Bernd Roggendorf †

auf diesen Seiten bekannt als Emil Neubauer,
Karl-Heinz Landwehr oder auch -AT- resp. Alf

Ein Nachruf von Daniel Dockerill

Am 31. Juli 2024 ist Bernd im Alter von 74 Jahren gestorben.

Er hatte seit 1994 die meiste Zeit den auf diesen Seiten dokumentierten Zusammenhang – der zuletzt unter dem Namen „proletarische Plattform“ firmierte und unter wechselnden Bezeichnungen bis auf wenige Ausnahmen auch davor immer wieder einmal sich neu zusammengesetzt hat – ganz maßgeblich getragen. Ob nach „Corona“, wäre ihm mehr Zeit geblieben, wir noch einmal wieder näher zusammengekommen wären, wird nun leider nie mehr in Erfahrung zu bringen sein. Er war keiner, der zornig oder gar schmollend gerne geräuschvoll die Tür hinter sich schließt, aber jemand, der beharrlich die ihm wichtigen Dinge notfalls auch für sich allein zu Ende zu denken gesucht hat.

Aus dem Zusammenhang der „Plattform“ hatte er schon eine Weile vor „Corona“ sich zurückgezogen. Nicht zuletzt vermutlich deshalb, weil deren Geschäftsgrundlage ihm zusehends fragwürdig geworden war: der politische Bezug auf die Partei Die Linke als Vehikel für einen Weg, worüber das bundesdeutsche Arbeitsvolk womöglich wieder mit, sei es auch noch so bescheidenem Ehrgeiz, sich von seinem Klassendasein zu emanzipieren, sich anreichern und zur selbständigen Partei formieren könnte. Dass ich darüber auf Vermutungen verwiesen bleiben werde, mit Bernd jedenfalls mich auszutauschen, nun nie mehr Gelegenheit sein wird, macht nicht den geringsten Teil des Schmerzes aus, den sein Verlust mir bedeutet.

Fest steht allerdings: Jene Linke – und zwar nicht etwa nur die so sich nennende Partei – war ihm ein beständig kumulierendes Ärgernis, von dem er, selber mit allen Fasern seines Daseins in ihr verwurzelt, gleichwohl nicht lassen konnte. Charakteristisch hierfür sicher, was er in seinem auf drei Teile angelegten, umfang- und materialreichen Großprojekt des Titels „Der hässliche Deutsche – Dritter Akt?“ (das wohl leider zum größeren Teil unvollendet geblieben ist)[1] im Herbst 2014 im Vorwort zu dessen mehr als 400 Seiten starkem ersten Halbband schrieb. „Der Autor“, heißt es dort am Ende,

„zieht das bittere Resümee: Die deutsche Linke hat sich – bewusst oder unbewusst – zu einem wichtigen Träger der deutschen Ideologie und Hüterin der deutschen Volksgemeinschaft gemausert. Daher plädiert der Text für die praktische politische Aufkündigung dieser Volksgemeinschaft als dringende Aufgabe der deutschen Linken.“[2]

Zehn Jahre später sieht es indes ganz und gar nicht nach irgendeiner Besserung aus; von „Aufkündigung“ keine Spur. Unter der Parole „Kampf gegen Rechts“ marschiert diese Linke vielmehr einer reaktivierten und neu herausgeputzten Volksgemeinschaft siegesstolz und weniger irritiert denn je voran und wirkt als ihr Gärstoff; darin so erfolgreich, dass es ihrer als besonderer Partei demnächst wohl kaum mehr bedarf.

Wie Bernd diese seit seiner damaligen Diagnose stattgehabte Entwicklung zuletzt beurteilt hat, weiß ich freilich, wie gesagt, leider nicht. Und ich weiß auch nicht, wie er den ab ten-seven mit seit langem ungekannter Dreistigkeit nicht nur im globalen Süden, sondern auf den Straßen und Campussen auch im hiesigen Westen wieder aufmarschierenden Antizionismus bewertet hat, der Israels Selbstverteidigung gegen Hamas und Hisbollah als Völkermord gebrandmarkt sehen will. Aber ich behalte unsere Verständigung in bester Erinnerung, als wir zuletzt kurz nach Gründung der „Plattform“ zur Debatte um Antisemitismus und Antizionismus in der Linken gemeinsam Stellung genommen haben. Von den auf diesen Seiten dokumentierten maßgebenden Texten aus dieser Zeit trägt insbesondere der vor allem zur Selbstverständigung im Rahmen und Umfeld der „Plattform“ gedachte Text „Erste begriffsklärende Thesen …“ hauptsächlich Bernds Handschrift. Seine komplette Lektüre ist heute dringender denn je allen zu empfehlen, die hinsichtlich der in der Linken grassierenden Mythen über Israel/Palä­stina nach Aufklärung suchen. Zur Anregung seien hier daraus abschließend daher zwei Passagen (aus der vierten sowie der siebten These) zitiert:

„ … Der Zionismus ist zwar die falsche – nämlich bürgerliche – Antwort auf die Antisemitenfrage, von deren Falschheit seit der Shoa es sich aber verbietet, sich darüber hämisch, verächtlich oder empört das Maul zu zerreißen. Moshe Zuckermann benennt jenen eklatanten Widerspruch des Zionismus: Einerseits moderne Staatswerdung des Judentum (Säkularität), andererseits das Jüdischsein religiös begründet. Diese Besonderheit Israels nachvollziehbar zu machen und als klassenorientierte Linie dessen Verteidigung trotz Bauchgrimmen auf allen Seiten zumindest begreifbar zu machen, ist der Hauptzweck dieser Thesen.

Die Großbourgeoisie habe Hitler in den Sattel gehoben, hieß es … Wo war denn sein proletarischer Widerpart? Die gewaltigen proletarischen Kräfte insbesondere in Deutschland wie die der KPn der Komintern versagten kläglich in der historisch möglichen und überlebensnötigen Bildung der Einheitsfront der gespaltenen Arbeiterbewegung. Dass vor allem die sozialdemokratischen wie gewerkschaftlichen Führungen diese Initiative ergreifen würden, war undenkbar. … Das Versagen des revolutionären Proletariats in Deutschland in Fragen der Einheitsfront besiegelte sowohl die blutige Ausrottung des proletarischen Klassenbewusstseins der europäischen Arbeiterbewegung als auch die Vernichtung des europäischen Judentums. Die europäische Linke Westeuropas nach 1949 konnte nur noch der wirkungslose Nachhall der Zertrümmerung der geschichtlichen Wirkmächtigkeit des Proletariats sein. Eine aktuelle klassenorientierte Bewegung wird nicht umhinkommen, die historisch unwiderrufliche Vernichtung der revolutionären proletarischen europäischen Arbeiterbewegung in ihrer Tiefe und Breite zu erfassen. Dann wird der Zusammenhang zwischen der Shoa und dem historischen Versagen des Proletariats insbesondere in Deutschland deutlich.“

 


[1] Dies vielleicht auch deshalb, weil „eine netzbasierte Kooperation“ dazu, wie Bernd sie sich erhofft oder jedenfalls gewünscht hätte, wahrscheinlich nur in allzu unzulänglichem Maße zustande gekommen ist. Namentlich ich selbst, der ich anfangs mich an einem ersten Lektorat eines kleinen Teils des Textes versucht hatte, bin dann bald aus diversen Gründen ausgefallen und habe mich schließlich, ähnlich wie später Bernd, aus dem „Plattform“-Zusammenhang eine längere Zeit weitgehend ausgeklinkt.

[2] Emil Neubauer: Der hässliche Deutsche – Dritter Akt? Teil I/1, Norderstedt (BoD) 2015, S. 11. In einer ein gutes Jahr früher vorab online gestellten Version war in dieser Textpassage als „Träger der deutschen Ideologie und Hüterin der deutschen Volksgemeinschaft“ noch nur „die große Mehrheit der deutschen Linken“ ausgemacht.

 

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Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

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