tat keinerlei „Aktionismus“ bräuchte, schon gar keinen „verfrühten“.

Der ganze Text mutet an wie ein beinahe verzweifelt wortreiches Plädoyer für ein blankes Weiterso in einem Moment, wo’s nicht mehr weitergeht; für das Fortfahren mit einer Sache, die in Wahrheit unverrückbar an ihr Ende gelangt ist. Bezeugt wird das durch das argumentative Looping mit anschließender Bruchlandung, das nun folgt.

 

Freiheit und Staatssicherheit

„Vor lauter Angst um Freiheitsrechte“, beginnt die Achterbahnfahrt zum „proletarischen Programm“ zunächst noch ganz sachte, „sollten wir nicht die Schutzrechte des Proletariats gefährden.“

Stellt sich die Frage, von welchem eigenartigen „wir“, das dem Proletariat „vor lauter Angst“ gefährlich werden könnte, hier die Rede ist. Aber bevor wir dieser Frage näherrücken, müssen wir noch einmal zurückgehen zu einem vorangegangen, speziell den Coronaprotesten gewidmeten Abschnitt, in dem es u. a. um eben dieselben Freiheitsrechte geht, um die dieses eigenartige „wir“ hier durchaus ebenfalls, wenngleich sehr auf Mäßigung bestehend, besorgt zu sein scheint.

Streckenweise nicht sehr wörtlich sich aus einem Text bedienend, der offenbar aus der Gründungszeit der DKP und deren Umfeld stammt,[12] haben dort die Autoren der „Hysterie …“ jene Freiheitsrechte vorsorglich bereits sozusagen tiefergehängt und lesen im leise denunziatorischen Tonfall dem „auf seine Individualrechte … pochende[n] Individuum“ die Leviten:

Es sei „durch und durch bürgerliches Individuum“, für das Freiheit im „Freisein von Zwang“ bestehe; „darin, alles werden, alles sagen, lesen und hören, überallhin verreisen, über die Regierung, Gott und die Welt schimpfen, kurzum: alles mögliche tun und lassen zu können“.[13]

Wie gesagt, der Text, dem die Autoren dies entnommen haben, stammt aus dem Umfeld der SED-ge­sponserten, in Gründung befindlichen DKP. Daher wohl kaum aus Versehen wird darin mit wenig verhohlener Verachtung und in geradezu peinlicher Vollständigkeit alles aufgezählt, was die hinter ihrer Staatssicherheit verbunkerte Regierungspartei der DDR dereinst den Einwohnern ihres Machtbereichs prinzipiell verwehrt hatte. Wer wollte es den Autoren von damals verdenken. Wenn aber gut fünfzig Jahre später ein „proletarisches Programm“ sich mit so etwas gegen eine Protestbewegung munitioniert, die im Hier und Jetzt vor allem anderen die Wiederherstellung der grundgesetzlich garantierten Menschen- und Bürgerrechte verlangt, sollte man doch erwarten, dass der nicht nur an sich sehr fragwürdige, sondern obendrein in seiner Fragwürdigkeit platterdings zutage liegende politische Kontext, aus dem die Munition stammt, zumindest einmal diskutiert wird. Es befremdet zudem einigermaßen, dass die Autoren der „Hysterie …“ ausgerechnet diese Stelle, deren bornierte Interessiert­heit ihr aus allen Knopflöchern herausschaut, ausgesucht haben, denn der Text hätte hier und da durchaus auch anderes und besseres zum, wie es einmal darin heißt, „Problem der Freiheit“ zu bieten. Zum Beispiel dies:

„Die klassenbewußten Arbeiter sind für die Erringung und, wo es sie gibt, für die Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Freiheiten. Sie sind zunächst darum dafür, weil sie ohne solche Freiheiten sich gar nicht organisieren, sich gar nicht wirkungsvoll für die einfachsten politischen und sozialen Forderungen einsetzen können. Sie sind weiterhin für diese Freiheiten, weil der Kampf um die höhere Stufe der Freiheit, den Sozialismus, erst von dieser Grundlage bürgerlicher Freiheiten aus entfaltet werden kann.“

Solche Überlegungen liegen jedoch unseren Autoren, wie ihre Zitatauswahl zeigt, eher fern. Aber damit nicht genug, trauen sie jetzt einem ominösen „wir“, das von allzu großer „Angst um Freiheitsrechte“ befallen wäre, zudem noch zu, „die Schutzrechte des Proletariats“ zu „gefährden“. Dieses „wir“ indes, worin die Autoren auf irgendeine ihnen eher unangenehme Weise sich offenbar verwickelt sehen und dem sie sogar eine gewisse handlungsmächtige soziale Relevanz zubilligen – wer mag das sein?

Die „Corona-Protestler“, die sich ja wirklich allerhand Sorgen machen um besagte Freiheitsrechte, kommen kaum infrage, wollen doch die Autoren mit ihnen entschieden nichts zu tun haben. Unser für jenes „wir“ scheinbar am nächsten liegendes kleines, feines Zirkelchen, das dereinst sich das eigentlich viel zu große Kostüm einer „proletarischen Plattform“ angezogen hatte und nie so recht hineinzuwachsen vermochte, fällt mangels handlungsmächtiger Relevanz ebenfalls weg. Bleibt also nur das politische Umfeld, worin sowohl die Autoren der „Hysterie …“ als auch alle anderen Autoren oder anders Beteiligten unserer „Plattform“ bis auf weiteres irgendwo ihr Nest und Ambiente haben dürften. Das wäre im weitesten Sinne die politische Linke überhaupt, weniger weit gefasst aber die Partei Die Linke, auf die sich die „Plattform“ ja immer ausdrücklich bezogen hat.

Dieser Linken und gar ihrer Partei allzu große „Angst um Freiheitsrechte“ auszureden, hieße freilich, wie man so sagt, „Eulen nach Athen tragen“, denn das hat sie schon ganz ohne „uns“ erledigt. Insofern unterstreichen die Autoren mit besagtem „wir“ nur ihre Zugehörigkeit zu dieser Linken – oder muss man eher sagen: wehren sie sich gegen ihre mögliche Infragestellung?[14]

Was hingegen die Gefährdung der „Schutzrechte des Proletariats“ angeht, hat dieselbe Linke längst einiges vorzuweisen, um nicht zu sagen: auf dem Kerbholz. Man denke nur an den abenteuerlichen Umgang der Linken im Bundestag mit der Gesetzgebung in Sachen Arbeitszeit oder zuletzt im Loch des vergangenen Sommers das betrügerische Bohei um eine sogenannte „Vier-Tagewoche“. Gefährdung geht da offensichtlich ganz ohne jede „Angst um Freiheitsrechte“.

 

„Schutzrechte“ versus „Freiheit“?

Die „Schutzrechte des Proletariats“, schreiben ROJAKXS, seien „immer auch ein Eingriff in individuelle Freiheiten“, und als Beispiel führen sie ausgerechnet eben jenes Arbeitszeitgesetz an, mit dessen Schutzcharakter der Dilettantismus der linken Bundestagsfraktion im vergangenen Jahr die Regierungsmehrheit hätte Schlittenfahren lassen, hätte die es nur gewollt. „[N]icht wegen sondern trotz der Linken“, hatte ich damals geschrieben, sei das unterblieben, und zum „Schutzcharakter“ des Arbeitszeitgesetzes ausgeführt, er hänge ganz und gar davon ab, wie strikt das Gesetz

„ausnahmslos allen Lohnabhängigen dieselbe Maximalarbeitszeit auferlegt, und zwar ohne jede Rücksicht auf jedwede Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers.“

Ist aber „Selbstbestimmung des Einzelnen“ ohne weiteres dasselbe wie „individuelle Freiheiten“, sind mithin Selbstbestimmung und Freiheit einfach identisch? Besteht Freiheit tatsächlich in nichts anderem als, (s. oben:) „alles mögliche“, was man, wo und wann auch immer, nur eben will, „tun und lassen zu können“?

In jener Rücksichtslosigkeit gegen jegliche „Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers“, heißt es in meinem Text weiter,

„macht sich gerade der Klassencharakter der lohnabhängigen Existenz geltend, das also, was die Proleten in dem Maße nur loswerden, wie sie alle zusammen mit Wissen und Bewusstheit aus freien Stücken sich ihm unterwerfen.“

Ähnliches findet sich bei Marx an einschlägiger Stelle im „Kapital“:

„Zum ‚Schutz‘ gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hindernis, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkaufen. An die Stelle des prunkvollen Katalogs der ‚unveräußerlichen Menschenrechte‘ tritt die bescheidne Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die ‚endlich klarmacht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet und wann die ihm selbst gehörige Zeit beginnt‘.“ (MEW 23, S. 320)

Und ähnlich klingt es hier auch bei den Autoren der „Hysterie …“, wenn sie die „Schutzrechte“ der lohnabhängigen Klasse als „immer auch ein[en] Eingriff in individuelle Freiheiten“ kennzeichnen – mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Es fehlt in dieser Kennzeichnung das Zusammenrotten der Arbeiterköpfe, es fehlt deren Unterwerfung „mit Wissen und Bewusstheit aus freien Stücken“ unters von ihnen erzwungene Gesetz.[15] Zwar heißt es im Anschluss zunächst, wenn auch etwas allgemein, so doch offenbar mit Bezug auf das Gesetz:

„Geltendes Recht und Normen im bestehenden bürgerlichen Staat sind Ausdruck des Klassenverhältnisses und Resultat vergangener Klassenkämpfe.“

Man verweist also auf die Klasse, freilich eine solche, die in der Gegenwart nurmehr als Objekt vorkommt, als handelndes Subjekt bloß in einer Vergangenheit auftritt, deren in „Recht und Normen“ festgehaltenes Resultat „im bestehenden bürgerlichen Staat“ gleichsam seinen Erben ein schützendes Refugium bietet. Dagegen fehlt im Hier und Jetzt jene Freiheit, die Friedrich Engels einmal unter Berufung auf Hegel als „die Einsicht in die Notwendigkeit“[16] charakterisiert hat. Eine Freiheit, die nicht anders denkbar ist denn als individuelle, jedem Individuum der Klasse nicht nur zustehende, sondern auch zuzumutende Freiheit und die allerdings etwas anderes ist als das aufs blanke Selbst fixierte Ausleben einer um Notwendigkeiten unbekümmerten Willkür. Ohne diese Freiheit aber kann auch die Klasse kein Bewusstsein ihrer selbst und daher keinerlei Handlungsmacht gewinnen bzw. bewahren, und es bleibt für den „die Schutzrechte des Proletariats“ vermeintlich ausmachenden „Eingriff in individuelle Freiheiten“ der Proleten in der Tat nur der Rückgriff auf jenes fremde Subjekt, das die Autoren auch nicht anstehen, als den „bürgerlichen Staat“ bei seinem Namen zu nennen.

 

Leviathan und Behemoth

Der nun anschließende Satz scheint diesen Sachverhalt nur noch wie ein Fazit abschließend zusammenzufassen:

„Das Proletariat ist derzeit nicht in der Lage sich selbsttätig zu schützen, sodass ein Angriff auf den Leviathan auch einen Angriff auf die Schutzrechte des Proletariats bedeutet.“

Damit könnte es also sein Bewenden haben, der „Angriff“ bis auf weiteres abgeblasen sein. Vom alten Leviathan[17], dem vorzeitlichen Ungeheuer, lassen die Menschen, die an sich nur ihr einsam-egoisti­sches Interesse, den Krieg jeder gegen jeden kennen, vorerst wie gehabt zu ihrem eigenen Wohl und Fortkommen sich dessen außermenschlichen Frieden aufzwingen, der moderner heute vielleicht „Klassenkom­promiss“ heißen mag, weil er von vergangenen „Klassenkämpfen“ geprägten „Klassenverhältnissen“ unter den Menschen Rechnung zu tragen hat.

Allerdings hatten die Autoren, wie erinnerlich, soeben noch ihren Willen bekundet, „das proletarische Programm mit entwickeln“ zu helfen und sich eigentlich dorthin auf den Weg gemacht, wozu die hier vermerkte derzeitige Unantastbarkeit des Leviathans, die eher Stillhalteparolen und Leisetreten nahelegte, nicht gut passt. Ihre Argumentation steckt in einer Zwickmühle, aus der sie nun in verzagter Tollkühnheit mit einer Art nur halbherzig vollführten Saltos, bei dem sie mitten im Sprung es sich wieder anders überlegen, zu entkommen suchen.

„Dieser Angriff“, fahren sie nämlich fort, als wollten sie eine Empfehlung aussprechen, „sollte nicht dem Behemoth Vorschub leisten“ – ein Angriff, wie gesagt, der „auch einen Angriff auf die Schutzrechte des Proletariats bedeutet.“ Ist der demnach doch nicht abgeblasen? Die Autoren möchten das anscheinend offen lassen, gleichsam den Sprung mitten in luftiger Höhe ein Weilchen innehalten, womit sie dessen Bruchlandung prädestinieren.

Zwar sehen sie am Beginn des nächsten Absatzes die „Aufgabe der Kommunistinnen und Kommunisten“ jedenfalls im Prinzip, fast als antworteten sie auf eine Frage an Radio Eriwan,

„weiterhin darin, das Proletariat in die Situation zu bringen, den bürgerlichen Klassenstaat aufzuheben.“

Nicht jedoch, ohne für diesen zunächst noch eine weitere Lanze zu brechen, ihn als Wall gegen den Behemoth noch einmal zu beschwören:

„So bietet auch der bürgerliche Klassenstaat einen gewissen Schutz vor der Willkür der Kapitalisten und des Bandenwesens (Krisengewinnler, Kartelle, illegale Geschäftemacherei etc.).“

Denkwürdigerweise nehmen sie dabei keinerlei Notiz von der frappanten Übereinstimmung dessen, was sie als Charakteristika des Behemoth und insbesondere (in der Klammer) „des Bandenwesens“ auflisten, mit dem aktuellen, vom pandemischen Krisenmanagement induzierten Geschehen, in dem ja schon dessen Grundprämisse jeden Einzelnen zur Gefahrenquelle jeder Einzelnen gestempelt, also quasi staatsoffiziell den – wenn auch vorerst kalten – Krieg jeder gegen jede ausgerufen hat.

Der Behemoth, den ROJAKXS erst noch drohen sehen, ohne näher zu bestimmen woher, hätte demnach spätestens jetzt an maßgeblichen Stellen im Staatsapparat und in seinen zahlreichen „zivilgesellschaftlichen“, oftmals sich links verortenden Dependenzen sich heimisch gemacht und längst auch die Physiognomie jener sozialen Schichten, aus denen sein Personal sich rekrutiert, im Sinne dieses alle Gesellschaftlichkeit verschlingenden Unwesens verunstaltet und deren Gepflogenheiten bereits gründlich korrumpiert. Dass die Autoren der „Hysterie …“ bei ihrer vagen Beschwörung der Gefahr des Behemoth diese Möglichkeit einer „neue[n] Qualität politischer Herrschaft“ gar nicht in Erwägung ziehen, nicht einmal zur Debatte stellen, hat auch G. S. in seinen „Anmerkungen …“ als eine entscheidende Leerstelle ihres Textes markiert.

Sie weist indes zurück auf eine bereits im vorderen Teil ihres Textes angedeutete krasse Fehlinterpretation jener historischen Konstellation, auf die sich die moderne Verwendung der Metaphorik vom Behemoth, der den Leviathan abgelöst habe, dereinst bezogen hatte. Auf dies und noch einiges andere wird im zweiten Teil meiner „Einwürfe …“ einzugehen sein.

 

 


[1] Pjotr L. Lawrow: Die Pariser Kommune. Geschehnisse – Einfluss – Lehren. Münster (Unrast) 2018, S. 58.

[2] Ein schriftliches Gutachten Drostens liegt zwar seit dem 30. April vor, gibt aber möglicherweise Anlass für Nachfragen, was in Gerichtsverfahren durchaus nicht unüblich ist (vgl. dazu https://www.corodok.de/drostens-gutachten-bahner/ mit weiteren einschlägigen links)

[3] Karl Marx: Einleitung zu den „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“. In MEW 42, S. 35.

Ihren „methodischen“ Vorschlag stellen ROJAKXS, „Maßnahmenbefürwortung, -kritik oder Pandemieverleugnung“ über einen Leisten schlagend, einer darin diagnostizierten Methode gegenüber, die sie folgendermaßen charakterisieren:

„Einhellig wird induktiv von der Statistik auf die allgemeine gesellschaftliche Lage geschlossen.“

Abgesehen davon, dass induktives und deduktives Schließen oder kurz Induktion und Deduktion, sosehr sie einerseits sich wechselseitig ausschließen, dennoch beides Bewegungsformen des menschlichen Denkens sind und insofern unabdingbar zusammengehören, ja einander bedingen und durchdringen (vgl. dazu MEW 20, S. 494 ff), es daher albern wäre, eine davon zu verdammen oder heiligzusprechen – abgesehen davon: „induktiv“ aus der Anhäufung von Zahlen, also wenn man so will „von der Statistik“, wird näher besehen nur aufseiten der die „Maßnahmenbefürwortung“ befeuernden Propaganda ohne alle Reflexion „auf die allgemeine gesellschaftliche Lage geschlossen“, während die „-kritik“ gerade auf der Reflexion der Zahlen besteht und darüber allerdings zu dem Schluss gelangt, dass es mit „der Pandemie“ nicht so weit her ist. Die ganz ohne Reflexion die Pandemie „verleugnen“ scheinen dagegen methodisch recht eng verwandt zu sein mit dem, was uns ROJAKXS hier ans Herz legen, denn auch die „Leugner“ in diesem Sinne schreiten von einem nach ihrer Überzeugung mit Gewissheit gesegneten „Allgemeinen“, etwa einer längst anderweitig bewiesenen Weltverschwörung oder Ähnlichem, schnurstracks voran „zum Besonderen und Konkreten“, nämlich zu einer von langer Hand irgendwo ausbaldowerten Kampagne, die als „Pandemie“ verkauft werde  – und liegen damit derzeit vielleicht nicht einmal nur völlig daneben.

[4] Wenn ich mich richtig erinnere, hatte bereits Ende Februar einer der Autoren, sehr zutreffend, wie ich fand, in einer Diskussion unter uns von einer „veritablen Staatskrise“, die sich zusammengebraut habe, gesprochen.

[5] Es entbehrt nicht einer bösen – freilich unerkannten – Ironie, wie dieselben Autoren, die in ihrem gesamten Text sich zumindest halbwegs einverstanden zeigen mit dem, was der Staat so treibt in seiner „Pandemie“, das hier vermutete „Verständnis“ („gutsituierter Teile“) in moralischen Misskredit zu bringen suchen.

[6] Von denen manche Experten mit durchaus erwägenswerten Gründen sagen, es seien gar keine.

[7] Dass die Autoren der „Hysterie …“ bei ihrem völligen Desinteresse an dem Skandal dieser nationalen wie globalen Impfkampagne mit Stoffen, die sich alle noch in der Testphase befinden, in aller Unschuld obendrein den „Zugriff auf die Impf- und Teststrategie“ seitens einer „proletarischen Einheitskasse“ zum Programmpunkt machen möchten, ist ein eigenes Thema, dessen Vertiefung vielleicht geeignet ist, die in der PP auch unabhängig von Corona schon strittige Frage nach dem kritischen Begriff des Fortschritts, der das bürgerliche resp. kapitalistische Zeitalter charakterisiert, zumindest zur Kenntlichkeit zu bringen.

Zu den Eigenschaften der Impfstoffe und deren Problematiken empfehle ich insbesondere die Lektüre der zahlreichen, ausgesprochen fundierten Artikel des Arztes und Biochemikers Jochen Ziegler, die er als Gastautor auf der „Achse des Guten“ dazu veröffentlicht hat.

[8] Dies keineswegs bloß unverschuldet, denn wenn sie auch vielleicht keine eigenen Recherchen haben anstellen können oder wollen, so hätten sie es nicht bei einer Reproduktion der gängigsten Stereotype belassen müssen, die über den Protest unter den Anhängern des Corona-Regimes im Schwange sind, denn es gab und gibt selbst im kleinen Rahmen unseres Zirkelchens ein paar Menschen, bei denen sie sich kundig hätten machen können.

[9] Eine schöne Kostprobe davon aus dem „Neuen Deutschland“ gibt uns G. S. etwas weiter unten in seinen „Anmerkungen“ in der Fußnote 6.

[10] Für einen sozusagen alternativen Umgang mit dem Dilemma böte vielleicht dieser Text eine recht brauchbare Orientierung.

[11] Näher besehen, handelt es sich freilich um die Erstaunlichkeit einer „Kontinuität des … Bestrebens der Bourgeoisie … , Rechte und Errungenschaften des Proletariats weiter einzuschränken“, die es fertigbringt, „den hierzulande gut erprobten Klassenkompromiss“ nicht etwa infrage zu stellen oder jedenfalls neu zu definieren, sondern schlichtweg fortzusetzen.

[12] Der Text trägt den Titel „Das Problem der Freiheit in marxistischer Sicht. Teil 1“ (als OCR-Scan wiederveröffentlicht in der Ausgabe vom April 2007 des Online Magazins trend) und wurde 1968 in der Reihe „Marxistische Lehrbriefe“ herausgegeben im Verlag Marxistische Blätter (vgl. dazu Robert Steigerwald: „Wie es mit den Marxistischen Blättern begann“). Was die Autoren der „Hysterie …“ als Zitat ausweisen, ist jedoch nur zu einem geringeren Teil wirklich zitiert, zu einem größeren Teil lediglich paraphrasiert, versetzt mit Formulierungen, die allein auf ihre Kappe gehen.

[13] Bis auf das „durch und durch bürgerliche Individuum“ ist diese Passage ziemlich wörtlich aus dem „Lehrbriefe“-Text zitiert.

[14] Regelrecht grotesk wird es, wenn ROJAKXS – man weiß nicht recht, wen – davor warnen, zum Zwecke des Losreißens der Proleten von ihrer staatsfrommen Tradition „sich gegen den Staat mit dem neoliberalen-völki­schen Kleinbürgertum unterordnend zu verbünden.“ Marx habe „dies“, behaupten sie, „sehr deutlich gemacht“, und zitieren in einer Fußnote eine Passage aus einem „Zirkularbrief“ vom September 1879, der wohl in erster Linie von Engels stammt, an einige sozialdemokratische Parteigrößen.

Von einem liberal, völkisch oder sonstwie motiviert „gegen den Staat“ sich auflehnenden und in diesem Sinne auf die Partei einwirkenden Kleinbürgertum ist in dem sechszehn Seiten umfassenden Brief an keiner einzigen Stelle auch nur andeutungs­weise die Rede. Zu lesen ist dagegen darin u. a. das Folgende:

„Es sind die Repräsentanten des Kleinbürgertums, die sich anmelden, voll Angst, das Proletariat, durch seine revolutionäre Lage gedrängt, möge ‚zu weit gehen‘. Statt entschiedner politischer Opposition – allgemeine Vermittlung; statt des Kampfs gegen Regierung und Bourgeoisie – der Versuch, sie zu gewinnen und zu überreden; statt trotzigen Widerstands gegen Mißhandlungen von oben – demütige Unterwerfung und das Zugeständnis, man habe die Strafe verdient.“ (MEW 19, S. 163)

Im Übrigen hat weit und breit niemand in der Corona-Protestszene die Absicht eine der Arbeiterparteien in Deutschland zu entern (geschweige denn sich unterzuordnen) – wenn wir einmal absehen von zwei, drei oder vier Hanselinnen hier in der „Plattform“, die den im vergangenen September gemachten Vorschlag („Corona-Zeitenwende“, Abschnitt III) vielleicht damals nicht schlecht fanden,

„in der Partei Die Linke ein eigenes kleines Fähnlein auf[zu]richten und … als zwar winzig kleiner …, aber feiner Zusammenschluss … offen und öffentlich sich auf die Seite derjenigen [zu] stellen, die jetzt das sofortige Ende des Corona-Regimes, die völlige Wiederherstellung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes verlangen“.

Die Corona-Protestszene hat sich vielmehr mit Elan an das gemacht, was ROJAKXS in dem zitierten Passus des Briefs fett hervorheben, nämlich eine eigene Partei „außerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ zu gründen, wofür ihr der Zirklarbrief posthum gewissermaßen „sicher ihre Berechtigung“ bescheinigt.

Was aber die Partei die Linke und vor allem ihr tonangebendes Personal angeht, so sind sie seit langem von genau jenen „bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen“ beherrscht, die der Zirkularbrief beschreibt. Das dem Kleinbürgertum sich „unterordnende“ Zusammengehen nicht unbeträchtlicher Teile des Proletariats mit diesem ist dort längst vollzogen, wenn auch nicht „gegen“, sondern ganz wie von Marx und Engels dereinst befürchtet, für den autoritären Staat.

[15] Und es fehlt – zu Ende gedacht – übrigens auch die dem Arbeiter „selbst gehörige Zeit“, die ohne die individuelle Freiheit zur zynischen Phrase verkäme.

[16] Friedrich Engels: Herrn EugenDührings Umwälzung der Wissenschaft. In MEW 20, S. 106

[17] Diese metaphorische Bezeichnung für den ein Gemeinwesen allererst gewährleistenden Staat geht auf die gleichnamige, 1651 erstmals veröffentlichte Schrift des englischen Philosophen Thomas Hobbes zurück, über deren Inhalt man eine, wie mir scheint, recht eingängige, knappe und dennoch solide Zusammenfassung hier findet: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/leviathan/3930

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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