33. Zwischenbilanz IV: Deutschlands Stellung in der EU Anfang 2014

In der Gegenwart kommt jene plumpe Wahrheit zu sich selbst, die der NS-Ober-Europäer überhaupt: Werner Daitz, Mitglied des Außenpolitischen Amtes, 1940 in einer Denkschrift von sich gab:

"Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geografischen Lage."1

 

Das Mantra Europa ist ist aus der Sicht Deutschlands die Chiffre für Europa als Bundesstaat unter impliziter oder expliziter deutscher Führung als Zweckgemeinschaft zum Aufstieg zur Weltmacht – nun auch des 21. Jahrhunderts. Das neue Deutschland hat im Brennglas des diplomatischen Weltparketts nach 1990 jene preußische Hässlichkeit von aggressivem Machtanspruch heraushängen lassen und rücksichtslos mit allen Mitteln – einschließlich Militärschlägen – durchzusetzen versucht, welche die anderen europäischen Staaten an ihm seit 1900 so fürchten. Deutschland kehrte zur Unberechenbarkeit der damals praktizierten „Politik der freien Hand“ zurück. Seine auf die Zerlegung Jugoslawiens zielende destabilisierende Politik befeuerte das militärische Balkan-Abenteuer entschieden. Dabei stieß die BRD viele ernsthafte EU-Verbündete vor den Kopf, die bis 1989 gehofft hatten, dass Deutschland sich als verlässlicher Partner in Westeuropa eingebunden habe als zwar ökonomisch dominant, jedoch politisch bedächtig als Gleicher unter Gleichen handelnd. Eine sträfliche bürgerliche Illusion, gewachsen auf dem sozialdemokratischen Mist des modifizierten kautskyanischen Ultraimperialismus. Deutschlands ökonomisches Übergewicht in der EU trieb seinen politischen Führungsanspruch in kapitalistischer „Natürlichkeit“ zur Kenntlichkeit. Die BRD isolierte sich selbst durch ihr überhastetes Streben nach einer Weltmachtrolle auf dem Rücken Europas. Deutschland bestätigt mit seiner EU-Politik bis heute M. Thatchers Erkenntnis, dass Deutschland danach trachtet, Europa in Deutschland zu verankern und nicht umgekehrt.

 

Doch, welche Substanz weist die deutsche Option, mit „Europa“ zur Weltmacht aufzusteigen, 2014 auf? Die erste Annäherung hier in Teil I an eine Antwort ist in drei politische Felder gegliedert:

 

  • Zunächst wird das machtstrategische Feld der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik (GASVP) betrachtet. An deren Zustand lässt sich abschätzen, ob die deutsche Europa-Option überhaupt auf jenen machtstrategischen Füßen steht, die Weltmächte auf dem Weltmarkt benötigen.

  • Danach geht es um die politisch-ökonomische Basis des gesamten EU-Integrationsprojektes. Wie weit ist die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) gediehen?

  • Zum Schluss kommt das kontraproduktive deutsche Drängen nach der schönfärberisch genannten „politischen Union“ zur Sprache. Denn das Ziel einer Neuordnung Europas als Vereinigte Staaten von Europa (VSE) bestimmt die deutsche Europapolitik in der alten Spur überkommener Kontinuitätslinien übergreifend seit Gründung der EG.

 

33.1. Zum desolaten Zustand der GASVP der EU

 

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie die Gemeinsame Verteidigungspolitik (GVP) wurden im Maastricht-Vertrag 1992 als neue – dritte – Säule der neu konstituierten Europäischen Union (EU) eingeführt. Ebenso die Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PZJS) als weitere neue – zweite – Säule. Die erste Säule der EU wurde die Zusammenführung der alten wirtschaftspolitischen Europäischen Gemeinschaften (EG). Diese drei Säulen wurden in den Verträgen von Amsterdam 1997 und Nizza 2001 modifiziert und im Lissabon-Vertrag von 2007 aufgehoben. Die EU war bis 2007 keine Rechtsperson, sondern lediglich die (ökonomischen) Europäischen Gemeinschaften (EG). Mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 2009 sind alle geschlossenen EU-Verträge Völkerrechts verbindlich. Dabei fallen sämtliche wirtschafts- und innenpolitische Felder in die Zuständigkeit der supranationen EU-Organe, wogegen die Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik weiterhin intergouvernemental entschieden wird – und zwar stets nur einstimmig. Hiermit ist Deutschland formal ein entschiedenes Stück weiter und ringt darum, die „Partner“ auf dem sensiblen Feld der GASP und insbesondere der GSVP an die Kandare zu legen.

 

Wie sehr es die deutschen Großmachtstrategen nach einer verteidigungspolitischen Einigung der EU-Staaten in der GSVP im Jahre 2013 drängen musste, lässt sich Ermessen, wenn an die vorne im Schäuble/Lamers-Papier schon 1994 harsch, undiplomatisch geäußerte Ungeduld erinnert wird:

 

Von wesentlich größerer Vorrangigkeit, als im Maastrichter Vertrag vorgesehen, ist die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung. Die 'gegebene Zeit', von der dort die Rede ist, ist heute bereits gegeben.“2

 

Dieser Druck auf die Partner setzte sich in Fischers „Grundsatzrede“ zu Europa im Jahre 2000 als ebenso ungeduldiges deutsches Drängen fort, endlich die GASP und GSVP entschlossen anzugehen, und am besten Dalli Dalli effektiv umzusetzen. Nimmt man die Aussagen beider politischen Zampanos wörtlich, dann sind es von 2014 betrachtet für die weltmachtpolitischen deutschen Ambitionen „20 verlorene Jahre“.

 

Nach dem EU-Dezember-Gipfel 2003 gab der EU-Rat ein beispielhaftes Zeugnis für die passive Verweigerungstaktik der EU-“Partner“ auf den machtstrategischen Feldern der GASVP:

 

Europäische Sicherheitsstrategie

Das vorliegende Dokument wurde im Auftrag des Hohen Vertreters der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), Javier Solana, erstellt und von ihm dem Europäischen Rat vorgelegt. Der Europäische Rat hat die europäische Sicherheitsstrategie auf seiner Tagung am 12. und 13. Dezember 2003 in Brüssel angenommen.

 

Als Zusammenschluss von 27 Mitgliedstaaten mit über 500 Millionen Einwohnern ist die Europäische Union zwangsläufig ein globaler Akteur. Europa muss daher bereit sein, die Verantwortung für die globale Sicherheit und den Aufbau einer besseren Welt mit zu tragen."3

 

Nichtssagender als der bloße hochtrabende Appell an die „Verantwortung Europas“ und der Phrase vom Ziel des „Aufbaus einer besseren Welt“, sogar ohne jede konkretisierende Absichtserklärung, kann ein sicherheitspolitisches Dokument eines Staatenbundes gar nicht sein. Es klingt makaber, wenn ausgerechnet ein neuer imperialistischer Hauptblock – die militarisierte, hoch-aufgerüstete EU – zum „Aufbau einer besseren Welt“ beizutragen propagiert. Deutschland hat ein instrumentales Verhältnis zur europäischen Integration – so wie alle anderen Nationalstaaten auch, allerdings mit dem feinen aber entscheidenden Unterschied: es ist selbst die unangefochtene ökonomische EU-Vormacht. Zugleich hat es im Gegensatz zu den aus der ersten Reihe der Weltbühne abgestiegenen ehemaligen Weltmächten Europas selbst Weltmachtambitionen ersten Ranges. Es sieht sich als an Höhe gewinnender Adler, der seine Krallen nach „Europa“ ausgreifen lässt, um verdeckt im Namen Europa Weltmacht zu spielen. Da die EU-„Partner“ verständlicherweise gerade in der die jeweilige nationale Souveränität am stärksten bedrohende GASP und GVP nicht spuren, ergreift Deutschland die ökonomische Schwäche vieler „Partner“ als günstige Gelegenheit, sie mittels „Fiskalunion“ auf dem Feld der EWWU zur tieferen EU-Integration zu zwingen und über diesen ökonomischen Hebel zu GASVP-“Partnern“ nach deutschem Fasson zu unterwerfen.

 

Der eingeschlagene Weg, den EU-„Partnern“ in der laufenden Staatsschuldenkrise die Daumenschrauben der Austerität und anderen Instrumenten der Währungsunion anzuziehen – als dem harten politischen Kern der EU, wie Herr Schäuble ebenfalls vor fast zwei Dekaden vermerkte – trägt allerdings das Risiko in sich, den Zerfall der EU und den Widerstand der Partner in Fragen der GASVP zu stimulieren, statt der erhofften Tendenz einer „kohärenten“ Entwicklung ihrer Volkswirtschaften und der Schaffung von EU-Streitkräften. Den „Verweigern“ des deutschen EU-Parforcerittes drohte der bekannt reaktionär-nationale deutsche SPDler und amtierende Europa-Parlamentspräsident Ende 2012 schon mal in deutscher Selbstherrlichkeit an: „Schulz will Integrationsverweigerer abstrafen“4.

 

Deutschland geriert sich wie immer als Zuchtmeister, wenn die „Partner“ nicht sofort auf seinen Kurs einschwenken, da es seinen Kurs der europäischen Integration als alternativlos vorgibt. Es gibt seit 100 Jahren vor, zu wissen, dass für die anderen Europäer „Gut“ ist, was für es selbst gut ist. Dass nicht nur Britannien, sondern viele der jetzigen EU-„Partner“ seit Anfang der EWG 1957 einen gut ausgestalteten EU-Binnenmarkt eines europäischen Staatenbundes den deutsch-diktierten VSE eines europäischen Bundesstaates vorziehen würden, wird tunlichst verschwiegen. Dass hieraus „natürliche“ Blockaden und Gegenmaßnahmen der „Partner“ auf den machtstrategischen EU-Kern-Feldern der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik folgen, wird ebenfalls verschwiegen. Das vorne angesprochene St. Malo-Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien 1998 ist ein Paradebeispiel deutscher Ignoranz.

 

Dass gegenwärtig keine gemeinsame Außenpolitik der „Partner“ in Sicht ist, pfeifen die Spatzen von den Brüsseler Dächern. Da kann der neue Bundespräsidiale im Berliner Schlößle noch so sehr auf „Bannerträger“ Europas setzen, überall sind verständlicherweise „Bedenkenträger“ am Werke bezüglich der von Deutschland laufend angemahnten „Vereinheitlichung“ der EU-Außenpolitik. Ebenso liegt die gemeinsame Sicherheitspolitik im Zeichen der Konzentration aller Kräfte auf die „Lösung“ der sogenannten „Euro-Krise“ mit opfer-deutsch „Rettungsschirmen“ auf Beatmungsstation.

 

Zum NATO-Gipfel im Mai 2012 erhoffte sich Deutschland eine „gemeinsame“ europäische außenpolitische Position bezüglich des Abzugs der restlichen A-Waffen der USA aus Kontinentaleuropa5. Soweit ging die französische „Freundschaft“ dann doch nicht. Im Gegenteil. Wie es 2012 tatsächlich um die „Verteidigungsidentität“ der EU stand, geht hervor aus:

 

Newsletter vom 11.09.2012 - Die neue Entente Cordiale – PARIS/LONDON/BERLIN (Eigener Bericht) - Berliner Regierungsberater fordern einen raschen Ausbau der deutsch-französischen Militär- und Rüstungskooperation, um die Bildung einer Achse Paris-London zu verhindern. Die 2010 gestarteten Bemühungen Frankreichs und Großbritanniens, ihre Streitkräfte und ihre Waffenindustrien enger miteinander zu verknüpfen, seien in Deutschland lange sträflich unterschätzt worden, heißt es in einer aktuellen Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Über den Ärmelkanal hinweg sei 'eine neue Entente Cordiale' im Entstehen begriffen, die das deutsche Streben nach dem Aufbau einer EU-Armee ebenso konterkariere wie die Formierung einer einheitlichen europäischen Rüstungsindustrie. Die von der DGAP gewählte Bezeichnung 'Entente Cordiale' verweist auf das Bündnis, das Frankreich und Großbritannien 1904 schlossen, um – mit Blick auf das bedrohlich erstarkende Deutsche Reich – ihre globalen Interessen abzugleichen und sich in Europa gemeinsam gegen die zunehmende deutsche Dominanz zur Wehr zu setzen. Das neue französisch-britische Bündnis resultiert aus der Erkenntnis, dass die europäische Politik mittlerweile maßgeblich von Berlin diktiert wird.“6

 

Ein Monat später tat die BRD folgerichtig kund, nach dem Ausstieg der Daimler AG als Großaktionär von EADS aus strategischen nationalen Gründen beim wichtigsten kontinentaleuropäischen Rüstungskonzern einzusteigen, nachdem sie kurz vorher dessen Fusion mit dem britischen Konkurrenten blockiert hatte:

 

In trockenen Tüchern ist das Geschäft aber noch nicht. Die französische Regierung und der französische Großaktionär Lagardère müssen zustimmen, wenn die KfW in den EADS-Aktionärspakt einsteigen soll. Paris war verstimmt über die Blockade der Fusion mit BAE Systems durch Deutschland. Im Grundsatz hatten die Franzosen die Transaktion gutgeheißen. Als möglich gilt nun eine Paketabsprache, bei der die Deutschen den Franzosen an anderer Stelle entgegenkommen müssen. Auch ist noch nicht klar, wer die Stimmrechte bei EADS halten wird.“7

 

Von wegen „gutgeheißen“: der französisch-britische Coup war als Nukleus der neuen Entente Cordiale gedacht. Zu Weihnacht 2012 wurde dann gemeldet, dass Deutschland französische Lieferungen von Armee- und Sanitätsfahrzeugen nach Saudi-Arabien blockiert, indem es die Exportgenehmigung für deutsche Zulieferer verzögert8.

 

Im Grunde tobt in der EU spätestens seit der Ausarbeitung des Entwurfs des Lissabon-Vertrages 2003 hinter den Kulissen ein verschärfter Kampf um die Neuordnung – „Vereinheitlichung“ genannt – der europäischen Rüstungsindustrie als materieller Kern einer faktisch erzwungenen gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die starke Stellung der deutschen Wehrtechnik wird durch die engere Kooperation im Rüstungssektor von London und Paris bedroht. Berlin versucht auf dem seit der Montanunion 1953 erprobtem Wege der kleinen Schritte, die Integration der nationalen Ressourcen zu einem schlagkräftigen europäischen militärisch-industriellen Komplex voranzutreiben. Dazu sind beispielsweise zwei sogenannte „EU-Verteidigungspakete“ neu installiert worden, um die Ausnahmen in den EU-Auftragsvergaberichtlinien für Rüstung aufzuweichen. Der BDI, der das Thema „Sicherheit und Rohstoffe“ längst beackert, vermerkt zerknirscht und erbost:

 

Auch bei der Beschaffung von Rüstungsgütern ist das europäische Vergaberecht bislang nicht anwendbar. Die Mitgliedsstaaten entscheiden weitgehend autonom über die Auftragsvergabe und geben daher fast 85 Prozent ihrer für die Beschaffung von Rüstungsprojekten bestimmten Mittel im Inland aus. Rechtfertigung dafür ist Art. 296 EG-Vertrag, der Sonderregeln für Erzeugung und Handel mit Rüstungsgütern vorsieht, damit die Mitgliedsstaaten ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen wahren können. Bisher war kaum überprüfbar, ob wirklich solche wesentlichen Sicherheitsinteressen betroffen sind.“9

 

Welche, außer der technisch führenden und wettbewerbsfähigsten konventionellen Menschen-Abschlachtungs-Industrie-Nation hätte ein Interesse daran, diesen alten EG-Artikel zu streichen? Selbst beansprucht Deutschland „natürlich“ die Kernkompetenzen des Militärisch-Industriellen-Komplexes auszubauen: Unter dem zweiten von drei Positionspunkten des BDI zu „Sicherheit“: „Erhalt und Ausbau wehrtechnischer Kernfähigkeiten“ heißt es:

 

Wehrtechnische Kernfähigkeiten sind von herausragendem industrie- und sicherheitspolitischem Interesse für Deutschland. Sie sichern die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und Arbeitsplätze am Standort Deutschland.“10

 

Die Verpflichtung der Staaten des Lissabon-Vertrages von 2007 zur Aufrüstung, zur schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten sowie die Verpflichtung zu militärischen Kampfeinsätzen selbst erhielten praktisch Verfassungsrang. Der militärpolitische Teil des Vertrages bezeugt den Militarismus der EU11. Die deutschen Schönredner benutzen anstatt des englischen und französischen Begriffs „EU-Interventionstruppen“ für die deutsche Endzeitseele lieber „EU-Krisenreaktionskräfte“. In den verteidigungspolitischen Rahmenbedingungen des Lissabon-Vertrages hat die BRD wichtige Elemente der vorhin skizzierten Verteidigungspolitischen Richtlinien vom November 1992 durchgesetzt. Zudem kamen Kernelemente des später aufgehobenen WEU-Vertrages zum Tragen.

 

Die Geschichte der WEU illustriert den Widerstand der „Partner“ gegen das deutsche Begehren nach einem militärischen Arm der EU. Das militärpolitische Bündnis WEU hatte Anfangs die Funktion der gegenseitigen Aufrüstungskontrolle der beteiligten Nationen und war gegen Deutschlands potentiellen militärischen Wiederaufstieg gerichtet, einschließlich dessen Griffs nach der Atombombe. Erinnert sei an den vorne (in Unterkapitel 24.3.) behandelten deutschen Hoffnungsträger WEU als Weg des deutschen Griffs nach der Atombombe sowie als EU-Partner der NATO P4P nach 1992 (in Unterkapitel 24.4.). Bis zum Gipfel von Amsterdam 1997 versuchte Deutschland die WEU in die EU zu integrieren. Britannien und Frankreich machten mit dem Vertrag von St. Malo den Weg hierzu frei im Bewusstsein, dass die WEU praktisch tot war. So kamen einige ihrer Elemente schließlich im Lissabon-Vertrag unter. Vorne wurde schon erwähnt, dass sich Frankreich und Spanien stattdessen nach 2000 lieber vollständig in die NATO reintegrierten. Ein militärpolitisches Bündnis der EU ist nicht nur nicht in Sicht, sondern wird zunehmend undenkbarer.

 

Zum zunehmend desolaten Zustand der europäischen Militärpolitik hieß es dann bei GFP im:

 

Newsletter vom 11.06.2013 - Die europäische Friedenszone

BRÜSSEL/BERLIN (Eigener Bericht) - Ein bedeutender militärpolitischer Think-Tank der EU legt eine Analyse der EU-Militärpolitik und einen Ausblick auf mögliche künftige Konflikte vor. Wie es in einem Papier des 'European Union Institute for Security Studies' (EUISS) heißt, gebe es in den EU-Staaten eklatante Mängel bei den Streitkräften. Würden sie nicht behoben, dann drohe den Streitkräften der Abstieg zu 'Bonsai-Armeen' und zudem möglicherweise der Niedergang der europäischen Rüstungsindustrie. Dabei gebe es bedeutende Interessen zu verteidigen, etwa den Schutz der Seewege für Energie- und Rohstoffeinfuhren. Probleme entstünden für die EU zudem aus dem Aufstieg Chinas, auf den die Vereinigten Staaten mit der Verlagerung von 60 Prozent ihres Militärs nach Ostasien und in die Pazifikregion reagierten. Das EUISS-Papier diskutiert konkrete Konflikt-Szenarien, darunter 'Instabilität in Südostasien' und ein 'Machtkampf in der Indo-Pazifik-Region' - und die Frage, was europäische Streitkräfte benötigten, wollten sie eingreifen. Das Papier ist als Vorlage für die EU-Gremien konzipiert; es soll die militärpolitischen Debatten bündeln.“12

 

Das Papier war im Hinblick auf den EU-Dezember-Gipfel 2013 verfasst, der sich erstmals nach 2003 mit militärpolitischen Fragen befassen sollte. Deutschland versuchte 2013 auf einem „neuen“ Weg, Deutschland mittels der EU-“Partner“ aus der Misere des militärischen Bedeutungsverlustes zu „befreien“. Nach der Einlullphase des Michels im Sommer der Bundestagswahlen 2013 gab die parlamentarisch erstarkte Merkel anlässlich des Treffens der Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedstaaten am 22. Oktober dem Koalitionspartner noch vor den Koalitions-Verhandlungen die deutsche Richtung einer NATO-Reform vor. Ex-Verteidigungsminister De Maziere brachte unmittelbar nach dem Erhalt seiner Entlassungsurkunde den Vorschlag einer Vertrags-Reform der NATO dahingehend ein, dass sich deren Mitglieder in Untergruppen als militärische Cluster unter Führung eines Hegemons zusammenschließen. Dass Deutschland einer dieser "Staatengruppen"-Anführer wäre, versteht sich von selbst.

 

"Der Widerstand der Franzosen richtet sich gegen de Maizières Vorschlag für eine Reform der Nato. Beim Treffen am Dienstag werden sich die Verteidigungsminister des Bündnisses erstmals damit befassen. Das deutsche Konzept sieht vor, dass sich die Allianz künftig in Gruppen (Cluster) unterteilt, die jeweils von einem der größeren Nato-Mitgliedstaaten geführt werden sollen."13

 

Dieser deutsche Vorstoß zur NATO-Reform zielte dem Inhalt nach in Richtung der dann damit automatisch verbundenen Reorganisation der Streitkräfte der EU-Staaten: ein netter Taschenspielertrick, um dann im Dezember 2013 auf dem Europäischen Rat zur GASVP der EU auf der eben durchgesetzten NATO-Grundlage die „Partner“ auf die eigene Spur bringen zu können.

 

Auf den EU-Dezember-Gipfel richteten sich mal wieder alle illusionären deutschen verteidigungspolitischen Hoffnungen des Jahres 2013 und weit darüber hinaus. Sieht man sich bezüglich des EU-Gipfels und dessen Tagesordnungspunktes GASVP die Schreiberinhalte der einschlägigen Think-Tanks und Zeitschriften des Jahres 2013 an, so finden sich übers ganze Jahr verteilt eine Fülle von fordernden Ideologieergüssen einschließlich parlamentarischer Hinterbänklern des Verteidigungsausschusses. Auf den folgenden 15 Seiten wird der geneigte Leser mit einer (kommentierten) Kaskade dieser deutschen Vorschläge/Vorstellungen/Forderungen des Jahres 2013 beglückt, um die drängende Ungeduld Deutschlands bezüglich der 20 jährigen Blockade der GASVP durch die „Partner“ zu belegen. Wer den Thesen des Autors folgt, kann diese empirische Illustrationen des deutschen Unwesens überspringen. Ihm entgeht dann allerdings der Lese“genuss“ des verzweifelten Anrennens deutscher „Leuchttürme“ gegen die „Ignoranz“ der EU-“Partner“. Denn letztendlich zerstieben alle deutsche Hoffnungen auf dem militärpolitischen Brüsseler EU-Dezember-Gipfel 2013.

 

Verteidigungsminister de Maizières ging die deutsche „Problemlage“ in der Januar Ausgabe 2013 der regierungs- und waffenlobbynahen Monats-Zeitschrift Europäische Sicherheit & Technik (ES&T)14 von der beschränkten Ressourcenseite der nationalen Militäretats an:

 

Nicht nur mit Blick auf Sparanforderungen auch der Verteidigungshaushalte bieten die Konzepte 'Pooling and Sharing' sowie 'Smart Defence' zudem eine gangbare Möglichkeit, Fähigkeiten gemeinsam in der EU und in der NATO zu erhalten, die Einzelstaaten für sich allein genommen verlieren würden. Und dennoch: Ein Land wie Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa und mit seiner Bevölkerungszahl und seinen Ressourcen sollte weiterhin ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten. In dieses Spektrum können sich dann andere Partner mit eigenen Beiträgen einbringen. Wir prüfen daher Projekte, die sich für ein solches 'Pooling and Sharing' oder für 'Smart Defence' anbieten. Deutschland ist bereit, hierbei als sogenannter Anlehnungspartner eine aktive Rolle zu finden, um so unseren Beitrag für mehr Leistungsfähigkeit in der NATO und im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU zu leisten. Daher sehe ich für die Neuausrichtung der Bundeswehr auch den Strukturgrundsatz 'Breite vor Tiefe' als außerordentlich wichtig an. 'Breite vor Tiefe' bedeutet, dass wir an einem breiten Fähigkeitsspektrum notfalls auch zulasten der Durchhaltefähigkeit festhalten werden. Dieser Ansatz ist daher nicht nur ein ernst gemeintes Kooperationsangebot, um als Anlehnungspartner unserer sicherheitspolitischen Verantwortung innerhalb der Allianz gerecht zu werden, wir werden in einigen Fällen in dem gleichen Maß auf die Unterstützung unserer Partner angewiesen sein, wie sie auf die Unterstützung Deutschlands künftig setzen werden.“15

 

In diesem Artikel ging es grundlegend darum, die Notwendigkeit zu transportieren, dass ein groooßes Deutschland trotz allen Sparzwangs ein militärisch „breites Fähigkeitsspektrum“ erhalten muss. Hierdurch könne sich Deutschland als „Anlehnungspartner“ für kleinere Anrainerstaaten der NATO mit schmalem Fähigkeitsspektrum „bereit“ erklären. Hierzu diene die permanente „schlanke“ Reorganisation der Bundeswehr Richtung einer interventionsfähigen Berufsarmee, wie sie im Jahre 2000 von der „Zukunftskommission“ vorgeschlagen wurde. Dazu soll die Mannstärke von 240.000 auf 185.000 als sogenannte „Freiwilligenarmee“ reduziert werden.

 

In der Märzausgabe 2013 von ES&T wurden dann zur eigenen Flankensicherung die obligatorischen deutsch-us-amerikanischen Bündnisbeteuerungen runter georgelt:

Verteidigungsminister Thomas de Maizière, „Europäer und Amerikaner können sich aufeinander verlassen“.

US-Vize Joseph R. Biden, Europa ist der Eckpfeiler unseres internationalen Engagements.

 

Was davon bleiben wird, zeigt erst die Zukunft jenseits papierner Absichtserklärungen. Denn beide diplomatischen Phrasen sind doppeldeutig: Deutschlands Treueschwur für das Militärbündnis NATO ist auf Grund eigener militärischer Schwäche erzwungen – und somit gegenwärtig ernstgemeint. Hinter der wörtlich zu nehmenden deutschen Ist-Zustands-Bekundung klafft ein machtstrategischer Abgrund, der ein „Treue“bekenntnis notwendig macht: sämtliche NATO Partner halten Deutschland auf Basis seiner Praxis nach 1989 für militärpolitisch vollkommen unglaubwürdig und unzuverlässig. Alle wissen, dass Deutschland die NATO los werden will und eigene EU-Streitkräfte aufzubauen strebt, um dann mit einem eigenständigen europäischen Militärbündnis weltweit militärpolitisch auf „Augenhöhe“ mit den USA agieren zu können. Daher titelt de Maizière mit „Europäer“ und „Amerikaner“ ohne das militärpolitisch zentrale Bündnis NATO zu erwähnen. Die USA weiß darum und hebt Europa als den Eckpfeiler ihres internationalen Engagement hervor: ein Signal an die besorgten Europäer, sie wenigstens militärpolitisch nicht in die Fänge des deutschen Reichsadlers geraten zu lassen und an Deutschland, dass es auch mittelfristig die Anwesenheit der transatlantischen „Freunde“ auf deutschem Boden zähneknirschend wird ertragen müssen.

 

Im Mai 2013 wurde obiges scheinheilig demütig bis selbstlos daherkommendes „Angebot“ als „Anlehnungspartner“ des deutschen Verteidigungsminister deutlich machtpolitisch deutsch verdolmetscht als „Anlehnungsmacht“ mit dem Anspruch, für „Europas Sicherheits-Rahmen“ „sorgen(!)“ zu „wollen“. Die Verlautbarung des regierungsnahen Radiosenders hierüber sei wegen ihrer durchgehenden deutschen Arroganz sowie ihrem Einblick in konkrete laufende Kooperationen und Details der deutschen militärpolitischen Konzeptionen als Ganzes zitiert:

 

Deutschland will für Europas Sicherheits-Rahmen sorgen

Deutschland treibt die Verzahnung der europäischen Verteidigung voran. Dabei achtet Verteidigungsminister de Maizière jedoch darauf, dass die Kernkompetenzen im Land bleiben. Es geht schließlich um die Souveränität.

Deutschland und die Niederlande wollen bei Verteidigungsprojekten enger zusammenarbeiten. Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière und seine niederländische Amtskollegin Jeanine Hennis-Plasschaert unterzeichneten dazu in Berlin eine Absichtserklärung, in der rund 30 gemeinsame Vorhaben genannt werden. 'Wir wollen unsere Beziehungen auf allen Gebieten der Sicherheitspolitik, der Rüstung und im Bereich von Einsätzen vorantreiben', erklärte de Maizière. Unter anderem wurde vereinbart, eine Luftlandebrigade der Niederländer im kommenden Jahr unter das Kommando der deutschen 'Division Schnelle Kräfte' zu stellen. Die gemeinsame Erklärung stellte Hennis-Plasschaert zufolge 'ein noch nie da gewesenes Niveau der Kooperation' dar.

 

Bereits jetzt üben niederländische Panzergrenadiere in Deutschland, weil ihre eigene Armee keine Panzer mehr unterhält. Deutschland tritt bei den Sicherheitskooperationen in Europa in der Rolle des großen Partners auf, der eine breite Palette an militärischen Fähigkeiten vorhält, die die kleineren Länder abbauen müssen. 'Das hat etwas zu tun mit unserem Verständnis als Rahmennation und das ist etwas anderes als Führungsnation', betonte de Maizière. Deutschland engagiert sich auch bei anderen Partnern der transatlantischen und europäischen Verteidigungspolitik für mehr Zusammenarbeit. Am Vortag unterzeichnete de Maizière ein Abkommen mit seinem polnischen Amtskollegen, das eine Kooperation bei der Marine festlegt. Dass die Länder ihre militärischen Vorhaben stärker miteinander verschränken, ist zu einem großen Teil den Sparzwängen infolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise geschuldet. Außerdem wird die europäische Sicherheitsarchitektur belastet, weil sich die USA zunehmend auf den pazifischen Raum ausrichten.

 

Anlehnungsmacht statt Führungsnation

De Maizière machte die militärische Zusammenarbeit zum Thema seiner Rede auf einer Berliner Sicherheitskonferenz am Vormittag. Er befasste sich dabei mit der Sorge, dass mit der Arbeitsteilung die staatliche Souveränität beschränkt würde. 'Aber das geht mit einem Zugewinn politischer Handlungsfähigkeit einher', betonte de Maizière. Bei seinen Ausführungen wurde jedoch deutlich, dass auf Deutschland vergleichsweise geringe Probleme in punkto militärischer Entscheidungsfähigkeit zukommen.

 

Der Verteidigungsminister nannte zwar wachsende Abhängigkeiten auf den Gebieten der Aufklärung, Luftbetankung und -transport, der Logistik oder Ausbildung, betonte aber gleichzeitig die gewachsene Bedeutung Deutschlands in der atlantischen und europäischen Sicherheitspolitik. Man sei ein erwachsenes Land in der Mitte Europas.

 

'Deutschlands Verantwortung hat sich geändert', sagte de Maizière, 'heute tragen wir als vereintes, starkes und souveränes Land Mitverantwortung für Stabilität und Sicherheit in der Welt.' Deutschland stelle im Rahmen eines multinationalen Fähigkeitsverbundes die Führungs- und Unterstützungsstrukturen bereit, die Partner mit Streitkräften kleinerer und mittlerer Größe nicht in gleichem Maße aufbringen können. Maizière bezeichnet Deutschland in diesem Zusammenhang als Anlehnungsmacht: 'Wir gehören heute selbst zu den starken Schultern.'

 

Kein Abschied von militärischen Fähigkeiten

Kleinere Staaten haben bereits damit begonnen, vormals wichtige Teile ihres Verteidigungsapparates abzubauen. Deutschland ist kaum dazu bereit. De Maizière hat für die Bundeswehr die Formel 'Breite vor Tiefe' vorgegeben. Sie umschreibt, dass die deutsche Armee von fast allem wenigstens ein bisschen kann. Verteidigungsminister de Maizière begründet das mit den Unwägbarkeiten der Zukunft: Man könne nicht auf alles gut vorbereitet sein. Aber man sollte für nichts gänzlich unvorbereitet sein. Militärexperten haben deswegen in der Vergangenheit von einer 'Bonsai-Armee' gewarnt. Hier sieht de Maizière die Aufgabe der kleineren Nationen. Sie sollten für die Durchhaltefähigkeit der großen 'punktuell' sorgen.“16

 

Stets die gleichen Anwandlungen: Deutschland will keineswegs „Souveränität“ einbüßen, sich möglichst viele militärtechnische Felder erhalten für alle Fälle. Dass die anderen, kleinen Länder zwangsweise Souveränität abgeben müssen und zu bloßen Hilfstruppen der „Anlehnungsmacht“ werden sollen, wird mit keinem Wort erwähnt, sondern als „natürlich“ gesetzt. „Führungsmacht“ will Deutschland (noch) nicht sein, denn das würde Zuverlässigkeit und wirkliche Übernahme von Verantwortung mit sich bringen – ein Gräuel für eine Mittelmacht, ihre „freie Hand“ selbst an den Welthegemon zu fesseln. Das deutsche Vorgehen ist das Musterbeispiel dafür, aus der Not eine Tugend zu machen: der ökonomisch bedingte Sparzwang des „Imperial Overstretch“ wird genutzt, um die noch klammeren kleinen Staaten ins Fahrwasser des eigenen militärischen Konvois zu zwingen. Die deutsche Taktik folgt hierbei der Devise des allgemein akzeptierten Konzepts der Europäischen Integration, durch viele kleine Schritte von Kooperationen den Weg zur tieferen Integration in der Praxis zu ebnen. Schon die Überschrift der DW-Meldung ist selbstgefälliges deutsches Wunschdenken eigener Stärke, denn die „Anderen“ wollen trotz aller möglichen Kooperationen die deutsche „Sicherheits-Rahmensetzung“ gar nicht, wie es Frankreich schon bei dem von Deutschland bei der NATO im Oktober 2013 eingebrachten Vorschlag der Cluster-Bildung klar äußerte. In diesem Falle handelte es sich wieder einmal um von Wunschdenken gespeiste Selbstüberschätzung:

 

„Deutschland treibt die Verzahnung der europäischen Verteidigung voran“.

 

Ebenfalls im Mai 2013 äußerte in ES&T ein neu-deutsch-nationales GRÜN-Kehlchen unter Transparenz- und Demokratie-Geklingel pathetisch:

 

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik – Schlüsseljahr für Europa?

Zunächst wird die Arbeit des vor drei Jahren gegründeten Europäischen Auswärtigen Dienstes vollständig evaluiert. Dann werden sich im Dezember die europäischen Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat schwerpunktmäßig damit beschäftigen, wie die GSVP mit der sie überwölbenden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) weiter entwickelt werden kann.

 

Die Ausgangsbasis für diese Nabelschau ist ambivalent. Die letzten beiden Jahre haben die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik offen aufgezeigt. Es ist nicht leicht, in Fragen um Krieg und Frieden im Kreise der 27 EU-Mitgliedstaaten eine einhellige Position zu entwickeln. Die Debatte um den Libyen-Krieg hat dies deutlich gezeigt. Auch bei der Entscheidung über ein schnelles militärisches Eingreifen in Mali oder die Frage nach Waffenlieferungen an die Assad-Gegner in Syrien zeigen die Grenzen, im Kreis der 27 Einigkeit zu erzielen. Auf der anderen Seite der Bilanz stehen vier neue GSVP-Missionen, die seit 2012 beschlossen wurden sowie zwei neue, die in Mali und Libyen in Planung sind. Drei dieser neuen Missionen sind zivil und auf Konfliktprävention ausgerichtet.

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Die EU-Mitgliedstaaten müssen lernen, über den Tellerrand ihres nationalen Blickwinkels zu schauen und auch in der Außen- und Sicherheitspolitik europäischer zu denken.

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Ähnliches gilt für die militärische Säule. Das immer wieder angestimmte Lied einer Europäischen Armee halte ich für Zukunftsmusik. Zunächst sollten die Mitgliedstaaten daran gehen, die Möglichkeiten, die sich ihnen durch das Konzept des Pooling and Sharing bieten, konsequent zu nutzen. Zunächst erscheinen gerade auf den Gebieten der Ausbildung, Logistik und Wartung große Potenziale zu liegen.

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Es liegt nun an den EU-Mitgliedstaaten und auch an der Bundesregierung, die Evaluation des EAD und den Dezember-Rat zu nutzen, um einen großen Schritt in Richtung einer effektiveren und effizienteren Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik voran zu gehen. Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird dies mit konstruktiven Vorschlägen begleiten.“17

 

Die „konstruktiven Vorschläge“ der Grünen müssen nun – oh Jammer für die bellizistischen Menschenrechts-Friedensbringer – in der Schublade bleiben, da sich der EU-Dezember-Rat nach allen Verlautbarungen nicht mal zu einem kleinen „Schritt in Richtung einer effektiveren und effizienteren Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ durchzuringen vermochte – worauf nach der deutschen Litanei zurückgekommen wird.

 

Die deutsch-nationale nato-olive Blockwartin vermag nicht begreifen, dass die EU-“Partner“ nicht daran denken, ihren eigenen nationalen „Tellerrand“ durch einen Deutsch-Europa-Suppenschüssel-Rand zu ersetzen, hinter dem sie potentiell alle gemeinsam zur Glorie Deutschlands ersaufen können. Mit der naiven deutschen Hoffnung „Schlüsseljahr für Europa?“ wurde 2013 nichts, Deutschlands nationaler „Schlüssel“ ist kein Passepartout für die „Sicherheitsschlösser“ der „Partner“ – wie schon bei den Dezembergipfeln 2003 und 2008, bei denen sich der EU-Rat zum letzten mal „erfolglos“ mit der GASVP befasste. Die EU-“Partner“ wollen sich, der „Entscheidungsfreundlichkeit“ nach zu beurteilen, nicht „freiwillig“ in die deutsche militärpolitische Europa-Einheitsfront einreihen.

 

Im Augustheft 2013 der ES&T krächzte dann ein Schwarz-Kehlchen seine Unzufriedenheit mit dem zu erwartenden GroKo-Partner und dem überholten Rahmen des verteidigungspolitischen Weißbuchs 200618, dessen weltweite „Aufgaben“ der Bundeswehr von Kritikern als verfassungsmäßig überzogen eingeschätzt wurde, fordernd heraus:

 

Herausforderungen für die nächste Legislaturperiode

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Wenn die SPD mitunter ganze Teilstreitkräfte für obsolet hält, hat sie Deutschlands Rolle in Europa nicht verstanden. Als militärische Anlehnungsmacht, die als eine der wenigen Volkswirtschaften in Europa noch finanzielle Spielräume hat, haben wir eine besondere sicherheitspolitische Verantwortung. Wir brauchen vor diesem Hintergrund komplette Streitkräfte und keine dezimierte Rumpf-Bundeswehr.

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Sicherheitspolitisch ist das maßgebliche Grundlagendokument nicht mehr auf dem neusten Stand. Das Weißbuch von 2006 benötigt deshalb zeitnah einen Nachfolger. Wesentliche weltpolitische Umwälzungen und die gestiegene Bedeutung Deutschlands für eine stabile Weltordnung sind in der jetzigen Version nicht mehr abgedeckt. Aufbauend auf den Verteidigungspolitischen Richtlinien dieser Legislaturperiode sollte daher eine mutige Neuformulierung in Angriff genommen werden. Kernpunkt muss Deutschlands Rolle als militärische Anlehnungsmacht im europäischen Kontext sein. Es ist insbesondere Wert auf klare Aussagen zu legen. Deutschland hat weltweite Interessen, zu deren Durchsetzung auch militärische Mittel gehören können. Insgesamt ist das Weißbuch selbstbewusst auf Deutschlands Rolle als weltweit führende wirtschaftliche Macht aufzubauen. Die deutsche Geschichte des letzten Jahrtausends kann deshalb keine Rolle mehr spielen.

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Deutschland hat in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, mit der alle mächtigen und einflussreichen Nationen früher oder später konfrontiert werden. Es gibt Kritik und Widerstand gegen Entscheidungen, manchmal auch auf unsachliche und polemische Weise. Es ist wichtig zu verdeutlichen, dass dies ein zwar misslicher, aber vermutlich unvermeidlicher Prozess ist. Wer Einfluss und Macht gewinnt, ist in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die Tragweite und Durchsetzungskraft besitzen. Damit macht man sich nicht überall Freunde. Mit dieser neuen Situation muss Deutschland umgehen lernen. Gesundes Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit ist dabei durchaus angebracht.“19

 

Da plusterte sich ein Schwarz-Kehlchen mitten im Sommer geschichtsvergessen auf wie sonst nur im kältesten Winter. „Gesundes Selbstvertrauen“ war noch nie in teutonischen Wäldern „heimisch“. Diese sind nach aller geschichtlichen Erfahrung von wilden Ebern bewohnt, die notfalls ganz Europa umpflügen, um die Nachbarn unter das neu-teutonische Joch zu führen. Sicherlich ahnte das Vögelchen, dass der verteidigungspolitische Dauerfrost der GASVP der EU auch nach dem EU-Dezember-Gipfel anhalten wird. Scheinbar ist es gewillt, sich in der jetzt anlaufenden Legislaturperiode entsprechend dem „Bedeutungs“-Zuwachs des Bundesadlers ins Kampfgetümmel der europäischen Raubvögel zu stürzen und mit seinem schrillen Stimmchen der deutsch-nationalen Melodie der GASVP zum Durchbruch zu verhelfen. Heiserkeit und Heiterkeit sind vorprogrammiert.

 

Die vom Schwarz-Kehlchen als Linie vorgeschlagenen Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 sind es durchaus wert, auszugsweise zitiert zu werden, obwohl darin soviel kuscheliches multilaterales Bla Bla steht, das im Ernstfall nicht den wunden Finger der ministerialen Schreibkraft wert ist.

 

Verteidigungspolitische Richtlinien:

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IV. Deutschlands Verantwortung in Europa und der Welt

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Als politisch wirksame Gemeinschaft muss Europa auch sicherheitspolitisch handlungsfähiger werden, damit es eigenständig Verantwortung bei der Bewältigung der Herausforderungen für die gemeinsame Sicherheit in und außerhalb Europas übernehmen kann.

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Verteidigungspolitische Richtlinien:

V. Auftrag und Aufgaben der Bundeswehr und nationale Zielvorgabe

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Streitkräfte sind unentbehrliches Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes. Streitkräfte bilden das Rückgrat für die Sicherheit und den Schutz Deutschlands und seiner Bürger. Nur mit Streitkräften kann die Androhung und Durchsetzung militärischer Gewalt im Rahmen des geltenden Völkerrechts erfolgen. Streitkräfte sind Grundlage des Selbstbehauptungswillens und der Verteidigungsbereitschaft der Nation. Sie wirken mit anderen staatlichen Instrumenten der nationalen Sicherheitsvorsorge zusammen. Streitkräfte folgen in ihrem Selbstverständnis, ihrer Struktur und Organisation, ihrem Umfang, ihren Fähigkeiten und ihrer Ausrüstung den sich wandelnden Zielen und Interessen der Sicherheitspolitik.

Unterpunkt in V.: Aufgaben der Bundeswehr

  • Beteiligung an militärischen Aufgaben im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU;

  • Beiträge zum Heimatschutz, das heißt Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand;

  • Rettung und Evakuierung sowie Geiselbefreiung im Ausland;

  • Partnerschaft und Kooperation als Teil einer multinationalen Integration und globalen Sicherheitszusammenarbeit im Verständnis moderner Verteidigungsdiplomatie;

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    Unterpunkt in V.: Nationale Zielvorgaben

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 Es ist sicherzustellen:

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Die Möglichkeit der Übernahme von Führungsverantwortung als Rahmennation und die Bereitstellung benötigter Fähigkeiten für das gesamte Aufgabenspektrum, in die Beiträge anderer Nationen flexibel und synergetisch integriert werden können.

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Zur Wahrnehmung von Aufgaben im Heimatschutz werden im Bedarfsfall alle verfügbaren Kräfte, einschließlich der Reservisten, herangezogen. …“20

 

Hier wurde schon 2011 der Einsatz der Bundeswehr im Innern formuliert sowie all jene Punkte, die nun auf dem EU-Dezembergipfel 2013 aus deutscher Sicht bezüglich der GASVP „vorangetrieben“ werden sollten. Zugleich betonen die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 die nationale Bedeutung der Bundeswehr.

 

Die EU braucht für eine schlagkräftige GASVP nicht nur eine Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik aus einem supranationalem Guss, sondern ebenso die Vereinheitlichung der Außenpolitik der EU-Staaten. Im Septemberheft von ES&T flankierte folgerichtig ein außenpolitischer MdEP-Platzhirsch die deutschen Dezembergipfel-Erwartungen an die GASP:

 

Der Europäische Auswärtige Dienst – Chancen für die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU

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Die Bemühungen, die Außen- und Sicherheitspolitiken der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene zu bündeln, betreffen damit einen empfindlichen Bereich der nationalstaatlichen Souveränität und stoßen insbesondere seit der Eurokrise und einigen Renationalisierungstendenzen in Ländern vermehrt auf Widerstand. Dabei wird leider oft übersehen, dass es gerade die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, mit einer Stimme zu sprechen ist, die sie aus der Krise führen und die EU zu einem 'Global Player' anstatt zu einem 'Global Payer' machen kann. Es war nicht zuletzt das Beispiel Mali, welches uns die Notwendigkeit einer aktiveren Außenpolitik der EU auf Basis klarer strategischer Entscheidungen gezeigt hat.

 

Um die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU trotz der intergouvernementalen Entscheidungsprozesse zu steigern, wurden durch den Vertrag von Lissabon, welcher die EU demokratischer, transparenter und zukunftsfähiger gemacht hat, institutionelle Neuerungen eingeführt, welche die Umsetzung einer strategisch kohärenten Politik durch die Bündelung der Zuständigkeiten auf EU-Ebene erleichtern soll. Konkret ging es darum, gemeinschaftlich getroffene Entscheidungen durch die Kommission (wie z.B. im Bereich Entwicklungspolitik, Nachbarschaftspolitik und Krisenmanagement) und intergouvernemental getroffene Entscheidungen in Sachen GASP/GSVP durch den Rat in einer Position zu koordinieren, um daraus eine kohärente Außenvertretung, eine one voice policy der EU möglich zu machen.

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Große Hoffnung setzt das EP auf den Europäischen Rat zur Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Es ist notwendig, dass bei dieser Gelegenheit endlich die Möglichkeiten des Vertrags von Lissabon nutzbar gemacht werden. Hierzu gehören neben der strukturellen Zusammenarbeit der Länder, die vorangehen wollen, auch die Planungs- und Strukturfragen (neben Führungsfragen gehört hierzu die Frage nach dem Hauptquartier) sowie die Synergien der Forschung, Planung und Beschaffung im Rüstungssektor (auch unter stärkerer Nutzung der European Defence Agency). Im Endeffekt kann man alle diese Probleme auf eine Spannung zwischen vergemeinschafteter und intergouvernementaler Ebene herunterbrechen. Auch besteht weiterhin ein Mangel an gemeinsamer Identität und an der Formulierung eines gemeinsamen europäischen Sicherheitskonzepts. Die EU hat zu viele strategische Partnerschaften, aber keine Strategie. Für die Zukunft müssen wir es endlich schaffen, den neuen Sinn der nationalen Interessen im 21. Jahrhundert als Teil eines europäischen Interesses nicht nur rhetorisch, sondern auch realpolitisch anzuerkennen. Wenn sich in China der deutsche, der französische und der EU-Botschafter die Klinke in die Hand reichen, dann wird man über uns lachen, und wir werden unsere Interessen und Werte nicht durchsetzen können. Die 'großen' Mitgliedstaaten dürfen nicht alleine Politik machen, sondern müssen alle Länder, auch die kleinen und die osteuropäischen, einbeziehen. Wie sagte einst der französische Philosoph Paul Valéry? 'Europa wird sich einen oder als Wurmfortsatz des eurasischen Kontinents enden.' Das Gelingen des EAD wird hierfür ein Prüfstein sein.“21

 

Wie soll ein Staatenbund mit supranationalen Organen wie die EU ein strategisches Sicherheitskonzept entwickeln können, wenn die Ungleichgewichtigkeit der „Partner“ die Anderen unter das Joch des Hegemons zu zwingen droht? Jene 'Europa'-'Identität', die der Herr einfordert samt seinem Traum einer one voice policy der EU, kann nur deutsch-national gestrickt sein. Die „großen Hoffnungen“ des (angeblich gesamten) EP bezüglich des deutschen Vorankommens in der Vereinheitlichung der GASVP platzten auf dem EU-Dezember-Gipfel 2013 auf ganzer Linie. Dass die Politikfelder der GASVP „empfindliche“ nationale Souveränitätsbereiche betreffen, weiß alle Welt. Deshalb benutzte der Herr im Vorfeld der EU-Rats-Tagung in einem „empfindsamen“ Sprachgebrauch die taktische Bloßstellung der nationalen Außenpolitiken der drei großen Länder, um die kleinen Länder hinter sich zu scharen: Hier ihr „großen“ Länder, ihr dürft nicht an den kleinen EU-Ländern vorbei eure nationalen Außenpolitiken machen! Ich als EU-A-Vorsitzender des EP bin der „Anwalt“ der kleinen EU-Länder, reißt euch zusammen und einigt euch und bezieht den Rest auf „demokratischer“ Augenhöhe mit ein!

 

Der Herr weiß, dass nur Deutschland mit larmoyantem Nachdruck eine EU-Außenpolitik „mit einer Stimme“ fordert und er weiß, dass sich bei den kleinen Länder ein umfassender Groll gegen das selbstherrliche Vorgehen der drei Hauptkräfte und insbesondere Deutschlands Zampano-Rolle angestaut hat. Sein fürsorgliches Palaver hatte nur einen Haken. Ein deutscher als „Anwalt“ der kleinen EU-Länder wird außerhalb der deutschen Schafherde gleich erkannt als Wolf im Schafpelz des deutsch dominierten „Europas“: ohne die Beschwörung der „gelben Gefahr“ und des damit zusammenphantasierten „Untergangs des heiligen Abendlandes“ endet anscheinend keine deutsche „Argumentation“ für ein „geeintes“ „Europa.“ Das deutsche Gejammere um eine fehlende europäische „Identität“ wird eher in Geheul übergehen als in freudig erregten Einheitsgesang. Denn die Ausführungen des „Sachverständigen“ verweisen auf den desolaten Zustand der GASP – 20 Jahre nach dem Maastricht-Vertrag! China lacht dabei nicht über die nationalen Außenpolitiken der EU-Staaten, da es die Konkurrenz der Nationalstaaten22 immerhin noch bis heute als deren kapitalistische Natur begreift. China lächelt also über „uns“ Deutsche, die anderen erzählen wollen, dass sich nationale Außenpolitiken mittels des Weges der permanenten Schritte wirtschaftlicher Integration als EU vereinheitlichen können, ohne von der Außenpolitik des Hegemons verschluckt zu werden. Nur deutsche Wahnvorstellungen konnten 2013 die „Frage des Hauptquartiers“ – wohlgemerkt eines militärischen Hauptquartiers für einheitliche Streitkräfte „Europas“ – aufwerfen.

 

Es sei nochmals die theoretisch begründete Position betont: Der Staat als politische Form der Reproduktion seines nationalen Gesamtkapitals hat dessen spezifische nationale Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik zu betreiben. Daher ist es „natürlich“, dass die anderen EU-Hauptkräfte Frankreich, England und Italien sich auf diesen Politikfeldern nicht mit dem ökonomischen EU-Hegemon Deutschland als GASVP vereinheitlichen können, ohne die machtpolitischen Kernelemente ihrer nationalen Souveränität einzubüßen und zu faktischen politischen Vasallen der europäischen Neuordnungsmacht Deutschland herabzusinken. Nicht von ungefähr werden alle diese Politikfelder weiterhin intergouvernemental zwischen den einzelnen Staaten auf EU-Rats-Chef-Ebene verhandelt und nicht supranational von eigenmächtigen EU-Organen wie der EU-Kommission gemanagt. Dass der deutsche MdEP oben darüber jaulte, ist klar. Er sähe lieber das zentralistische Durchsetzungs-Organ EU-Kommission als eigenmächtigen deutsch-dominierten supranationalen Akteur. Dass und warum die nicht-hegemonialen Länder in all diesen Politikfeldern längst ihre nationale Souveränität einbüßten und sich den Hegemonen von Großräumen unterwerfen mussten, wurde Adorno (siehe Ende Kapitel 15) mit der Gründung der Militärbündnisse NATO und Warschauer Pakt 1949 klar.

 

Adornos schlichtes Argument hierfür war die Tatsache, dass die Entwicklung der hochtechnologischen Waffensysteme die Kräfte der einzelnen Staaten, außer des Hegemons, bei weitem übersteigt. Damals wurde das Atomarsenal vor allem der USA und der SU beschleunigt ausgebaut. Schon seit den Anfängen des Industrie-Kapitalismus im 16. Jahrhunderts gilt, dass die Nachzügler die waffentechnologische Überlegenheit des Welthegemons wettmachen müssen – bei Strafe ihrer fortwährenden Unterwerfung. Heute ist die nationale Entwicklung und Produktion von Waffensystemen in Europa nur als integrative Teilstreitkräfte-Module einer gemeinsamen langfristigen Planung der EU- und NATO-Staaten profitabel (ES&T illustriert dies beispielhaft). Die europäische und vor allem die deutsche Rüstungsindustrie ist mit dem schnellen Wechsel der politischen und militärischen Vorgaben der uneinigen EU-Hauptkräfte, deren nationalen Militärbudget-Einschränkungen, nationalen Alleingängen und Sonderwünschen, überfordert, da die Entwicklung spezifischer Waffen-Module, integrierbar in den aktuellen Bestand der Streitkräfte, lange Vorlaufzeiten in Anspruch nimmt. Die Stückzahlen ihrer schweren Mordinstrumente sind ohne aggressiven, mit viel Geld geschmierten23, Waffenexport zu gering, um die erhoffte Steigerung der Grundkapital-Rendite zu gewährleisten.

 

Der Aufstieg Deutschlands zu drittgrößten Exportnation von Waffen in alle Welt im Jahre 2010 mildert die Profit-Probleme der deutschen Waffenindustrie – die sich wie oben skizziert über die alten EG-Klauseln der nationalen Beschaffung der Streitkräfte „beklagt“ – zwar mittelfristig, sie muss allerdings befürchten, langfristig den Ressourcen der großen Weltmarkt-Nationen hoffnungslos zu unterliegen. Die Schlappe beim Versuch des Verkaufs des Eurofighters Typhoon an Indien24 steckt EADS wohl langfristig in den Knochen. Indien entschied sich entsprechend dem Bewaffnungsniveau seiner potentiellen militärischen Gegner Pakistan und China trotz Muttis Sondereinsatz-Lobpreisungen für die im Grunde waffentechnisch veraltete, jedoch kostengünstige Rafale des nationalen französischen Konkurrenten Dassault – immerhin ein Auftrag im Umfang von ca. 10 Milliarden Euro, falls Indien den Vertrag 2014 tatsächlich unterzeichnet. Dass die „europäische“ Rüstungsindustrie je zu einer „Einheit“ werde, ist genauso reines deutsches Wunschdenken wie eine Außenpolitik „Europas“ „mit einer Stimme“. Anderenfalls kann das Resultat keine EU-Vollendung zu einem europäischen Bundesstaat als gleichberechtigte Vereinigte Staaten von Europa (VSE) sondern nur als Zwangsgemeinschaft der Vasallen Deutschlands in Europas (ZdVDE) sein – oder ein heißer Krieg zur Verhinderung jener ZdVDE.

 

Folgerichtig rundete nach obigen deutschen sicherheits-, verteidigungs- und außenpolitischen Beschwörungen des EU-Dezember-Gipfels im Oktoberheft 2013 von ES&T die Frage nach der – tatsächlich den Produktivkräften geschuldeten – Integration der europäischen Rüstungsindustrie die verzweifelten deutschen Erwartungen ab. Die folgenden langen Auszüge bilden die ganze Misere der wirklichkeitsfremden deutschen Hoffnungen auf eine funktionsfähige GASVP ab:

 

Europa braucht eine leistungsfähige Rüstungsbasis

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU steckt in einem Dilemma: Zwar setzt sich langsam die Erkenntnis in Brüssel und den Hauptstädten durch, dass wir 'nur gemeinsam stark' sind. Leider wird bisher daraus nicht die logische Konsequenz gezogen, in ausreichendem Maße auf Ebene der Staats- und Regierungschefs politischen Willen für mehr Zusammenarbeit zu generieren.

 

Eine im Prinzip als notwendig erachtete und auch im Lissabon-Vertrag vorgesehene stärkere sicherheitspolitische Kooperation der EU-Mitgliedstaaten wird nicht zum Erfolg geführt. Zur europäischen Erfolgsorientierung zählen neben einer europäischen strategischen Autonomie einsatzbereite zivile und militärische Fähigkeiten im gesamten Konfliktspektrum, die von einer leistungsfähigen europäischen Rüstungsbasis zur Verfügung gestellt werden. Die europäische Disharmonie im Umgang mit dem Libyenkonflikt im Jahreswechsel 2011/12 offenbarte einerseits, dass die EU nur handlungsfähig ist, wenn ein politischer Wille zum gemeinsamen Handeln auf Basis einer gemeinsamen Lagebeurteilung besteht. Andererseits wurden zum wiederholten Mal die eklatanten Mängel an wesentlichen Fähigkeiten der europäischen Streitkräfte sichtbar. Mehr als zehn Jahre nach dem europäischen Debakel auf dem Balkan mussten die Europäer erneut auf zentrale militärische Leistungen der US-amerikanischen Streitkräfte zurückgreifen.

 

Van Rompuy initiiert europäischen Verteidigungsgipfel

Vor diesem politischen Hintergrund unternahm Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, die Initiative, die Staats- und Regierungschefs zu einem Verteidigungsgipfel am 19. und 20. Dezember 2013 einzuberufen. Ausgangspunkt der Initiative war die Erkenntnis, dass das Thema der Verteidigung das letzte Mal 2008 'Chefsache' war. Da sich seit damals wesentliche sicherheitspolitische Parameter Europas weiterentwickelten und das Inkrafttreten des EU-Vertrags von Lissabon neue Möglichkeiten eröffnete, war es an der Zeit, sich der veränderten äußeren und inneren Lage zu stellen. Dabei müssen Antworten auf die sinkenden Verteidigungsbudgets und die gestiegenen sicherheitspolitischen Herausforderungen der EU gefunden werden. Mit Blick auf die europäische Rüstungsbasis ist es fraglich, ob dringend benötigte militärische Fähigkeiten noch innerhalb des europäischen Marktes beschafft werden können.

 

Zur Beantwortung dieser Fragen wird sich der Gipfel im Dezember um drei zentrale Achsen drehen: Erhöhung von Wirksamkeit, öffentlicher Wahrnehmung und Wirkung der GSVP, Intensivierung der Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten und Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie. Um es weniger diplomatisch auszudrücken: Beim Verteidigungsgipfel geht es darum, der GSVP einen neuen Anstoß zu geben.

 

Erste Bewertung der europäischen Gipfelvorbereitungen

Zur Vorbereitung des Gipfels legte die Europäische Kommission am 24. Juli eine Mitteilung zum Thema 'Auf dem Weg zu einem wettbewerbsfähigeren und effizienteren Verteidigungs- und Sicherheitssektor' vor. Darüber hinaus präsentierte Catherine Ashton, Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission und Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, einen Entwurf mit Beiträgen des Europäischen Auswärtigen Dienstes auf dem informellen Treffen der Verteidigungsminister am 6. September in Vilnius.

 

Im direkten Vergleich sind die Kommissionsvorschläge ambitionierter und stringenter als die des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Grundsätzlich zu fragen ist, warum die beiden europäischen Institutionen keine gemeinsame Mitteilung erarbeitet haben. In der Vergangenheit war dies bei wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Themen durchaus der Fall. Letztendlich wäre es Aufgabe von Catherine Ashton gewesen, ihrer mehrfachen europäischen Verantwortung als Vize-Präsidentin der Kommission, Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Vorsitzende der EU-Außenministertreffen und Leiterin der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA), gerecht zu werden. Bedauerlicherweise setzen sich anscheinend alte Denkmuster zur Trennung von supranationalen und intergouvernementalen Institutionen fort. Ein Missstand, der eigentlich durch den Vertrag von Lissabon hätte geheilt werden.

 

Leider versäumten es beide Institutionen, die bestehenden oder vergangenen Initiativen im rüstungspolitischen Bereich klar aufzuarbeiten, um Erfolge und Fehler der Mitgliedstaaten offen zu benennen. Bedauerlicherweise wurden keine Überprüfungen der bisherigen Anstrengungen der Westeuropäischen Rüstungsorganisation, des Rahmenübereinkommens über die Umstrukturierung der Rüstungsindustrie (LoI-Abkommen vom 27. Juli 2000), der Kommission und ihrer Strategie für eine stärkere und wettbewerbsfähigere europäische Verteidigungsindustrie oder der Rüstungsstrategie der EVA, beide aus dem Jahr 2007, vorgelegt.

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Parlamentarischer Berichtsentwurf zur europäischen Rüstungsbasis

Der Entwurf beruht auf dem Hauptgedanken, dass eine operativ handlungsfähige GSVP eine starke eigenständige europäische Rüstungsbasis braucht. Es ist wesentlich, die Rüstungsbasis nicht als eine Aufgabe um ihrer selbst willen wahrzunehmen. Es kommt vielmehr darauf an, innerhalb der europäischen Rüstungsbasis Fähigkeiten bereitzustellen, die wirtschaftlich Sinn machen und zum vereinbarten Zeitpunkt ausgeliefert werden, um dem eigenen Anspruch der EU an die GSVP gerecht zu werden. Kurz gesagt: die Rüstungsbasis muss die Bereitstellung von Fähigkeiten zur Erfüllung der gemeinsam vereinbarten GSVP-Missionen sicherstellen.

 

Der Berichtsentwurf setzt an dem Versäumnis der anderen EU-Institutionen an, Hinweise zu geben, wo bei der bisherigen Umsetzung der verschiedenen Initiativen Zufriedenheit herrscht und wo weitere Schritte notwendig sind. Der bisherige Erfolg der multilateralen Projekte ist eher begrenzt, da ihm Mangel an politischem Willen und an Vertrauen zur verstärkten Kooperation in diesem Feld entgegenstehen. Unter den Europaparlamentariern besteht dahingegen breite Übereinstimmung darin, alle involvierten Akteure zu mehr kooperativen Anstrengungen zu ermahnen, sei es auf der Seite der staatlichen Nachfrage oder der Seite des industriellen Angebots.

 

Notwendige Konsolidierung auf Seiten der Rüstungsnachfrage

Mit Blick auf die Nachfrageseite stellt sich die zentrale politische Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass unsere 28 Regierungen unkoordiniert die Verteidigungsbudgets kürzen oder unilateral auf bestimmte Fähigkeiten verzichten? Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich die Mitgliedstaaten nicht die Mühe machen, ein gemeinsames europäisches Vorgehen abzustimmen. Ein logisch konsequentes Vorgehen macht es notwendig, zunächst zu klären, über welche Fähigkeiten die Mitgliedstaaten europaweit verfügen. Dieser Prozess muss zwingend in einer europäischen Bestandsaufnahme (EU Defence Review) erfolgen. Auf dieser Basis gilt es zu klären, was wir brauchen, um was zu können. Diese Antworten müssen in einem europäischen Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung zusammengefasst werden, um die europäischen strategischen Ambitionen mit der berechtigten Nachfrage nach militärischen Fähigkeiten in Einklang zu bringen. Für einen wahrhaftig europäischen Prozess zur Entwicklung von militärischen Fähigkeiten kommt es bei den Mitgliedstaaten darauf an, folgende Schritte zu beachten: Harmonisieren der Anforderungen, Zusammenführen der Nachfrage und Synchronisieren der Beschaffung – und dann gemeinsame, synchronisierte Ausbildung, Nutzungsunterstützung und Systemverbesserung. Vergangene multilaterale Beschaffungsbeispiele wie die A400M oder der Tiger belegen zwar die guten multilateralen Absichten, die jedoch aufgrund von nachträglich national formulierten Anforderungsprofilen ausgehöhlt wurden. Es ist ökonomischer Irrsinn, während des gemeinschaftlichen Beschaffungsprozesses nationale Sonderwünsche im Nachhinein zu formulieren.

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Thema zur „Chefsache“ machen

Bis zum Verteidigungsgipfel im Dezember werden die Europaabgeordneten die Vorbereitungen weiter konstruktiv begleiten, um im November im Plenum einen fruchtbaren verteidigungspolitischen Austausch mit Catherine Ashton in Straßburg führen zu können. Wir erwarten, dass sie sich die parlamentarischen Empfehlungen zur Zukunft der GSVP und zum europäischen Rüstungsmarkt weitgehend zu eigen macht und auf dem Gipfel einbringt. Die Staats- und Regierungschefs wiederum müssen auf dem Dezembergipfel ihrer Verantwortung gerecht werden und der GSVP einen neuen Anstoß geben. Nur wenn das Thema „Chefsache“ wird und bleibt, entsteht in den nationalen Administrationen der notwendige Handlungsdruck, gemeinsam in Brüssel und den Hauptstädten das Potenzial der EU im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich voll auszunutzen.“25

 

Aus diesen Zeilen spricht ein ungeheurer 20 jähriger deutscher Frust – erinnert sei nochmals an Schäubles Worte von 1994, dass der in den Maastricht-Verträgen zum Handeln angesprochene Zeitpunkt schon damals gegeben war. Das deutsche Vorgehen bezüglich der europäischen Rüstungsindustrie ist wie bei allen zu vereinheitlichenden Politikfeldern das Konzept der tiefen EU-Integration durch kleine Schritte: sukzessive Schaffung eines gemeinsamen Militärisch-Industriellen-Komplexes „Europas“, somit Ausrüstung und Abhängigkeit der Streitkräfte aller EU-Mitgliedsstaaten von diesem Kriegsgerät, hierüber Vereinheitlichungsschritte der GSVP. Süß, wie der Herr von „Disharmonie“ in der Libyen-Krise spricht, wie er naives Unterverständnis gegenüber der Verweigerung der „Partner“ für 'logische' Schritte einer funktionsfähigen GASVP der EU vorbringt als ging es es um „Vernunft“ und nicht um deutsch-nationale Interessen, wie er das intergouvernementale Vorgehen zu diskreditieren versucht und seine supranationale Vorliebe zu verbergen versucht, wie er die eigenmächtige Kommission aufwertet und den von den anderen EU-Hauptkräften blockierte EAD mies macht und wie er das EP als einstimmigen Schrittmacher suggeriert.

 

Von den „Chefs“ der EU-Staaten wurde auf dem EU-Dezembergipfel 2013 keiner jener drei Punkte „vorangetrieben“, die in der vorstehenden „Umschau“ der Monatsausgaben 2013 ES&T von den deutschen GASVP-Matadoren in Straßburg, Brüssel und Berlin ungeduldig eingefordert wurden:

 

  • Auswertung und Weiterentwicklung des Europäischen Auswärtigen Dienstes EAD Richtung einer vereinheitlichten GASP der EU.

  • Reorganisation der europäischen NATO-Partner zu militärischen Clustern unter Führung einer Anlehnmacht als Zwischenschritt zu eigenständigen EU-Streitkräften einer handlungsfähigen GSVP.

  • Vereinbarungen über die Umsetzung des 'Rahmenübereinkommens über die Umstrukturierung der Rüstungsindustrie', um die europäische Rüstungsindustrie eigenständig zu erhalten.

 

2013 war also kein „Schlüsseljahr“ für die Verteidigungspolitik Deutsch-Europas im deutschen Selbstverständnis. Obige Protagonisten wussten dies sicherlich im voraus. Pflichtgemäß gaben sie als Berufspolitiker ihren Senf ab zu einem jener Todgeburten Namens „EU-Gipfel“. Der in den Beiträgen hervorspringende politische Voluntarismus verweist auf die zwanghafte deutsche Fixierung auf eine „handlungsfähige“ GASVP. Der Autor hätte die Quintessenz der obigen politischen Propagandisten zwar selbst in ein paar Gedanken formulieren können, die Umschau belegt die im Text durchlaufende Argumentationsweise zum desolaten Zustand der GASVP jedoch viel glaubwürdiger. Inhaltlich hätte schon die folgende „wissenschaftlich neutral“ daherkommende Übersicht für das vorliegende Kapitel gereicht, allerdings wäre dann die bei der „Umschau“ hervorquellende deutsche Ungeduld verdeckt geblieben.

 

Die „Denker“ der Konrad-Adenauer-Stiftung stellten im September unter der bezeichnenden Überschrift: Letzte Hoffnung Dezembergipfel? – Impulse für die Wiederbelebung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihren umfassenden Katalog der auf dem Verteidigungs-Rat zu behandelnden deutschen „Vorschläge“. Einführend stellen sie die aus deutscher Sicht „verpassten“ Gelegenheiten seit den ehrgeizigen Plänen des Helsinki Headline Goal von 1999 durchgehend bis 2013 dar. Die Stichworte/Überschriften/Auszüge der „Analyse“ seien hier aufgelistet, um dem geneigten Leser die Dimension der aktuell ungelösten Probleme der GSVP und die permanente Niederlage Deutschlands vor Augen zu führen:

 

Letzte Hoffnung Dezembergipfel? – Impulse für die Wiederbelebung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

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Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU ist den in sie gesteckten Erwartungen bislang selten gerecht geworden. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung, im Rahmen des diesjährigen Dezembergipfels der Staats- und Regierungschefs auf höchster politischer Ebene über Sicherheits- und Verteidigungsthemen zu diskutieren. Aufgrund der Entwicklungen in der unmittelbaren und erweiterten europäischen Nachbarschaft ist eine handlungsfähige GSVP in europäischem und deutschem Interesse.

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Dennoch bleiben die Kernprobleme der GSVP weiterhin akut:

1. Die militärischen Instrumente der GSVP bleiben weitgehend ungenutzt: Die EU Battlegroups sind bisher nie in Kampfhandlungen eingesetzt worden. ......

2. Pooling und sharing-Initiativen sind noch zu zaghaft, wichtige Fähigkeitslücken, etwa im Bereich des Lufttransports, konnten noch nicht geschlossen werden. Zudem zögern die Mitgliedstaaten bislang, die Rolle als „lead nation” bei den pooling und sharing-Initiativen anzunehmen. ...........

3. Entscheidungs- und Entsendeschnelligkeit der GSVP-Missionen lassen zu wünschen übrig. Die EU ist derzeit entweder nicht willens oder fähig, einen raschen Beschluss zur Entsendung einer GSVP-Mission zu fassen. Die lange Anlaufzeit für die Trainingsmission in Mali ist nur ein Beispiel dafür.

4. Geringe Bereitschaft der Mitgliedstaaten, Personal und Mittel in die GSVP zu investieren: Gleich, ob ziviler oder militärischer Natur, GSVP-Missionen haben Schwierigkeiten, das benötigte Personal aus den Mitgliedstaaten zu erhalten. Die grundsätzliche Zurückhaltung der Mitgliedstaaten, sich in GSVP-Missionen zu engagieren, liegt wohl auch in der Finanzierungsmethode begründet. So wird der Großteil der Kosten einer Mission nach dem Prinzip 'Costs lie where they fall' finanziert, wonach der Einsatz weitgehend (im Schnitt zu etwa 90 Prozent) von den engagierten Mitgliedstaaten zu tragen ist. Lediglich rund 10 Prozent der Kosten werden gemeinsam über den sogenannten 'Athena-Mechanismus' finanziert.

5. Die GSVP wird immer weniger als wirkliche Handlungsoption in Betracht gezogen. Weder im Falle Libyens noch Malis wurde die Möglichkeit eines (militärischen) GSVP-Einsatzes ernsthaft diskutiert.

6. Eines der wichtigsten Hindernisse für die Zusammenarbeit ist der fehlende Konsens über gesamteuropäische sicherheitspolitische Instrumente und Strategien. Nach wie vor gibt es keine gemeinsame europäische strategische Kultur. Generell gibt es eine Präferenz für bilaterale Zusammenarbeit ähnlich strukturierter Länder oder multinationale Kooperationsformen außerhalb des EU-Rahmens. Ein Beispiel dafür ist das 2010 abgeschlossene britisch-französische Abkommen.

7. Gleichzeitig hat die GSVP auch in Brüssel selbst einen schweren Stand. Lange tat sich die Hohe Vertreterin Catherine Ashton mit verteidigungspolitischen Themen schwer. Es ist mithin bezeichnend, dass in den vergangenen Jahren das Europäische Parlament zum größten Befürworter einer stärkeren GSVP geworden ist.

 

ARGUMENTE

Von Gegnern einer Stärkung der GSVP werden folgende Argumente ins Feld geführt:

1. Zweifel an der Notwendigkeit permanenter Planungsstrukturen: Die Schaffung permanenter ziviler und militärischer Kommandostrukturen führe nur zu einer unnötigen Duplizierung der Kommandostrukturen der NATO. .......

2. Präferenz bilateraler Zusammenarbeit außerhalb des EU-Rahmens: Die strategischen Kulturen und die außenpolitischen Präferenzen der Mitgliedstaaten seien zu unterschiedlich, um im EU-Rahmen zu arbeiten. Bilaterale Kooperationsformen, insbesondere das französisch-britische Abkommen, hätten dagegen durchaus erste Resultate aufgezeigt.

3. Ein drittes Argument stellt die Existenzberechtigung der GSVP an sich in Frage.

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Dem stehen folgende Argumente für eine Stärkung der GSVP gegenüber:

1. Neuer geostrategischer Kontext: Die Ereignisse in der erweiterten Europäischen Nachbarschaft haben deutlich gemacht, dass die militärische Option ein wichtiges Instrument bleibt. Die Instabilität am Horn von Afrika und in der Sahelzone und die dortige Präsenz terroristischer Netzwerke, aber auch mehrere 'eingefrorene' Konflikte in der europäischen Nachbarschaft (Nagorno-Karabakh, Libanon) zeigen deutlich, dass die militärische Option weiterhin aufrecht erhalten werden muss. Im Falle Malis war sie vom entsprechenden Zielland durchaus erwünscht. Am selben Beispiel wird auch der potentielle Mehrwert schneller Eingreiftruppen deutlich. Hinzu kommt die strategische Neuorientierung der USA, die ihre Ressourcen vermehrt auf den pazifischen Raum konzentrieren werden. Das bedeutet nicht den vollständigen Rückzug der USA aus Europa, aber doch die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Europäer für ihre eigene Nachbarschaft. Will Europa bei den Entwicklungen vor seiner Haustür mehr als nur Zuschauer sein, muss es neben dem 'soft power'-Instrumentarium auch über schlagkräftige militärische Instrumente verfügen.

2. Verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit: Die meisten EU-Mitgliedstaaten haben bereits Schwierigkeiten, bestimmte Truppensegmente überhaupt noch aufrechtzuerhalten. Mittelfristig kann die verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten nur durch Bündelung der Ressourcen in einem gemeinsamen europäischen Rahmen gewährleistet werden. Selbst die militärischen Schwergewichte der EU, Frankreich und Großbritannien, sind im Rahmen des Libyen-Konflikts an ihre Grenzen gestoßen, sowohl quantitativ, als auch qualitativ (Luftaufklärung ohne deutsche Awacs). Einer solchen bilateralen Zusammenarbeit sind also auch Grenzen gesetzt, selbst für Frankreich und Großbritannien hat die Beteiligung anderer europäischer Partner signifikanten Mehrwert. Seit einigen Jahren hat Russland Großbritannien und Frankreich bei den militärischen Ausgaben übertroffen, von Deutschland ganz zu schweigen. Andere Regionen der Welt rüsten ebenfalls auf, während mit Ausnahme Polens die EU-Mitgliedsländer den entgegengesetzten Weg gehen. Die EU-Verteidigungsausgaben sanken zwischen 2001 und 2010 von 251 Milliarden auf 194 Milliarden Euro. Die europäischen Staaten werden mittel- und langfristig nur bei einer Bündelung der Kräfte militärisch handlungsfähig bleiben.

3. Alleinstellungsmerkmal der GSVP: Die Prognose, dass bis auf Weiteres die NATO Hauptgarant europäischer militärischer Sicherheit sein wird, ist realistisch. Dennoch ist die GSVP die geeignete Antwort auf Risiken, die nicht durch die transatlantische Allianz abgedeckt werden können. Zum einen ist ein Einsatz im Rahmen der NATO in einigen Gebieten in der europäischen Nachbarschaft aus politischen Gründen undenkbar. Wichtiger noch: Die EU verfügt nicht nur über das gesamte Spektrum militärischer und ziviler, sondern auch über das humanitärer und entwicklungspolitischer Instrumente. Das Mantra der GSVP ist der 'comprehensive approach' – Krisen in der Europäischen Nachbarschaft und in den entsprechenden Nachbarregionen bedürfen eines umfassenden Ansatzes. Das Engagement der EU am Horn von Afrika ist ein gutes Beispiel für den Mehrwert dieses umfassenden Ansatzes.

4. Drohender Verlust an Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Verteidigungssektors: Durch Sparmaßnahmen droht eine Vernachlässigung von Forschung und Entwicklung im Verteidigungsbereich, die Innovationslücke zu den USA wächst. ....

5. Das internationale Gewicht der EU wird nicht zuletzt an ihrer Fähigkeit gemessen werden, mit Sicherheitsrisiken in ihrer Nachbarschaft umzugehen, notfalls mit militärischen Mitteln.

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EMPFEHLUNGEN

Mit dem Europäischen Ratsgipfel eröffnet sich eine Gelegenheit, die GSVP zur Chefsache zu machen und ihr eine neue Dynamik zu verleihen. Es bedarf zunächst einmal eines klaren politischen Signals sowie einer Diskussion über Ziele und Strukturen. Darüber hinaus sollten aber auch einige konkrete Projekte für die kommenden Jahre angestoßen werden. Deutschland ist hier in der Pflicht, Initiative zu zeigen, und kann nicht auf andere Akteure warten. Das ist auch eine Folge der kontroversen Haltung der Bundesregierung im Libyen-Konflikt – wie die CDU-Abgeordneten Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter in einem vielbeachteten Positionspapier zur GSVP schreiben: 'Wir müssen anerkennen, dass die deutsche Sicherheitspolitik ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.' Das wirkt sich auch auf die Glaubwürdigkeit der GSVP insgesamt aus.

 

Politische Signale

1. Die GSVP hat inzwischen ein Glaubwürdigkeitsproblem, entsprechend wäre ein unmissverständliches Bekenntnis zur GSVP von entscheidender Bedeutung für ihre Zukunft. Der Fehler des Europäischen Ratsgipfels im Dezember 2008, lediglich eine überehrgeizige Wunschliste von Fähigkeiten ohne realistische zeitliche Vorgaben zu verabschieden, darf nicht wiederholt werden. Dabei muss der Gipfel nicht als Endpunkt, sondern lediglich als Auftakt für eine neue Dynamik in diesem Politikbereich betrachtet werden.

2. Es bedarf eines grundlegenden Nachdenkens über die GSVP. Unter anderem muss deutlich werden, was die Ziele der GSVP sein sollen, was auf europäischer Ebene gemeinsam und was in ausschließlich multilateralen Kooperationsformen gemacht werden soll.

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Strukturen

1. Deutschland sollte sich noch stärker als bisher für die Schaffung permanenter ziviler und militärischer Planungsstrukturen einsetzen, um die rasche Planung und Durchführung von militärischen und zivilen GSVP-Missionen zu erleichtern. ......

2. Reform der Finanzierung von GSVP-Missionen: Der über den Athena-Mechanismus bislang gemeinsam finanzierte Part ist zu klein. Dies schreckt grundsätzlich einsatzwillige Länder ab. ......

3. Deutschland sollte durch den Lissabon-Vertrag geschaffene Strukturen offensiver nutzen, wie etwa die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit. Zu einem Europa à la carte gibt es im verteidigungspolitischen Bereich derzeit keine Alternative. …..

4. Engere Verzahnung nationaler Verteidigungsplanung: Restrukturierungsprogramme im Verteidigungssektor müssen enger abgestimmt werden. .... Die bereits praktizierte Abstimmung zwischen Großbritannien und Frankreich könnte für Deutschland als Inspiration dienen. ...

5. Finanzielle Aufwertung der Europäischen Verteidigungsagentur. Die Finanzmittel und die Kapazitäten der EDA sollten aufgestockt werden. Deutschland sollte sich für eine künftige Teilfinanzierung der EDA aus EU-Mitteln einsetzen.

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Instrumente und Kapazitäten

1. Politische Unterstützung für 'pooling & sharing'-Schlüsselinitiativen: Der Dezembergipfel muss ein sichtbares politisches Signal mit Hinblick auf pooling und sharing-Initiativen senden. Dabei sollte ein konkreter Auftrag (mit Fristen) zur Schließung der dringlichsten Fähigkeitslücken im Bereich des strategischen Lufttransports oder multinationaler Helikopter gegeben werden. Deutschland könnte Initiator eines solchen Projektes sein – und als 'lead nation' auftreten. ....

2. Konkrete Schritte zur Schaffung eines Binnenmarktes für Verteidigungsgüter: Ferner sollte sich Deutschland beim Gipfel und darüber hinaus für die Umsetzung einiger Vorschläge der Kommissionsmitteilung vom 24. Juli 2013 einsetzen. Bei der Ausgestaltung ihrer mitunter sehr ehrgeizigen Vorstellungen wird die Europäische Kommission von der Unterstützung nationaler Behörden abhängig sein: Zentral ist diese Unterstützung beispielsweise bei der korrekten Anwendung der Beschaffungsrichtlinie. Deutschland sollte dafür Sorge tragen, dass einige zentrale Elemente der Mitteilung bis zum Gipfel ausgestaltet werden, damit die Staats- und Regierungschefs über konkrete 'Leuchtturmprojekte' sprechen können. Deutschland sollte auch einige weiter gehende Forderungen der Mitteilung, wie die Erarbeitung einer europäischen Strategie für die Verteidigungsindustrie unterstützen. ….

3. Battlegroup-Konzept mit Leben füllen: Deutschland sollte sich weiter für die Wiederbelebung des Battlegroup-Konzepts einsetzen. Der deutsche Vorschlag, Komponenten der Battlegroups zur Unterstützung von Trainingsmissionen zu nutzen, ist ein erster konstruktiver, wenn auch in Brüssel umstrittener Beitrag. Dies kann aber nur eine Zwischenetappe sein: Den größten Mehrwert hätten die Battlegroups als wirklich schnelle Eingreiftruppe. Bislang sind die Battle-groups noch nicht im Kampfeinsatz gewesen. Das ist seitens der Exekutive politisch gewollt; der deutsche Parlamentsvorbehalt beispielsweise stünde einer solchen Nutzen nicht prinzipiell entgegen. Brüsseler Politiker warnen zu Recht davor, dass eine GSVP, die sich nur noch als besseres Ausbildungsprogramm begreift, mittelfristig nicht überleben wird. Um die Einsatzfähigkeit der Battlegroups zu verbessern, sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten die Interoperabilität zwischen den jeweils beteiligten Nationen weiter verbessern.“26

 

Die hier von der Kanzler-Partei-“Denkschmiede“ den Politikern gelesenen Leviten erscheinen surreal. Die aufgeführten deutschen Niederlagen auf dem verteidigungspolitischen Feld der EU, wie sie brennglasartig in den militärischen Interventionen in Bürgerkriege in Afrika der vergangenen Jahre aufscheint, werden selbstverständlich als Niederlagen „Europas“ gewertet und nicht als Absetzbewegung Britannien und Frankreich von den GASVP-Vorgaben Deutschlands begriffen. Deutschlands lange Latte von Niederlagen in der GASVP konterkarieren obige voluntaristische Sammelwut der Defizite der der GASVP der EU. Der Wächter der „Leuchtturmprojekte“ halluziniert in seinem schwarz-rot-goldenen Wolkenkuckucksheim. Makabre Redewendungen wie "Battlegroup-Konzept mit Leben erfüllen" sind wohl gängig im Milieu von Berufspolitikern.

 

Gegenüber dieser interessengeleiteten „wissenschaftlichen“ Auflistung der Problemstellungen erschienen die Vorschläge der SWP, ebenfalls im Oktober geradezu nüchtern und bescheiden:

 

Eine machbare Agenda

Der Gipfel im Dezember 2013 sollte kein einmaliges Ereignis bleiben. Von Ihm sollte ein Neustart bei GSVP-Kernelementen ausgehen: Fähigkeiten, Rüstungsindustrie und EDA, die als Katalysator in beiden Bereichen fungiert.

 

Ergebnisse bei diesen drei Initiativen sollte der Rat bei einem zweiten Verteidigungsgipfel im Dezember 2014 zur Kenntnis nehmen: Zwischen Dezember 2013 und Dezember 2014 erstellt eine unabhängige Kommission den Defence Review. Parallel dazu entwirft die EDA – mit dem Mandat des Rates und der Unterstützung der Europäischen Kommission – eine verteidigungsindustrielle Agenda. Und schließlich ist 2014 das Jahr, in dem die Flaggschiffe ihre Segel setzen.“27

 

Unter „Fähigkeiten“ und der Illusion: „2014 das Jahr, in dem die Flaggschiffe ihre Segel setzen“ versteht der Herr zuvorderst: „Ein Drohnen-Programm als Technologietreiber“. Die „Fähigkeits“-Lücke der EU zur USA geht allen EU-Experten zu weit auf. Immerhin geben die USA siebenmal soviel Geld für die Entwicklung von Waffensystem aus als das gesamte christliche Abendland. Der Vorschlag obiger drei Punkte kam der Realität der GASVP zwar näher und war trotzdem nicht „machbar“. Die Realos der SWP wären schon heilfroh gewesen, wenn die GASVP auch 2014 zum Gipfel-Thema gemacht worden wäre. Verlautbarungen hierzu wurden nach dem Rats-Gipfel nicht gegeben.

 

Während der vorstehende Agendavorschlag alle drei Punkte als Katalysator der beiden Bereiche der GSVP sehen wollte, wurde ebenfalls im Oktober von der KAS nochmals die Clusterlösung als taktischer Weg zu dem Ziel der militärischen Integration der EU-Länder aufgegriffen: mit der Integration der Armeen von regionalen Untergruppen der EU-Staaten als sogenannten „Insellösungen“ anzufangen, um über den Weg der Kooperation dieser Cluster dann schrittweise zu einer vereinten Streitmacht der Gesamt-EU zu gelangen. Mit solchen neuen militärpolitischen Achsenbildungen der „Anlehnungsmacht“ Deutschland mit seinen kleinen faktisch militärisch unsouveränen Anrainerländern soll der obig angerissenen Neuauflage der britisch-französischen Entente Cordiale praktisch ein militärisch-konventionelles Gegengewicht unter deutscher Führung entgegengesetzt werden.28

 

Im Abstract des Papierchen schimmerten allerdings zugleich die eigenen Zweifel kurz vor dem Gipfel durch, die deutschen Vorstellungen im Dezember durchsetzen zu können:

 

Europäische Insellösungen als Fundament einer Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten?

Erstmalig seit 2003 wird im Dezember dieses Jahres ein Europäischer Rat zur Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik stattfinden. Durch die Befassung der Staats- und Regierungschefs mit dem Thema entsteht eine große Chance, dem in vielerlei Hinsicht defizitären Projekt der Stärkung der verteidigungspolitischen Fähigkeiten Europas auf oberster politischer Ebene neuen Schwung zu verleihen. Eine Möglichkeit für größere Fortschritte kann dabei das Konzept von 'Insellösungen' darstellen, also der Kooperation einzelner Staaten diesseits EU-weiter Lösungen. Die vorliegende Analyse geht der Frage nach, welche Chancen und Risiken das Konzept in sich trägt und stellt konkrete Handlungsempfehlungen für die deutsche Politik vor.“29

 

Nach vorstehender Zitatensammlung zögen die „Insellösung“ oder „Clusterlösung“ das gewünschte Resultat der praktischen, unauflöslichen Integration von nationalen Streitkräften zu geographisch untergliederten EU-Streitkräften nach sich. Nun will es aber die göttliche Ordnung, dass Deutschland dann für seine sämtlichen kleinen Anrainerstaaten die „Anlehnmacht“ für deren fehlende „Breite“ an militärischen „Fähigkeiten“ stellen würde. Dies wäre der – nur mit Einwilligung der NATO – institutionelle Ausbau bestehender „Kooperationen“, wie beispielsweise der Marinen Deutschlands, Dänemarks und Polens bei der „Sicherung“ des Ostsee-Raumes. Und wie es die göttliche Vorsehung wollte, wurden 2011 auf Deutschlands politische Initiative hin zwei Minor-Großräume auf sub-EU-Ebene kreiert, die haargenau auch jene Staaten nord- und süd-östlich Deutschlands als potentielle Anlehnsmacht-„Partner“ umfassen: der Ostseeraum und der Donauraum, von deutschen Geopolitikern selbstverständlich fein abgezirkelt nach den Wassereinzugsgebieten. Und zu beiden Minor-Großräumen gehören nun mal wasserscheiden-„natürlich“ nur deutsche Bundesländer. Alle anderen Staaten gehören „naturgegeben“ zu nur einem dieser Konstrukte. Später wird auf deren potentielle Funktion eines „inselförmigen“ Zwischenschritts zu den VSE zurück zu kommen sein.

 

Bei den jetzigen militärpolitischen Bündnissen handelt es sich nach allen Ausführungen generell um Zwangskooperationen von Nationalstaaten, in denen sich die schwächeren Staaten einem Hegemon militärpolitisch „freiwillig“ unterwerfen, um sicherheits- und verteidigungs- und militärpolitisch abgesichert zu sein. Nur so können sie selbst überhaupt noch militärische Fähigkeiten auf Höhe der Zeit in spezifischen Teilbereichen bevorraten.

 

Das Unterfangen der militärischer Clusterbildung – letztendlich der NATO selbst – ist eine Grenzwanderung zwischen Unterwerfung der schwachen Staaten zu politischen Vasallen durch die Degradierung ihrer nationalen Streitkräften zu bloßen Hilfstruppen des Hegemons oder im vorliegenden Falle einer Anlehnmacht und andererseits der Gefahr für den Hegemon bzw. die Anlehnmacht, dass die durch die waffentechnologische Entwicklung höchst sensiblen Kooperationen in diesem politischen Unterwerfungsprozess blockiert oder gar sabotiert oder aufgekündigt werden. Dass und wie Deutschland nach 1989 beispielsweise versucht, die NATO als oberstes Militärbündnis zu schwächen, zu blockieren oder gar aufzulösen (mit der deutschen Linken als unreflektiertem Claqueur), um eigenständige EU-Streitkräfte aufzubauen, sollte selbst dem text-kritischsten Leser einsichtig geworden sein. Da Deutschlands faktische Desavouierung der NATO einhergeht mit seinen Weltmachtambitionen via 'Deutsch-Europa', wird Deutschland mit zunehmender Ausübung von Druck auf die EU“Partner“ zur einer GSVP „mit einer (deutsch-modulierten) Stimme“ von den „Freunden“ seit mehr als zwanzig Jahren militärpolitisch ausgebremst. Es sei nochmals ein Absatz des vorhin zitierten Schwarz-Kehlchens herangezogen, um Deutschlands gegenwärtige militärpolitische Grenzsituation der Selbstisolation als selbstgefälliger Aufsteiger zu vergegenwärtigen:

 

Deutschland hat in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, mit der alle mächtigen und einflussreichen Nationen früher oder später konfrontiert werden. Es gibt Kritik und Widerstand gegen Entscheidungen, manchmal auch auf unsachliche und polemische Weise. Es ist wichtig zu verdeutlichen, dass dies ein zwar misslicher, aber vermutlich unvermeidlicher Prozess ist. Wer Einfluss und Macht gewinnt, ist in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die Tragweite und Durchsetzungskraft besitzen. Damit macht man sich nicht überall Freunde. Mit dieser neuen Situation muss Deutschland umgehen lernen. Gesundes Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit ist dabei durchaus angebracht.“30

 

Wie es tatsächlich mit der deutschen „Durchsetzungskraft“ auf den Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärfeldern der EU bestellt ist, lässt sich aus der Folge-Zwischenbilanz des schon vorhin zitierten spezialisierten transnationalen europäischen militärpolitischen Think-Tank herauslesen: faktischer Attentismus der GSVP durch gegenseitige nationale Blockaden ihrer drei Hauptkräfte:

 

Newsletter vom 13.12.2013 - Weltfriedenskriege

BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) - Vor dem EU-Gipfel zur europäischen Militärpolitik Ende nächster Woche in Brüssel bilanzieren Militärpolitik-Experten die Entwicklung der 'Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik' (GSVP) der EU. Mit der ersten Intervention in der Demokratischen Republik Kongo sei vor zehn Jahren ein durchaus erfolgreicher Testlauf gelungen, heißt es in einer Analyse des 'European Union Institute for Security Studies' (EUISS). Danach sei die Einsatzfreudigkeit jedoch deutlich gesunken. Das EUISS benennt technische Ursachen dafür, verweist jedoch ebenfalls darauf, dass die drei stärksten europäischen Mächte eifersüchtig darüber wachten, Kriege ausschließlich im eigenen nationalen Interesse zu führen; dies sei der eigentliche Grund dafür, dass beispielsweise die Battle Groups - wichtige Elemente der EU-Militärstrategie - bislang noch nie eingesetzt worden seien. Nach dem Willen Berlins und der EU soll sich dies nun ändern: Beim EU-Gipfel nächste Woche wird es vor allem darum gehen, dass 'Europa bei der Wahrung des Weltfriedens' eine 'größere Rolle übernehmen', also mehr Kriegsbereitschaft als bisher zeigen müsse - und wie die militärischen Voraussetzungen dafür zu schaffen seien.“31

 

Die Berufsschreiber kamen ihrer Pflicht nach, der Berg kreiste und gebar nicht einmal eine Maus. Denn Frankreich intervenierte kurz vor dem Gipfel militärisch im Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik. Es ließ dabei seinem wichtigsten militärischen Kombattanten Tschad wie schon in Mali relativ freie Hand, um dem Zerfall der kolonial gebildeten Staaten der Subsaharazone entgegenzuwirken.32 Der Zeitpunkt der Intervention konnte nur als taktisches Störmanöver der deutschen Vorgaben für den militärpolitischen Gipfel der EU interpretiert werden. Denn sofort stand wiederum die Frage der finanziellen Beteiligung an der Spitze der Tagungsordnungspunkte. Damit war Deutschlands Tagesordnung zur GSVP praktisch erledigt. Die deutsche Taktik darauf war die Verweigerung der finanziellen Begleichung des nationalen Alleingangs Frankreich durch eine Aufstockung des 'Athena-Mechanismus' der EU, um so Frankreichs Imperial Overstretch zu beschleunigen und es so ins eigene militärpolitische Fahrwasser zu zwingen:

 

Newsletter vom 16.12.2013 - Deutschland 001

BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) - Berlin blockiert Unterstützungszahlungen der EU für die französische Militärintervention in der Zentralafrikanischen Republik. Während Brüssel die Operationen afrikanischer Truppen in dem Land mit 50 Millionen Euro finanziert, bestehe über etwaige Mittel für die französischen Kampftruppen noch 'Abstimmungsbedarf", erklärt Bundeskanzlerin Merkel. Die Bundesregierung lehnt den Kriegseinsatz nicht ab und stellt Transportflugzeuge für ihn bereit, sucht jedoch die finanziellen Lasten auf Paris abzuwälzen. Hintergrund sind schon seit Jahren anhaltende Machtkämpfe zwischen Deutschland und Frankreich, bei denen Berlin jeweils bemüht war, keinerlei eigene Ressourcen für Interventionen einzusetzen, die zu einer Stärkung der Pariser Stellung in Afrika führen könnten. Erst zu Jahresbeginn hat die Bundesrepublik begonnen, sich an französisch geführten Operationen zu beteiligen - in Mali; dort hat die Bundesregierung zugleich eine massive Einflusskampagne gestartet. Mit Erfolg: Wie Malis Präsident letzte Woche in Berlin bestätigte, stuft seine Regierung Deutschland jetzt als 'wichtigstes Partnerland' ein und wird in der Bundesrepublik Ausrüstung für sein Militär erwerben.“33

 

Deutschlands taktisch „lautlose“ Afrika-Politik nimmt seit dem von Islamisten eingeleiteten Bürgerkrieg in Algerien in den 1990er Jahren jede Gelegenheit wahr, Frankreichs kolonial überkommene starke Position in Nordafrika, jetzt im gesamten subsaharischen Gürtel der Sahelzone zu schwächen und sich dabei selbst polit-ökonomisch in die Vorderhand zu bringen. Die ehemaligen Kolonien spielen ihre ehemaligen Kolonialherren mit dem Joker BRD aus. Der Appeaser-Maximus BRD kann so als „Menschenrechtswächter“ längst dem eingeschliffenen Motto nachgehen: die „Freunde“ holen die Kastanien aus dem Feuer, wir kassieren diese dann in „ziviler Mission selbstlos“ ein und verspeisen sie. Dass die „Freunde“ davon die Schnauze inzwischen gestrichen voll haben, wundert nicht.

 

Die „Freunde“ lassen ihre ohnmächtige Wut zunehmend undiplomatischer in der Öffentlichkeit heraus. So wurde im Kommentar der ES&T im März 2013 zur Münchner Sicherheitskonferenz waffenlobyistisch süffisant kolportiert:

 

Eine Konferenz mit vielen wichtigen Themen

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Ein Vertreter der französischen Regierung zählte in der Nachtsitzung am Freitag jene Staaten auf, die Frankreich in Mali helfen. Deutschland fehlte dabei. Dies war sofort in den Wandelgängen ein Thema, zu sehr legt vor allem die Bundesregierung Wert darauf, dass sie die Mali-Operation politisch und in engem Umfang auch militärisch nutzte. So griff ein Tagungsteilnehmer die Diskussion wieder auf, als Außenminister Westerwelle im Podium saß. Deutschland unterstütze die afrikanischen Streitkräfte mit Transportflugzeugen, beteilige sich an der Ausbildungsmission der EU für afrikanische Soldaten, später kam die Zusage medizinischer Unterstützung für die EU-Mission (wieder für die afrikanischen Streitkräfte) hinzu. Lediglich die bisher nur angekündigte Bereitschaft, französische Flugzeuge aufzutanken, komme direkt Frankreich zu. Was also sei die deutsche Unterstützung? Ein sichtlich genervter deutscher Außenminister antwortete, die afrikanischen Soldaten sollten doch möglichst schnell ausgebildet werden und die Mission dort selbst übernehmen, und das entlaste doch die französischen Streitkräfte. Westerwelle machte nicht den Eindruck, dass er seine Äußerung so richtig überzeugend fand. ….“34

 

Der EU-Dezembergipfel 2013 ging erwartungsgemäß aus wie das Hornberger Schießen, wenn die veröffentlichte Meinung den Tatsachen nahekommt – was wie stets zu bezweifeln ist. Die führende deutsche wirtschaftspolitische Tageszeitung konstatierte unter dem Titel „Machtlose Merkel“ lapidar:

 

Die „Chefs“ haben sich auf eine engere Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung geeinigt. Was das genau bedeutet, ließen die Staatenlenker aber weitgehend offen. Frankreich kam mit seiner Forderung nach einer gemeinsamen Militärkasse nicht voran.“35

 

Alle oben angerissenen deutschen Beschwörungen der Notwendigkeit einer handlungsfähigen GASVP stießen auf taube Ohren. Deutschlands Agieren auf den Feldern der Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik spitzt die Konfrontation nicht nur mit den EU-“Partnern“ sondern ebenfalls mit dem großen Bruder jenseits des Atlantiks zu:

 

Newsletter vom 10.01.2014 - Von der Isolation bedroht

MÜNCHEN (Eigener Bericht) - Die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz (31. Januar bis 2. Februar) stellen ein Plädoyer für stärkere deutsche Aktivitäten in der NATO zur Debatte. Wie es in dem Beitrag heißt, der im Internet veröffentlicht worden ist, nimmt insbesondere in den USA die Kritik am deutschen Auftreten auf internationaler Ebene zu. Hintergrund sind Bestrebungen Berlins, eine eigenständige Machtpolitik zu entfalten. So hat die Bundesregierung beispielsweise den NATO-Beitritt der Ukraine verhindert, was in den USA auf großen Unmut gestoßen ist, zieht die ukrainischen Streitkräfte nun aber für EU-Militärinterventionen heran. Bei den Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz heißt es jetzt, mit einer derartigen Politik, die die NATO blockiere, drohe Deutschland sich im Westen zu isolieren. Im außenpolitischen Establishment der Bundesrepublik gebe es eine steigende Bereitschaft, der NATO wieder größere Anstrengungen zu widmen. Die Debatte dürfte spätestens auf der Münchner Sicherheitskonferenz fortgesetzt werden.“36

 

Die späte Einsicht der „Organisatoren“ der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 in die Gefahr der Isolation der BRD auf dem militärpolitischen Feld entsprang nicht ihrer eigenen Überzeugung. Denn gerade sie traten bisher vehement als Protektoren für eigenständige EU-Streitkräfte auf. Vielmehr war die Einsicht dem Verlauf des innereuropäischen Machtkampfes um die militärische Ausrichtung der EU-Staaten geschuldet. Deutschland scheiterte 2013 dem Augenschein nach famos in Fragen der GASVP auf ganzer Linie.

 

Die nationalen militärischen Alleingänge der drei Hauptkräfte gefährden das Projekt der EU machtpolitisch. Sie müssen sich nach allen vorstehenden ideologischen Äußerungen zumindest auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammen raufen, wenn die EU-Hauptkräfte auf dem Weltparkett machtpolitisch mitmischen wollen. Mitte Januar 2014 kündigte Hollande in einer großangelegten Pressekonferenz an:

 

Allerdings betonte Frankreichs Staatschef, dass er eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland in der Verteidigungspolitik anstrebe. Er wolle ein 'deutsch-französisches Paar, das sich für ein Europa der Verteidigung einsetzen kann', sagte Hollande. 'Wir müssen eine gemeinsame Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt zeigen.'

 

Künftig wollten er und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich 'vor allen großen Projekten' abstimmen. Paris hatte zuletzt auf eine stärkere europäische Beteiligung an seinem Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik gedrungen.“37


Bei dieser Umarmung Frankreichs kurz vor dem publikumsträchtigen Parkett der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar 2014 kann es sich Deutschland nicht mehr leisten, länger in der dritten Reihe zu stehen und seine militärischen Ressourcen zu schonen, während die „Partner“ sich in Kampfeinsätzen verausgaben. Frankreich versucht offensichtlich, seine nationalen Interessen in Afrika weiterhin – trotz der Gefahr des Imperial Overstrech – mit militärischen Interventionen zu wahren und Deutschland dabei möglichst umfassend mit spezifisch „tiefen“ militärischen „Fähigkeiten“ hineinzuziehen, um so dessen Ressourcen abzunutzen. Da Deutschland sofort auf Hollande's Ankündigung mit konkretisierenden Angeboten reagierte, liegt es nahe, dass Deutschland auf dem EU-Dezember-Gipfel festgenagelt wurde. Und wie zu lesen war, erwägt Berlin einen Strauß verschiedenster Unterstützungsmaßnahmen, u.a. sollen Teile der in Bayern stationierten deutsch-französischen Brigade nach Mali und der Republik Zentral-Afrika verlegt werden. Demnach geht es jedoch zugleich um die „Breite“ an militärischen „Fähigkeiten“ der jetzt so benannten EU-“Mission“, beispielsweise durch Zugriff auf das „Angebot“ von Kräften aus Osteuropa. Diese sind nach überkommener Manier deutscher Hilfstruppen sehr viel billiger und „robuster“ einsetzbar als westlich verwöhnte „Weicheier“ mit ihren teuren psychosomatischen Traumata, die "unsere" UvL "familiär" umsorgen will.

 

Die Außenminister der EU-Staaten zeigten sich kurz entschlossen und lagen dabei ungewollt auf der Linie der deutschen außenpolitischen Agenda 2020 des Ausbaus der eigenen Weltmachtrolle:

 

Newsletter vom 21.01.2014 - Die Agenda 2020

BERLIN/PARIS/BANGUI/BAMAKO (Eigener Bericht) - Die EU kündigt einen Militäreinsatz in der Zentralafrikanischen Republik an. Wie die EU-Außenminister am gestrigen Montag in Brüssel beschlossen haben, sollen in Kürze Soldaten aus mehreren EU-Staaten nach Bangui geschickt werden und dort französische Truppen unterstützen. Die Bundeswehr wird sich voraussichtlich mit Transportflugzeugen und mit einem Sanitäts-Airbus beteiligen. Zugleich stellt der deutsche Außenminister eine Ausweitung der deutschen Intervention in Mali in Aussicht. Wie es heißt, solle die Deutsch-Französische Brigade dort zu ihrem ersten großen Einsatz kommen. Im Hintergrund hält der Machtkampf zwischen der Bundesrepublik und Frankreich an. Berlin sucht die Operation in Mali zu nutzen, um den bislang exklusiven Pariser Einfluss in der westafrikanischen Frankophonie zu brechen. Deutsche Militärs kündigen an, 'Afrika, insbesondere sein Norden und seine Mitte', würden 'uns ... in den nächsten Jahren beschäftigen'. Noch vor dem Ende des (Teil-)Abzuges aus Afghanistan rückt damit bereits ein neuer deutscher Interventions-Schwerpunkt in den Blick - ganz im Sinne der weltpolitischen Offensive, auf die das außenpolitische Establishment Berlins seit letztem Herbst verstärkt dringt.“38

 

Die verstärkte Einbindung deutscher militärischer Kapazitäten in konkrete französische nationale Einsätze scheint nach den obigen allgemeinen Aussagen Hollande's eine taktische Kehrtwende Frankreichs zu sein, um durch die Zusammenarbeit der beiden kontinental-europäischen Hauptkräfte dem deutschen Ansinnen zur Bildung militärischer Cluster das Wasser abzugraben. Zugleich geht Paris das Risiko ein, dass es seinen postkolonialen Einfluss in Nord-/Mittelafrika an Berlin verliert. Frankreich lag zum Zeitpunkt Anfang 2014 noch nicht so am Boden, dass es seinen Machtkampf in der EU so weit aufgegeben hatte, dass es sich militärpolitisch von Großbritannien absetzen und auf die Seite Deutschlands wechselt musste. Vielmehr deutete obige militärpolitische Ankündigung im Zusammengang mit den in der in der Pressekonferenz angekündigten wirtschaftspolitischer „Reformen“ à la Gerhards Agenda 2010 samt Steuersenkung für Unternehmer darauf hin, dass Frankreich den Machtkampf mit Deutschland erneut aufnimmt. Dabei muss Hollande das schon von Sarkozy eingeplante Risiko eingehen, dass ihm beim Frontalangriff auf die lohnabhängige Klasse die Proleten aufs Dach steigen.

 

Soviel sollte im vorliegenden Kapitel klar geworden sein: solange die zentralen außenpolitischen machtpolitischen Felder einer funktionsfähigen GASVP der EU „mit einer Stimme“ so sehr wie 2013 im argen liegen, geht der Machtkampf Deutschlands mit den anderen EU-Hauptkräften hinter den Kulissen mit harten Bandagen weiter. Mit einer umfassenden deutsch-französischen militärpolitischen Zusammenarbeit würde Frankreich die Streckung seiner nationalen Waffen signalisieren und das Hissen der weißen Fahne. Dies wäre ein ökonomisch bedingter Unterwerfungsakt Frankreichs unter den Hegemon. Deutschland wäre dann das entscheidende Stück weiter im Kampf um eine EU-Streitmacht. Anderseits ist ohne eine one voice policy der GASVP – wie im Text schon aus den mehrmals angeführten Zitaten aus dem Schäuble/Lamers-Papier von 1994 und Joschkas Menschenfischers Grundsatzrede 2001 ungeschminkt hervorging – kein ernst zu nehmender „EU-Staat“ auf dem Weltmarkt zu machen. Demnach liegt nach den vorstehenden „Befunden“ zu urteilen die deutsche Option von VSE auf Grund der bremsenden bis boykottierenden nationalen Hinhaltetaktiken fast aller EU-„Partner“ in den zentralen machtstrategischen Kernfeldern GAP und GSVP – bis auf weiteres – am Boden. In Teil II wird ausführlicher darauf eingegangen, wie die westlichen Siegermächte nach 1945 bis 1989 sicherheits-, verteidigungs- und militärpolitisch agierten, um Deutschland trotz seines Aufstiegs zur ökonomischen europäischen Vormacht wenigstens militärisch einzuhegen.

 

1 Werner Daitz, Europa-Charta (PDF) 1940 – http://www.uni-tuebingen.de/gerd.simon/DaitzEuroCharta.pdf

 

2 Überlegungen zur europäischen Politik, das sogenannte Schäuble/Lamers-Papier der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion vom 1. September 1994, S. 9.

 

3 Ein sicheres Europa in einer besseren Welt - Europäische Sicherheitsstrategie . Brüssel, den 12. Dezember 2003 [Nicht im Amtsblatt veröffentlicht]. http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/fight_against_organised_crime/r00004_de.htm

 

4 Schulz will Integrationsverweigerer abstrafen, Handelsblatt Online vom 9.11.2012

 

5 Carolin Dylla, NATO-Gipfel in Chicago: Das Ende der europäischen Atomwaffen-Ära? euros-du-village

 

6 Newsletter vom 11.09.2012 – Die neue Entente Cordiale http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58422

 

7 Markt und Strategie: Berlin neben Paris bald zweiter EDAS-Aktionär, FAZnet vom 26.10.2012

 

8 Deutschland blockiert Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien Handelsblatt Online vom 24.12.2012

 

11 Siehe: EU-Verfassung – Europa der Konzerne und Generäle? Eine Broschüre der Friedenswerkstatt Linz, 2. überarbeitete Auflage, 2005

 

12 Newsletter vom 11.06.2013 - Die europäische Friedenszone. Mehr

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58620

 

13 Matthias Gebauer, Gregor Peter Schmitz, Christoph Schult, Nato-Reform: De Maizière will deutschen Sonderweg beenden Spiegel Online vom 22.10.2013

 

14 Europäische Sicherheit & Technik (ES&T) behauptet auf ihrer Homepage sicherlich zu recht: „Deutschlands führende Monatszeitschrift für Sicherheitspolitik und Wehrtechnik“. Es lohnt sich übrigens, die Zeitschrift anzusehen, da dort eine erschlagende Fülle monatliches neu auf den „Markt“ kommendes Kriegsgerät mit Berufsstolz vorgestellt wird. Da kann auch hartgesottene Zeitgenossen die Wut packen, wie viel menschlichen Tribut das Kapital zur Absicherung der verkommenen Eigentumsordnung in die Menschen-Abschlachtungs-Industrie steckt.

 

15 Thomas de Maizière, Der Auftrag der Bundeswehr. Ausgangspunkt und Ziel der Neuausrichtung. Januar 2013 Europäische Sicherheit & Technik (ES&T), S. 8 ff.

 

16 Heiner Kiesel, Deutschland will für Europas Sicherheits-Rahmen sorgen, Deutsche Welle Online 28.05.2013

 

17 Katja Keul, Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Schlüsseljahr für Europa?; K.K., MdB ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (ES&T Mai 2013)

 

18 Siehe http://www.bmvg.de unter Dokumente.

 

19 Bernd Siebert, Herausforderungen für die nächste Legislaturperiode; B.S., MdB, Mitglied im Verteidigungsausschuss und Angehöriger der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ES&T August 2013, S. 10 ff.

 

 

21 Elmar Brok, Der Europäische Auswärtige Dienst. Chancen für die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. ES&T September 2013, E.B., Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten.

 

22 Dass Chinas Außenpolitik die Konkurrenz der Nationen als kapitalistisch-naturgesetzlich auffasst, wird im 'Reader Sicherheitspolitik' des Bundesministeriums für Verteidigung fast verwundert festgestellt: Zwischen friedlicher Entwicklung und neuer Aggressivität – Die gegenwärtige Debatte um Chinas Außenpolitik

 

23 Klaus Ott und Tasos Telloglou, Deutsche Rüstungskonzerne – Festnahme in Athen wegen Bestechungs-Affäre

Er soll für einen deutschen Rüstungskonzern geschmiert haben: Die griechische Justiz hat einen Geschäftsmann festgenommen. Er soll einen 150 Millionen Euro teuren Deal für ein Artilleriesystem aus Deutschland eingefädelt haben.“ Süddeutsche.de 30.12.2013

 

24 Hasnain Kazim, Kampfjets für Indien: Merkel schreibt Werbebrief für Eurofighter, Spiegel Online 02.01.2012

 

25 Michael Gahler, Europa braucht eine leistungsfähige Rüstungsbasis, M.G., MdEP, sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. ES&T November 2013

 

26 Olaf Wientzek, Letzte Hoffnung Dezembergipfel? - Impulse für die Wiederbelebung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Perspektiven deutscher Außenpolitik, Analysen und Argumente, Nr. 127, Sankt Augustin, 23. Sept. 2013 Herausgeber: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. http://www.kas.de/wf/de/33.35424/

 

27 Hilmar Linnenkamp/Christian Möllin, „Eine Agenda für den Europäischen Verteidigungsrat 2013 - Drei Vorschläge“ Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 57, Oktober 2013

 

28 Newsletter vom 04.10.2013 Militärische Insellösungen. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58702

 

29 Maik Zarandi, Europäische Insellösungen als Fundament einer Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten? Analysen und Argumente 130, Oktober 2013 Konrad-Adenauer-Stiftung http://www.kas.de/wf/de/33.35552/ MZ zählt zu den „Jungen Außenpolitikern“ der KAS.

 

30 Bernd Siebert, Herausforderungen für die nächste Legislaturperiode; B.S., MdB, Mitglied im Verteidigungsausschuss und Angehöriger der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ES&T August 2013, S. 10 ff.

 

31Newsletter vom 13.12.2013 – Weltfriedenskriege. Mehr

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58758

 

32 Neuanfang in Bangui – «Rücktritt» von Michel Djotodia, Neue Zürcher Online 10.01.2014

 

33 Newsletter vom 16.12.2013 - Deutschland 001. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58759

 

34 Rolf Clement, Eine Konferenz mit vielen wichtigen Themen. ES&T März 2013

http://www.esut.de/index.php?id=103

 

35 EU-Gipfel in Brüssel - Machtlose Merkel, Handelsblatt Online 20.12.2013

 

36 Newsletter vom 10.01.2014 - Von der Isolation bedroht. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58770

 

37 Hollandes Reformplan „Das ist noch nie gemacht worden“, Handelsblatt Online 14.01.2014

 

38 Newsletter vom 21.01.2014 - Die Agenda 2020. Mehr http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58778

Nicht seine Kritik der politischen Ökonomie lieferte Marx den Schluss auf jenes „revolutio-näre Subjekt“ namens „Prole-tariat“ – herleiten lässt sich aus ihr nichts dergleichen –, son-dern genau andersherum be-gründete die schiere Evidenz des Daseins und Wirkens die-ses Subjekts allererst eine Kritik der politischen Ökonomie, die das Kapital als „Durchgang“ hin zur menschlichen Gesellschaft diagnostiziert. Striche man da-gegen aus der Marxschen Di-agnose dieses einzige wahrhaft historisch-subjek­tive Moment darin aus, bliebe von ihr nur das Attest eines unaufhaltsa-men Verhängnisses.(*)

Wertkritischer Exorzismus
Hässlicher Deutscher
Finanzmarktkrise