Von Daniel Dockerill
(für das Juli-Heft der Zeitschrift konkret modifizierte Fassung von Krise der LINKEN)
Kurz hintereinander aus zwei Landtagen in Deutschlands Westen herausgeflogen, wobei der Rausschmiss in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, besonders schmerzt: Keine Frage, die Partei die Linke befindet sich in äußerst ungemütlichem Fahrwasser. Infrage steht, was mit der Gründung der Partei das politische Terrain der Republik radikal verändert zu haben schien: die bereits sicher geglaubte Etablierung einer Partei, die nicht nur östlich, sondern auch westlich der Elbe der SPD das Monopol streitig macht, mit der organisierten Arbeiterbewegung, die an sich in diesem Land nach wie vor ein enormer Machtfaktor ist, eng verbandelt, deren Anliegen nahezu offiziell politisch zu bündeln und parlamentarisch zu vertreten.
So etwas hat es seit 1933 nicht mehr gegeben in Deutschland, dass in seinem Parlament aus allen seinen Ländern Abgeordnete einer Partei sitzen, die – ebenfalls in nicht geringem Maße aus dem Gewerkschaftsmilieu gespeist und mit ihm verbunden – der Sozialdemokratie den Verrat an den Interessen derjenigen vorrechnet, die sie zu vertreten behauptet. Dabei tut es wenig zur Sache, dass die Protagonisten offenbar kaum wussten und wissen, was sie da tun.
So kurios es – selbst bei flüchtiger Kenntnis der Geschichte der Sozialdemokratie des ganzen letzten Jahrhunderts – auch erscheinen mag: Insbesondere die beiden Galionsfiguren der Partei erklärten und erklären immer wieder einmal recht einmütig und ohne aus ihren eigenen Reihen vernehmbaren Widerspruch zu ernten, dass es letztlich ihr Ziel sei, die sozialdemokratischen Tugenden wiederzubeleben, und dass alles wieder gut würde, wenn auch die SPD sich endlich wieder darauf besänne. Als wäre nicht der Verrat an allem, was man gemeinhin für ihre Tugend hält und halten soll, seit langem Prinzip und Hauptzweck ihres Daseins.
Kurios auch und zugleich bezeichnend für den eigenartigen Zwiespalt, in dem DIE LINKE von allem Anfang an agiert, dass der Eine der beiden Figuren, Gregor Gysi, sich bereits seit Jahren damit abgemüht hatte, seine Partei, die PDS, zum geschäftsfähigen Partner für gemeinsame Regierungsprojekte mit der SPD zu trimmen, während der Andere, Oskar Lafontaine, als ehemaliger Vorsitzender eben derselben SPD, soeben sich an die Spitze einer von Teilen insbesondere des gewerkschaftlichen Funktionärskörpers getragenen Absetzbewegung von der SPD gestellt hatte. Wenn zwei das Gleiche sagen, ist’s halt nicht unbedingt dasselbe. Macht der Eine damit im Zweifel eher einem ersehnten Partner Komplimente, so sucht der Andere vor allem Brücken zu bauen, die es den Schwankenden in seinem alten Verein erleichtern, sich ihm anzuschließen.
Hatte der Gegensatz dieser scheinbar nahezu identischen politischen Optionen bislang nur in der unterschiedlichen Nuancierung politischer Statements oder in kleinen Schauergeschichten aus den Hinterzimmern des Parteilebens sich bemerkbar gemacht, so führte er auf dem soeben über die Bühne gegangenen Göttinger Parteitag erstmals zum offenen und öffentlichen Krach. Dass es gerade jetzt dazu gekommen ist, hat natürlich mit jenem ungemütlichen Fahrwasser zu tun, worin die Partei sich zurzeit bewegt und dessen Charakter beleibe nicht erfasst wäre, wenn man es auf das Offenkundige, den rapiden Schwund der Wählergunst, reduzierte, der einer schlechten Performance der Partei geschuldet sei.
Bevor wir das näher betrachten, ist aber festzuhalten, dass jede der beiden widerstreitenden Optionen, von denen die Partei jetzt zerrissen zu werden droht, ihre triftigen und in der jeweiligen Herkunft der zwei ungleichen Hälften, aus denen DIE LINKE komponiert ist, fest verwurzelten Gründe besitzen.
Die PDS kämpft seit der Abstreifung ihrer alten SED-Haut um marktwirtschaftlich-demokratische Reputierlichkeit und träumt davon, fürs ordinäre Regieren auch der ganzen Republik eines Tage gebraucht zu werden. Man war schließlich einmal Regierungspartei einer anderen deutschen Republik gewesen und verfügt weiterhin über durchaus kompetentes Personal, wie einige Kostproben auf Länderebene bereits bewiesen haben. Warum sollte einem nicht gelingen, was dereinst den Grünen gelang? Wie diese ist man das Produkt einer Bekehrung.
Mit den Grünen vollzog in den 80er Jahren die Ende der 60er aufgebrochene so genannte „Außerparlamentarische Opposition“ unter allerhand Verrenkungen eine Bewegung nach Rechts, weniger indem sie sich parlamentarisierte als vielmehr, indem sie abrückte von jeglicher Orientierung auf die Emanzipation des besitzlosen und daher lohnabhängigen Teils der Gesellschaft, hin zu Fragen, die die deutsche Volksseele über alle Klassengrenzen hinweg gemeinschaftlich bewegten: der sterbende Wald und die Angst, dass Deutschland bei der Vorwärtsverteidigung des Westens gegen den kommunistischen Osten zum Schlachtfeld und Opfer amerikanischer Atombomben werden könnte. Die PDS ihrerseits ist ein Resultat des Endes der Teilung Deutschlands und vollstreckte, wenn auch mit reichlicher Verspätung und sicher eher ahnungslos, in der Bejahung dieses Resultats und in ihrem unbedingten Bemühen, mitzumachen im wieder vereinten Deutschland, gewissermaßen Stalins Vermächtnis, der zuletzt 1952, kurz vor seinem Tod dem Westen das durchaus ernst gemeinte Angebot einer Vereinigung Deutschlands auf bürgerlich-demokratischer Grundlage gemacht hatte, wenn dessen Neutralität gesichert sein würde.
Die zweite der beiden Komponenten der Partei DIE LINKE, ihr von der WASG abstammender Teil, beschreibt die diametral entgegengesetzte politische Bewegungsrichtung. Orientierungspunkt sind hier die Segnungen, die das westliche Erbteil der deutschen Volkgemeinschaft von einst, der bundesdeutsche so genannte Sozialstaat, dem lohnabhängigen Volk im Westen gespendet hatte – jener Sozialstaat, zu dem als dessen ungeliebtes Komplement die DDR und also die Teilung Deutschlands mehr oder weniger heimlich, aber unabdingbar dazu gehört hat. In Bewegung geraten war man, als die Rot-Grüne Regierung Gerhard Schröders, nicht zuletzt weil sie durch die Schaltstellen in den Gewerkschaften recht geschickte Schützenhilfe erhielt, mit ganz anderem Schwung, als es Kohl jemals gewagt hatte, an elementare Bestandteile dieser sozialstaatlichen Freundlichkeiten Hand angelegt hatte. Eine größere Zahl zumal des prekären Teils der lohnabhängigen Bevölkerung, der durch diese Reform obendrein beträchtlich vermehrt wurde, aber auch des Teils der Lohnabhängigen noch in halbwegs gesicherter Beschäftigung sowie des auf sie gestützten gewerkschaftlichen Funktionärskörpers verstimmte das dermaßen, dass sie nach einer Alternative zur SPD suchten und – nirgendwo findig wurden.
Die PDS kam nicht infrage, weil sie einesteils im Westen ein Dasein als Mauerblümchen fristete und andernteils im Osten, wo sie politisches Gewicht hatte, längst mit der SPD sich gemein gemacht hatte. Um die SPD ernsthaft herauszufordern, schien die Gründung einer neuen Partei unausweichlich und wurde schwungvoll in Angriff genommen.
Es kam dann für alle Beteiligten am Ende bekanntlich etwas anders als gedacht. Die Geschichte des Wie und Warum, obwohl nicht unspannend, soll hier jetzt nicht erzählt werden. Nur soviel ist zu sagen, dass es an sich keine Überraschung ist, wenn die dann doch unter dem Namen DIE LINKE geschlossene Ehe zwischen PDS und WASG heute den Eindruck macht, „verkorkst“ (Gregor Gysi) zu sein. Überraschend und erklärungsbedürftig angesichts ihrer hier skizzierten Voraussetzungen scheint vielmehr, warum sie immerhin noch im Oktober vergangenen Jahres, als in Erfurt das stolze Parteiprogramm verabschiedet wurde, so relativ glücklich ausgesehen hat.
Der Quell des Glücks einer politischen Partnerschaft ist ihr Erfolg, zumal jener, der sich messen lässt und in Zahlen ausdrückt, und den hat DIE LINKE reichlich genossen – bis sie jetzt im Mai aus den Landtagen in Schleswig-Holstein und in NRW sozusagen achtkantig wieder herausflog.
Erste Enttäuschungen hatte die Partei bereits im März vergangenen Jahres mit ihrem Scheitern bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu verkraften. Seitdem scheint das Kriterium, an dem sie selbst bislang ihren Erfolg gemessen hat, ihre fraglose parlamentarische Präsenz auch im Westen der Republik, im Begriff zu sein, gegen sie auszuschlagen. Da werden Erklärungen gesucht, was die Partei wohl falsch gemacht habe. Der demokratische Aberglaube an die Allmacht der Politik treibt kräftige Blüten. Jedoch: Eine andere Erklärung ist möglich.
Datiert man die Strecke des Misserfolgs der LINKEN ab dem März letzten Jahres, als die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verloren gingen, und wendet den Blick weg vom politischen Spektakel, hin auf das, was den gemeinen Wähler als solchen viel nachhaltiger drückt oder erleichtert, dann fällt eine interessante Koinzidenz mit dem Konjunkturverlauf ins Auge. Während nämlich die erfolgreiche Bundestagswahl 2009 mitten in die schwere Krisendelle der Konjunktur fiel, erreicht just mit dem Frühjahr 2011 das deutsche Bruttoinlandsprodukt erstmals wieder das Niveau, das es zuletzt vor dem Kriseneinbruch erklommen hatte. Dies in einem Umfeld, worin die große Wirtschaftskrise, die ab 2007 die ganze kapitalistische Welt schwer erschüttert hat, vor allem die alte Welt des Kapitalismus: Europa, Japan und Nordamerika, weiterhin fest im Würgegriff hält. Was in der Folge einer ausgewachsenen industriellen Überproduktion dort fürs große Publikum zuerst als Bankenkrise manifest wurde, frisst sich fort als Krise der Staatsschulden, die in historisch noch nie gekannte Dimensionen aufgebläht wurden, und schlägt zurzeit insbesondere in weiten Teilen Europas zurück als schwere Depression der industriellen Produktion, die ganze Länder verwüstet.
Deutschland dagegen erweist sich bislang als der große Krisengewinnler in Europa, nicht zuletzt deshalb, weil es jene Rosskur, die es nun der gesamten Eurozone aufzuzwingen versucht, für einen beträchtlichen Teil der eigenen Bevölkerung bereits mit durchschlagendem Erfolg vorweggenommen hat – übrigens ist es Krisengewinnler auch auf dem Finanzmarkt, auf dem ihm zinsgünstig wie noch nie Geld für seine Staatsanleihen angeboten wird, woran man ermessen mag, wie geistreich jene Parole ist, die neulich wieder einmal bei Blockupy auf großem Transparent für die Zerstörung der Demokratie etwa in Griechenland eine „Diktatur“ ausgerechnet „der Finanzmärkte“ haftbar machen möchte.
DIE LINKE aber ist die Partei gewordene Opposition gegen das von Rot-Grün auf den Weg gebrachte Erfolgsprogramm nachhaltiger Erzeugung von Massenarmut und Lohndrückerei in Deutschland und reflektiert diese Opposition in deren Stärke und Schwäche.
Ihre Stärke, die nicht wenig damit zu tun hat, dass sie als DIE LINKE den Schritt zur förmlichen Parteibildung vollzogen hat, besteht darin, dass es sie gibt und dass sie auch angesichts des unbezweifelbaren momentanen Erfolgs des deutschen Krisengewinnlertums nicht von der Bildfläche verschwunden ist bzw. im Panoptikum der sogenannten Krisenproteste (zweifellos ein Kandidat für das Unwort des Jahres) in politische Harmlosigkeiten sich aufgelöst hat. Die Losung „Hartz IV muss weg“ ist bis heute ein Zentralpunkt der parteilinken Programmatik und trennt DIE LINKE mehr als alles Andere von sämtlichen übrigen parlamentarischen Parteien.
Zur Opposition gegen die Agendapolitik legitimiert sieht sie sich, und darin liegt ihre Schwäche, vor allem deshalb, weil diese Politik den sozialen Konsens aufgekündigt habe, die „soziale Spaltung“ Deutschlands in Kauf nehme und es daher früher oder später wirtschaftlich ruinieren werde.
Der derzeitige ökonomische Alltag in Deutschland lässt nun jedoch dieses Kernelement aller wirtschafts- und sozialpolitischen linken Propaganda vorerst ziemlich irreal aussehen. Nicht der wirtschaftliche Ruin, sondern ein geradezu märchenhafter Erfolg Deutschlands scheint aus der Agendapolitik herausgekommen zu sein. Was andererseits keineswegs hindert, vielmehr elementar dadurch bedingt ist, dass beträchtliche Teile auch der deutschen Bevölkerung von diesem Erfolg nur jene Schattenseiten zu spüren bekommen, unter denen mittlerweile Halbeuropa zu frösteln beginnt. Aber es stimmt einfach nicht, dass die deutsche Austeritätspolitik nur „den Banken“ irgendwelche Unsummen von Geld sinnlos in den Rachen schmeiße. Es sind große Teile der deutschen Industrie, jener leider allzu „realen“ deutschen Wirtschaft, um die sich das linkskeynesianische Dogma immer so viele Sorgen macht, die im Zuge des durch Merkel und Co. Europa oktroyierten Sparregimes den großen Reibach machen und allerhand Konkurrenz aus dem Weg räumen. Und nicht wenige derjenigen, die an sich nichts besitzen als ihre Arbeitskraft, wähnen sich, weil zurzeit durch die erfolgreiche deutsche Industrie und dessen, was alles noch an ihr dranhängt irgendwo beschäftigt oder auf baldige Beschäftigung hoffend, mit dem „Besitz“ eines so genannten Arbeitsplatzes jetzt oder demnächst gesegnet und wissen es einer in der Opposition geläuterten SPD wieder zu danken, dass die zwar für einige „soziale Korrekturen“ an Merkels Politik, aber auch für die „Schuldenbremse“ eintritt.
Eine politische Position, die wie das linke Parteiprogramm beispielsweise verlangt, dass „Jeder und jede … das Recht“ habe, „konkrete Arbeitsangebote abzulehnen, ohne Sperrzeiten oder andere Sanktionen fürchten zu müssen“, lässt sich unter solchen Bedingungen schwerlich im Namen eines Allgemeinwohls, das keine Klassen kennt, an Frau und Mann bringen. Bedeutend weiter wären wir dagegen, wenn ein solches Recht als ganz selbstverständliche Ausdehnung des Streikrechts auf den unbeschäftigten Teil des lohnabhängigen Menschenpacks verfochten würde, woraus dann logisch folgen würde, dass, wie im Grundsatz bei jeder Streikkasse, die Lohnabhängigen allein durch ihre eigenen Organisationen, ohne jede Einmischung von Staats wegen oder anders unbefugter Seite, die Gelder verwalten, die es zur Ausübung dieses Rechts natürlich braucht. Zwar lassen sich auch auf dieser Grundlage momentan ganz sicher keine linken Wahlerfolge organisieren, aber der linke Streit ums linke Regieren bekäme vielleicht einmal einen neuen Dreh.
Indes vermeldete Spiegel Online Anfang Mai: „Maschinenbauer spüren Krise“. Der Auftragseingang sei „im März um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat“ geschrumpft, die Bestellungen aus dem Euroraum (sage noch einer, der Kapitalismus sei ungerecht!) sogar um 17 Prozent. „Die Branche, zu der neben börsennotierten Konzernen … viele Mittelständler gehören, beschäftigt in Deutschland derzeit rund 962.000 Mitarbeiter.“ Nicht gerechnet, was da noch alles in der Zuarbeit beschäftigt ist. Zu befürchten ist, dass wir alle viel zu bald miteinander auch hierzulande ganz andere Tänze tanzen und ganz von vorne uns den Kopf zerbrechen werden – und froh sein müssen, wenn wir die linke Partei, in der die politische Misere der gesamten deutschen Linken sich so grausam gründlich bündelt, dann noch zur Verfügung haben.
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